Читать книгу Die Märchenwiese - Elisabeth Dauthendey - Страница 5
Das Zauberauge
ОглавлениеEs war einmal – – – – –
Ja, was war denn schnell? –
Richtig! Ein kleiner Knabe und ein kleines Mädchen legten hoch oben im Norden. Sie hießen Ola und Fretta, und sie hatten sich sehr lieb.
Es waren nicht Schwester und Bruder, denn den kleinen Ola hatte Frettas arme Mutter einmal im kalten Winter halb erfroren im Walde gefunden und ihn mit nach Haus genommen, und nun spielten die beiden zusammen und hatten sich sehr lieb.
Im Sommer liefen sie im Walde umher und sammelten Beeren und Moos, machten Kränze und Sträuße von den schönen Waldblumen, die ihre Mutter dann in die Stadt trug, um sie zu verkaufen. Sie suchten Futter für ihre Ziege und sammelten im Herbst Holz und trockenes Laub für den Winter. Sie lagen im Schatten der Bäume und erzählten sich schöne Märchen oder legten sich auf den Rücken mitten in der Waldmiese und sahen hinauf in den hohen blauen Himmel, der immer höher wurde, je länger sie hinaufsahen. Und wenn die Wolken dort schwer dahinzogen oder wie kleine weisse Lämmer feststanden, sehnten sie sich zusammen hinauf, um von dort die ganze große Welt sehen zu können und mit den Wolken fliegen zu können – weit, weit weg.
Aber sie wollten immer zusammen sein, denn sie hatten sich sehr lieb.
„Aber wenn wir uns einmal verlieren, Ola?“
„Ach, dich finde ich immer wieder, du hast ja dein hübsches schwarzes Fleckchen am Ohr, und dein goldenes haar leuchtet in der Sonne, dich finde ich schon wieder.“
Und eines Tags waren sie sehr weit in den Wald hineingegangen. Da kamen sie an ein kleines Haus mit einem kleinen Garten daran. In dem Garten standen so wunderschöne Blumen, wie sie solche noch nie zuvor gesehen hatten. In allen Farben sprühte und glühte es darin wie lauter Edelsteine. Die beiden standen still und staunten all die Schönheit an.
Da hörten sie eine Stimme sagen: „Kommt doch herein, Kinder! Wollt ihr die schönen Blumen haben?“
Und als sie aussahen, stand am Fenster des Häuschens ein häßlicher alter Mann mit langen grauen schmutzigen Haaren, und in der Mitte der Stirn hatte er nur ein Auge, und das war blutrot und funkelte wild.
Da erfaßte sie eine große Angst, und sie liefen, so schnell sie nur konnten, nach Hause und erzählten der Mutter, was sie gesehen.
„Da dürft ihr nie wieder hingehen, Kinder, das ist der böse Zauberer, wenn der ein Kind ansieht mit seinem bösen Auge, wird es krank im Herzen und kann sich an nichts mehr freuen und stirbt bald. Also geht mir nie wieder so tief in den Wald, hört ihr?“
Aber Ola dachte Tag und Nacht an die wunderschönen Blumen und wollte so gern welche für fretta haben.
„Wenn ich nun schnell hineingehe und hole mit ein paar und sehe dem bösen Mann gar nicht ins Auge, dann kann es doch nicht schaden. Die Blumen sind wie Edelsteine; wenn wir die in der Stadt verkaufen, werden wir reiche Leute, dann kann ich für Mutter und Fretta schöne Kleider kaufen, und ich kunn in die weite Welt hinaus und sehen, wie es da aussieht, und wenn ich wiederkomme, dann heirate ich Fretta.“
So dachte er jeden Tag und jede Nacht an nichts andres mehr als an den Zaubergarten, und endlich konnte er es nicht mehr aushalten, er wollte wenigstens einmal hingehen und sehen, ob er nicht zwischen dem Gitter durch eine Blume abreißen konnte.
Es war ein schöner Sommerabend. Fretta saß auf ihrem Schemel und melkte die Ziege. Da rief Ola ihr zu: „Ich gehe in den Wald, Futter zu holen, es ist fast keins mehr im Stall, ich bin bald wieder zurück.“
Fretta wunderte sich, da Ola sonst nie allein in den Wald ging, aber sie konnte nicht fort von ihrer Arbeit, und so ließ sie ihn gehen.
Ola ging mit klopfendem Herzen tief in den Wald hinein. Es war so unheimlich still um ihn her, da er seine Fretta zum Plaudern nicht bei sich hatte. Nach langem Laufen wurde ihm doch so bange ums Herz, und er wollte schon umkehren, da sah er von weitem ein Funkeln und Leuchten – das kam von den schönen Blumen – so nahe war er schon – nein, da wollte er doch einmal versuchen, ob er eine bekommen könne.
Und ganz leise schlich er sich an den Garten heran – rings umher war alles still, ganz still, er sah keinen Menschen im Garten, auch am Fenster des Häuschens war niemand zu sehen.
Und da, ganz nahe am Gitter, wuchs eine herrliche rote Blume, die glitzerte und funkelte und strahlte so wunderschön – die mußte er haben.
Und er kniete am Boden nieder, zwängte seine Hand durchs Gitter und ergriff die Blume. Da er aber den Stengel hatte, war’s, als ob er in ein scharfes Messer griff, und sein rotes warmes Blut troff auf die Erde, und die Hand war fest an der Blume, und er konnte sie nicht mehr losmachen. Da stieß er vor Schreck und Schmerz einen lauten Schrei aus – und dann hörte er, wie eilig schwere Schritte aus dem Hause kamen, und eine derbe Hand packte ihn hinten am Kragen und hob ihn über das Gitter in den Garten hinein.
„So, da hab’ ich dich ja, du Bürschchen. Haben dich meine Blumen gelockt? Nun, so ist’s recht, jetzt kannst du bei mir bleiben. – So – sieh mich einmal an!“
Und Ola, zitternd an Händen und Füßen, mußte dem Zauberer in sein böses Auge sehen.
Da war’s ihm, als ob sein Herz zusammenschrumpfte, als ob es kalte schwarze Nacht in ihm würde.
Und der Zauberer führte ihn ins Haus. Da lagen auf dem Tische viele hübsche runde Dinger, blau und braun und schwarz.
„Das sind Kinderaugen,“ sagte der Mann, „die pflanzen wir draußen im Garten, und das werden dann Edelsteine. Von den letzten Gedanken, die das Kind hatte, nehmen sie dann die Farben an. Das Kindesauge, das gerade an seine Eltern dachte, als es herausgerissen wurde, gibt die schönen blauen Blumen, die Sehnsuchtstränen werden Diamanten, und wenn ein kleines Mädchen oder ein Knabe eine stille warme Liebe im Herzen hat, das werden die schönsten Blumen, die feuerroten mit den heißen goldenen Strahlen.
„Deine Augen würden solche Strahlenblumen geben, wenn ich dich getötet hätte, ehe ich dich angeschaut, denn du liebst das kleine Mädchen, das neulich mit dir hier war –“
„Nein, ich liebe es nicht,“ sagte Ola, „das häßliche Ding mit dem schwarzen Fleck am Ohr und dem gelben Haar –“
„Aha – der Zauber hat schon gewirkt,“ murmelte der Alte. „Fürchte dich nicht, ich werde dich nicht töten, denn du sollst mir helfen bei meiner Arbeit; diese Augen müssen alle im Garten gepflanzt werden, und ich werde alt und kann mich nicht mehr so bücken. Wenn du mir ordentlich hilfst, werde ich dir mein Zauberauge vermachen, dann kannst du an meiner Stelle hierbleiben und die Kinder locken, die Blumen pflanzen und die Edelsteine verkaufen.“
„Kommen denn viele Kinder her?“
„O ja, oder ich suche sie mir auch draußen; wenn ich ihnen meine Steine zeige kommen sie alle mit. Wenn ich hinausgehe, sie zu fangen, nehme ich einen großen Schirm vor das Auge, dann fürchten sie sich nicht; so mußt du es später auch einmal machen.“
„O ja,“ sagte Ola, „das wird schön.“
„Und das kleine Mädchen müssen wir auch haben, denn das liebt dich, und das gibt die schönen Blumen, die roten, die sind die gesuchtesten und werden teuer bezahlt.“
„Ja,“ sagte Ola, „das müssen wir auch haben.“
Fretta aber saß mit Angst und Sorge zu Hause, denn es war sehr spät am Abend geworden, und Ola war noch nicht zurück.
„Ach, Mutter! Er ist gewiß bei dem bösen Zauberer; er hat mir wohl eine von den schönen Blumen holen wollen, weil ich sagte, sie gefallen mir so gut? Ach, Mutter, was soll ich tun, um ihn wieder herzubekommen? Ich sterbe ohne ihn!“
„Sei doch nicht so dumm,“ sagte die Mutter, „laß ihn doch, ich habe ihn gewarnt; und er ist ja gar nicht dein wirklicher Bruder, da brauchst du ihn gar nicht liebzuhaben, und zu sterben brauchst du schon gar nicht deshalb. Gehe lieber morgen in den Wald und hole Blumen, daß ich sie wieder in der Stadt verkaufen kann, denn sonst müssen wir hungern, und die Ziege muß auch Futter haben.“
Fretta aber weinte die ganze Nacht. Andern Tags ging sie in den Wald. Wie öde und still war es da ohne Ola! Sie fürchtete sich, riß schnell so viel Blumen als möglich ab und lief nach Hause. Und so weinte sie viele Tage und Nächte und wurde blaß und aß und trank nicht.
Sie hatte nur noch den einen Gedanken: Wie kann ich Ola retten? Ach, ich muß einmal hingehen, ob ich ihn wenigstens einmal wiedersehe.
Und den andern Tag ging sie durch den stillen Wald, lange, lange – bis auch sie die schönen Blumen wieder sah – und sie ging leise ganz nahe heran; aber die Blumen wollte sie gar nicht, sie wollte nur Ola sehen.
Und richtig, da lag er an der Erde und grub mit den Händen Löcher hinein, und dann legte er etwas in die Löcher hinein und deckte die Erde wieder drüber.
„Ola, Ola, was machst du da?“ schrie sie.
Er aber kannte seinen Namen nicht mehr und hörte sie nicht.
Da fing sie bitterlich zu weinen an.
Erst als Ola mit seiner Arbeit fertig war, stand er auf, und da sah er sie und kam an das Gitter.
Und sie streckte die Arme nach ihm aus.
Aber er sah sie mit einem bösen stechenden Blick an und hielt ihr eine Blume hin und sagte: „Willst du sie, so komm doch herein, ich gebe dir alle Blumen, die du willst.“
„Aber Ola, lieber guter Ola, kennst du mich denn nicht mehr, ich bin ja deine Fretta, die du immer so liebhattest? Ach, sieh mich doch wieder freundlich an!“
Aber der Zauberer hatte Olas Herz ganz böse gemacht, daß er nicht mehr wußte, wie lieb er Fretta hatte.
„Ich kenne dich nicht,“ sagte er, „du mit dem häßlichen schwarzen Fleck am Ohr und den gelben Haaren, aber du hast schöne Augen, und die können wir brauchen.“ Und er streckte die Hand nach ihr aus, um sie hereinzuholen.
Doch fein wilder, böser Blick erschreckte die arme kleine Fretta so sehr, daß sie voll Todesangst davonlief und heiß und mit Fieber in den Adern nach Hause kam. Aber ihre Muttter war nicht zu Hause; sie war von der Stadt noch nicht zurückgekommen. Sie war schon früher manchmal erst am andern Tage heimgekehrt, und die beiden Kinder hatten sich nicht gefürchtet.
Doch heute zitterte Fretta vor Angst. Sie konnte Olas fürchterliche Augen nicht vergessen. Der arme Ola, das hatte ihm der böse Zauberer angetan.
Sie mußte ihn retten, sie hatte ihn ja so lieb.
Aber was sollte sie tun?
Das Auge war’s – hatte die Mutter gesagt –, das Zauberauge, damit hatte der Alte Olas Herz vergiftet, und nun war er krank und mußte bald sterben.
Bald sterben! – Fretta fuhr von ihrem Lager auf. Ola sterben, nein, nein, das darf nicht geschehen. Ich muß ihn retten.
Es war eine schöne stille Sommernacht. Dort im Norden sind die Nächte so hell wie der Tag.
Fretta stand auf, sie wusste mit einem Male, was sie wollte. Sie holte sich aus der Küche ein scharfes, spitzes Messer, und dann ging sie hinaus in den schlafenden Wald. Ihre nackten Füße machten kein Geräusch, und so war es totenstill um sie her. Die Vögel und die Bäume und die Blumen schliefen, und nur der Atem des Waldes strich wie ein leichter weicher Wind über Frettas Wangen.
Fretta fürchtete sich in dieser großen Stille so ganz allein. Wenn doch nur ein einziger Vogel gesungen hätte!
Das Herz wollte ihr springen vor Angst, aber da dachte sie an Ola und rief seinen Namen leise, ganz leise – aber immer: Ola – Ola – Ola – –
Und so kam sie endlich an das Haus des Zauberers.
Da war es auch totenstill. Die Blumen lagen müde im Grase und hatten allen Glanz verloren. Fretta kletterte über das Gitter, dann auf die Bank, die am Fenster stand, und sah hinein. Sie zitterte am ganzen Körper, aber sie nahm den letzten Mut zusammen und sah den großen häßlichen Mann im Bette liegen. Das eine große schreckliche Auge war geschlossen. Und neben ihm lag Ola und schlief auch.
Leise stieg sie durchs offene Fenster in die Stube – es war so hell darin wie am Tage.
Sie schlich ans Bett – er schlief ganz fest, der böse Mann, und hörte nichts; da stieg sie auf einen Stuhl, von da in sein Bett ihm zu Häupten, und mit beiden kleinen schwachen zitternden Händen bohrte sie das Messer gerade in sein böses Auge hinein.
Er stieß einen so gräßlichen Schrei aus, daß Ola erwachte und sie greifen wollte, aber sie sprang schnell von ihm weg zum Fenster hin.
„Komm, Ola – mein Ola, deine Fretta ist’s – komm mit mir!“
„Ach, bist du’s, meine kleine süße Fretta?“ sagte Ola und rieb sich die Augen und sah sie wieder so gut und lieb an wie früher. „Ja wir wollen laufen, nach Hause – ich habe dich so lange nicht gesehen – ich habe wohl • geträumt –“
Aber der Zauberer schrie in seinem Schmerz so laut, daß Ola bald wieder wußte, wo er war. Da drängte er Fretta hinaus durchs Fenster in den Garten und dem Walde zu.
„Nun können wir aber ein paar Blumen mitnehmen, der tut uns nichts mehr. Siehst du diese rote und diese blauen – ach, die weißen und gelben noch?“
„Nein, nein,“ schrie Fretta, „dort steht er am Fenster, er kommt uns noch nach.“ Und sie liefen schnell hinaus in den sommerschlafenden stillen Wald.
Aber sie fürchteten sich nicht mehr, denn sie waren zu zweien, und sie hatten sich sehr lieb.
„Und aus den roten und blauen Steinen lass’ ich dir ein schönes Geschmeide machen, wenn du einmal meine kleine frau bist,“ sagte Ola.
Und sie küßten sich und liefen froh und glücklich im Walde umher und dachten nichts andres, als daß sie sich nun wieder bei den Händen halten und zusammen spielen und träumen konnten.
Von dem bösen Zauberauge sprachen sie nie wieder.
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