Читать книгу Wege zum letzten Kapitel - Elisa Kellermann - Страница 4

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Der Wecker läutete und wie immer stieg ich leise, ohne zu zögern aus meinem Bett. Es war bereits sieben Uhr und die Sonne schien durch das Licht durchflutete Wohnzimmer, den Flur entlang zur Schlafzimmertüre. Ein wenig die Augen zusammengekniffen, ging ich langsam ins Bad und betrachtete mich im Spiegel. Ein altes Gesicht blickte mich an. Ein, von der Sonne ausgetrocknetes Gesicht mit Falten wie ein Fünfzigjähriger.

Mit dem Gedanken, Mensch, „bin ich alt geworden“, putzte ich mir die Zähne.

Tom wohnte damals mit seiner Freundin Manuela in einem großen Penthaus in Nürnberg.

Es gehörte einem gemeinsamen Freund von ihnen, welcher es sich als Ruhesitz für das Alter gekauft hatte. Da er jedoch noch zehn Jahre bis dahin hatte, vermietete er es an die Beiden.

Eigentlich war es viel zu teuer für zwei Normalverdiener, doch sie hatten sich vom ersten Augenblick an, darin verliebt. Es gab zwei große Terrassen, wobei man von der Hinteren aus, einen weiten Ausblick auf den nahegelegenen Park hatte. Über dem gewaltigen Wohnzimmer spannte sich eine hohe, gebogene Decke aus Holzbalken. Manuela und Tom richteten das Zimmer mit viel Liebe zum Detail ein.

Nur Massive dunkle Holzmöbel wurden verwandt, ein großer hölzerner Esstisch für zehn Personen stand dominant im Raum und darüber hing ein antiker Kerzenleuchter die Decke herab. An den Wänden waren Kerzenfackeln aus geschmiedetem Eisen angebracht. Wenn es draußen dunkel war und alle Kerzen brannten, hatte man den Eindruck, als sei man in einer Burg.

Der Fußboden war mit Kirschholz belegt und tat sein übriges um dieses mittelalterliche Flair zu unterstreichen.

Manuela schlief noch sanft. Sie wusste, dass ich sie wecken würde, wenn es Zeit dafür wäre.

Nachdem ich auch geduscht war, zog ich mich an. Jeans und ein Hemd waren für mich Standard an einem Wochentag und somit machte ich mich daran, dass Frühstück zu bereiten.

Obwohl man es kaum Frühstück nennen konnte. Wir tranken ausschließlich Kaffee, wenn wir arbeiten mussten. Nur an den Wochenenden frühstückten wir ausgiebig und aßen auch etwas dazu.

Manuela war eine Langschläferin. Lieber verzichtete sie auf ihr Frühstück, als auch nur eine Minute früher aus dem Bett zu steigen. Daher machte ich es mir zur Aufgabe, vor ihr aufzustehen, alles vorzubereiten und sie erst zu wecken, wenn alles fertig war.

Leise ging ich wie jeden Morgen zu unserem Schlafzimmer, machte vorsichtig die Türe auf und blickte hinein. Sie lag auf dem Bauch und nur eine Schulter ragte unter der Bettdecke hervor.

Ich gab ihr einen Kuss auf die Schulter und stupste sie leicht an.

>>Guten Morgen, es ist Zeit, du musst jetzt aufstehen.<<

Langsam drehte sie sich zu mir herum und blickte mich verschlafen an. Ihre langen braunen Haare ragten wild durch einander und standen in jede erdenkliche Richtung.

Orientierungslos und den Blick gerade nach vorne gerichtet, saß sie wortlos da und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

Noch benommen, hauchte sie mir ein leises und verschlafenes „guten Morgen“ zu, rieb sich die Augen und blieb wie festgewachsen auf dem Bett, sitzen.

Wie so oft, fand das selbe Ritual statt. Ich musste ihr die Decke weg nehmen, um sie endgültig zum aufstehen zu bewegen.

Langsam drehte sie sich aus dem Bett heraus und versuchte blind mit den Füssen ihre Hausschuhe zu ertasten. Und wie immer, schob ich ihr die Schuhe zu. Behutsam schlurfte sie mit nach unten gesenktem Kopf und verquollenen Augen in Richtung Bad. Ich ging wie immer in die Küche, drückte auf den Knopf des Kaffeeautomaten und mit lautem Mahlgeräusch lief unsere Höllenmaschine auch schon los.

Augenblicklich verbreitete sich ein angenehmer Duft von frisch gemahlenem- und direkt gebrühtem Kaffee im Raum.

Und wie jeden Morgen, brachte ich Manuela den Kaffee ins Bad, damit sie sich in aller Ruhe zur Arbeit fertig machen konnte.

Sie genoss es und wusste es auch zu schätzen. Jedem, unserer Freunde erzählte sie wohlwollend die Geschichte mit ihrem Frühstück. Ich tat es gerne, denn ich liebte sie.

War es wirklich Liebe? Wenn ich heute darüber nachdenke, kann ich es nicht genau beschreiben. Sicher war auch Liebe mit im Spiel. Aber ich glaube, es überwog mehr der Drang danach, nicht alleine sein zu wollen.

Michaela war eine bodenständige Frau, arbeitete in einer Klinik und genoss ein entsprechendes Ansehen unter ihren Freunden und Arbeitskollegen.

Ich hingegen war nur ein Steinmetz mit einer kaputten Bandscheibe, welcher sich nun als Koch durchs Leben schlug. Ich kann nicht sagen, was sie an mir fand?

Vermutlich liebte sie mich gar nicht, sonder empfand es nur als angenehm, mich um sich zu haben. So gesehen, waren wir uns also gar nicht so unähnlich. Wir teilten uns die Miete, wie auch alle anderen Kosten. Ein Verhalten, wie es in einer Partnerschaft eigentlich nicht üblich ist. Einen Lebensgemeinschaft, die ihren Zweck erfüllte.

Meine Gedanken und Befürchtungen wurden zunehmend zur Realität. Ich konnte ihren Ansprüchen nicht gerecht werden. Beinahe gab sie mir das Gefühl, ich sei etwas minderwertiges. Wir lebten uns zunehmend aus einander.

Ihren Kaffee ausgetrunken, die Haare fertig zurecht gemacht, kam sie ins Esszimmer, verabschiedete sich von mir mit einem Kuss und verschwand auch schon eilig in der Türe.

Wie immer, ging ich mit meinem Kaffee auf die Terrasse um eine Zigarette zu rauchen.

Es war ein trüber Tag. Wolken hingen schwer und bedrohlich am Himmel. Nur ganz vereinzelt konnte man hinter den vorbeiziehenden Wolken, die Sonne hindurchschimmern sehen

So verbrachte ich jeden Morgen im Grunde alleine.

Man könnte beinahe sagen, dass es zur Routine wurde. Ich saß jeden Morgen hier, trank drei Tassen Kaffee und rauchte dazu drei Zigaretten

Erst dann begann für mich der Tag. Diese Zeit nahm ich mir einfach. Lieber stand ich früher auf, als dass ich auf den Kaffee verzichtet hätte.

Ich saß in diesen Augenblicken da, dachte über mich, dass Leben, oder vielleicht über den bevorstehenden Tag nach. Ich denke, es ist eine schöne Angewohnheit in unserer mehr als hektischen Zeit. Ich konnte die Vögel in den nahegelegenen Bäumen beobachten und manchmal turnte sogar ein braunes Eichhörnchen auf unserer Terrasse herum. Ich legte immer Nüsse aus, in der Hoffnung, dass es einmal etwas zahmer sein würde.

Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Tom auf dem Land in einem großen Gasthof.

Er hatte seit seiner Scheidung bereits einiges an schweren Hindernissen zu überwinden. Eine Bandscheibe brach und er hat es nur seinem eisernen Willen zu verdanken, alles ohne Operation überstanden zu haben. Es würde ihn sein Leben lang begleiten.

Als er wieder vollständig genesen war, bekam er einen Posten als Küchenchef eines Altenheims. Er dachte fortan, er habe es geschafft. Er hatte wieder eine Aufgabe und nachdem er Manuela kennen lernte, glaubte er auch wieder an den Sinn seines Lebens.

Doch alles kam anders, als er dachte. Der Vertrag lief aus und man bot ihm ersatzweise einen Posten in einer weit entfernten Stadt an. Tom konnte und wollte nicht schon wieder umziehen. Gerade erst war er mit Manuela in die neue Wohnung gezogen. Er kündigte und alles schien von vorne zu beginnen.

So saß ich auch heute auf der Terrasse und dachte über den bevorstehenden Tag nach.

Werde ich zuerst den Rasen mähen oder muss ich vorher in der Küche helfen?

Ich war dort Mädchen für alles. Ich kochte, machte einmal in der Woche Bratwürste, mähte den Rasen, sägte Holz und stand am Ausschank als Thekenkraft. Zwar hatte ich keinerlei Anerkennung aber es war ehrlich verdientes Geld.

Meine Vielseitigkeit wurde von meinem Chef ausgenutzt, dessen war ich mir bewusst. Aber letztendlich musste ich ja von irgend etwas Leben. Er mochte mich nicht sonderlich.

Ob es nun an meiner Vergangenheit lag, welche er detailgenau von mir wissen wollte oder an der Tatsache, dass ich ihm in vielem überlegen war. Ich fand es nie heraus.

Er ließ keine Möglichkeit aus, mir zu zeigen, dass ich doch eigentlich nichts sei und weit unter ihm stünde. Ich spielte bereitwillig mit, denn ich wusste wer ich war.

In dem Lokal arbeiteten viele Leute mit ebenso verschiedenen Nationalitäten.

Ein Italiener, ein Marokkaner, mehrere Deutsche und zwei Slowakische Küchenhilfen bzw. Beiköchinen.

Im Grunde fühle ich mich wohl, in diesem bunt zusammengewürfelten Haufen. Vor allem die beiden Frauen waren immer sehr nett zu mir. Nicht, weil sie sich etwas daraus erhofften, denn sie kannten Michaela. Wir verstanden uns vermutlich so gut, weil ich sie behandelte, wie gleichgestellte Arbeitskollegen.

Diese zwei Frauen kamen schon seit einer ganzen Weile als Saisonkräfte in das Lokal und wohnten während dieser Zeit auch dort. Doch wurden sie nach wie vor, wie Leibeigene von den Deutschen Köchen behandelt. Sie mussten für minimalen Lohn, von früh bis spät in die Nacht hinein arbeiten. Saisonkräfte hatten eben nichts zu sagen. Und wenn es auch noch Ausländer waren, wurden sie wie Sklaven behandelt.

Mein anständiges Verhalten ihnen gegenüber handelte mir bei diesen Frauen, einiges an Sympathien ein. Wir verstanden uns wunderbar. Eine davon, „Sina hieß sie“, drückte mich immer freudig, wenn ich zur Arbeit kam - als ob wir uns seit Ewigkeiten nicht gesehen hätten. Außenstehende meinten, wir hätten ein Verhältnis – was allerdings nicht stimmte.

Die andere der beiden war Maria. Eine unscheinbare Frau, 28 Jahre alt und immer zweckentsprechend der Küche gekleidet.

Also weiße Bluse oder Hemd, ihre langen braunen Haare waren stets zu einem Zopf zusammengebunden, Jeans und eine Schürze. Das war Maria. Vom ersten Tag an, betrachtete ich Maria mit anderen Augen. Ich freute mich auf jeden Moment, in welchem ich sie sah. Doch sie schien immerwährend traurig zu sein, als ob sie etwas bedrücken würde. Hinter all dem jedoch, verbarg sich eine wunderschöne Frau. Eine Frau, welche sich dessen gar nicht selbst bewusst war. Lange schlanke Beine, unter dem Hemd zeichneten sich kleine aber wohlgeformte feste Brüste ab und ihre Figur war mehr als atemberaubend.

Sie sagte fast nie etwas, außer Hallo Tom. Allerdings hatte sie immer ein Lächeln für mich übrig. Ein Lächeln, welches nur für mich war und mich jedes Mal aufs neue verzauberte.

Dabei konnte sie Deutsch sprechen. Zwar nicht perfekt und fließend, aber dennoch recht gut.

Eines Tages, ich war gerade dabei die Dachrinnen vom Laub zu säubern, fing es zu regnen an. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet und gab alles, mich zum aufhören zu bewegen.

Ich räumte schnell die Leiter in den Schuppen und rannte vollkommen durchnässt nach drinnen.

Da kam Maria aus der Küche und stand vor mir. Sie lächelte mich an und reichte mir dabei eine Tasse Kaffee.

>>Wir haben dich beobachtet. Warum machst du das? Du siehst aus, wie eine gebadete Maus<<

>>Aus dem gleichen Grund wie du.<< entgegnete ich leise, während ich mir mit der freien Hand, das Wasser vom Gesicht wischte.

>>Du kannst doch viel mehr, als dass hier. Warum arbeitest du hier?<< fragte sie weiter, als wolle sie es genau wissen.

>>Ich weiß, dass ich mehr kann. Aber im Moment, kann ich es mir nicht aussuchen.

Außerdem ist es eine Arbeit wie jede andere.<< versuchte ich mich zu rechtfertigen

>>Du bist verrückt<< sagte Maria kopfschüttelnd, während sie sich umdrehte und wieder in die Küche ging.

Da stand ich nun, patschnass und fühlbar an die Wand gedrückt. Maria hatte recht mit ihrer Aussage.

Als nächstes standen Bratwürste auf meinem Plan. Jede Woche musste ich tausend Bratwürste machen. Ich mochte diese Arbeit ganz und gar nicht.

Es gab ein extra Schlachthaus dafür. Professionell eingerichtet, mit allen dazu nötigen Maschinen.. Die anschließende Reinigung jedoch unterlag dem Küchenpersonal.

Tom war noch nie der Typ Mann, welcher sich schonte. Welchen Grund hätte er haben sollen, jetzt damit zu beginnen.

Am Abend war er endlich fertig mit den Würsten. Den ganzen Tag stand er alleine da und tat, was man ihm aufgetragen hatte. Er war es gewohnt, alleine zu sein und machte sich daher nichts daraus.

Die Hände rot vom kalten Schlachthaus, legte er alles beiseite und sah sich um. Es gab keinen sauberen Fleck mehr. Alles was man anfasste, war blutig und hatte einen fettigen Belag.

Er holte sich heißes Wasser, gab Reinigungsmittel hinein und begann, alles wieder sauber zu machen. Diese Arbeit hatte auch etwas gutes.

Vom langen stehen hatte er Rückenschmerzen und so tat es ihm sogar sehr gut, sich etwas bücken zu können, während er am Schluss den Fußboden schrubbte. Mit Blutflecken auf seinem karierten Hemd und der Hose, ging er in die Küche, verabschiedete sich mit einem freundlichen gute Nacht an alle noch Anwesenden und verschwand.

Es war bereits sehr spät am Abend, als Maria mit Wassereimer und Schrubber zum Schlachthaus ging. Wie jeden Tag, war sie vollkommen erschöpft und hatte nun auch noch diese undankbare Arbeit vor sich. Sie malte sich bereits im Gedanken aus, wie lange es dauern würde, bis sie in ihr Bett käme.

Dort angekommen, öffnete sie die Türe und suchte nach dem Lichtschalter. Als sie ihn fand und das Licht anmachte, traute sie ihren Augen kaum. Der Raum glänzte, als wäre niemand je hier gewesen.

Sie stand da, hob den Kopf nach oben und rief laut in die Nacht

>>Tom, ich Liebe dich. Danke, dass du das für mich getan hast<<

Sina kam nach draußen gelaufen und fragte, was denn passiert sei?

>>Schaue dir das an, und sag selbst was du denkst.<< meinte Maria und deutete mit der Hand in Richtung der Türe.

Am nächsten Tag jedoch, sollte ich erfahren, dass Maria mitten in der Nacht, vor Tränen gerührt auf der Türschwelle zum Schlachthaus saß. In der Zeit, in welcher sie dort arbeitete, passierte es ihr niemals, dass jemand ihre Arbeit machte oder ihr überhaupt half.

So war sie mehr als überrascht, dass ich meine Sachen selbst reinigte und nicht darauf wartete, dass sie für mich die Putzfrau spielt.

Ich kam wie jeden Tag zur Arbeit, stelle mein Auto auf den Parkplatz und ging hinein.

Eva kam auf mich zu gelaufen und sprang mich an. Ihre Hände um meinen Hals gelegt und die Beine um meine Hüften geschlungen, hing sie an mir.

>>Danke dafür, dass du alles sauber gemacht hast<<

>>Natürlich habe ich sauber gemacht. Ich brauche niemanden, welcher hinter mir herräumt.<< sagte ich und freute mich insgeheim über Marias Freude.

So ging der Eine wie der andere Tag dahin und inzwischen wurde es Frühling.

Ein Bekannter von Tom hatte eine Spedition und fragte ihn eines Tages, ob er nicht eine Tour für ihn fahren würde? Da er in früheren Tagen bereits viel mit dem LKW unterwegs war, sagte er zu.

Er bekam kurze Zeit später das Angebot für eine Dauerstellung bei ihm. Da er immer bereit für neues war und sein momentaner Job alles andere als die Erfüllung, sagte er zu und fuhr alsdann einen LKW im Fernverkehr. Meist war er in Frankreich, Luxemburg, Italien oder Belgien unterwegs. Zwar war sein ehemaliger Arbeitgeber nicht begeistert von seiner Kündigung, aber Tom half ihm weiterhin, wo er nur konnte.

Es war eine sehr schöne Zeit für Tom. Er konnte Abstand gewinnen, war sein eigener Herr, konnte sich viele Länder ansehen und wurde auch noch dafür bezahlt.

Nichts zog ihn mehr nach Hause, und er war für jede Fahrt dankbar.

Er richtete sich seinen LKW wie ein kleines Wohnzimmer ein. Tom kaufte eine große Konsole für das Armaturenbrett und stellte seinen Laptop darauf. Diesen rüstete er mit einem Navigationsprogramm auf und spielte viele tausend Lieder als MP3 darauf. Ein Funkgerät wurde eingebaut und der Truck war komplett.

Bei meinen Fahrten hatte ich reichlich Zeit, über alles nachzudenken. Ich beschloss, mich mit Michaela über unsere Beziehung zu unterhalten. Inzwischen hatten wir uns soweit von einander entfernt, dass man nicht mehr von einer Beziehung sprechen konnte.

Es gab keine Rettung mehr für uns. Eigentlich gab es die noch nie. Wir wollten es nur beide nicht wahrhaben. In der Zeit, in welcher wir zusammen waren, gaben wir uns das, was jedem von uns fehlte. Nur Liebe konnten wir uns nicht geben. Wir hatten uns sehr lieb, was aber nicht das Gleiche ist wie Liebe.

Wir beschlossen daher, unsere Beziehung zu beenden und einer dem anderen nicht mehr im Wege zu stehen.

Als wir uns darüber unterhielten, tat es nicht einmal weh. Wir schien uns beiden die beste Lösung zu sein.

Tom suchte lange nach einer schönen Wohnung. Zwar war er ein genügsamer Mann, aber das Wenige was er hatte, musste genau passen. Keine halben Sachen mehr, war sein Gedanke.

Er fand in einer kleinen Ortschaft am Rande von Nürnberg eine gemütliche Zweizimmerwohnung. In einem Hinterhof gelegen, befand sie sich im Erdgeschoss eines Zweifamilienhauses. Über die ganze Breite seines Wohnzimmers zog sich ein Wintergarten, vor dem wiederum noch ein kleiner Grünstreifen lag

Seine Vermieterin schloss ihn vom ersten Tag an, in ihr Herz. Wenn er zu Hause war, brachte sie ihm Kuchen oder ab und zu eine Pflanze für seinen Wintergarten vorbei. Sie überlegte ständig, was sie ihm gutes tun könnte?

Tom richtete seine Wohnung geschmackvoll ein. Die Wände in gemütlichen Erdfarben gestrichen, stilvolle Bilder hingen in jedem Raum und stets war alles sauber und ordentlich.

Das große Wohnzimmer mit seiner offenen Küche hatte es ihm angetan. Er kochte bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

Er war noch nie jemand, welcher sich mit etwas einfachem zufrieden gab.

Alles was er tat oder besaß, war anders. Er brauchte keinen Luxus und er wollte nie das haben, was andere hatten. Sein Leben hob sich gänzlich von dem, anderer ab.

In dieser Zeit lebte Tom förmlich auf. Er begann, sich zu verändern und betrachtete die Welt mit neuen Augen.

In seiner Freizeit saß er bequem in seinem Wintergarten, die Beine auf dem gegenüberliegenden Stuhl verkreuzt und las.

Auf dem Tisch meist eine brennende Kerze, ein Glas Rotwein und seine Zigaretten. So konnte er stundenlang dasitzen, lesen und alles um sich herum vergessen.

Mit früher verglichen, war er viel ausgeglichener und sanfter geworden. Manchmal saß er nur da, sah zum Fenster hinaus und betrachtete den Regen. In diesen Augenblicken fiel ihm seine Veränderung selbst auf. Früher hätte er niemals still dasitzen können um ein Buch zu lesen.

Er war immer in Bewegung und gönnte sich keine Pause. Dabei verlor er das Wesentliche aus den Augen und blendete das Schöne um sich herum vollständig aus.

Nun konnte er sich daran erfreuen, wenn seine Zimmerpflanze Knospen bekam oder eine Spinne in einer Ecke seines Wintergartens ihr Netz spannte.

Er achtete fortan auch mehr auf sich selbst. Neben seiner beinahe täglichen Gymnastik, ernährte er sich bewusster und pflegte sogar seine Haut. Nur das rauchen konnte er nicht sein lassen.

Eines Tages fragte mich mein Arbeitgeber, ob ich nicht einen Umzug nach Neapel fahren würde? Ganz privat. Ein Freund von ihm habe ein Ferienhaus gekauft und jemand müsse die Möbel von seinem jetzigen Ferienhaus, dorthin bringen.

Ich bekäme zwar kein Geld für diese Fahrt, aber im Gegenzug dafür, zwei oder drei Übernachtungen in einem Hotel, irgendwo in Italien. Denn auf dem Heimweg sollte ich drei Tage später noch einen Unfall-Kleintransporter huckepack vom Lago Maggiore mitnehmen. Da mir ein wenig Abwechslung ganz gelegen kam, sagte ich zu. Außerdem war Italien ein Land für mich, welches ich am liebsten bereiste.

Viele Male machte ich bereits Urlaub in Italien. Schon als Kind war ich jedes Jahr mehrmals mit meinen Eltern hier. Einmal hatten meine Freundin und ich uns ein Wohnmobil gemietet und drei Wochen lang das ganze Land erkundet. Daher gab es nahezu keinen Winkel, welchen ich nicht wenigstens auf der Durchreise gesehen hätte.

Dass mein Chef ein Schlitzohr war und nur einen Dummen suchte, welcher den Umzug fährt, war mir bewusst. Ich mochte ihn aber dennoch sehr gerne, denn er war ein liebenswertes Schlitzohr. Außerdem wusste ich, dass er es auch nicht einfach hatte. In diesem Gewebe herrscht ein großer Kampf und so musste auch er mit jedem Euro rechnen. Er gab mir noch ein recht ordentliches Spesengeld und wir waren uns einig.

Am Sonntag darauf saß ich zu Hause beim Frühstück. Es war ein schöner warmer Tag. Ich hatte es mir gemütlich gemacht, Musik aufgelegt und nachgedacht, wie ich wohl meinen Tag verbringen werde? Wie so oft, dachte ich an Maria und nach langem überlegen, beschloss ich, sie zu besuchen. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie ist bereits wieder in ihre Heimat zurückgekehrt oder sie würde arbeiten, denn es war Sonntag. Ich hoffte, dass sie arbeiten und dabei sein würde, Salate für das Mittagsgeschäft zu fertigen.

Also zog ich mir eine Jeans an, ein weißes Hemd darüber, krempelte die Ärmel halb nach oben und schlüpfte in meine Biker-Boots. Meine Lieblingsschuhe – gefertigt aus Büffelleder mit flacher Spitze.

Schon auf dem Hinweg versuchte ich, mir zurecht zu legen, was ich denn sagen werde? Irgendwie wollte mir jedoch keine plausible Erklärung einfallen, warum ich nach so vielen Wochen plötzlich auftauchte. Also musste es eben ohne Plan gehen.

Ich fuhr in das Lokal und fand sie tatsächlich in der Salatküche. Vollkommen überrascht blickte sie mich mit großen Augen an.

>>Hi Tom, was machst denn Du hier, ich dachte, Du arbeitest hier nicht mehr?<<

Ich wusste nicht, wie ich beginnen sollte? Also sagte ich nur.

>>Ach weißt du, ich habe gerade an dich gedacht und wollte dich einfach einmal besuchen kommen<<

Eine ganze Weile unterhielten wir uns über ihre und meine Arbeit und wie es uns in den letzten Wochen ergangen war. Mit zögerlicher Stimme fing ich dann an, mit der Sprache herauszurücken.

>>Ich fahre in zwei Wochen nach Neapel, hast du Lust mit zu kommen?<<

Peng, es war raus. Von hier ab gab es kein zurück mehr.

>>Was? - was soll ich denn in Neapel,<< fragte Maria mit gehobener Stimme?

>>Naja, mit mir mitfahren und Dir ein paar schöne Tage machen. Ich muss nur etwas abliefern und habe dann drei Tage frei. Wir könnten uns das Land ansehen<<

>>Ich kann doch nicht mit einem fremden Mann nach Italien fahren, außerdem glaube ich nicht, dass ich frei bekomme<<

Ich druckste herum und überlegte, welches Argument ich denn hervorbringen konnte, um sie zu überreden?

>>Wenn du ja sagst, gehe ich zu deinem Chef und regle deinen Urlaub, OK?<<

>>Du bist verrückt, dass habe ich schon immer gesagt<< meinte Maria und lachte.

Mit dieser Antwort wollte ich mich allerdings nicht zufrieden geben und hakte nach.

>>Und, was sagst du nun zu meinem Vorschlag?<<

Ich konnte nicht erkennen, ob es Verlegenheit oder gar Angst war. Maria sagte, dass sie es sich überlegen wolle.

Ich war nun schon soweit gegangen, da setzte ich alles auf eine Karte und bat noch um ihre Handynummer. Da ich ja nun als Fernfahrer arbeitete, war ich selten zu Hause und brauchte selbstverständlich ihre Nummer.

Um so mehr verwundert war ich, als sie mir ihre Nummer sofort bereitwillig gab.

In diesem Augenblick kam der Chef um die Ecke, meckerte wie immer an ihr herum und ermahnte sie, schneller zu arbeiten. Natürlich hatte er auch für mich ein paar freundliche Worte übrig – warum ich gerade jetzt während der Arbeitszeit komme und andere von der Arbeit abhalte?

>>Er hat sich kein Stück verändert, seit ich hier weg bin<< sagte ich leise zu Maria, als er wieder verschwunden war.

Was für eine Aussage er da auch machte. Marias Arbeitszeit war zu Ende, wenn das Lokal geschlossen hatte und alles wieder sauber war. Also, gegen halb zwei in der Nacht. Sollte ich vielleicht um diese Uhrzeit kommen und klingeln?

Ich verabschiedete mich rasch von Maria und machte mich wieder auf den Heimweg.

Ein Kribbeln im Bauch begleitete Tom, als er zu seinem Wagen ging. Es ist schwer zu sagen, was er dabei fühlte, doch insgeheim zog ihn bereits seit seiner ersten Begegnung mit Maria, etwas zu ihr hin.

Nur traute er sich nie, ihr auf diese Weise näher zu kommen. Schließlich war er elf Jahre älter als sie. Was sollte eine so wunderschöne Frau mit einem so alten Kerl wie ihm anfangen?

Außerdem war sie ja Slowakin und würde irgendwann wieder zurück in ihre Heimat gehen wollen. Denn die Saison würde nicht ewig dauern.

In den Wochen während Toms Abwesenheit, gab es zwei Kellner an Marias Arbeitsplatz, welche ihr ebenfalls den Hof machten. Sie verstand die Welt nicht mehr. Nun kam sie bereits seit zwei Jahren hierher um zu arbeiten, doch niemand interessierte sich für sie. Und auf einmal, sind drei Männer gleichzeitig hinter ihr her.

Maria wusste nicht, wie sich verhalten sollte? Tom war immer nur ein guter Arbeitskollege für sie, nichts weiter. Wie kam er gerade jetzt auf die Idee, sie anzusprechen? Maria war nicht bereit für eine Beziehung und schon gar nicht hier in Deutschland.

Ich sollte meine Entscheidung nicht bereuen, als ich am darauf folgenden Tag eine SMS mit dem Text bekam.

>>Hi Tom, soll ich wirklich mitfahren?<<

Ich war gerade auf dem Weg zu einer Spedition um meinen LKW zu beladen und schrieb zurück:

>>Du sollst nicht, ich bitte dich darum<<

Nach quälenden Minuten des Wartens, kam dann die ersehnte Antwort.

>>OK, ich fahre mit. Aber ich rede selbst mit meinem Chef<<

Im ersten Augenblick wusste ich gar nicht, wie mir geschieht? Es dauerte etwas, bis ich es verarbeitet hatte. Zwar wäre es mein größter Wunsch gewesen, doch insgeheim glaubte ich nicht daran, dass Maria mitfahren würde. Ich musste still vor mich hin grinsen und hätte am liebsten die ganze Welt umarmt.

Denn in punkto Frauen, hatte ich nie ein glückliches Händchen. So hatte ich bereits eine gescheiterte Ehe und diverse kurze Liebeleien hinter mir.

Bei Maria jedoch war ich mir sicher, dass sie die Richtige sein könnte. Es ist schwer zu sagen, warum ich so dachte. Es war mehr ein Bauchgefühl. Eva war eine wunderhübsche und fleißige Frau und nie kam ein böses Wort über ihre Lippen.

Ich hatte nichts eiligeres zu tun, als mir ein Wörterbuch für slowakisch-deutsch zu kaufen und mit dem Lernen der Sprache zu beginnen. So gingen die darauf folgenden Tage dahin wie im Flug.

Während der Fahrten in meinem LKW schrieb ich SMS in slowakisch und blätterte gleichzeitig auch noch im Wörterbuch um die richtigen Worte herauszukramen.

Manch einer, der hinter mir fuhr, musste denken ich sei betrunken. Denn die Schlangenlinien welche ich dabei fuhr, ließen mich manches Mal selbst erschrecken. Nicht nur einmal entkam ich knapp dem Straßengraben.

So passierte es des öfteren, dass wir uns bis in die Morgenstunden schrieben, bis Maria vor Erschöpfung wegen dem vergangenen Tag einfach einschlief. Ich bemerkte es immer, wenn plötzlich keine Antwort mehr von ihr kam.

Wir verhielten uns wie Teenager. Es wurde über belanglose Dinge geschrieben, Hauptsache wir konnten uns irgendwie unterhalten. Obwohl es bis dahin nicht meine Art war, wurde mein Handy zu meinem ständigen Begleiter.

Je näher der Tag unseres Ausflugs rückte, desto aufgeregter wurde ich. Die Kabine meines LKWs wurde auf Hochglanz gebracht, die Schlafkabine gerichtet und das Bett neu bezogen. Zwar war auch vorher immer alles sauber, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen.

Ich hatte wieder ein Ziel vor Augen und wusste nun wieder, warum ich jeden Morgen aufstand.

Ich schrieb Maria, dass sie bitte auch für alle Fälle, einen Bikini mitnehmen solle.

Was ich natürlich nicht wusste war, dass sie es immer noch für einen Scherz hielt. Sie konnte nicht glauben, dass sie bald in Italien am Strand liegen wird.

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