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Als ob es gestern gewesen wäre

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«Willst du den Dingen auf den Grund gehen? Dann darfst du dich nicht vor Schmutz fürchten!»


Winfried Bommelmütz schritt wie jeden Morgen gegen acht Uhr in Morgenmantel und Pantoffeln zu seinem Briefkasten beim Gartentor, um seine Zeitung zu holen. «Winni», wie ihn seine wenigen wirklich guten Freunde nannten, war ein drahtiger, mittelgroßer Mann in seinen Vierzigern mit stahlblauen Augen und kurzgeschnittenen rotblonden Haaren. Weil er viel draußen an der frischen Luft war, wirkte seine Haut stets leicht gebräunt und verlieh ihm das Aussehen eines Naturburschen. Er strich sich mit der Hand energisch die Haare aus dem Gesicht, während er mit langen Schritten den Schotterweg entlang marschierte. Seitdem er vor gut drei Jahren kurzentschlossen den Dienst bei der Polizei quittiert hatte, gehörte dieser Gang an den Briefkasten zu seinem Morgenritual. Nach vielen Jahren als Ermittler mit unzähligen Nachtschichten und völlig unregelmäßigen Dienstzeiten bedeutete es für ihn Lebensqualität, ganz ohne Wecker aufzustehen, wann immer er Lust dazu hatte, um dann bei einer guten Tasse italienischem Kaffee morgens ausgiebig Zeitung zu lesen.

Sicherlich hätte er sich, nachdem ihm sein Onkel ein beträchtliches Vermögen hinterlassen hatte, eine trendige Loftwohnung, ausgedehnte Ferien oder auch ein teures Auto leisten können. Winfried Bommelmütz aber machte sich nichts aus solchen Belanglosigkeiten. Er hatte stattdessen lieber das in die Jahre gekommene Landhaus zurückgekauft, das einmal seinem Großvater gehörte, und das sein Vater nach dessen Tod geerbt, aber einige Jahre später aus Geldmangel wieder verkauft hatte. Winfried hatte das geräumige Haus mit dem parkähnlichen Grundstück immer sehr geliebt. Es vermittelte ihm, der ganz alleine darin lebte und nach dem Tod seiner Eltern und seines Onkels keine nahen Verwandten mehr hatte, so etwas wie Heimat.

Winni blickte zum wolkenlosen, azurblauen Himmel empor und sog dabei tief die frische Luft durch seine Lungen. Was für ein herrlicher Frühlingsmorgen! Wenn auch die Temperatur zu dieser frühen Uhrzeit noch kühl war. Er überlegte, dass es schade wäre, diesen Tag nicht auszukosten. Ein idealer Tag für eine lange Wanderung. Oder sollte er stattdessen besser eine Fahrradtour unternehmen? Er dachte dabei an sein ehemals hochwertiges Rennrad, das ihm sein Patenonkel zum sechzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Ein mintgrünes Bianchi-Rad, an dem er sehr hing, das er aber seit vielen Jahren nachlässig behandelt hatte und von dem er inzwischen nicht einmal mehr wusste, ob die Reifen noch Luft hielten. Wahrscheinlich waren sie längst porös und platt. Er würde das Rad zu einem Fahrradmechaniker bringen müssen, ehe er damit einen Ausflug plante. Wirklich schade, dass die Fahrradtour mangels Sportgeräts ausfallen musste. Er ärgerte sich ob seiner Nachlässigkeit und nahm sich vor, das Bianchi bei allernächster Gelegenheit zu einem wirklich professionellen Mechaniker in die Reparatur zu bringen.

Weil seine Haare vom Duschen noch feucht waren, schlug Bommelmütz den Kragen seines Morgenmantels hoch. Er hob den Kopf, um mehr von dem herrlichen Duft der jungen Buschrosen, die er im letzten Herbst eigenhändig gepflanzt hatte, in sich einzusaugen. «Unglaublich intensiv, dieses Aroma!» Dabei streifte sein Blick das Haus der Nachbarin. Elvira stand an ihrem Küchenfenster; sie trug eine weiße Schürze und sah damit aus wie eine Krankenschwester. Er wunderte sich über ihr ungewohntes Outfit, während er grüßend die rechte Hand anhob. Sein Gruß wurde nicht erwidert. War das wirklich Elvira gewesen, die er gesehen hatte? Aber wer sonst sollte um diese Uhrzeit an ihrem Küchenfenster stehen? Einen Moment später konnte er niemand mehr am Fenster ausmachen. Die Silhouette war verschwunden.

Eigentlich wusste er nicht viel über Elvira, die erst vor circa sechs Monaten ganz allein in das zuvor jahrelang leerstehende große Nachbaranwesen eingezogen war. Er erinnerte sich noch gut an seine erste Begegnung mit ihr. Weil es in der Gegend so Brauch ist und als freundliche Geste, hatte er seiner neuen Nachbarin am Tag nach ihrem Einzug Brot und Salz vorbeibringen wollen. Er hatte beides in ein kleines Körbchen gepackt und mühevoll mit rotem Karoband dekoriert. Nachdem er an ihrer Haustüre geklingelt und lange gewartet hatte, wollte er gerade wieder gehen, als Elvira ihm endlich öffnete: «Ich heiße Winfried Bommelmütz und wohne im Haus neben Ihrem. Auf eine gute Nachbarschaft. Ich freue mich, dass das Haus nun endlich nicht mehr leer steht! Und wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann oder Sie etwas brauchen, wissen Sie, wo Sie mich finden.», hatte er sich ihr vorgestellt und seine nachbarschaftlichen Dienste angeboten. Elvira hatte ihm kurz die Hand entgegengestreckt: «Angenehm, Elvira Vondäniken. Das ist sehr nett von Ihnen, aber Sie müssen entschuldigen, ich habe zu tun. Gerne ein andermal.» Er konnte gar nicht so schnell schauen, wie sie ihm den Korb beinahe aus der Hand gerissen und dann die Türe vor der Nase zugeschlagen hatte.

Es war offensichtlich, dass ihr sein Besuch damals extrem ungelegen gekommen war. Er überlegte, ob es unhöflich von ihm gewesen war, ohne Anruf oder Vorankündigung spontan bei ihr aufzutauchen. Aber was hätte er machen können? Er hatte weder ihre Telefonnummer noch wäre es in diesem Fall angebracht gewesen, seinen Besuch schriftlich anzukündigen. Nein, er hatte sich damals absolut richtig verhalten. «Schließlich war er nicht zum Stören gekommen, sondern hatte ihr seine Hilfe angeboten. Was hatte sie damals nur so Dringendes zu tun gehabt?»

Egal. Einen Tag später stand sie bei ihm vor der Tür und hatte sich für ihre unfreundliche Begrüßung entschuldigt und ihn für die darauffolgende Woche zum Tee eingeladen. Seither wechselten sie freundliche Worte, spielten gelegentlich Karten oder tranken zusammen einen Sherry oder Tee. Die Kommunikation blieb distanziert. «Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck.» Der Aphorismus schien sich bei Elvira zu bewahrheiten. Sie gehörte nicht zu den Menschen, zu denen Winfried von sich aus Kontakt gesucht hätte, obwohl sie etwa in seinem Alter und, soweit er wusste, ebenfalls alleinstehend war.

«Doch war die Person am Fenster wirklich Elvira gewesen?» Bommelmütz glich das in seinem Kopf gespeicherte Bild von Elvira mit der gerade gesehenen Silhouette am Fenster ab:

Elvira war groß und von eher kräftiger Statur. Die blond-grau-melierten schulterlangen Haare trug sie meist offen über dem breitflächigen Gesicht. Ein wenig Makeup wäre vorteilhaft gewesen, aber von solchen Tricks hielt sie scheinbar nichts. Nein, Elvira war gewiss keine Schönheit, und er fand auch in ihrem Wesen nichts, das interessant oder anziehend gewesen wäre. Dass er sich dennoch gelegentlich mit ihr verabredete, lag einzig daran, dass sie seine Nachbarin und er nicht gerne alleine war. So war es nicht verwunderlich, dass seine Gespräche mit Elvira nie über belanglosen Small Talk hinausgingen. Eigentlich wusste er kaum etwas von ihr. Auch hatte er tunlichst darauf geachtet, ihr gegenüber nicht allzu viel von sich selbst preiszugeben.

Elvira gehörte zu den oberflächlichen Kontakten, wie sie im Leben zu hunderten kamen und gingen. Aus früheren schlechten Erfahrungen hütete sich Winfried Bommelmütz stets davor, Fremden seine verwundbaren Stellen preiszugeben. Zu oft schon hatte er die bittere Erfahrung machen müssen, dass Schwächen irgendwann ausgenutzt wurden. Schon die alten Griechen warnten davor. Achilles wurde nur deshalb besiegt, weil er jemanden in leichtsinniger Gefühlsduselei seinen einzigen Schwachpunkt verraten hatte.

Und Bommelmütz war sich darüber bewusst, dass er viele Schwachpunkte besaß. Einer davon war gewiss seine Exfrau, Eva-Maria. Ein dunkler Schatten, verursacht von seinem schlechten Gewissen, überkam ihn auch jetzt wieder beim Gedanken an Eva-Maria; Winfried stieß einen beklommenen Seufzer aus. Er zog den Gurt seines Morgenmantels fester, weil er plötzlich fröstelte. Er kriegte doch wohl keine Erkältung? Sicherheitshalber schlug er die Kapuze seines Morgenmantels über den Kopf und hüllte sich tief darin ein.

Wenn Bommelmütz an Eva-Maria dachte, sah er stets auch ihre beste Freundin Sophie vor sich. Die beiden waren seit frühester Kindheit unzertrennliche Freundinnen gewesen und besuchten im Gymnasium die Klasse unter ihm. Alle seine Klassenkameraden, er eingeschlossen, schwärmten damals für die beiden attraktiven, quirligen Teenager. Dabei blieb es auch. Die beiden waren für jeden Spaß und jede Party zu haben, ließen aber ansonsten alle Annäherungsversuche abblitzen. Wahrscheinlich machte sie eben diese Unnahbarkeit noch begehrenswerter. Auch heute noch ergriff ihn eine tiefe Sehnsucht, immer, wenn er die Fotoalben aus seiner Schulzeit durchblätterte. Gewiss ging es vielen seiner ehemaligen Mitschüler genauso. Obwohl er Eva-Maria später geheiratet hatte, hatte in seinen nächtlichen Teenager-Phantasien stets Sophie die Hauptrolle gespielt. Was wohl aus ihr geworden war?

Damals hätte dieses Mädchen alles von ihm haben können, wenn sie ihn nur erhört hätte. Fast zwei Jahre waren sie in derselben Clique und verbrachten täglich Zeit zusammen, schmiedeten Zukunftspläne, hörten Musik, diskutierten über Gott und die Welt. «Einen großen Bruder wie dich hatte ich mir immer gewünscht», hatte sie ihm damals anvertraut. Sie suchte nach Unterstützung. Das war ihm klar. Jeder im Ort wusste, dass ihr Vater jähzornig war und sie oft schlug. Das öffentliche Bewusstsein hatte sich seit der Zeit, als sie Teenager waren, stark verändert. Damals wäre niemand auf die Idee gekommen, sich in Familieninterna einzumischen. Heute war das zum Glück anders. Wenn sie auf Partys zu viel getrunken hatte, heulte sich Sophie an seiner Schulter aus und sie schmiedeten Zukunftspläne für die Zeit nach der Schule. Sie konnte es kaum erwarten, endlich von zuhause auszuziehen. Er nahm die Rolle ihres Vertrauten an, so wie sie sich das von ihm wünschte. Doch insgeheim hoffte er, dass sie einmal mehr in ihm sehen würde. Bedrängen wollte er sie nicht, weil er Angst hatte, sie dadurch zu verlieren. Nach dem Abitur ging er dann auf die Polizeischule und sie sahen sich im folgenden Jahr fast nur noch an den Wochenenden. Aber auch dann hatte Sophie oft keine Zeit. Sie gab vor, sich auf ihre Abiturprüfungen vorbereiten zu müssen. Erst später fand er heraus, dass sie jemanden kennengelernt hatte.

Sophie war immer die forschere von beiden gewesen, Eva-Maria etwas vorsichtiger und zurückhaltender. Zu dritt hatten sie oft darüber gesprochen, nach dem Abitur zusammen zu studieren. Doch für Sophie war das reine Phantasterei: «Mein Vater würde mir niemals ein Studium finanzieren. Er verlangt, dass ich endlich arbeite und selbst Geld verdiene. Schon, dass ich auf das Gymnasium gehen durfte, habe ich nur meiner Grundschullehrerin zu verdanken, die sich damals gegen den Alten durchgesetzt hatte.»

Der Mann, den Sophie kennengelernt hatte, war einiges älter und nicht aus dem Ort. Vermutlich ihr Ticket, um von zuhause wegzukommen. Sie schlug alle Warnungen von ihm und ihren Freunden in den Wind und ging ohne zu zögern mit ihm in eine ungewisse Zukunft; irgendwohin. Dieses kompromisslose Handeln hatte sie in seinen Augen noch begehrenswerter werden lassen. Durch ihr plötzliches Wegsein hatte sie sich umso mehr eine Aura geschaffen. Während er den Klassenkameraden oder Eva-Maria von Zeit zu Zeit begegnete, blieb Sophie in der Erinnerung und seinen Träumen stets neunzehn Jahre alt und honigsüß. Traf er auf Menschenansammlungen, ertappte er sich zuweilen dabei, dass er nach ihrem Gesicht Ausschau hielt. Er wünschte sich so sehr, dass sie sich zufällig einmal begegnen würden. Vielleicht, wenn sie ihm heute als eine vom Leben gezeichnete, nicht mehr ganz so attraktive Enddreißigerin begegnen würde, könnte er endlich diesen Traum loslassen. Aber wollte er das wirklich? Das Leben hatte ihm so viele Enttäuschungen gebracht, dass er froh war, an seiner Phantasie festhalten zu können.

Nachdem Sophie plötzlich weg war, blieb Eva-Maria verlassen zurück. Sie ahnte nicht, dass Sophie sie beide im Stich gelassen hatte. Ob das der Grund war, dass Eva-Maria ihn geheiratet hatte? Sie hatten nie darüber gesprochen. Eva-Maria erhielt regelmäßig Briefe von Sophie, aber sie versteckte sie vor ihm. Ob sie wohl ahnte, dass er all die Jahre heimlich in Sophie verliebt gewesen war?

Jedenfalls hatte seine Ehe mit Eva-Maria nur kurze Zeit gehalten und war kinderlos geblieben. Eva-Maria hatte schon sehr bald nach ihrer Scheidung von Winni ein zweites Mal geheiratet und gleich darauf mit ihrem neuen Mann zwei stramme Söhne in die Welt gestellt. Mit Eva-Maria pflegte Bommelmütz auch nach der Scheidung bis heute ein freundschaftliches Verhältnis. Er sah sie jedoch selten und war froh darüber. Die Treffen mit Eva-Maria schmerzten immer noch und erinnerten ihn daran, wie allein er jetzt doch war und wie sehr er im privaten Leben versagt hatte. Wenn Bommelmütz genau darüber nachdachte, musste er zugeben, dass er alle Zeit auf seinen Beruf und kaum Zeit auf sein Privatleben verwendet hatte. Dabei, das wusste er nur zu gut, hatte Eva-Maria stets versucht, ihm eine gute Partnerin zu sein. Sie hatte die eheliche Wohnung komfortabel eingerichtet, engagierte sich gemeinnützig und pflegte die gemeinsamen Sozialkontakte, indem sie Abendessen oder Feste mit Familie und Freunden organisierte. Bommelmütz arbeitete oft nächtelang und auch über die Wochenenden. Anfangs hatte ihn Eva-Maria noch mit Vorwürfen bombardiert, wenn er sie wieder einmal wegen eines schwierigen Falls versetzt hatte. Nach etwa zwei Jahren resignierte sie.

Bommelmütz wunderte sich zuerst darüber, dass sie kaum mehr zu Hause war. Er nahm sich aber nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Vielmehr war er froh, dass sie ihm keine Vorwürfe mehr machte. Als Eva-Maria bald darauf aus der ehelichen Wohnung auszog, war er überrascht. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie unglücklich seine Frau neben ihm gewesen war. Drei Jahre nach der Hochzeit ließ sich Eva-Maria von ihm scheiden. Bommelmütz schämte sich heute noch für seine Ignoranz.

Es war wirklich seltsam, dass Bommelmütz ausgerechnet an diesem strahlend blauen Frühlingsmorgen diese düstere Erinnerung einholte.

Er und sein damaliger Vorgesetzter, Edgar Vidal, hatten in dieser schwierigen Zeit wie besessen an dem grausamsten und mysteriösesten Mordfall gearbeitet, der ihm in seiner Laufbahn untergekommen war. Nachdem sie gemeinsam sechs Monate von früh bis spät, aber dennoch beinahe ergebnislos gearbeitet hatten, wurden Vidal und er von dem Fall abgezogen. Von höherer Stelle war entschieden worden, den Fall ad acta zu legen, bis sich neue Indizien ergeben würden.

Das war doppelt bitter, denn nebst seiner gescheiterten Ehe betrachtete Bommelmütz seither den ungelösten Mordfall an der «schönen Betty» als seine größte persönliche Niederlage. Notgedrungen und widerwillig hatte er damals von dem Fall abgelassen. Er hatte sich aber insgeheim geschworen, sofort mit seinen Recherchen fortzufahren, sollten sich neue Anhaltspunkte ergeben.

Das war ganz am Anfang seiner Karriere als Ermittler bei der Mordkommission gewesen. Aber schon damals hatte sich Bommelmütz einen Namen als unerbittlicher Hund gemacht. Dabei war es ihm nicht entgangen, dass er unter seinen Kollegen den Ruf eines extrem kauzigen und eigenwilligen Zeitgenossen innehatte. Die Kollegen und Vorgesetzten belächelten ihn mitunter. Vielleicht auch aus Neid, denn seine Aufklärungsquote war überdurchschnittlich. Bommelmütz verfügte über die Ausdauer eines Jagdterriers sowie einen untrüglichen Instinkt, der ihn ganz selten im Stich ließ. Und dieser untrügliche Instinkt hatte ihm immer wieder gesagt, dass ihm irgendwann die Lösung auch zu seinem schwierigsten Fall in die Hände fallen würde. Er musste nur dranbleiben und stets wachsam sein. Doch jetzt, nachdem er den Polizeidienst quittiert hatte, bedeutete dies seine Kapitulation. Er würde den grausamen Mord an der «schönen Betty» nie mehr lösen können.

Wenn er genau darüber nachdachte, waren die Hinweise, die ihn zur späteren Lösung eines Falles führten, in den allermeisten Fällen nicht auf den ersten Blick erkennbar gewesen. Mehrmals hatte er wichtige Indizien erst auf den zweiten oder gar dritten Blick als solche erkannt. Aber er wäre nicht Bommelmütz gewesen, wenn er nicht mit der größten Verbissenheit jeder Spur, war sie auch noch so unscheinbar und unbedeutend, nachgegangen wäre.

Die Erinnerung an Edgar Vidal war unauslöschlich mit dem Fall Betty verwoben. Bommelmütz erinnerte sich noch an unzählige Details, als wäre es erst gestern gewesen.

Wie lange mochte der Mord an Betty nun zurückliegen? Bommelmütz war inzwischen am Briefkasten angekommen und angelte umständlich die Zeitung aus dem Schlitz, weil er wieder einmal den Briefkastenschlüssel nicht mitgenommen hatte. Seine Hand war viel zu breit, um durch den Schlitz zu passen. Es brauchte mehrere Anläufe, ehe er die Zeitung schließlich mit zwei Fingern an einem langen Ende zu fassen kriegte. So passte sie aber nicht durch den Schlitz. Also musste er sie mit den zwei Fingern auf die kurze Seite drehen. Daher dauerte es eine ganze Weile, bis er sie durch den Briefschlitz gefingert hatte.

Froh, das Kunststück endlich geschafft zu haben, entfaltete er das Blatt und studierte das Datum am oberen rechten Rand.

Seitdem er nicht mehr arbeitete, kam es oft vor, dass er das genaue Datum nicht wusste. Er lebte sozusagen zeitlos.

«15. April», murmelte er leise vor sich hin. Er erschrak über seine eigenen Worte und überlegte, warum?

Sicherlich, er war viel allein, da kam es schon einmal vor, dass er sich bei Selbstgesprächen ertappte. Aber das war nicht der Grund seines Erschreckens.

Der eigentliche Grund war das Datum selbst: «Oh, mein Gott. Heute ist der 15. April!» Als er dieses Datum laut ausgesprochen hatte, holten ihn die Erinnerung und sein schlechtes Gewissen wieder ein, als hätte ihm Muhammad Ali einen Punsh mitten ins Gesicht versetzt. Sein Puls begann wie wild zu rasen. Die Erinnerung war glasklar zurück, als ob es gestern passiert wäre.

Exakt am 15. April vor zehn Jahren war die Leiche der toten Betty von einem Jäger entdeckt worden. Dies rund zwei Monate nach ihrem Verschwinden und nachdem wochenlang die gesamte Gegend intensiv, aber erfolglos nach dem schönen jungen Mädchen abgesucht worden war. Die Auffindesituation der Leiche war so absurd, dass Winni sich bis heute absolut keinen Reim darauf machen konnte. Nachdem die ganze Umgebung wochenlang bis in die hintersten Winkel vergeblich abgesucht worden war, stellte sich heraus, dass Bettys Leiche vor aller Augen deponiert worden war. Sie war quasi auf dem höchsten Punkt des Ortes ausgestellt worden.

Bommelmütz erinnerte sich noch an kleinste Details. Betty war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens zwanzig Jahre alt gewesen. Großgewachsen, gertenschlank, langbeinig, blondes langes Haar, grüne Katzenaugen und ein sehr schönes, klassisch geschnittenes Gesicht. Kurz und gut, ein Mädchen, das deutlich aus der Masse hervorstach und an das man sich später genau erinnerte, wenn man ihr irgendwo einmal begegnet war. Auch Bommelmütz war beeindruckt von ihrer äußeren Erscheinung. Sie war ihm gelegentlich begegnet, wenn er seinen Vater besucht hatte und sie ihm auf ihrem Schul- oder Nachhauseweg entgegenkam. Und weil in der kleinen Stadt jeder jeden zumindest vom Hörensagen kannte, wusste er auch, in welchem Haus sie wohnte und wer ihre Eltern waren. Betty, das sah man sofort, war lebenshungrig. Sie war nie allein und meist von einem ganzen Pulk Gleichaltriger umgeben. Bommelmütz war sich sicher, dass Betty der Schwarm aller Jungen in ihrer Abschlussklasse gewesen sein musste. Das Mädchen, von dem man Jahre später, wenn man bereits die Uni abgeschlossen und eine eigene Familie gegründet hatte, immer noch heimlich träumte. Doch während seiner Ermittlung fand er heraus, dass es da noch eine dunkle Seite gab. Betty war nämlich alles andere als ein braves, naives Schulmädchen.

Seine Befragungen ihrer Mitschüler zeichneten ein neues, völlig unerwartetes Bild von Betty. «Betty», so erzählten sie einstimmig, «setzte skrupellos ihre physischen Reize ein, um ihre materiellen Ziele zu erreichen. Sich überall bestens in Szene zu setzen, darin war Betty wirklich außerordentlich talentiert. Sie machte keinen Hehl daraus und ließ jeden wissen, dass sie auf ein komfortables Leben mit möglichxt viel Luxus aus war. Ein arbeitsames, sparsames und anspruchsloses Leben, wie es ihre Eltern ihr vorlebten, kam für Betty nicht infrage. Sie hatte sogar im Deutschunterricht einen Aufsatz zum Thema geschrieben: «Wie ich mir meine Zukunft vorstelle.» Bommelmütz hatte nichts unversucht gelassen und bei seiner Recherche Bettys privates Umfeld genauestens durchleuchtet. Er hatte auch ihren acht DIN-A4-Seiten umfassenden Schulaufsatz von Anfang bis zum Schluss aufmerksam durchgelesen. Der Aufsatz war sicherlich kein intellektueller Höhenflug, aber dafür sehr aufschlussreich gewesen, was Bettys innere Einstellung, ihre Lebensziele und Wertevorstellung anbelangten.

Bommelmütz konnte sich an eine Passage darin auch heute noch ganz genau erinnern: «Ich werde mich auf keinen Fall wie meine Eltern ein ganzes Leben lang abrackern, um dann festzustellen, dass ich es zu nichts gebracht habe. Ich werde ein erfülltes, angenehmes Leben haben. Dies erreiche ich, indem ich mich mit einflussreichen Menschen vernetze. Sich mit erfolgreichen Menschen zu umgeben, ist die beste Garantie für den eigenen Erfolg. Davon bin ich überzeugt.»

Vermutlich war es ihrer Jugend geschuldet, dass Betty keinen einzigen Gedanken an die Moral eines solchen Ansinnens verschwendete. Und leider blieb in dem Aufsatz auch offen, welche einflussreichen Personen sie im Visier hatte. Vielleicht waren ihre Ausführungen nur jugendliche Phantasterei; vielleicht war die schöne Betty aber auch jemand auf den Leim gegangen oder womöglich zu nahegekommen. Jemandem, der sie später aus dem Weg geräumt hat. In jedem Fall war Bettys Ermordung eine riesige Verschwendung an Leben und Ästhetik! «Warum nur musste dieses wunderschöne Mädchen in der Blüte ihres Lebens sterben? Hatte jemand einfach nur Spaß am Töten gehabt, oder kannte Betty ein Geheimnis und stellte dadurch eine Bedrohung dar?» Diese Frage ging Bommelmütz seit damals nicht mehr aus dem Kopf.

Weil Betty ihre Weltanschauung so offen kundtat, wunderte sich niemand, am wenigsten ihre Eltern, über den Umstand, dass Betty eines Tages nicht mehr da war. Dass sie ihre Tochter nicht halten konnten, war ihnen schon lange klar gewesen. Aber eine Betty wäre nicht klammheimlich auf und davon gegangen. Sie hätte ihren Erfolg ausgekostet. Betty hätte ihren Weggang und ihr neues Leben zelebriert und allen vorgeführt, dass sie ihr selbstgestecktes Ziel erreicht hatte. Die Eltern erinnerten sich, dass sie vor ihrem Verschwinden wiederholt Andeutungen zu einem «Projekt» gemacht hatte, welches ihr Wohlstand sowie eine sorglose Zukunft garantieren sollte. Auch am Nachmittag, bevor sie verschwand, gab sie ihrer Mutter gegenüber vor, ihr Projekt vorantreiben zu wollen. Die Eltern kannten ihre Tochter und fragten nicht nach, weil es ohnehin nichts gebracht hätte. Als Betty dann jedoch nachts nicht nach Hause kam und anderntags kein Lebenszeichen von sich gab, wurden sie erst nervös und später panisch. Sie schalteten die Polizei ein und suchten auf eigene Faust nach Hinweisen.

Betty war erwachsen und nicht verpflichtet, sich zuhause abzumelden. Erst nach 48 Stunden konnte Betty offiziell als vermisst gemeldet werden. So verstrich wertvolle Zeit. Erst am dritten Tag nach ihrem Verschwinden nahm die Polizei den Fall offiziell auf. Mehrere Spezialeinheiten sowie die örtliche Feuerwehr begannen mit Suchtrupps und Spürhunden nach Betty zu suchen. Leerstehende Gehöfte, Brunnen, Wälder, das ganze Gelände wurden nach dem verschwundenen Mädchen durchforscht. Kurz darauf übernahm Vidal den Fall. Ihm war sofort klar, dass die Situation sehr ernst war. Er forderte sogar Taucher an, um alle Seen der Umgebung nach Betty abtauchen zu lassen. Bommelmütz arbeitete damals noch nicht bei der Mordkommission. Nur weil Bommelmütz Betty gekannt hatte und weil er in derselben Kleinstadt lebte, in der jeder jeden kennt, und weiß, mit wem jeder verwandt, bekannt oder zerstritten war, holte ihn Kommissar Edgar Vidal damals in sein Ermittlungsteam.

Er wollte Bommelmütz dabeihaben, weil dieser das Lokalkolorit bestens kannte und er sich durch ihn Insights versprach.

Bommelmütz wiederum empfand ein Kapitalverbrechen in seinem eigenen und unmittelbaren Umfeld als persönlichen Affront. Nur zu gerne willigte er deshalb ein, als Vidal ihm die Mitarbeit an dem Fall höchstpersönlich antrug. Zudem galt Vidal als einer der erfolgreichsten Mordermittler. Für Bommelmütz war es eine große Auszeichnung, dass er in dessen Team mitarbeiten durfte. Vidal wiederum war ein ziemlicher Eigenbrötler. Er machte keinen Hehl daraus, dass er eigentlich am liebsten allein arbeitete und nur selten jemanden ins Vertrauen zog. Doch bei Bommelmütz war das anders – nach anfänglicher Skepsis erkannte Vidal schnell das Potenzial seines jungen Kollegen. Bald war klar, die beiden Männer ergänzten sich ausgezeichnet und arbeiteten mit derselben kauzigen Verbissenheit.

Bommelmütz wischte die Erinnerung aus seinem inneren Auge weg und widmete sich wieder der Gegenwart. Interessiert fokussierte er die Titelseite der Zeitung. Der Name «Betty» und das Polizei-Suchbild von damals stachen ihm beim Scannen der Titelseite des Provinzblattes sofort ins Auge. Bommelmütz war wie vom Blitz getroffen. «Gibt es neue Erkenntnisse? Und wenn ja, welche?»

Bommelmütz’ Beine hatten sich bereits automatisch in Bewegung gesetzt und waren auf dem Rückweg ins Haus. Ungezählte Male zuvor hatte er den Weg vom Briefkasten zu seinem Haus schon zurückgelegt. Weil er aber völlig absorbiert von dem Zeitungsartikel war und sein Puls so sehr raste, dass er seine Umwelt gar nicht mehr wahrnahm, wäre er um ein Haar über Tiger, Elviras Kater, gefallen.

Tiger hatte die Angewohnheit, urplötzlich und wie ein Phantom aus dem Nichts aufzutauchen. Mehrmals am Tag besuchte er Bommelmütz. Der war normalerweise froh über ein wenig Gesellschaft und belohnte ihn mit einer Portion Katzenfutter, das er immer für seinen tierischen Gast bereithielt.

Heute aber knurrte der fast ins Straucheln geratene Bommelmütz seinen Besucher an: «Was fällt dir ein, Tiger! Ich breche mir eines Tages noch meinen Hals wegen dir!»

Bommelmütz war für eine Sekunde stehen geblieben, um sein Gewicht auszubalancieren. Die Katze starrte ihn verständnislos mit ihren riesigen grünen Raubtieraugen an und stupste dann wie zur Untermauerung ihres Anliegens mehrmals mit ihrer rosigen Nase gegen seine Schienbeine.

Bommelmütz tat es bereits leid, dass er den Kater so unfreundlich angeschnauzt hatte. Für den Kater war dies ein Tag wie jeder andere. Er wollte nur sein Futter. Bommelmütz klappte energisch die Zeitung zusammen und klemmte sie sich unter den Arm. Dann warf er dem Kater einen aufmunternden Blick zu. «Komm Kumpel, wir gehen erst einmal ins Haus frühstücken, dann sehen wir weiter!»

Schon machte er sich mit Riesenschritten auf den Weg in Richtung Haus, dicht gefolgt von dem graumelierten Kater.

In der Küche angelangt, breitete Bommelmütz die Zeitung auf dem Tisch aus und strich sie mit der Hand glatt. Er konnte es kaum erwarten, sie zu lesen. Aber der Kater würde keine Ruhe geben, ehe er sein Futter hatte. Daher füllte er die Katzenschüssel zur Hälfte mit Trockenfutter und stellte sie dem ungeduldigen Tiger an seinen Platz. «Ich habe dir die Schüssel nur halb voll gemacht, mein Junge. Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du wirst langsam fett!»

Er grinste wohlwollend und tätschelte Tiger freundschaftlich den Rücken.

Dann wandte er sich seiner chromblitzenden italienischen Kaffeemaschine zu.

Wie jeden Morgen hatte er sie gleich als Erstes nach dem Aufstehen angeschaltet und das Wasser im Vorratsbehälter gewechselt, ehe er ins Bad gegangen war. Jetzt leuchtete eine grüne Lampe auf, was bedeutete, dass die Espressomaschine betriebsbereit war.

Bommelmütz hatte nicht viel übrig für Luxus. Aber beim Kaffee kannte er keine Kompromisse und machte eine Ausnahme. Er hatte sich diese sündhaft teure, chromblitzende, elegant designte italienische Espressokolbenmaschine nicht nur deshalb geleistet, weil ihn ihre Optik faszinierte, sondern vor allem, weil sie den allerbesten Kaffee braute, den man haben konnte. Und Bommelmütz war ein Experte. Er verfügte über ausgesprochen feine Geschmacksnerven und schmeckte seinen Lieblingskaffee unter zig anderen Sorten heraus. Wie jeden Morgen zelebrierte er die Kaffeezubereitung, wenn auch zugegebenermaßen an diesem Morgen etwas ungeduldiger als sonst. Schließlich lag die Zeitung mit dem Betty-Artikel immer noch ungelesen auf dem Küchentisch. Bommelmütz brannte förmlich darauf, herauszufinden, ob es neue Erkenntnisse in dem Fall gab. Er stellte die vorgewärmte Tasse unter den Auslaufstutzen und drückte auf den Knopf. Das Mahlwerk setzte sich in Bewegung und verrichtete mit lautem Surren seinen Dienst. Dann drückte die Pumpe das Wasser durch den Kolben. Der Kaffee, eine seltene Hochlandsorte, die er sich exklusiv von einer kleinen Kaffeerösterei in der Stadt kommen ließ, ergoss sich sprotzend und schäumend in die Tasse. In einem Fachmagazin hatte er einmal gelesen, dass eine einzige Kaffeebohne durchschnittlich etwa 880 Duft- und Aromastoffe enthielt. Die Zahl erschien ihm übertrieben. Trotz seines feinen Geruchssinns würde er die einzelnen Aromen nicht annähernd auseinandersortieren können. Dass es sich hierbei jedoch um eine Unzahl von Aromen handeln musste, hierüber lieferte ihm seine Kaffeemaschine jeden Morgen den Beweis. Schon beim Mahlen der Bohnen erfüllte sich seine Küche mit einem wahren Duftfeuerwerk. Er sog die Aromen mit tiefen Zügen durch seine Nasenflügel. Sie belebten seinen Geist.

Für Bommelmütz zählte der erste Schluck heißer Espresso am Morgen zu einem heiligen Ritual. Gewöhnlich zelebrierte er diesen Moment. Doch heute konnte er ihn nicht genießen, weil ihm schlicht die Muse dazu fehlte.

Bommelmütz schielte mit einem Auge auf die kleine, dickwandige Kaffeetasse unter der Espressomaschine, die sich langsam füllte und deren Duft ihm in die Nase stieg. Mit dem anderen Auge spähte er auf die Zeitung, als habe er Angst, sie könnte weg sein, wenn er sie nur einen kurzen Moment aus den Augen ließe. Als die Maschine verstummt war, griff er ungeduldig nach der Tasse und setzte sich Richtung Tisch in Bewegung, die Zeitung immer noch fest im Visier. Auf dem Weg zum Tisch nippte er einen Schluck aus der Tasse. Er schlurfte den Kaffee laut und spülte ihn lange im Mund zwischen seinen Zähnen, um seine Geschmacksnuancen in sich aufzunehmen. Das köstliche Gebräu brauchte er an normalen Tagen, um richtig wach zu werden. Heute Morgen war das nicht nötig, er war bereits hellwach.

Bommelmütz stellte die dampfende Tasse weit von sich auf den Tisch, um die Zeitung besser umblättern zu können.

Auf der Titelseite prangte riesengroß Bettys Foto, zusammen mit dem Hinweis, auf welcher Seite der Leser den zugehörigen Artikel finden würde.

Bommelmütz starrte auf das Portrait-Foto, das ihm bestens bekannt war. Es war das offizielle Polizeifoto von vor zehn Jahren, das auch seine Abteilung für die Suche nach Betty verwendet hatte. Er selbst hatte dieses Foto damals hundertfach vervielfältigen lassen, um es an alle Zeitungen, Polizeiposten und Postämter zu verteilen. Jeder Mann, jede Frau und selbst jedes Kind im ganzen Umkreis kannten damals das Foto der vermissten Betty.

Eilig blätterte Bommelmütz zur angegebenen Seite.

Der Lead war mit tm gezeichnet. Bommelmütz überlegte kurz, wofür die Abkürzung stand. Er meinte, alle aktuellen Redakteure des örtlichen Boten zu kennen. Aber natürlich war er längst raus aus dem Geschäft. Ein Redakteur mit den Initialen tm war ihm nicht bekannt. Er studierte eingehend den zweispaltigen ausführlichen Artikel. Er musste zugeben, der Artikel war sehr gut recherchiert. Der Schreiber, wer er auch war, hatte ausgiebige Kenntnisse von dem Fall, wenn er auch keine neuen Indizien beisteuern konnte.

Der Artikel schloss mit der Hoffnung, dass sich etwaige Zeugen, die bisher, aus welchem Grund auch immer, geschwiegen haben, nun endlich melden sollten, damit der feige Mörder gefasst und seiner verdienten Strafe zugeführt werden könne. Die Eltern des getöteten Mädchens und der ganze Ort sollten endlich Ruhe finden.

Der Schreiber deutete an, dass viele Eltern seither Angst hatten, ihre halbwüchsigen Töchter alleine auf die Straße zu lassen. Solange er nicht gefasst war, musste man jederzeit damit rechnen, dass der unheimliche Mörder eines Tages erneut zuschlagen könnte.

Als er geendet hatte, schob Bommelmütz die Zeitung nachdenklich zur Seite. Die Gedanken summten wie ein riesiger Bienenschwarm in seinem Kopf herum. Der Schreibstil, klar und kompromisslos, dabei abwechslungsreich und wortgewandt, kam ihm sehr bekannt vor. Aber nein, das konnte nicht sein!

«tm» war einmal das Kürzel seiner Freundin Sophie gewesen, als sie damals für die Schulzeitung seines Gymnasiums geschrieben und auch ab und an Artikel in der örtlichen Zeitung publiziert hatte. Aber Sophie Theresia Meyer, wie sie mit vollem Namen hieß, arbeitete nicht mehr als Journalistin für die hiesige Zeitung. Sie war vor vielen Jahren weggezogen. Sie hatte sich nie mehr bei ihm gemeldet, und sicher hatte sie einen Mann und Kinder und überhaupt keinen Grund, in die verschlafene Kleinstadt zurückzukommen, in der sie zusammen aufgewachsen waren. Leute, die diesem Provinznest einmal den Rücken gekehrt hatten, blieben für gewöhnlich fern. Er selber war die einzige Ausnahme. Aber er war schließlich auch ein hoffnungsloser Fall. Er hing am Althergebrachten. Er mochte keine Veränderungen und umgab sich gern mit gewohnten Dingen. Er lebte im ehemaligen Haus seiner Großeltern und hatte dort sogar einen Großteil der alten Einrichtung belassen. Auch sonst hatte er keine großen Erwartungen an das Leben und war sich meist selbst genug. Wenn er so über sich nachdachte, war er völlig anspruchslos. Einzig bei seiner Küche, seinem Weinkeller und seinem Badezimmer machte er Ausnahmen.

Kochen und Genießen waren seine Leidenschaft. In diesen Bereichen scheute er weder Kosten noch Mühe. Auf diesem Feld strebte er immer nach Perfektion, er probierte gern Neues und gab sich nur mit dem Besten zufrieden. Dabei kam es ihm keineswegs auf den Preis an. Die hohe Qualität und Frische der einzelnen saisonalen Zutaten sowie Kreativität bei der Kombination führten oft auch mit einfachen Zutaten zu ganz außergewöhnlichen Ergebnissen. Er mochte den hochgestochenen Begriff «Gourmet» nicht, sah sich auch nicht als solcher.

Und das Kochen war dem Ermitteln in einem Mordfall insofern sehr ähnlich, dass ein wirklich guter Koch nicht am Gewohnten festhielt, sondern die Sinne stets offen hielt für Neues. Zu seinem großen Vorteil verfügte Bommelmütz über wesentlich feinere Geruchs- und Geschmackssinne als die meisten seiner Mitmenschen.

Durch die Lektüre des Artikels war Bommelmütz von einer freudigen Unruhe ergriffen. Wenn er ehrlich mit sich war, hatte er die letzten Jahre in völliger Lethargie verbracht. Er hatte schon zu lange keine richtige Aufgabe mehr, und in diesem Augenblick und mit diesen Überlegungen war er fest entschlossen, den Fall Betty jetzt neu aufzurollen. Den Fall Betty, seine größte berufliche Niederlage.

Und da war noch ein anderer wichtiger Punkt. Bettys Eltern hatten ihm kurz nach dem Auffinden ihrer ermordeten Tochter völlig schockiert das Versprechen abgerungen, dass er den Mörder fassen würde. An dieses nicht gehaltene Versprechen dachte er noch heute voller Scham.

Entschlossen klappte er die Zeitung zu. Dann war er schon unterwegs zum Telefon. Ganz automatisch tippte er aus dem Gedächtnis die Nummer der Regionalzeitung ein. Sein Gehirn arbeitete mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks; ganz wie in den Jahren, als der noch im Polizeidienst gestanden hatte. Er erschrak ein wenig, als sich am anderen Ende tatsächlich eine freundliche junge Dame der örtlichen Zeitungsredaktion meldete. Wirklich erstaunlich, dass die Telefonnummer nach all den vielen Jahren immer noch dieselbe geblieben war.

Er meldete sich mit «Kommissar Bommelmütz», was eine Amtsanmaßung und strafbar war. Aber das kümmerte ihn wenig, weil die Lüge ihren Zweck erfüllte. Die Auskunftsdame beantwortete geduldig und ausführlich alle seine Fragen. Und Bommelmütz stellte genau die richtigen. Seine präzise und zielgenaue Fragetechnik hatte ihn immer ausgezeichnet. Er brauchte nur kurz, um alles zu erfahren, was ihn interessierte.

Augenblicke später goss er den inzwischen kalten Kaffeerest in den Ausguss seiner Spüle. Er ärgerte sich über die Verschwendung. Immer noch gedankenverloren ging er zu seiner Kaffeemaschine zurück und bereitete sich eine neue Tasse zu. Diese neue Tasse Espresso, so nahm er sich fest vor, würde er wirklich genießen. Trotz des Vorsatzes gelang es ihm nicht. Er war viel zu aufgeregt. Er setzte sich zurück an seinen Tisch, nippte den heißen Kaffee in kleinen Schlucken, während unzählige Gedanken wie Starenschwärme durch seinen Kopf schwirrten.

Als er ausgetrunken hatte, bugsierte er den Kater aus dem Haus. Der hatte es sich auf seinem Lieblingsplatz, dem Fenstersims, gemütlich gemacht und folgte nur sehr widerwillig. Aber Tiger musste raus, denn Bommelmütz wollte eilig das Haus verlassen und wusste nicht, wie lange er wegbleiben würde.

Bommelmütz schnappte sich vom Garderobenständer einen leichten, hellen Sommerblazer und seinen Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zu seiner Garage neben dem Haus. Sein blauer VW Golf war beinahe zehn Jahre alt. Der Wagen war zuverlässig, unauffällig und genügsam wie Bommelmütz selbst, und solange der Golf ihn nicht im Stich ließ, würde Bommelmütz es umgekehrt mit dem Auto genauso halten.

Bommelmütz startete den Motor, und obwohl er den Wagen annähernd drei Wochen nicht mehr bewegt hatte, sprang der Motor gleich beim ersten Mal an. Zum Dank streichelte Bommelmütz mit der flachen Hand über das Armaturenbrett, so wie man einem Hund oder Kind über den Kopf streichen würde, der artig war: «Hast du gut gemacht, mein Alter!», lobte er das Auto und musste über sich selbst schmunzeln.

Bommelmützens Wagen besaß noch kein Navigationsgerät, aber er fand den Weg auch so auf Anhieb. In der kleinen Stadt hatte er viele Jahre lang gelebt und gearbeitet. Er kannte beinahe jeden Straßenzug. Ohne Umwege steuerte der die Adresse an, die ihm die Dame von der Zeitung genannt hatte. Er überlegte, ob er nicht vorher hätte anrufen sollen. Das wäre ohne Zweifel besser gewesen, aber jetzt war es zu spät. Er hatte auch kein Handy dabei, um sein Versäumnis nachzuholen. Diese Dinger störten nur, und wenn man sie wirklich einmal brauchte, war grundsätzlich der Akku leer. Das hatte er zigmal bei Kollegen erlebt. Nur jetzt, in diesem Moment, wäre er froh gewesen um so ein Ding. Gewiss, er hätte vorher anrufen sollen!

Direkt vor dem angegebenen Haus fand er einen freien Parkplatz. Er bugsierte seinen Golf akkurat in die Mitte. Nicht zu weit rechts, nicht zu weit links. In solchen Dingen konnte er fürchterlich pedantisch, um nicht zu sagen spießig, sein.

Mit einem lauten Klack schlug er die Fahrertüre zu. Einen Klick auf den Schlüsselknopf und die Türen sperrten. Er rüttelte noch kurz am Griff, um zu kontrollieren, ob die Türe auch tatsächlich verschlossen war. Wieder so ein Tick von ihm. Er belächelte sich manchmal selbst für seine Pedanterie. Wer sollte so ein altes Auto stehlen? Und außer einem Knirps-Schirm, einem Fernglas, ein paar abgegriffenen Straßenkarten und einer kratzigen Wolldecke gab es in dem Auto nichts zu holen. Nachdenklich betrachtete Bommelmütz das Haus Nummer 19. Er scannte es mit den Augen ab und ließ es auf sich wirken. Wie lange mochte Sophie hier schon wohnen, und warum hatte sie sich nicht bei ihm gemeldet?

Haus Nummer 19 war ein kleines Mehrfamilienhaus. Ein puristisch wirkender Neubau in familienfreundlicher Wohnlage mit viel Grün und Schulen in unmittelbarer Nähe. Nicht übermäßig luxuriös, aber dafür stilvoll. Es passte zu seinem Bild von Sophie; jedenfalls zu der Sophie, die er vor langer Zeit aus den Augen verloren hatte.

An der Eingangstür suchte Bommelmütz nach dem richtigen Klingelknopf. Unter den sechs Namen war der richtige schnell gefunden. Er hielt noch einen Augenblick inne, dann gab er sich einen Ruck, nahm all seinen Mut zusammen und drückte mehrmals kurz hintereinander entschlossen auf den Klingelknopf. Vielleicht etwas zu oft. Aus der Sprechanlage ertönte eine wohlbekannte, klare und energische Stimme: «Nicht so hastig, bitte! Wer ist denn da?» Bommelmütz war wie vom Blitz getroffen. Er räusperte sich ausgiebig, ehe er antworten konnte. «Ich bin es, Sophie, Winni.»

Da fiel ihm plötzlich ein, dass sie sich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatten und sie sich womöglich nicht mehr an ihn erinnerte. Er fügte verlegen hinzu: «Winfried Bommelmütz!»

«Na endlich, Winni. Du lässt nach und bist spät dran. Ich habe dich bereits vor einer Stunde erwartet», ertönte es aus der Gegensprechanlage. Kurz darauf verrriet ihm ein Summen, dass die Eingangstüre entriegelt worden war.

Bommelmütz’ Gesichtszüge veränderten sich blitzschnell von Angespanntheit zu einem zufriedenen Lächeln. Nichts von der alten Vertrautheit zwischen ihnen war verlorengegangen. Er drückte die Türe auf und nahm die zwei Treppen im Eilschritt. Nur Sekunden später stand Winni vor Sophies Wohnungstüre. Er hatte sich oft gefragt, wie es wäre, wenn er Sophie wiederbegegnen würde. Er hätte es nur schwer ertragen, wenn sie sich fremd geworden wären.

Sophie hielt ihm die Wohnungstüre weit auf und begrüßte ihn lachend, als ob sie sich erst kürzlich gesehen hätten, mit einer herzlichen Umarmung.

Sie führte Bommelmütz ins Esszimmer, wo eine üppig gedeckte Frühstückstafel bereitstand. Sie hatte Tee gemacht und frische Croissants gekauft. Bommelmütz verspürte keinen Hunger und probierte nur aus Höflichkeit den Tee und ein wenig von der hausgemachten Marmelade. Zum Frühstücken war er viel zu aufgeregt.

Sie redeten und redeten. Nach einer Stunde wusste er ziemlich genau, was sich in Sophies Leben seit ihrem Wegzug alles zugetragen hatte. Sie war geschieden. Der Exmann machte sich rar, zahlte jedoch mehr oder weniger zuverlässig die monatlichen Alimente für die zwei Kinder. Weil der Ex inzwischen eine neue Frau und mit ihr ein weiteres Kind hatte, war das Geld knapp. Sophie arbeitete wieder für den Lokalteil der Zeitung als freie Redakteurin und hielt sich ansonsten mit Auftragsarbeiten über Wasser.

Der Kommissar war wieder einmal in ihm durchgebrochen, Berufskrankheit!

Sophie hatte bis dahin alle seine Fragen geduldig beantwortet. Jetzt war sie am Zug.

Die Idee, den Fall Betty wieder aufzurollen verfolgte sie, seitdem sie vor ein paar Wochen beim Lebensmittelhändler zufällig Bettys Mutter begegnet war. «Seit der Ermordung unserer Tochter sind bald zehn Jahre vergangen. Mein Mann und ich haben uns damit abgefunden, dass unsere Tochter nicht mehr lebt», hatte ihr Bettys Mutter anvertraut: «Aber mein Mann und ich können uns nicht damit abfinden, dass ihr Mörder immer noch frei herumläuft! Wer weiß? Der Mörder lebt vielleicht unbehelligt und ungeniert mitten unter uns. Womöglich steht er beim Einkaufen hinter mir an der Kasse, als ob nichts passiert wäre.»

So wie sie es gesagt hatte, war es ein Appell.

Sophie sah Bommelmütz eindringlich an. «Das Gespräch mit Bettys Mutter belastet mich. Ich habe selbst zwei Kinder und kann mich in die Lage dieser Eltern nur zu gut hineinversetzen».

Sie sah ihn eindringlich an: «Ich möchte erreichen, dass der Fall neu aufgerollt wird! Hilfst du mir?»

Bommelmütz überlegte lange. Er starrte vor sich auf den Tisch, als ob die Antwort am Boden der Teetasse zu finden sei, während er sich die Worte eines nach dem anderen zurechtlegte. Er hatte in dieser Angelegenheit schon einmal leichtsinnig ein falsches Versprechen abgegeben und wollte denselben Fehler nicht wiederholen.

«Was ist, Winni, kriegst du kalte Füße?» Sie ergriff zur Untermauerung seine Hand. «He, Winni. Der alten Zeiten Willen. Wir waren ein Spitzenteam, das Beste. Und was wir uns vornehmen, das schaffen wir auch. Das hast du selbst einmal gesagt! Erinnerst du dich nicht mehr?»

Außerdem, so ergänzte sie freimütig, sei der berufliche Druck immens gewachsen: «Reihum schließen ganze Redaktionen oder werden zusammengelegt. Daneben drängen immer neue, gut ausgebildete Journalisten aus den Unis an den Markt. Die Konkurrenz schläft nicht. Ich brauche dringend eine gute Story!», jetzt war sie es, die appellierte.

«Ich bin nicht mehr bei der Polizei», bekannte er offen, «aber ich muss zugeben, dass mich der Fall nie losgelassen hat». Und nach einer kleinen Pause gestand er Sophie, dass er Bettys Eltern damals in völliger Selbstüberschätzung versprochen hatte, den Mörder zu fassen. «Vor den Eltern, die das Schicksal so schwer getroffen hatte, als Lügner dazustehen, belastet mich noch heute extrem.»

Sophie ließ seine Hand los und ging zu einer Kommode am Fenster. Es war ein uraltes Möbel aus Nussbaumfurnier; vermutlich ein Erbstück und gut und gerne über hundert Jahre alt. Die Schublade klemmte. Sophie ruckelte verärgert mit aller Kraft die Lade hin und her, bis sie sich endlich unter Knorzen herausziehen ließ. Sophie entnahm ihr ein dickes Dossier, das Bommelmütz nur unschwer als Kopie einer Polizeiakte erkannte. Er staunte, zog die Brauen hoch und schüttelte verwundert den Kopf.

«Wie kommst du bloß an diese Aktenkopie?», fragte er voller Bewunderung, obwohl er als ehemaliger Beamter Sophies Vorgehen eigentlich missbilligen musste.

Sophie schmunzelte und legte den Zeigefinger an die Lippen: «Winni, du wirst verstehen, dass ich meine Quellen nicht preisgebe. Ich brächte meinen Informanten sonst in Teufels Küche».

Bommelmütz nickte: «Darf ich?» Er griff sich das Dossier, ohne die Antwort abzuwarten und begann darin zu blättern. Als seine Blicke über die Protokolle und Fotos streiften, erwachten in ihm lang verschollene Erinnerungen.

Zu den Fotos, Skizzen und Protokollen aus der Akte gesellten sich seine eigenen persönlichen Eindrücke und Erlebnisse, die er tief in seinem Innersten gespeichert hatte und die jetzt wieder so klar Gestalt annahmen, als wäre alles erst gestern passiert.

Sophie hatte wieder neben ihm Platz genommen und beobachtete ihn aufmerksam über die Schulter, wie er Seite um Seite umblätterte. Bommelmütz hatte den Köder geschluckt, den sie ihm zugeworfen hatte. Sie hatte ihn richtig eingeschätzt und war zufrieden.

Als er durch war, schlug er energisch den Deckel zu und schob die Akte Sophie hinüber. Sie sah ihn erschrocken an. «Was denkst du? Keine Möglichkeit? Soll dieser Mord denn nie aufgeklärt werden?»

Weil sie ihre Chancen so unvermittelt schwinden sah, fügte sie in ihrer Not beschwörend hinzu: «Denk an dein Versprechen!»

Bommelmütz’ Leben war, seitdem er den Dienst quittiert hatte, ohne große Höhen und Tiefen verlaufen. Früher hatte er sich ein ruhiges Leben gewünscht. Aber jetzt vermisste er die Anspannung und die Bestätigung, die sein Beruf mit sich gebracht hatten. Das wurde ihm in diesem Moment besonders schmerzlich bewusst. Nicht um alles in der Welt wollte er diesen Moment missen. Er verspürte so viel Energie und Tatendrang wie seit Langem nicht mehr. Wie ein Kranker, der plötzlich genesen ist, oder eine Pflanze, die der Regen gerade noch vor dem Vertrocknen gerettet hat.

Sein Entschluss war längst gefasst. Er merkte aber, wie sehr Sophie an seiner Hilfe gelegen war und ihm wurde schmerzlich bewusst, wie sehr er sie vermisst hatte. Deshalb beschloss er, sie noch ein wenig zappeln zu lassen und kostete die Situation aus.

«Ich muss mir das noch genauer durch den Kopf gehen lassen», log er, «gib mir etwas Zeit».

Im Gehen schlug er vor: «Ich könnte uns heute Abend etwas Feines kochen. Beim Essen können wir alles detailliert besprechen, was denkst du?»

Sophie überlegte kurz: «Wäre dir 20:30 Uhr recht? Dann habe ich die Kinder im Bett und kann zu dir kommen».

«Hier ist meine Karte. Ich wohne im Haus meiner Großeltern.»

Sophie studierte die Visitenkarte. Sie war aus edlem naturfarbenem Karton. Die Serifenschrift war in einem aufwändigen Prägedruck aufgebracht worden. Eine Technik und ein Material, das heutzutage teuer und selten zu finden waren. Die Karte zeugte von gutem Geschmack und war sicherlich teuer gewesen.

Weil ihm Sophie nicht sofort antwortete, fragte er unsicher nach: «Du weißt noch, wo das Haus meiner Großeltern steht?»

«Klar doch. Erinnerst du dich nicht mehr? Du hast mich früher oft zu deinen Großeltern mitgenommen. Dieses Haus würde ich auch im Schlaf wiederfinden», lachte Sophie.

Während sie ihn zur Türe brachte, stopfte sie ihm noch die Akte in die Jackentasche. Sie wollte ganz sichergehen, dass er keinen Rückzieher mehr machen würde.

Ein hoffnungsloser Fall

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