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Die Obdachlose.
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OBDACHLOSE.
Gefährliche Nächte
und endlose Tage.
Elke LOIDOLT
Impressum
Texte: © Copyright by Elke Loidolt
Umschlag: © Copyright by Anton Baumgartner
Verlag: Left-Light-Publisher
Riedelgasse 6-9
1130 Wien
e-mail: „elke.loidolt@gmail.com“
Druck: epubli, ein Service der
neopubli GmbH, Berlin
Printed in Germany
Ich war auf der Flucht. Es war eine schlimme, die schlimmste, die ein Mensch haben kann, Ich war auf der Flucht vor mir selbst. Von dieser Flucht hatte ich oft geträumt. Es war immer wieder der gleiche Albtraum gewesen. Beim Aufwachen hatte ich Angst, panische Angst, eine die fast weh tut. Aber dann tröstete ich mich wieder. Was für ein unsinniger Traum. Ob ihn wohl auch andere träumen? Sicher. Denn sonst gäbe es ja das Wort Albtraum nicht. Aber diese Erklärung machte den Traum nicht weniger schrecklich.
Und nun stand ich an der Autobahnauffahrt und fror. Ich hatte nur ein Sommerkleid an, obwohl es schon Herbst war und der Wind kalt blies. Aber ich hatte keinen Grund, an den Sommer zu denken, oder an sonst etwas, was gestern war. Das Unwichtigste war das Kleid. Nur das Frieren erinnerte mich an das Heute und dass davor etwas gewesen war.
Das blaue Straßenschild über mir kündigte eint Stadt an. Und dahinter eine Zahl, die Menge der Kilometer. Wie unsinnig. Wie weit ist es von irgendwo nach nirgendwo. Ich stand im Irgendwo und wollte nach Nirgendwo. Wie weit ist es bis dahin? Weit? Wenn man das Ziel verloren hat, ist es alles gleichzeitig. Nur eines wollte ich. Das Gestern verlassen. Es war zu schrecklich gewesen, und ist es immer noch.
Und trotzdem konnte ich es nicht vergessen, auch wenn ich wollte. Oder ich wollte nicht. Denn im Dunkeln waren auch ein paar helle Flecken. Von der Sonne, von ein bisschen Glück, schöne Träumereien. Aufgezeichnet von einem jungen Mädchen in einem Tagebuch. Das Buch war ein dickes Schulheft. Auf der ersten Seite stand: „Glückliche Stunden“. Die Worte stimmten nicht.
Es hätte „Glückliche und Unglückliche Stunden“ heißen müssen. Als ich es zu schreiben begann, sollten nur die schönen Stunden vermerkt werden. Und die Hoffnung, dass es vielleicht noch schönere geben würde.
Wovon träumte ich damals nicht alles!? Vom Heimatdorf in die große Stadt ziehen, Medizin studieren, einen lieben Freund kennenlernen. Gebildet, charmant und hübsch sollte er sein. Warum hatte ich mich dann in einen eitlen, karrieregeilen jungen Türken verliebt, für den ich so etwas wie eine Jagdtrophäe war, ein Ausweis, dass er mit dem Besitz dieses Mädchens dazugehörte. Er war nämlich stolz und eitel, aber zugleich unsicher und fühlte sich minderwertig, obwohl ihm das niemand sagte. Er verriet sich aber oft selbst. Denn wenn ihn jemand direkt fragte, woher er komme, sagte er nicht Türkei, sondern machte sich zum Griechen. Beim Wort „Anatolien“ zuckte er wie ein Ladendieb zusammen. Anfangs verstand ich ihn nicht.
Ich war auch aus der Provinz und sagte gerne, die Steiermark sei meine Heimat und geboren wurde ich in der Schweiz. Aber meine Eltern erbten von einem Elternteil ein Haus. Also zogen wir in die Steiermark. Er kam aus Anatolien, aber seine Herkunft war im peinlich. Erst sehr viel später, das waren wie schon fast zehn Jahre verheiratet, erfuhr ich, warum er sich vor seiner Heimat so sehr fürchtete. Er hörte von einem einen Kellner sagen: „Ach der, der kommt aus dem tiefsten Anatolien“. Dabei wussten sie nicht, dass der Gebiets-Manager auch von dort kam. Ich konnte aber sehen, wie er blass wurde. Und verstand danach etwas besser seine Eitelkeit und bösen Launen, die ihn oft grundlos überfielen, und die er an mir ausließ. In solchen Momenten kamen alle seine schlechten Eigenschaften als Orientale zum Vorschein. Er ließ seiner maßlosen Eifersucht freien Lauf und steigerte sich in Zorn und Wut über nichts und alles.
Irgendwann wurde das Leben mit ihm zur Hölle. Aber ich wollte mein Medizinstudium fertig machen und meine kleine Tochter sollte die Matura machen. Dann würde ich mich von den Fesseln befreien, die ich mir als junges, dummes, verträumtes Mädchen selbst angelegt hatte.
Aber es ist wie auf dem Bahnhof, wenn man auf einen Zug wartet. Die Zeit vergeht dann viel langsamer als sonst. Nur, im Leben ist es schlimmer. Da kommt neben der Ungeduld auch noch die Enttäuschung hinzu, und zu dieser gesellen sich auch noch die ermüdenden Beleidigungen, die endlosen Vorwürfe, kleinen und großen Demütigungen. Und zuletzt die bitterste Erkenntnis und Erfahrung.
„Du bist nicht seine Frau, bist nicht die Mutter seiner Tochter, sondern bist nur sein Besitz. Du bist ein Gegenstand, einen den man benutzt und dann wieder weglegt“.
Erst dann wird das Warten auf das Ende eine leise Qual die sich steigert, bis sie unerträglich wird. Jedes böswillige Wort ist dann ein Peitschenhieb und trifft. Nicht den Körper, sondern das Innere, die Seele, oder das Ding, mit dem man liebt oder hasst. Dieses Ding beginnt dann zu bröckeln, wie eine alte Mauer, es zerbröselt. Bis nichts mehr da ist. Irgendwann war es dann so weit.
Immer öfter am Küchentisch sitzen und ins Leere starren, nicht mehr zu wissen was man will, was man soll, nur noch der Ekel bei dem Gedanken, dass das ungeliebt Etwas nach Hause kommt und großspurig prahlt, dass er bald der Hotelmanager sein wird. Und sich dann einen Mercedes leisten kann. Und in die Türkei fahren wird. Er konnte stundenlang von seiner Zukunft sabbern und in dieser kam ich gar nicht mehr vor. Gott sei Dank. Denn in der meinen kam er auch nicht mehr vor.
Und doch war es ein Schock, als ich erfuhr, dass er in der Türkei zwei Kinder von zwei Frauen hatte. Und ich eigentlich nur die Drittfrau gewesen war, die er als Verzierung seines Egos gebraucht hatte.
Ich wollte ihm nicht die Genugtuung geben, sich an meinem Zorn, meinem Frust und der Beleidigung zu freuen, denn das hätte er zweifellos getan. Aber irgendwann kochte es in mir hoch. Es ging um den Küchenschrank. Eine Lade war gebrochen.
„Ein neuer Schrank wäre kein Luxus“.
„So was können wir uns momentan nicht leisten, Du bist eine Studentin und mit Deinen Nebenjobs …“
„… und mit Deinen türkischen Fratzen. Und die beiden fetten Weiber in Anatolien musst Du mit Deinem Oberkellner-Gehalt auch noch aushalten. Nein, da können wir uns einen neuen Küchenschrank nicht leisten“.
„Waaaas, du Hure, Du Flittchen, Deine Fetzen kosten … und Dein österreichischer Balg…“.
„… und Dein Mercedes, mit dem Du beim nächsten Urlaub angeben willst… nein, das ist zu viel. Deine Angebereien, Herr Manager, und Deine türkischen Dorfschlampen … das ist zu viel. Verschwinde nach Anatolien, dort braucht ihr keine Küchenschränke, da gibt es noch den Schwarzen Topf über dem offenen Herd … ist das nicht so … verschwinde“.
Außer sich vor Wut stürzte er sich auf mich, obwohl er wusste, dass ich seit meiner frühesten Jugend Karate trainiert. Und lag auf dem Boden, noch ehe er mit der erhobenen Hand zuschlagen konnte.
Mit dem am Boden liegenden ging eine seltsame Verwandlung vor sich. In seinen Augen flackerte plötzlich Angst. Er kroch zur Tür, suchte nach der Klinke und war draußen. Eine halbe Stunde später kam er mit der Polizei. Ich hätte ihn mit einem Messer angegriffen und wollte ihn umbringen. Er riss eine Schublade auf und suchte nach der Mordwaffe. Und fand ein Brotmesser. Er hielt es den Polizisten hin. Sie sahen das hysterische Bündel etwas angewidert an. Der Jüngere bemerkte etwas spöttisch:
„So, so… das ist die Mordwaffe…“.
Der andere Polizist machte zwei andere Laden auf.
„Woher haben Sie gewusst, wo die Mörderin die Waffe hingelegt hat. Über diesem Brotmesser langen doch drei andere Messer. Ein raffiniertes Versteck, nicht wahr Rudi…“ wandte er sich an seinen Kollegen.
Der junge Polizist fragte offen und gerade heraus.
„Und nun sagt, was wirklich los war.“
Ich erzählte es ihnen, mit allen Details. Und sie glaubten mir. Der ältere Polizist meinte nachdenklich:
„Der Kameltreiber fährt also dreispurig und will dann auch noch Watschen austeilen, was sagst Du Rudi…“
„Das mit der Meldung von einem Mordversuch ist vielleicht eine Verleumdung, werde beim Staatsanwalt nachfragen“.
„Und obendrein hat er uns den weiten Weg machen lassen. Schaut nicht gut aus für Dich. Am besten ist, Sie kommen mit auf die Wache, wir werden dort ein Protokoll aufnehmen. Das dauert … uns können Sie nicht zu Narren machen. Das geht vielleicht da unten, wo Sie herkommen. Wenn Sie hier Ärger wollen, gehen Sie nach Schönbrunn und ärgern die Löwen, aber uns bei einem Schachspiel unterbrechen, ist gefährlicher, nicht wahr Rudi…“. Rudi war der gleichen Meinung und sie nahmen ihn mit.
Er war zur falschen Zeit, am falschen Ort an zwei brutale Polizisten geraten. Als er begriff in welcher Lage er war, sah er nicht nur blass und verängstigt aus, sondern zitterte am ganzen Körper. Die beiden Uniformierten wurden auch noch bösartig. Denn Rudi fragte den älteren, ob er Handschellen bei sich habe. Das war dann das Ende.
Das ENDE.
Erst als ich das zitternde Häufchen Elend sah, wurde mir bewusst, dass ich mein halbes Leben weggeworfen hatte. Was nun? Nichts. In mir verdunkelte sich etwas. Alles um mich herum erschien plötzlich sinnlos zu sein. Langsam begann ich das Elend zu begreifen, sah wie im Nebel eine zerbrochene Existenz vor mir. Alles lag in Trümmern. Es war aus. Das lang erhoffte Ende war da. Aber ich hatte es mit immer als Sieg vorgestellt, als Lohn für Geduld, gezahlt ins der Währung Hoffnung. Was wollte ich danach nicht alles machen. Und nun konnte ich alles machen, und war nur müde, unendlich müde, es war eine verzweifelte Mühe. Die Tochter hatte die Matura geschafft und hatte nun eine eigene Wohnung. Also hätte ich alles tun können. Studium fertig machen. Eine Reise unternehmen. Aber nun saß ich am Küchentisch, einen Tag, dann einen zweiten. Ich hatte plötzlich Angst vor dem Tageslicht und hatte die Jalousien heruntergelassen. So vergingen Tage, es verging eine ganze Woche. Die Batterien des Handys waren leer. Irgendwann kam der Postbote und klingelte. „Bitte unterschreiben Sie hier“. Ich unterschrieb. Machte aber den Brief nicht auf. Nach einer Weile ging ich nachts aus dem Haus, ging an der Donau entlang und kaufte mir ab und zu bei einer Bude einen Burger. Setzte mich auf die Kaimauer und ließ die Füße ins Wasser hängen. Die Schwäne der Alten Donau kamen immer näher. Irgendwann kaufte ich bei der Würstchenbude auch für sie eine Semmel und fütterte sie. So vergingen die hellen Tage in der dunklen Küche und die dunklen Nächte vergingen am kalten Kai. Wie lange das so ging, wusste ich nicht. Aber irgendwann bemerkte ich, dass es aus war. Beim Heimkommen am Morgen schleppten sie meine Möbel weg. Ich wohnte nun nirgendwo. Schlief am Kai. Aber im Schatten eines Pfeilers. Dort „wohnte“ Anna.
An der AUTOBAHNAUSFAHRT.
Den vorbeifahrenden Autos kündigte ich mit dem Daumen nach der Seite an, dass ich mitfahren wollte. Aber keines hielt. Sie durften auf der Auffahrt nicht halten. Eigentlich durfte ich gar nicht auf der Auffahrt stehen< Es war ausnahmsweise. Ich wollte einfach weg. Irgendwohin, denn anderswo war es anders, und alles an der war besser. Oder musste es sein.
Endlich hielt ein Auto an. Ein älterer Herr beugte sich aus dem Seitenfenster und meinte, ich dürfe hier nicht stehen und er dürfe hier nicht halten. „Aber steigen Sie ein, schnell, ehe uns wer sieht“. Er öffnete die Seitentüre. Ich stieg ein. Es roch nach Leder und nach irgendwas. Wo hatte ich den Geruch schon einmal gerochen. Zu Hause, im Garten, wenn Mutter die Blätter des Kohlrabis auf einen Haufen geworfen hatte. Vielleicht war er ein Landwirt? Nein, dazu sah er zu elegant aus. In den letzten Monaten hatte ich gelernt, wie man die Leute beurteilt. Simon, ein Gitarrenspieler hatte eine Zeitlang auf der Hauptstraße gespielt und ein paar Cent verdient.
Der ältere Mann der angehalten hatte, fragte, wohin ich wolle. „In die Schweiz“. „Soweit fahre ich nicht, ich lasse Sie am Rastplatz vor Linz aussteigen“. „Danke“.
Der Fahrer schaltete das Radio ein und hörte amerikanische Hits aus den 70er-Jahren. Sie hatten mich immer sentimental gestimmt. In ihnen klang eine seltsame Mischung aus Sehnsucht, Trauer und Fatalismus mit. Die Sängerin Jennys Chaplin hatte es am besten mit dem Satz ausgedrückt:
„Freiheit ist auch in dem Wissen, nichts mehr verlieren zu können“. Ein seltsamer Text, denn wer nichts mehr verlieren kann, ist verloren, ist ein Verlorener, und ein Verlorener ist nicht einmal einsam, denn er geht niemandem ab. Nicht einmal sich selbst.