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Mit verzogenen Lippen starre ich auf den Zettel, den ich soeben aus dem Briefkasten geholt habe. Schon wieder eine neue Rechnung. Sei es Futter für die Pferde, Reitutensilien oder der Tierarzt, seitdem Bea und ich diesen Hof gekauft haben, landen die Rechnungen stapelweise bei uns.

Ich stecke den Brief in die Innentasche meiner dicken Jacke und vergrabe mein Kinn in meinem Wollschal, um mich vor dem eisigen Wind zu schützen. Die Hände in den Jackentaschen versteckt, laufe ich die lange Auffahrt hinauf. Der Geruch von Pferden und Heu liegt in der Luft. Beas drei Mini Shettys stehen dicht aneinandergereiht auf ihrer Koppel und dösen vor sich hin.

Für einen kurzen Moment bleibe ich stehen und sehe auf die Pferde im Miniaturformat. Mit ihren kurzen Beinchen und der dicken Mähne sehen sie wirklich putzig aus. Die zwei weiß-braun-gescheckten und das braune Pony haben Beas Herz im Sturm erobert.

Schnell laufe ich weiter in Richtung Haus und überprüfe noch einmal, ob ich die Lichterketten entlang der Dachkanten und die an den Büschen im Vorgarten auch ordentlich angebracht habe. Zum ersten Advent muss bei Bea die gesamte Weihnachtsdekoration stehen und für alles, was leuchtet, bin ich zuständig. Die Lichterketten erhellen den gesamten Vorgarten und verwandeln unser Grundstück in ein Winterparadies.

Nachdem ich alles überprüft habe, visiere ich die weiße Haustür an. Unser Grundstück mit dem holzverkleideten Wohnhaus, dem äußerlich dazu passenden Stall, dem wunderschön gestalteten Garten und die Koppel gleich hinter dem Fluss gleicht einem Stück vom Paradies. Als Bea vor knapp vier Jahren zufällig das zum Verkaufen Schild gelesen hat, hat ein einziger genauer Blick gereicht, um sich in das Gelände zu verlieben. Dieses Grundstück entspricht genau dem, was sie immer gewollt hat. Ihr Traum von eigenen Pferden ist während unserer Beziehung keinen Tag abgeflaut.

Im Haus empfängt mich eine wohlige Wärme. Ich hänge meine Jacke und den Schal an die Garderobe und folge dem schmalen Flur in die Küche. Bea steht mir den Rücken zugewandt vor dem Tresen und schneidet das Gemüse für das Abendessen. Wie immer, wenn sie kocht, summt sie leise vor sich hin. Sie ist noch genauso wunderschön, wie an dem Tag vor sechs Jahren, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Ich habe meine Anmeldung zu dem Speed-Dating schon als sinnlos deklariert, als mir plötzlich diese bezaubernde junge Frau gegenübergesessen hat. Über Liebe auf den ersten Blick habe ich zuvor nur gelacht. Ich habe es einfach nicht für möglich gehalten, einem Menschen zu begegnen und mich sofort in diesen zu verlieben. Bea hat mich eines Besseren belehrt. Ein Blick in ihre sanften braunen Augen hat gereicht und es war um mich geschehen.

Ich stütze mich am Türrahmen ab, verschränke die Arme vor der Brust und tue einen Moment lang nichts, außer Bea zu beobachten. Ihre langen haselnussbraunen Haare hat sie zu einem lockeren Dutt hochgesteckt. Ihre schlanke Figur ist von einer schwarzen Hose und einem braunen Wollpullover umhüllt. Die mit Blumen gemusterte Schürze ist ein Geschenk ihrer Oma gewesen und alles andere als ansehnlich. Aber Bea könnte auch einen Kartoffelsack tragen und für mich wäre sie noch immer die schönste Frau der Welt.

Ich bemühe mich, keinen noch so kleinen Mucks von mir zu geben und doch bemerkt Bea mich.

»Hallo Schatz«, begrüßt sie mich lächelnd, als sie ihren Kopf in meine Richtung dreht. »Wieso stehst du denn im Türrahmen und kommst nicht herein?«

»Ich wollte nur den Moment genießen und dich ansehen.«

Schmunzelnd wischt sie sich ihre Hände an der Schürze ab und winkt mich zu sich. Ihre zarten Hände gleiten über meinen Nacken und verursachen kleine Schauer, überall dort, wo sie mich berühren.

Zärtlich hauche ich Bea einen Kuss auf den Mund. »Ich liebe dich.«

»Ich dich auch.« In ihrer unverkennbar sanften Art streicht sie mir über meinen kurzen Bart. Wie ich es liebe, wenn sie das tut.

»Wo ist Lucian?«

»Er spielt im Wohnzimmer.«

Ich nehme Bea in meine Arme und sehe durch das Fenster in den Garten. Auch dort habe ich an den breiten Büschen festliche Beleuchtung anbringen dürfen. Die Äste des dicken Kirschbaums haben jedes letzte Blatt abgeworfen und wippen ausgelassen im Wind. Wenige Meter von dem Baum entfernt steht ein Carport. Geschützt vor dem eisigen Wind kann unser Sohn dort jederzeit im Sandkasten spielen. Bea hat sich eine breite Fensterfront in der Küche gewünscht. So kann sie hier arbeiten, während Lucian im Garten spielt und hat trotzdem ein Auge auf ihn. So warm mir bei diesen Gedanken auch ums Herz wird, ich muss ein Thema ansprechen, das Bea ganz und gar nicht gefallen wird.

»Bea, ich muss mit dir reden.«

Erste Sorgenfalten bilden sich auf ihrer Stirn. »Was ist denn los?«

»Mein Chef versucht seit einiger Zeit mit den Japanern Geschäfte zu machen. Nun bietet sich die Möglichkeit für ein persönliches Treffen mit Herrn Yang. Er will, dass ich ihn überzeuge.«

Beas Sorgenfalten weichen einem breiten Lächeln. Sie weiß genau, wie sehr ich mir eine Beförderung wünsche und wie hart ich dafür arbeite. »Wow, das ist eine tolle Möglichkeit für dich.«

Verlegen reibe ich mir über den Nacken. So wie ich es immer tue, wenn ich nervös bin. »Ja, es ist nur ... das Treffen soll bereits dieses Wochenende stattfinden.«

»Oh«, entgegnet Bea seufzend. Ihr Lächeln verfliegt augenblicklich. »Da ist Lucians Geburtstag.«

»Ich weiß, aber der Termin steht bereits.«

Ihr Blick wird flehend. »Damian, bitte sage mir nicht, dass du deinem Chef schon zugesagt hast.«

Ich hasse es, Bea zu enttäuschen. Genauso hasse ich es, ihr und Lucian nicht mehr so viel meiner Zeit widmen zu können. Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon meinen Sohn, wie er vor seiner Geburtstagstorte mit fünf Kerzen darauf steht und sie freudestrahlend auspustet. Und ich werde dieses Mal nicht dabei sein. Als wir noch in Berlin gelebt haben und ich ein einfacher Mitarbeiter in der Produktion gewesen bin, habe ich nur einen Bruchteil meines jetzigen Lohns erhalten. Dafür habe ich geregelte Arbeitszeiten und mehr als genug Zeit für meine Familie gehabt. Aber die Arbeit hat mich nie ausgefüllt, das weiß Bea ganz genau. Als mein neuer Chef, Herr Pust, mir die Möglichkeit geboten hat, als nationaler Vertreter tätig zu werden, habe ich keine Sekunde gezögert. Nun bin ich so gut in meinem Job, dass er mich als internationalen Vertreter in Betracht zieht.

In einem tiefen Atemzug nehme ich Beas Hände und drücke sie gegen meine Brust. »Bea, das ist eine Riesenchance für mich. Herr Pust würde mir eine sehr hohe Prämie zahlen, wenn ich Herrn Yang überzeuge. Ich könnte damit auf einen Schlag fast eine Jahresrate des Kredites für unser Haus tilgen.«

Mit einem bitteren Ausdruck im Gesicht zieht Bea ihre Hände weg. »Aber es ist Lucians Geburtstag!«

»Ich weiß.« Es ist mir selbst mehr als unangenehm, nicht dabei sein zu können. Meine Familie bedeutet mir alles. Genau deswegen möchte ich, dass sie ein gutes Leben hat. Für den Kauf und die Renovierung dieses Hauses haben wir einen Kredit in Höhe eines kleinen Vermögens aufgenommen. Je mehr Geld ich verdiene, desto sicherer wird unsere Zukunft. »Danach werde ich mir ganz viel Zeit für ihn nehmen, versprochen.«

Die Arme vor dem Körper verschränkt, sieht Bea mich durchdringend an. »Kannst du Herrn Yang nicht fragen, ob das Treffen ein paar Tage später stattfinden kann?«

Ächzend schüttle ich den Kopf. »Das geht nicht. Herr Pust hat bereits den Termin festgemacht. Jemand aus unserer Firma wird sich dieses Wochenende mit ihm treffen. Wenn ich es nicht tue, schickt Herr Pust jemand anderen.«

»Dann lass einen Kollegen dort hinfliegen.«

Mir ist von Anfang an klar gewesen, dass Bea alles andere als begeistert sein wird und ich kann sie auch verstehen. Ihre Prinzipien sind ganz andere als meine. Ich wäre von selbst nie darauf gekommen, von einer modernen Dreizimmerwohnung im Herzen von Berlin auf ein riesiges Grundstück mitten auf dem Land in der Oberlausitz zu ziehen. Ich will Karriere machen und hoch hinaus. Bea hingegen wünscht sich ein weiteres Kind und wartet schon lange sehnlichst auf einen Heiratsantrag. Ich habe ihr bislang keinen machen können, lebt es sich doch ohne Trauschein genauso gut.

Ich kann diese Chance nicht einfach verstreichen lassen. Noch einmal wird mir mein Chef bestimmt nicht ein solches Angebot machen. »Bea, verstehst du denn nicht, was das für meine Karriere bedeuten kann? Stell dir doch nur einmal vor, ich schaffe es, Herrn Yang zu überzeugen. Das würde nicht nur einen Bonus, sondern auch noch eine Beförderung einbringen.«

Der Kummer in Beas Augen zerreißt mir das Herz. »Ist Geld denn das Einzige, woran du noch denken kannst?«

Ihre Frage fühlt sich wie eine Ohrfeige an. Kennt meine eigene Freundin mich etwa so schlecht? »Natürlich nicht. Ich tue das doch alles für uns.«

Schnaufend stößt sie den Atem aus und deutet mit den Händen auf unsere Umgebung. »Als wir dieses Grundstück gekauft haben, habe ich es absolut verstanden, dass du mehr gearbeitet hast, um das alles zu finanzieren. Der Anfang war schwierig, aber mittlerweile kann ich etwas zur Haushaltskasse beisteuern. Der Shop läuft wirklich gut. «

Es stimmt wohl, dass ich Beas Onlineshop nicht mehr finanzieren muss. Aber übrig bleibt davon dennoch nichts. »Das Geld, was du verdienst, geht doch gleich wieder für Futter, Tierarztkosten und neues Material drauf.«

»Da magst du recht haben, aber du verdienst inzwischen genug Geld, um alles andere zu finanzieren. Sicherlich auch noch, wenn du ein wenig kürzertreten würdest. Du brauchst die Beförderung nicht, die dir wahrscheinlich noch mehr Arbeit einbringen würde. Du hast so schon kaum noch Zeit für uns.«

Nur für Bea bin ich hierhergezogen. Sie hat von einem ein Leben auf dem Land mit Pferden um sich herum geträumt. Sie hat einen eigenen Onlineshop gewollt, in dem sie Merchandise zu ihren Pferden verkauft. Ich habe ihr all das ermöglicht. Ist es da wirklich zu viel verlangt, dass sie nun mich unterstützt? Je mehr Geld ich verdiene, desto eher können wir unseren Kredit abbezahlen. »Ich kann diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.«

Bea wendet ihren Blick ab und sieht nachdenklich durch die große Fensterscheibe. Nur ganz kurz sieht sie mir noch einmal in die Augen, ehe sie sich umdreht und weiter an dem Gemüse auf dem Tresen herumschnippelt. »Und ich kann dich nicht zwingen zu bleiben.«

Schneegestöber und Liebesgeflüster

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