Читать книгу Die Obdachlose. - Elke Loidolt - Страница 4

Kap. Der AUTOBAHNRASTPLATZ.

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Die Einsamkeit ist oft nur deshalb erträglich, weil man sentimentale Träume hat. Aber sie dauern nicht lange. Meine Träume waren aus, als mit dem netten Fahrer vor Linz aus dem Auto steigen ließ und mir viel Glück für die Weiterfahrt nach der Schweiz wünschte.

Auf dem Parkplatz standen ein paar schwere Laster und ein PKW mit einem englischen Kennzeichen.

Es war nun schon Nacht geworden und ich musste bis zum nächsten Morgen warten. Dann würde ich die Fahrer der Reihe um fragen, ob sie mich ein Stück in Richtung Schweiz mitnehmen könnten.

So setzte ich mich erst einmal auf die Bank und legte die Arme auf den Tisch. Vielleicht würde ich ein paar Stunden schlafen. Aber nun, in der kalten Nacht, spürte ich den Wind auf der Haut. Das Kleid das ich anhatte, war für diese Jahreszeit zu dünn. Auf der Bank würde ich es nicht die ganze Nacht aushalten. Denn der Wind wehte ungebremst über den Parkplatz, sodass einige Planen an den Lastwagen flatterten.

In der Nähe der Bank und dem Tisch befanden sich aber ein paar dichte Büsche, und dahinter begann ein Mischwald. Also machte ich mich auf die Suche nach einem windgeschützten Schlafplatz. Irgendwo würde ich mich setzten und den Rücken an einen Baumstamm lehnen. Am Rande des Parkplatzes gab es aber nur dünne Bäume, so ging ich immer weiter in den Wald hinein. Und tatsächlich, die Bäume wurden höher, die Stämme dicker und von keiner Seite war der Wind zu spüren.

Jetzt brauchte ich nur noch eine trockene Stelle, denn beim Sitzen durfte das Kleid nicht schmutzig werden. Am anderen Ende des Waldes begann ein abgeerntetes Feld und darauf fanden sich Strohballen. Hinter einem ließ ich mich nieder und legte die Arme auf die Knie.

Der MORGEN eines schönen TAGES.

Es war eine sternenklare Nacht gewesen und ich hatte lange die Sterne am Himmel geschaut. Welch eine unendliche Weite. Wie klein war doch die Welt. Und wie klein war das eigene Elend im Verhältnis zur unendlichen Weite des Universums. Ob es in diesem auch andere Welten gab? Wenn ja, welche Wesen wohnen dort? Ging es ihnen wie den Menschen?

Nach solchen Gedanken war ich irgendwann eingeschlafen. Ob es Mitternacht war oder später konnte ich nicht feststellen, denn meine schöne Uhr hatte ich in Wien in einem Pfandleihhaus versetzen müssen. Der Hunger war einfach zu groß geworden, und zu Betteln, wie es Simon getan hatte, getraute ich mich nicht. Ein Mädchen im Sommerkleid, ohne einen mitleid-erregenden Hund hätten die Passanten nichts gegeben.

Aber es musste früher Morgen sein, denn jenseits des Waldes, auf dem Parkplatz starteten die ersten Lastwagen. Also wart es Zeit, die Fahrer zu fragen, ob sie Richtung Schweiz fahren.

Im Wald hing noch Tau an den Blättern, sodass mein Kleid etwas nass wurde. Aber ich musste mich beeilen, denn sonst waren sie alle weg.

Am Tisch des Parkplatzes saßen vier Männer. Der eine verteilte Brot, ein anderer öffnete Bierflaschen und einer ging zu einem Laster und stieg hinein. Als sie mich aus dem Gebüsch treten sahen, waren sie erst einmal überrascht. Was macht ein Mädchen im Wald. Hatte sie dort übernachtet, oder war sie mit einem Auto gekommen und war kurz ausgetreten. Einer sah auf die anderen Autos auf dem Parkplatz, aber dort standen nur noch Lastwagen. Sie starrten mich etwas neugierig an und ich nickte zum Gruß. Sie hoben die Hand.

Einer deutete auf den Platz auf der Bank und machte eine einladende Handbewegung.

„Fährt jemand Richtung Schweiz?“.

Alle schüttelten die Köpfe. Einer meinte, dass er bis Salzburg fährt. Von dort sei es nicht mehr weit bis in die Schweiz. Die anderen lachten, als hätte er einen guten Witz gemacht.

„Wollen sie mitfahren?“.

„Ja gerne, ab Salzburg werde ich schon etwas finden“.

Es schienen anständige Kerle zu sein. Einer schaute mich neugierig an und ahnte wohl, dass ich nicht bloß zu Fuß unterwegs sei, sondern auch noch mit einem leeren Magen. Ich nickte, als er mit Brot und Wurst zuschob. Wir aßen noch eine halbe Stunde fast schweigend. Manche warf einen verstohlenen Blick auf mich. Eher ratlos und fragend denn interessiert.

Es war ja tatsächlich etwas ungewöhnlich, dass eine hübsche Dreißigjährige im leichten Sommerkleid auf einem Parkplatz war und in die ferne Schweiz wollte.

Bei einem von ihnen stieg ich ein und machte es mir auf dem Beifahrersitz gemütlich. Wollte es mir gemütlich machen. Ich hatte Pech. Von den vier Fahrern war ich an den übelsten geraten. Schon nach ein paar Kilometern tastete sich seine Hand an meinen Schenkel und wollte weiter bis ans Höschen. Dabei kam er sogar auf die Nebenfahrbahn. Auf der anderen Seite der Autobahn konnte man in der Ferne eine Raststätte auf der Gegenrichtung sehen. Als wir auf Höhe dieser Raststätte waren, bat ich ihn zu Halten. Er hielt auf dem Pannenstr4eifen. Glaubte sich wohl schon am Ziel, aber als er angehalten hatte, stieg ich aus und rannte über die Straße zur Raststätte. Dort fand ich am Nachmittag eine PKW-Fahrerin die mich bis Wien mitnehmen wollte. Also kam ich wieder in Wien an.

*

Die NACHT, in der ich das LETZTE verlor.

Ich war schon ein paar Monate obdachlos und hatte mich in der Gosse, bei den Obdachlosen eingerichtet. Hatte einen Schlafsack und warme Sachen. Ruhe war eingekehrt. Am Tag saß ich am Praterstern in der Sonne, nachts schlief ich mit anderen Frauen im Stadtpark. Ich war auf eine seltsame Art „zufrieden“. Bis die schreckliche Nacht im Stadtpark kam.

Eigentlich fühlte ich mich im warmen Schlafsack sicher. Und war tatsächlich sicher, nichts mehr verlieren zu können. In dieser Nacht begegnete ich aber einer Freiheit die das ist, was man Elend nennt, unglückseliges Elend. Denn kaum war ich eingedöst, begann im Stadtpark ein fürchterlicher Lärm. Von den Parkbänken her schrien ein paar jugoslawischen Bettler. Dann die kreischenden, fluchenden Stimmen der alten Huren. Ich begriff den Lärm nicht.

Bis mich eine Stimme anschrie:

„Herauskommen, los beeil Dich, aufwachen, verschwinde.“

Eine Taschenlampe leuchtet mir grell ins Gesicht. Hinter dem Mann mit der Taschenlampe erschien ein anderer. Ich erkannte sie als Polizisten. Wir wurden an den Parkbänken zusammengetrieben. Ein paar Polizisten begannen mit dem Einsammeln der Schlafsäcke. Sie holten unter den Parkbänken die Plastikplanen der Rumänen hervor, die sich keinen Schlafsack leisten konnten. Die Schlafsäcke, die Plastikplanen und Wolldecken wurden auf einen Haufen geworfen. Und wir erhielten den Befehl:

„Verschwindet, lasst Euch im Stadtpark nie wiedersehen“.

Ein Uniformierter neben mir redete vom schmutzigen Gesindel und von einer „Schande für die Stadt“.

Die VERTREIBUNG aus dem PARADIES.

Mitten in der Nacht stand ich auf dem Gehsteig auf der Ringstraße. Ich konnte nicht glauben, dass sie uns eben das letzte Hab und Gut, die armseligen Schlafsäcke, weggenommen hatten.

Nun stand ich da, frierend und verzweifelt. Wo schlafen? Auf dem Gehsteig? Auf der Bank am Ring? Dort würden sie uns noch viel schneller vertreiben. Wie es den Obdachlosen in dieser Nacht erging, beschreibt eine Zeitung:

„Lukas D. und sein Bekannter waren seit einigem Jahr in Wien, beide waren unterstandslos. In der Tatnacht dangen sie in einen Weinkeller in der Wagramer Straße 241 ein, tranken gemeinsam große Mengen an Alkohol. ... Der eine nahm einen Stein und erschlug den Kontrahenten… Die Leiche wurde in einem Erdloch entdeckt.“

Ich wollte diesen Verzweifelten, die nicht einmal mehr einen Schlafsack gehabt hatten, ausweichen. Erinnerte mich an einen Platz an der Neuen Donau, ein Gestrüpp, in dem ich eine Weile meinen Schlafsack versteckt hatte. Unterwegs würden sich in den Abfall-Containern bestimmt ein paar Zeitungen finden. Mit diesen konnte man sich notfalls zudecken.

Also machte ich mich auf den Weg zur Donau. Der Weg über den Ring schien endlos zu sein. Denn nun waren meine Füße nicht nur müde, es schien als wären sie schwerer als sonst. Am Ende der Ringstraße, vorbei an den Wiener Prunkbauten, kam ich am Donau-Kanal an und setzte ich bei der Urania auf eine Stufe. Fast wäre ich auf der Stufe eingeschlafen, doch dann erwachte ich aus dem Halbschlaf erschreckt und bekam Angst. Die Polizei durfte mich auf keinen Fall auf den Stufen des Prachtbaus des Nobelbezirkes sehen. Also ging ich auf der Straße in Richtung Prater, ging die Praterstraße entlang. Ging an Geschäften vorbei, blieb an einigen stehen, sah ich mir die schönen Kleider an. Auch vor einem Uhrengeschäft blieb ich lange stehen. Aber die Nacht verging deshalb nicht schneller.

Der alte ZUHÄLTER.

Auf der Straße zum Strand traf ich irgendwann auf ihn. Er sprach mich an, ob ich mitkommen wolle. Ich hörte nur diese angenehme, freundliche Stimme. Ob ich mitkommen wolle? Wohin? Schlafen! Ja. Das erschien mir wie eine Rettung. Ich musste so den weiten Weg bis an den Donau-Strand nicht gehen.

„Komm mit! Ich wohne gleich um die Ecke!“

So ging ich mit ihm. Er schloss die Wohnung auf. Es war eine ganz normale Wohnung. Nicht sehr luxuriös. Dass er ein Zuhälter und Bordellbesitzer war, erfuhr ich erst später. In dieser Nacht wollte ich nur eines: Ein Bett. Ich ließ mir seine Zärtlichkeiten willenlos gefallen. Denn danach konnte ich im warmen Bett bis zum Morgen schlafen.

Ich spürte nicht einmal mehr wie er keuchend von mir runterging, sondern nahm nur noch wahr, dass ich von seinem Gewicht befreit war und ich mich umdrehen konnte. Er murmelte noch etwas, doch ich verstand ihn nicht.

Der grauenhafte MORGEN.

Als ich am nächsten Tag aufwachte, fühlte ich etwas Fremdes neben mir. Ich erschrak. Dann wurde ich langsam gewahr, dass das ein Mann war. Er schnarchte. Es war ein alter Mann, ziemlich kräftig und behaart.

Die Erinnerung an das Gestern wollte sich nicht einstellen. Wo war ich? Wie bin ich in dieses Bett gekommen? Dann kam ein noch schlimmerer Schock. Ich war nackt. Nicht weit vom Bett lag meine Bluse. Daneben das Höschen und der Büstenhalter. Der nächste Gedanke war noch ekeliger. Ich griff mir zwischen die Beine. Alles war nass. Ich fühlte am Bauch, suchte dort nach Spermaspuren.

Vielleicht hat er mich doch irgendwie verschont. Nichts. Der Bauch war trocken. Meine Hände tasteten über das Lacken. Vielleicht fanden sich dort die Spermaspuren. Das Lacken war trocken. Nur zwischen den Beinen war ich nass. Das war das, was wieder herausgeronnen war. Entsetzen. Ich hatte meine fruchtbaren Tage. Für den Fall der Fälle hatte ich nicht einmal ein Kondom bei mir gehabt. Denn ich rechnete nicht mit damit. In dem kleinen Beutel hatte sich ein Kondom (noch von früheren Zeiten) befunden. Nun war auch dieser Beutel beim Schlafsack, den die Polizei weggeräumt hatte. Die Gedanken wurden immer entsetzlicher.

Ich erhob mich langsam und suchte die Toilette. Mit Toilettenpapier versuchte ich alles wieder herauszubekommen. Was natürlich Unsinn war. Es war schon Stunden her, seit das Zeug drin war. Und ich wusste noch aus meiner Ehe, wie fruchtbar ich während der empfängnisbereiten Tage war. Was tun? Ich werde mir in einer Apotheke einen Gummischlauch kaufen und spülen. Das verhindert vielleicht eine Schwangerschaft.

Also schlich ich zurück ins Zimmer, zog leise das Höschen an und die Jean und wollte zur Türe. Fast schon an der Türe hörte ich seine Stimme.

„Wo willst du denn hin?“.

„In eine Apotheke…“.

„Aha, in eine Apotheke … vergiss die Hausnummer nicht, wenn du wiederkommst.“

Dann drehte er sich um und schlief weiter. Ich war erleichtert. Die Flucht würde gelingen. Erst auf der kalten Straße bemerkte ich, dass ich keinen Pullover anhatte. Auch dieser befand sich unter den Sachen, die die Polizei weggeräumt hatte.

Noch schrecklicher war, dass auch die kleine Geldbörse im Beutel war. Meine Notreserve war weg. Ich hatte kein Geld. Wie sollte ich in der Apotheke den Spülschlauch bezahlen?

AUSWEGLOS.

Trotzdem ging ich frierend weiter. Irgendetwas würde mir schon einfallen. Ich steuerte die U-Bahnstation Praterstern an. Dort war es in den Gängen wenigstens warm. Oder betteln? Das war es! Auf der U-Bahnstation gab es Toiletten die man nur durch das Zahlen von 50 Cent betreten konnte. Eine obdachlose Freundin hatte mir Wochen zuvor erzählt, wie sie zum Frühstücksgeld kommt. Sie stellte sich nicht weit von der Männertoilette auf und suchte in der leeren Geldbörse nach den 50 Cent. Dabei hielt sie Ausschau nach einem Mann, von dem sie annahm, er würde ihr 50 Cent was geben. Den Mann sprach sie dann an:

„Könnten Sie mir bitte helfen, ich habe kein Kleingeld.“ Das funktionierte meistens.

Und das war für mich die Lösung. Das Unangenehme war, dass man, nachdem man die 50 Cent bekommen hatte, weggehen musste. Denn wenn der Spender die Toilette verließ, durfte er einen nicht mehr sehen. Denn wurde man gesehen, so war man der Bettelei überführt. Und wie mir die Freundin erzählt hatte, gab es Leute, die sich betrogen fühlten und die Polizei aufmerksam machten.

An diesem Morgen hatte ich Glück. Langsam kehrte mein Erinnerungsvermögen zurück. Ich könnte vielleicht auf die Polizeistation gehen, wo meine Sachen beschlagnahmt waren. Hatte mir nicht ein junger Polizist so etwas wie einen Zettel zugesteckt? Verstohlen und geheim, so als dürften es die anderen nicht sehen? Was hatte auf diesem Zettel gestanden? Ich begann hektisch zu suchen, so als sei dieser Zettel etwas Wichtiges. Wahrscheinlich nur eine Andresse eines Asyls. Wo war er nur? Ich wühlte in den Taschen meiner Jean und fand in der rechten Tasche den „Zettel“.

Die fünf EURO des POLIZISTEN.

Es war gar kein Zettel, es war ein 5 Euro-Schein. Der junge Polizist hatte mir einen 5 Euro-Schein zugesteckt. Warum? Ich fragte nicht lange und begann zu laufen. In der ersten Apotheke hatten sie das Verlangte nicht, ja sie begriffen nicht einmal, was ein Spülschlauch ist. Erst in der zweiten Apotheke begriff eine alte Apothekerin, was ich wollte und gab mir den Schlauch. Als ich mit dem fünf Euro-Schein bezahlen wollte, winkte sie ab.

„Kindchen lass, der ist gratis, wird heutzutage sowieso nicht mehr verwendet“.

So behielt ich den Geldschein. Ich würde ihn nicht einmal für ein Frühstück ausgeben, obwohl ich hungrig war und das letzte Mal etwas am Vortag, gegessen hatte. Von meiner Freundin, der Bettlerin, hatte ich erfahren, dass es in den Mülltonnen genug gute Sachen gibt. Sie hatte sich auf diese Weise durchgefüttert. Aber mir graute vor dem Gedanken, im Abfall zu wühlen. Ich hatte Medizin studiert und war eine saubere Hausfrau und Mutter gewesen. Und nun sollte ich… nein, das würde ich nicht machen.

Frühstück wollte ich nicht. Denn irgendwie gab mir der Geldschein so etwas wie eine letzte Sicherheit. Er beruhigte mich. Ich fühlte mich irgendwie nicht nackt, so lange ich den Schein in der Hosentasche spürte. Wenn ich Angst bekam, drückte ich den Schein und wurde ruhiger. Also ging ich auf die U-Bahnstation Praterstern zurück und würde dort einmal, ein einziges Mal, vor der Toilette betteln. Doch als ich durch die Halle ging, kam mir ein tollkühner Gedanke.

Die Obdachlose.

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