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TEE BEI QUANTES

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Es kam, wie der Professor vorausgesagt hatte: Frau Major Quante veranstaltete einen Tee. Sie lud die ganze »Kolonie« ein, mit Ausnahme eines neu zugezogenen Ehepaares aus Augsburg.

»Die Leutchen haben noch nicht Besuch gemacht«, teilte sie uns leutselig mit. »Selbstverständlich hätte ich sie sonst auch gebeten.«

Man hätte annehmen sollen, daß das Landleben dazu angetan sei, die Fesseln der Konvention zu lockern. Weit gefehlt, zumindest was Quantes anbetraf. Es mußte mit ihrem ehemaligen Beruf Zusammenhängen. Wer Frau Quante auf dem Sofa thronen sah, silberhaarig und pompös, suchte sich ängstlich an alles zu erinnern, was er jemals über gutes Benehmen gehört hatte, und der Major ging sogar so weit zu behaupten, Formlosigkeit sei der Beginn der Anarchie.

Wir saßen um den runden Tisch im Eßzimmer. Vor den Fenstern verdämmerte der Novembertag, die Hängelampe goß grün verhülltes Licht über den Tisch, in dessen Mitte Frau Quantes berühmter Napfkuchen prangte. Vom raumkünstlerischen Standpunkt aus betrachtet war Quantes Eßzimmer nicht schön zu nennen mit seiner dunkel gestreiften Tapete und den schweren, geschnitzten Möbeln, aber es lag eine verschollene Behaglichkeit über dem Ganzen, die auf eine anheimelnde Weise an Kindheit und Elternhaus erinnerte.

Zwischen Major Quante und dem Professor war ein Stuhl frei geblieben.

»Vielleicht kommt unser Gast nachher ein wenig herunter«, erklärte Frau Quante, während sie Tee in die goldgeränderten Tassen goß. »Ihr Mann bat uns vor seiner Abreise, wir rnöchten ein wenig für Zerstreuung sorgen, aber sie ist am liebsten allein in ihrem Zimmer. Diese jungen Frauen von heute sind so – so –«

Frau Major Quante suchte vergeblich nach einem Wort, geeignet; uns über das Wesen der jungen Frauen von heute aufzuklären. Wir sahen einander an. Die Äuglein des Professors funkelten vor Spottlust, Kunstmaler Sörensens Jungengesicht erstrahlte in einem unverhohlenen Grinsen, Frau Willbrandt-Schrödls Doppelkinn schob sich erwartungsvoll vor, und Pompe funèbre hob witternd die Nase in der freudigen Hoffnung auf irgendwelche Enthüllungen. Wir wußten alle, daß wir nur eingeladen worden waren, um die neue Hausgenossin vorgeführt zu bekommen.

Der Major schlürfte genießerisch seinen Tee. Sein rotes Gesicht unter dem eisengrauen Haar hatte einen grimmigen Ausdruck, so, als sei er jeden Augenblick darauf gefaßt, einen Feind auftauchen zu sehen. Man mochte über sein polterndes Wesen denken, wie man wollte – niemand konnte sich der Würde entziehen, mit der der Major sein Schicksal trug. Er hatte sich jahrelang als Versicherungsagent herumschlagen müssen, bis eine kleine Erbschaft ihm erlaubte, sich von der verhaßten Tätigkeit zurückzuziehen. Aber nun langweilte er sich auf dem Lande zu Tode. Das einzige, was ihn aufrecht erhielt, war eine bewundernswerte Sammlung von Zinnsoldaten aller Waffengattungen, mit denen er die Schlachten des ersten Weltkrieges wieder aufbaute, um sie nach eigenen strategischen Gesichtspunkten zu lösen. Man gewann dabei den Eindruck, daß Deutschland auf der ganzen Linie siegreich geblieben wäre, wenn man seinerzeit auf Major Quante gehört hätte. In Wahrheit stand es so um den Major, daß sein Leben mit dem Weltkrieg aufgehört hatte. Gewiß, er ging umher, er sprach, er lachte sogar zuweilen, aber der wesentliche Teil seines Selbst gehörte unlösbar einer Zeit an, in der es ihm möglich gewesen war, seinen Mann zu stehen und sich auszuzeichnen, Das Leben war über ihn hinweggegangen, und er grollte dem Leben darum.

»Ist es nicht gefährlich«, setzte Pompe funèbre das Gespräch fort, »eine junge Frau so lange allein zu lassen?«

Der Major sah sie unter seinen buschigen Augenbrauen hervor mißbilligend an. »Pflicht ist Pflicht«, knurrte er. »Da wird nicht lange gefackelt, verehrte Frau Oberpostrat. Was, glauben Sie, wäre geschehen, wenn im Kriege die Frauen gejammert hätten!«

»Aber Nina jammert ja gär nicht.« Frau Quante lenkte ab. Wenn der Major auf den Weltkrieg zu sprechen kam, war kein Ende abzusehen. »Unser Neffe – das heißt, eigentlich ist er kein richtiger Neffe, der Sohn einer Base, verstehen Sie. – Er und Nina heirateten vor fünf Jahren. Damals fuhr er mit der Hamburg-Amerika-Linie. Eines Tages, als ihm das zu langweilig wurde – er hat ein bißchen den Hang zum Abenteuerlichen, müssen Sie wissen – ließ er sich zu dieser Walfangexpedition an-an–«

»Anheuern«, vollendete Sörensen, »Das wollten Sie sagen, nicht wahr, gnädige Frau? Nun, ich könnte mir vorstellen, daß er gut daran tat. Zweifellos ist es interessanter, Walfische zu harpunieren, als Vergnügungsreisende über den Ozean zu schaukeln.«

Frau Quante lächelte säuerlich. Sörensen hatte eine burschikose Art, sich auszudrücken, die ihr mißfiel.

»Ich denke es mir recht angenehm, einen Seefahrer zum Mann zu haben«, sagte Frau Willbrandt-Schrödl. »Jede Ehe gewinnt durch Trennungen. Mein zweiter Mann war als Syndikus eines großen Industrieunternehmens fast immer auf Reisen. Wir führten eine prachtvolle Ehe. Wenn er nicht gestorben wäre, lebten wir heute noch zusammen, und der dritte wäre mir erspart geblieben.«

Schallendes Gelächter. Sogar Quantes schmunzelten. Nur Pompe funèbre wahrte eine Miene sittlicher Entrüstung.

Frau Willbrandt-Schrödl machte aus ihrem bunten Lebenslauf kein Geheimnis, und die humorvolle Art, in der sie davon sprach, überrannte alle etwa vorhandenen moralischen Bedenken im Sturm. Zweifellos war sie im Anfang ihrer Laufbahn als Frau und Sängerin bezaubernd gewesen. Noch heute vergaß man über ihrem unwiderstehlichen Lächeln, daß man eine Frau von fünfzig vor sich hatte, mit reichlich barocken Formen und einem Doppelkinn. Man vergaß das künstliche Goldblond der Haare und die Schlaffheit der Haut vor dem Charme einer Dame, die sich dem Leben niemals versagt hatte und mit der heiteren Überlegenheit des Wissenden daraus hervorgegangen war. Frau Willbrandt-Schrödls erster Mann war ein junger Kollege gewesen – »Tenor und Windhund von Gottes Gnaden«, sagte sie, »nach einem Jahr liefen wir wie ungezogene Kinder auseinander.« – Der zweite war eben jener Syndikus, dessen Namen sie pietätvoll dem ihren beigesellt und auch nicht abgelegt hatte, als der dritte in Erscheinung trat, ein Kaufmann, der wegen Bigamie ins Gefängnis wanderte. Nachdem Frau Willbrandt-Schrödl ihm die Hand zum Bunde gereicht hatte, stellte sich heraus, daß irgendwo in der Provinz eine Frau und zwei Kinder lebten, die seinen Namen trugen.

»Man hat mir vorgeworfen, daß ich keine Erkundigungen eingezogen habe«, erzählte Frau Willbrandt-Schrödl, »aber ich war verliebt wie ein Backfisch. Er war schwarzhaarig und dämonisch, und dem Dämonischen habe ich zeitlebens nicht widerstehen können. Der gute Willbrandt hatte gar nichts davon, Gott hab ihn selig!«

Das Häuschen in der Ludwig-Thoma-Straße und eine kleine Rente aus dem Nachlaß des seligen Herrn Willbrandt waren alles, was Frau Willbrandt-Schrödl aus einem glanzvollen, an künstlerischen. Erfolgen reichen Leben gerettet hatte; es war ihr nicht gegeben, zu sparen.

»Der eine kann’s, der andere nicht«, sagte sie gleichmütig. »Ich habe es nie gekonnt. Aber ich habe mein Leben gelebt.«

Ihr Wohnzimmer sprach davon mit dem großen Konzertflügel, mit raschelnden Lorbeerkränzen an den Wänden, mit vergilbten Schleifen und zahllosen Fotografien berühmter Kollegen und Dirigenten. Der »Erste« war darunter, blondgelockt im Kostüm des Schwanenritters, neben Herrn Willbrandt, der vertrauenerweckend aussah, einen dunklen Anzug trug und eine Perle in der diskret gestreiften Krawatte. Der Dritte aber fehlte, und wir begriffen durchaus, daß es für Frau Willbrandt-Schrödl peinlich sein müsse, das Bild eines Bigamisten vor Augen zu haben, obwohl er, sie betonte es seufzend immer wieder, glänzend ausgesehen habe.

»Ich fürchte, ich muß nach Hause«, sagte zaghaft die kleine Frau Sörensen, nachdem die allgemeine Heiterkeit sich gelegt hatte. »Wenn Markele aufwacht –«

»Er wird nicht so bald aufwachen«, beschwichtigte Sörensen, »nachdem ich ihn in Schlaf gesungen habe. Ein verdammt lebhafter Bursche ist er übrigens« – Sörensens Augen leuchteten vor Vaterstolz –, »der Waschkorb wird bald zu eng für ihn sein.«

»Der Waschkorb!« rief Pompe funèbre mit einem anklagenden Blick gen Himmel. Nicht genug damit, sagte dieser Blick, daß Sörensens eine »Hundehütte« bewohnen, in der nirgends ein ordentliches Bett zu finden ist, sie scheuen sich nicht, ihren Erstgeborenen in einen Waschkorb zu legen!«

»Wo schlafen Sie eigentlich, wenn man fragen darf?« erkundigte sie sich, froh über die Gelegenheit, etwas zu erfahren, das zu wissen sie schon lange gelüstete.

»Wir schlafen auf der Couch«, sagte Frau Sörensen errötend. »Sie ist sehr breit, und ich brauche nicht viel Platz.«

Nein, das tat sie bestimmt nicht. Eva Sörensen wirkte wie eine Vierzehnjährige, kleiner und schmächtiger als Julia in ihrem dunklen Kleidchen mit dem weißen Bubikragen. Sie sah schmal und ein bißchen unterernährt aus. Kein Wunder, wenn man bedachte, daß Sörensen kaum jemals eines seiner bemerkenswert eigenwilligen Bilder an den Mann brachte. Niemand wußte, wovon sie lebten, aber es schien, als sorgten sie sich selher am wenigsten darum. Sie waren jung und voller Idealismus, namentlich Sörensen, der die »Hundehütte« einem Kollegen abgemietet hatte, der in Italien malte, nur damit das Kind in einer schönen Umgebung zur Welt kommen solle.

Die allerersten Eindrücke seien entscheidend, hatte er uns eifrig erklärt. Das menschliche Auge könne nicht früh genug an Schönheit gewöhnt werden, und er pfeife auf den sogenannten Komfort, wenn er nur vor die Türe zu treten brauche, um die lieblichste Landschaft, die Gott erschaffen habe, zu seinen Füßen liegen zu sehen.

Auf der Treppe erklangen leichte Schritte. Ein, befreites Lächeln flog über Frau Quantes Gesicht. »Achtung!« flüsterte der Professor mir zu, »die große Sensation!«

Die Tür tat sich auf und ließ die Gattin des Walfischfängers ein.

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