Читать книгу Die Glocke - Elle West - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеHollie war mit Mia in den Cotton Club gekommen, damit ihre Eltern beruhigt waren und keine weiteren Fragen stellten, denn alleine wollte Rory seine Tochter nicht gehen lassen. Allerdings war die jüdische Journalistin alles andere als mit der Freundin versöhnt. Sie nahm ihr vielmehr noch immer übel, dass sie sich gegen Blake und sie und für einen gefährlich wirkenden Fremden entschieden hatte. Hollie allerdings interessierte ihre Meinung nicht sonderlich.
Sie waren gemeinsam mit einem Auto von Hollies Vater hergefahren und obwohl es bereits nach Mitternacht war, hatte sie Mason Hernandez noch immer nicht gesehen.
Die beiden Frauen saßen mit einem fremden Paar an einem Tisch. Es war Sonntagnacht und der Club war völlig überfüllt. Hollie versuchte, sich mit der Musik abzulenken, aber sie bemerkte selbst, dass sie sich immer wieder suchend umsah.
„Hast du wirklich geglaubt, dass es Liebe sein würde, Hollie?“, fragte Mia sie, nicht einmal heimtückisch, sondern bloß mitleidig.
Hollie konnte beides nicht ertragen. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“, sagte sie, weil sie keinerlei Interesse daran hatte, ihre Gefühle und Gedanken mit ihr zu teilen.
„Ich rede von dem Fremden, den du schon den ganzen Abend suchst.“, erwiderte Mia und trank von ihrem Whisky. „Er wird nicht kommen, weißt du? Das ist die Art der Männer. Sie machen dir schöne Augen, versprechen dir die Welt und am Ende, wenn sie bekommen haben, was sie wollten, lassen sie dich alleine stehen und du musst sehen, wie du die Reste deines gebrochenen Herzens selbst zusammen sammelst.“
Hollie sah sie an. „Das ist dir passiert?“
Mia senkte traurig den Blick und zuckte die Schultern. „Ich war nicht immer ein leichtes Mädchen.“, sagte sie und grinste halbherzig. „Das mit Blake geht schon seit Jahren, musst du wissen.“ Sie seufzte. „Ich weiß, du magst ihn nicht und du magst ebenfalls nicht, was wir hinter dem Rücken seiner Frau tun…aber ich liebe ihn.“
„Das wusste ich nicht, Mia.“, erwiderte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst hätte sagen können. Ihre Freundin hatte Recht. Sie konnte Blake Simmons nicht ausstehen und sie verachtete Ehebruch. Dennoch, Mia mochte sie.
„Wie denn auch? Ich bin ja immerzu bemüht, alle Welt glauben zu lassen, ich sei eine unabhängige, taffe Frau, die keinen Mann braucht, um glücklich zu sein.“, sagte sie und machte eine wegwerfende Geste. „Aber die Wahrheit ist, dass ich mich in ihn verliebt habe und nicht aufhören kann damit…obwohl ich durchaus weiß, wie dumm das ist. Ich weiß, er wird Ruby nicht verlassen. Und ich weiß, dass ich etwas Falsches tue.“
„Das Herz will, was das Herz will.“, sagte Hollie und drückte ihre Hand. „Dann wirst du es nicht beenden, obwohl du weißt, dass du nur verlieren kannst?“
Nun lachte Mia freudlos. „Das ist armselig, nicht wahr? Sich mit aller Macht an etwas zu klammern, was einem nie gehört hat.“
„Ich denke nicht, dass du armselig bist, Mia. Ich glaube, du bist ein bisschen verloren.“, antwortete sie ehrlich. „Und ich glaube, dass du ihn los lassen musst, weil er dir nicht gut tut. Du sagst doch selbst, dass er nie der deine war. Dann sei nicht mehr seins.“
„Und wie stelle ich das an, Hollie?“, wollte sie wissen. Mia wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln.
Hollie lächelte ironisch. „Tja, ich sitze doch auch hier und warte auf einen Mann, der mir nicht gehört. Oder?“, entgegnete sie und zuckte die Schultern. „Ich habe keine Ahnung von der Liebe und auch nicht von Männern.“, sagte sie und lächelte dann schulterzuckend. „Mein Dad hat mir einmal eine Gruselgeschichte erzählt, von einem Mann, der lebendig begraben wurde und er sagte mir, dass es aus diesem Grund Glocken an Gräbern gibt, dessen Schnur in die Särge führt, damit ein lebendig Begrabener um Hilfe klingeln kann.“
Mia sah sie mit verzogener Miene fragend an. „Ja, na und?“
Hollie lachte leise. „Stell dir vor, du liegst lebendig begraben in einem Grab und alles, was du brauchst, um wieder Teil der Welt, des Lebens zu sein, alles, was du tun musst, um wieder frei atmen zu können, ist, die Glocke zu läuten.“
„Ich verstehe wirklich nicht, worauf du hinauswillst, Holl.“, erwiderte Mia verständnislos.
„Ich will damit sagen, dass die größte Liebe wohl die ist, die dich vor dem Ersticken bewahrt. Und dass der Mann, der einzig Richtige für dich sein wird, der deine Glocke sein kann.“, sagte sie und stellte es sich aufrichtig so vor. „Wenn Blake Simmons diese rettende Glocke für dich ist, dann solltest du an der Schnur reißen, Mia. Wenn er es nicht ist, solltest du vielleicht weiter suchen.“, sagte sie und drückte mitfühlend ihre Hand. Vielleicht war die Liebe nicht wirklich so groß, sicherlich wäre sie es nicht für jeden, aber Hollie fand etwas Tröstendes darin, etwas Hoffnung. Hollie machte eine wegwerfende Geste mit der Hand und lachte leise. „Vermutlich solltest du dir eine andere Freundin suchen, die dich in dieser Hinsicht berät.“
Mia lachte leise. „Du bist genau richtig, finde ich.“, erwiderte sie und küsste Hollie auf die Wange. Als sie sich wieder von ihr löste, erkannte sie Hollies Fremden. „Und offenbar kannst du sehr wohl auf dein Herz vertrauen.“, sagte sie und lachte leise. „Wie es aussieht, enttäuscht es dich nicht.“
Hollie folgte ihrem Blick und musste lächeln. Mason stand vor ihrem Tisch.
„Guten Abend, die Damen.“, sagte er und lächelte Hollie an. „Ich bin ein bisschen spät, verzeih mir.“
„Du bist hier.“, erwiderte sie erleichtert. „Das reicht mir.“
Er lächelte beinahe verlegen. „Darf ich euch auf einen Drink einladen?“
Mia nickte. „Setzen Sie sich bitte.“, sagte sie und bemerkte erst danach, dass kein Stuhl frei war. „Oh…ich könnte einen Stuhl suchen?“
„Schon gut.“, lehnte er ab. Er zog Hollies Stuhl, mit ihr darauf, ein wenig zurück, hob sie hoch und setzte sich, ehe er sie auf seinen Schoß zog. „Der beste Platz im ganzen Club.“, flüsterte er ihr zu.
Sie errötete und war sich sicher, dass jeder ihre Verlegenheit bemerken musste. Seine großen Hände strichen über ihre Beine, ehe er einen Arm um ihre Taille legte und sie so fest hielt. Mit dem anderen Arm winkte er einen Kellner heran.
Der Afroamerikaner in seiner roten Arbeitskleidung, die, wie die das Meiste hier an die blühende Zeit der Südstaaten erinnerte, hielt vor ihm. „Mr. Hernandez.“, sagte er und neigte leicht den Kopf.
Mason lächelte leicht und steckte ihm Geld zu. „Ein Glas Champagner und zwei Whisky, bitte.“
„Sofort, Sir.“, erwiderte der Kellner lächelnd und eilte sogleich davon.
„Wer sind Sie nur?“, fragte Mia neugierig. „Alle anderen müssen Stunden auf ihre Getränke warten, weil es hier so voll ist. Aber Sie werden namentlich angesprochen und sofort bedient.“
„Ich bin mit dem Besitzer des Cotton Clubs befreundet.“, erwiderte er erklärend. Er konnte Hollies Freundin von der Miene ablesen, dass sie eine aufregendere Erklärung erwartet hatte und musste grinsen. „Entschuldigung, Sie haben wohl etwas Spannenderes erwartet.“
Mia lachte leicht und beugte sich ein wenig vor, damit das fremde Pärchen an ihrem Tisch nichts verstehen konnte. „Ich dachte, weil Sie gestern das mit der Mafia gesagt hatten…-“
„Ich würde nicht hier mit Hollie sitzen, wenn ich eine solche Gefahr wäre.“, versicherte er und legte eine Hand auf ihr Knie, drückte es leicht.
Sie sah ihm in die gütigen Augen und fragte sich, ob er die Wahrheit sagte. Er selbst schien es nicht ganz zu glauben. Ihr jedoch war es egal. Sie wollte in seiner Nähe sein, selbst wenn er der gefährlichste Mann der Welt gewesen wäre.
„Ja…Mason, ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen.“, fing Mia kleinlaut an. Sie war nicht gut darin, sich zu entschuldigen, weil sie es gewohnt war, unnahbar und extrovertiert aufzutreten. „Ich habe gestern überreagiert und es tut mir leid, wenn ich Sie damit in Verlegenheit gebracht habe.“
Mason nickte knapp. „Sie wollten auf Ihre Freundin aufpassen. Das weiß ich zu schätzen.“, sagte er und streichelte unter dem Tisch an Hollies Bein hinauf. Er sah sie an. „Du bist so schweigsam heute Abend.“, bemerkte er.
Hollie, die bereits über seine Berührung errötet war, wurde nun noch roter. „Ich…nein. Ich weiß nicht, was ich sagen sollte.“
Er lächelte. „Was auch immer du willst.“, erwiderte er und verschlang sie beinahe mit den Augen. Und obwohl er merkte, dass er sie verlegen machte, konnte er nicht aufhören, sie zu berühren. Sie trug keine Strumpfhose und ihre Haut war weich und glatt, als seine Finger unter den Stoff ihres Kleides fuhren und die Außenseite ihres Oberschenkels streichelten. Ihre vollen Lippen öffneten sich ein wenig, entließen aber keinen Laut. Er hätte sie ewig so ansehen können.
Dann kam der Kellner zurück. Er balancierte das Tablett mit einer Hand, während er mit der anderen die Getränke servierte. „Darf ich Ihnen einen Stuhl bringen lassen, Mr. Hernandez?“, fragte er dann höflich.
Mason sah Hollie an. „Möchtest du einen Stuhl?“, fragte er. „Ich, für meinen Teil, sitze genau so perfekt.“
Sie lächelte leicht. „Das kann ich mir denken.“, flüsterte sie neckend. „Ein weiterer Stuhl wäre nett, danke sehr.“, setzte sie an den Kellner hinzu. Der verneigte sich leicht und eilte davon, um ihrer Bitte nach zu kommen.
Mason fing ihren Blick auf und grinste sie ebenso neckisch an, wie sie mit ihm gesprochen hatte. „Glaub ja nicht, das könnte dich retten, Liebes.“, sagte er, leise, damit nur sie es hörte.
Sie lachte und legte die Hände um seinen Nacken. „Ein bisschen mehr Beherrschung, großer Mann.“, sagte sie.
Seine Hand glitt über ihrem Kleid zu ihrem Hintern. „Du hast ja keine Ahnung, was du da von mir verlangst.“, sagte er mit rauer Stimme.
Hollie wurde mehr als verlegen, schließlich hatte sie nichts hiervon jemals selbst erlebt. Es war etwas ganz anderes, von erotischen, vertrauten Berührungen in Romanen zu lesen, als selbst auf diese Weise berührt zu werden. Und obgleich es ihr ein wenig peinlich war, dass sie in der Öffentlichkeit solche Berührungen und Blicke austauschten -etwas, das ihre Eltern beschämend gefunden hätte, da war sie sicher-, konnte sie nicht umhin, noch mehr davon zu wollen. Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so lebendig gefühlt. Sie wusste, dass sie sich in ihn verliebte und sie fand, dass sie mit ihren 23 Jahren auch lange genug auf dieses besitzergreifende Gefühl gewartet hatte. Doch noch ehe sie etwas erwidern konnte, wurde ein weiterer Stuhl an ihren Tisch gebracht und das Pärchen aufgefordert, diesen Platz zu verlassen.
„Wie bitte?“, fragte der Mann entrüstet.
„Wieso sollten wir? Wir warten hier schon seit 45 Minuten auf unsere Getränke. Als wäre es noch nicht schlimm genug, dass die Neuen hier bevorzugt werden…Jetzt sollen wir auch noch vertrieben werden?“, empörte sich seine Frau.
Der Kellner umfasste sein Tablett fester. „Verzeihung, aber dies ist eine Anweisung von Mr. Madden persönlich.“
Hinter ihm tauchte Nicolo auf und verdeutlichte damit die Position des Kellners maßgeblich. Als das Paar noch immer zögerte, trat Nico vor. „Ich werde nicht so höflich bitten.“, versicherte er und deutete mit dem Daumen an, dass sie verschwinden sollten. „Hopp Hopp.“
Die beiden rappelten sich auf, griffen Jacken und Taschen und eilten, wenngleich nicht ohne Beschwerden, davon.
Nicolo setzte sich auf einen frei gewordenen Stuhl und grinste zufrieden, als er sein Bier vor sich stellte.
Mason richtete sich mit Hollie auf, setzte sie vorsichtig auf den Stuhl zurück und nahm neben ihr Platz. „Owney will uns Gesellschaft leisten?“, fragte er seinen Bodyguard grinsend.
Nicolo nickte. „Er ist gleich hier.“
„Der Owney Madden?“, fragte Mia aufgeregt.
Mason nickte. „Der einzig Wahre.“, erwiderte er amüsiert.
„Wow, das ist beeindruckend.“, gab Mia zu und sah ihre Freundin aufgeregt an.
„Ich nehme an, hier wird über mich gesprochen?“, fragte Owney und küsste die Hände der Damen ehe er sich setzte. Er trug einen dunklen Anzug, hatte eine Zigarre im Mund und einen Drink in der Hand.
Mason wusste, dass er nicht den billigen, selbstgebrannten Whisky trank, sondern auf seine eigenen Reserven zurückgriff. „Was verschafft uns die Ehre?“, wollte er wissen.
„Ich wollte mir deine Kleine selbst ansehen.“, sagte er und musterte Hollie eingehend, ehe er grinste. „Guter Geschmack, nebenbei.“
„Entschuldige, er hat kein Taktgefühl.“, sagte Mason zu ihr und lächelte ein wenig verlegen.
„Deine Kleine, he?“, fragte sie und sah ihn herausfordernd an, was Owney zum Lachen brachte und auch Nicolo grinste belustigt.
„Seine Worte, nicht meine.“, rechtfertigte Mason sich.
„Ach weißt du, Schätzchen…,“, Mason räusperte sich und warf Owney einen einzigen Blick zu, sodass dieser sich selbst unterbrach, „Hollie– Hollie, richtig?-, mein Freund hier ist ein wirklich anständiger Kerl. Ich will nur sicher gehen, dass er kriegt, was er verdient.“
„Oder wen?“, gab sie zurück und hielt Maddens Blick stand. „Nicht, dass ich denke, Sie hätten bei dieser Entscheidung mitzusprechen, Owen, aber ich bin doch neugierig. Denken Sie, ich wäre für Mason geeignet oder habe ich den Test nicht bestanden?“
Owney sah sie, über ihre Schlagfertigkeit ebenso überrascht, wie über ihr Selbstbewusstsein, verwundert an. Dann fing er zu lachen an. „Ich bin ein bisschen besorgt, dass du in dieser Beziehung die Hosen anhaben wirst, aber ich finde nicht, dass das ein Nachteil ist. Ich liebe dominante Frauen.“, erwiderte er gut gelaunt. „Wie es scheint, bist du genau richtig für meinen Freund.“ Er leerte sein Glas und deutete dem Kellner, der sich nun absichtlich einzig um ihren Tisch kümmerte, an, ihm ein neues zu holen. „Hast du zufällig eine Schwester, Schätzchen?“
Nun lachte sie. „Zwei sogar.“
Owney klatschte in die Hände und lachte herzlich auf. „Sie sind doch volljährig?“, fragte er und machte dann eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. „Ach, was soll’s. Deine kleine jüdische Freundin hier gefällt mir auch ganz gut.“
Mason, der wusste, dass Madden einen Mord aus Eifersucht begangen hatte, der wusste, dass er wegen diesem Mord nach Sing Sing gekommen war, verzog das Gesicht. „Du hast…wie viele Frauen am Hals, Owney? Drei, vier?“, fragte er also. Sein Freund war auch nicht zurückhaltend was schöne Frauen anging. „Bring dich nicht noch mehr in Schwierigkeiten, Mann.“
Owney lachte erneut. „Du bist zu romantisch, mein Freund.“, sagte er. „Nicht jeder findet seine wahre, einzige Liebe, Mason. Die meisten geben sich mit gutem Sex zufrieden.“ Er zwinkerte Mia zu und brachte sie zum Lachen.
„Ja, das kann ich bestätigen.“, sagte sie und begann nun ihrerseits mit Owney zu flirten. Es war nicht so, dass sie nicht flirtete, nur weil sie Blake liebte, ganz im Gegenteil. Da er seine Frau nicht verließ, ließ Mia sich gerne von anderen Männern begehren, um ihr Selbstvertrauen zu stärken, um sich schön und gewollt vorzukommen. Owney war nicht unbedingt ihr Typ, doch im Grunde mochte sie die Art, wie er mit ihr sprach und sie ansah. Er verdeutlichte ihr, dass er jemand war und dass sie diejenige war, die ihm gefiel. Das gab für Mia augenblicklich den Ausschlag auf seine Avancen einzugehen. Sie hatte nichts zu verlieren.
Hollie rollte die Augen, musste aber dennoch grinsen. „Du schuldest mir noch einen Tanz, Mason.“, erinnerte sie ihn dann.
Er nickte und erhob sich sogleich. „Darf ich bitten, Liebes?“
Sie legte ihre Hand in seine und ließ sich von ihm von dem Tisch weg führen. Vor der Bühne, auf der die Musiker spielten, begann er mit ihr zu tanzen. Er legte seinen Arm um ihren Rücken und als sie zu ihm aufsah, stellte sie fest, dass er nur noch einen Kopf größer als sie war, da sie hohe Absätze trug. Sie schätze ihn auf 1 Meter 85, vielleicht ein wenig größer.
Seit sie sich hier im Club das erste Mal begegnet waren, waren bereits mehrere Wochen vergangen und in einer ihrer vielen Unterhaltungen hatte er ihr erzählt, dass er gebürtiger New Yorker war, seine Eltern und Großeltern waren jedoch aus Spanien nach Amerika gekommen, was seinen dunkleren Teint erklärte. Nun, als er sie während des Tanzes führte, konnte sie sehen, dass auch hier seine spanischen Gene eindrucksvoll durchkamen. Sie hatte schon mit unzähligen Männern getanzt, ganz besonders häufig in den letzten Monaten, die sie mit Mia im Nachtleben von New York zugebracht hatte, oftmals langweilige Walzer oder andere klassische Tänze. Doch Masons Bewegungen erschienen ihr natürlich zu sein und das machte den Tanz mit ihm besonders.
„Hollie?“
Sie hob den Blick und sah ihn an. „Ja?“
Er lächelte leicht. „Ich…das ist meine letzte Nacht in New York.“, sagte er und blickte sie dabei schmerzlich an. „Morgen Mittag werde ich nach Hause fahren. Ich wünschte wirklich, ich könnte bei dir bleiben…-“
Hollie musste sich zwingen, weiter zu atmen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sein Fortgang ihr das Herz brechen würde. Dabei kannten sie einander noch gar nicht. Zwischen ihnen hatte es einen atemberaubenden Kuss zum Abschied gegeben, den sie seither, wann immer sie sich getroffen hatten, beim Abschied wiederholten. Unzählige Berührungen, die eigentlich unschuldig waren und doch so bedeutungsvoll für sie waren. Dennoch hatte nichts davon ausgereicht, um sie zufrieden zu stellen. Sie wollte von alledem noch mehr. „Musst du gehen?“, fragte sie und wunderte sich, weil ihre Stimme fest klang, obwohl sie eigentlich fürchtete, jeden Moment in Tränen auszubrechen.
Er nickte leicht mit gesenktem Blick. „Ich bin für eine Menge Leute verantwortlich, Hollie.“, sagte er schweren Herzens. Er war mit einer kurzen Unterbrechung von etwa einer Woche, um Zuhause einige Dinge zu klären -besonders einen Lastwagen zu organisieren, der Fins Braugeräte nach New Orleans fahren würde- bereits seit sechs Wochen in New York. Und er wusste, dass er nur wegen ihr hier war. Zwar rechtfertigte er diese Entscheidung vor sich selbst auch damit, dass Fin um Zeit gebeten hatte, um sich um seine Angelegenheiten zu kümmern, aber wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war, wusste er, dass das nur seine vorrangige Ausrede war, um mehr Zeit mit Hollie zu verbringen. „Deshalb kann ich nicht einfach tun, was ich will.“
„Wenn du’s könntest, was würdest du wollen?“, fragte sie forschend.
Er lächelte leicht, senkte den Kopf und küsste sie sanft auf die Lippen. Gleich darauf verfing sein Blick wieder mit ihrem. „Ich würde dich mit mir nehmen wollen. Ich würde dich bitten, meine Frau zu werden und mit mir ans Ende der Welt zu reisen, wo es nichts gebe, außer dir und mir.“, antwortete er aufrichtig.
„Und wenn ich genau hier bleiben wollen würde?“, fragte sie und lächelte mit Tränen in den Augen. Denn selbst, wenn Mia Recht hatte, und er ihr nur sagte, was sie hören wollte, wenn er ihr nur Versprechungen machte, um ihr Herz zu gewinnen, selbst dann, hatte er die genau richtigen Worte für sie gefunden.
„Dann würde ich bei dir bleiben, auch wenn es mein Tod wäre.“, antwortete er, sicher, dass er genau das getan hätte, wenn er seine Familie nicht gehabt hätte. Aber er hatte seine Geschwister, die auf ihn angewiesen waren. Und er hatte viele Männer, die für ihn arbeiteten und ihm vertrauten, die ihre Leben für ihn riskierten, wenn es erforderlich war. Ihnen allen schuldete er es, nicht egoistisch zu sein.
Hollie berührte seine Wange und er küsste sie auf die Innenfläche ihres Handgelenks. „Dann würde ich mit dir gehen.“, sagte sie lächelnd. „Bis ans Ende der Welt.“
Er nickte lächelnd, fuhr sich mit der Zunge über die Lippe. „Ich wünschte, du könntest mit mir kommen.“
Sie nickte ebenfalls. „Das weiß ich.“
„Aber du kannst nicht…richtig?“
Sie beide blieben stehen, wichen nicht auseinander und sahen dem anderen in die Augen.
„Ich muss darüber nachdenken.“, sagte sie dann. „Bis morgen Mittag habe ich Zeit mich zu entscheiden?“
Er nickte. „Ich werde um vier vor dem Cotton Club auf dich warten.“, sagte er überlegend. „Wenn du um viertel nach vier nicht hier bist, werde ich fahren. Und ich werde dir keinen Vorwurf machen, ich werde dir dein altes Leben zurück geben und mich nicht mehr einmischen. Es wird sein, als wären wir einander nicht begegnet.“
„Nur dass ich dich niemals vergessen könnte, Mason.“, wandte sie ein.
Er küsste ihre Hand. „Außer uns beiden wird das dann niemals jemand erfahren.“, erwiderte er lächelnd.
Sie nickte leicht. „Dann werde ich jetzt gehen.“, sagte sie, etwas unsicher. „Ich werde ein bisschen Zeit brauchen, um eine Entscheidung zu treffen.“
„Das verstehe ich.“, sagte er aufrichtig. „Soll ich dich nach Hause fahren?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich fahre selbst.“
Sie gingen gemeinsam zu ihrem Tisch zurück. Nicolo rollte genervt mit den Augen, weil Mia und Owney bereits am Tisch miteinander rum knutschten, als hätten sie keinerlei Zuschauer.
„Wir müssen gehen, Mia.“, sagte Hollie entschieden.
Ihre Freundin löste sich von Madden und blickte sie mit gespielter Verlegenheit an. „Jetzt schon?“, fragte sie nörgelnd. „Lass uns doch noch ein bisschen bleiben, Hollie.“
Diese schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab’ keine Zeit mehr.“, sagte sie und senkte den Blick. „Bitte, Mia. Ich warte draußen auf dich.“
Als sie sich umwandte und ging, schlossen Mason und Nicolo sich ihr augenblicklich an. Vor dem Club war ebenso viel Leben wie darin. Entweder verließen die gut gekleideten, betrunkenen Gäste gerade den Club oder sie wollten hinein.
Mason und Hollie stellten sich vor ihr Auto, das sie ein wenig abseits am Bürgersteig geparkt hatte. Nicolo blieb in einiger Entfernung hinter seinem Boss stehen.
Mason legte ihr seinen Mantel um die Schultern, weil sie, trotz eigener Jacke, schließlich war es bereits Ende Oktober und zumindest in New York kalt und windig, fror. Er rieb ihr über die Arme und blickte ihr in die Augen. „Ich wünschte, ich wüsste, was ich nun sagen sollte, Hollie.“, sagte er kopfschüttelnd. Er wusste es nicht. Hätte er die Worte gefunden, die sie von seiner aufrichtigen Absicht und seinem aufrichtigen Wunsch, sein Leben mit ihr zu verbringen, überzeugt hätten, hätte er sie gesagt. Er wäre egoistisch gewesen und hätte sein Verlangen nach ihr über alles andere gestellt. Und irgendwie hatte er aufrichtig gehofft, ihre Verliebtheit wäre so groß wie seine, groß genug, um sich für ihn und New Orleans zu entscheiden. Als er vor vier Wochen Zuhause gewesen war, hatte er deshalb vorsorglich mit seiner Geliebten gebrochen. Zwischen ihnen war nie mehr als Sex gewesen, zumindest von seiner Seite nicht. Und deshalb ließ er Noa auch weiterhin in seinem Club arbeiten. Aber er hatte das mit ihr beendet, weil er aufrichtige Hoffnungen gehabt hatte, dass Hollie seinen Antrag annehmen würde. Er hatte sie beide schon als glücklich verheiratetes Ehepaar gesehen. Doch wenn er sie nun ansah, schob er diese Zuversicht seinem übersteigerten Selbstvertrauen zu. Sie wirkte absolut nicht entschlossen, seine Frau zu werden. Vielmehr hatte es nun den Anschein, als wollte sie ihre Familie und ihre Heimat nicht seinetwegen aufgeben. Das konnte er verstehen, denn er gab seine Familie ebenfalls nicht auf, zog nicht wieder nach New York um bei der Frau zu sein, in die er sich verliebt hatte. Sie beide hatten ihre, wenn auch gänzlich unterschiedlichen, Verpflichtungen und sie beide wollten ihre Leben nicht gänzlich aufgeben. Trotzdem gab es diese Hoffnung in ihm, dass sie es dennoch tun würde. Dass sie sich trotz aller Unsicherheiten und Folgen für ihn entscheiden würde.
Sie lächelte leicht, Tränen in den Augen. „Sag’ gar nichts.“, sagte sie leise. Dann hob sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn zärtlich.
Mason legte eine Hand an ihre Wange, erwiderte ihren zärtlichen Kuss leidenschaftlich. So wie sie sich bisher bei jedem Abschied geküsst hatten, so als gäbe es ein baldiges Wiedersehen. Seine Lippen bewegten sich verlangend an ihren, seine Zunge streichelte die ihre fordernd. Er zog ihren kleinen, festen Körper dichter an sich, umschloss sie mit seinem Arm.
Hollie ließ ihn gewähren, drängte sich selbst fest an ihn. Sein Körper fühlte sich hart an, unverwüstlich. Und er roch so gut, dass sie sicher war, diese Erinnerung niemals los werden zu können. Gegen ihren Willen liefen ihr zwei Tränen über die Wangen, weil sein Kuss sich nicht nach dem Abschied anfühlte, den sie bereits erwartete. Vielleicht wusste er, dass sie nicht einfach mit ihm gehen konnte, vielleicht wollte er nicht, dass sie mit ihm käme. Doch vielleicht hatte er auch einfach nur Angst, sie zu verlieren, so wie sie fürchtete, ihn los zu lassen.
Er löste sich von ihr, legte beide Hände an ihr Gesicht. „Warum weinst du?“, fragte er und wischte ihr die Tränen weg.
Sie versuchte zu lächeln. „Loslassen ist so viel schwerer als Festhalten.“, flüsterte sie.
Er blickte ihr suchend in die Augen. „Dann halt fest.“, erwiderte er. „Ich wäre der Letzte, der dich aufhalten würde.“
Sie lachte leise. „Das werden wir sehen, schätze ich.“, sagte sie. Sie konnte Mia in einiger Entfernung auf sie zuhalten sehen. „Werden wir uns wiedersehen, wenn ich morgen nicht da sein werde?“, fragte sie und blickte ihn verzweifelt an, umklammerte sein Hemd mit ihren kalten Fingern.
Er legte seine Hände über ihre. „Ich werde versuchen, sooft ich kann zu dir zurück zu kommen, wenn du das willst.“, sagte er.
Sie nickte. Mia stieß zu ihnen. „Gott, hier seid ihr! Ich dachte schon, ich hätte mich verlaufen…oder ihr hättet mich zurück gelassen.“, plapperte sie. „Können wir dann?“
Hollie nickte leicht und öffnete ihr bereits die Autotür. Mason begleitete sie zur Fahrerseite und öffnete ihr die Tür. Sie drehte sich in seine Arme, küsste ihn auf den Hals, während er sie umschlossen hielt. „Gute Nacht, Mason.“, flüsterte sie.
„Dir auch, Liebes.“, erwiderte er mit rauer Stimme. Er senkte den Kopf und küsste ihre Lippen. Ein letztes Mal noch.
Als Hollie nach Hause kam, schliefen ihre Eltern bereits und auch Scarlett war längst ins Bett gegangen. Da sie selbst jedoch wusste, dass sie, so sehr sie sich auch bemühen mochte, nicht einschlafen könnte, zog sie sich nur ihren Mantel und die Schuhe aus, ehe sie sich an Rorys geheimen Rumvorrat vergriff.
Sie schenkte sich ein Glas voll und setzte sich, auf das Sofa im Kaminzimmer. Das Feuer darin war beinahe runter gebrannt, hatte den Raum jedoch noch immer ausreichend geheizt. Hollie schaltete die kleine Lampe neben dem Bücherregal an und zog ihre Beine auf das Sofa, während sie in die Glut starrte.
Sie blickte auf ihr Bein hinunter, spürte noch einmal seine Hände auf sich. Konnte sie ihn wirklich gehen lassen? Nicht, dass sie einander besonders gut kannten, sodass sie sicher sein konnte, dass mit ihm zu gehen, das einzig Richtige wäre. Sie hatte fünf Wochen beinahe jeden Abend mit ihm verbracht und nicht mehr. In dieser Zeit waren sie so gut wie nie alleine gewesen und sie hätte ihn auch nicht einfach mit nach Hause nehmen und ihren Eltern vorstellen können. Nicht, dass ihre Eltern ihn nicht gemocht hätten, doch sicherlich entsprach er nicht dem idealen Schwiegersohn, den die beiden sich bereits erwarteten.
Ihr Verstand riet ihr dringlichst, Ruhe zu bewahren und vernünftig zu handeln. Und eigentlich war sie genau so. Sie war ein rationaler Mensch, der seinem Verstand traute und sein Herz missachtete. Denn es waren die Entscheidungen, die mit dem Kopf getroffen worden, die einen im Leben sicher anleiteten. Nur hatte sie dies bisher niemals in Frage stellen müssen, es nie auf die Probe gestellt. Bisher war sie eine Realistin, eine Pragmatistin gewesen, weil sie niemals empfunden hatte, was sie nun für Mason empfand. Doch selbst wenn sie sich eingestand, dass sie ihn lieben würde, wenn sie ihm nur ein wenig mehr Zeit gebe, dann blieben dennoch so viele Fragen offen, so viele Dinge unsicher. Im Grunde wusste sie ja nicht einmal, was er beruflich wirklich tat. Er hatte ihr gesagt, dass er nicht mehr in der Mafia war, aber sie hatte gesehen, dass er auch nicht gänzlich verändert war. Vielleicht gehörte er nicht mehr zur Cosa Nostra, aber irgendwie hatte er sich selbst ein ähnliches System aufgebaut. Deshalb musste sie davon ausgehen, dass er nicht nur illegale Geschäfte betrieb, was sie nicht weiter störte, weil seit der Prohibition jeder zweite gegen das Gesetz verstieß, sondern auch davon, dass er von Gewalt umgeben war. Und das war die Unsicherheit, die ihr Angst machte. Sie würde sich stets um ihn sorgen müssen, immer fürchten müssen, dass er vielleicht nicht wieder zu ihr zurück käme. Könnte ich mit einem Mann leben, der andere Menschen umbringt, wenn er muss, fragte sie sich. Ihr Verstand sagte ihr, dass das eine dumme Idee war und sie es gar nicht erst herausfinden sollte, doch ihr Herz schrie nur ein deutliches Ja. Vielleicht könnte sie damit leben. Schließlich hätte sie damit nichts zu tun…Das waren Ausreden, die sie bereits jetzt als Ausflüchte erkannte. Sie war nicht der Typ, der stillschweigend Ungerechtigkeiten hinnahm. Und vermutlich würde sie erstrecht nicht schweigen, wenn es ihr eigener Mann wäre, der Angst verbreitete. Vielleicht würde er auch ihr gegenüber so sein? Vielleicht, wenn er genug von ihr hätte, nach ein paar Wochen, Monaten oder Jahren? Nein, das würde er nicht tun. Das wusste sie sicher, auch wenn es keinen Grund dafür gab. Sie wusste einfach, dass er nicht so ein Mann war. Sie wusste, dass er ihr niemals etwas antun würde. Er zwang sie ja nicht einmal, ihn zu begleiten, obwohl sie gesehen hatte, wie sehr er es wollte. Und wenn sie daran dachte, wurde ihr Herz neuerlich schwer. Wie traurig er sie angesehen hatte, als er erkannt hatte, dass sie wohl bleiben würde. Sie hatte das Gefühl gehabt, sein Herz wäre zerbrochen und sie selbst hatte sich ganz ähnlich gefühlt. Dabei hatte sie sich noch nicht entschieden. Sie war keinesfalls sicher, nicht mit ihm zu gehen.
Hollie versuchte, sich das Leben mit Mason vorzustellen, doch es gelang ihr nicht recht. Würde er jeden Tag seinen illegalen Geschäften nachgehen und sie würden einander erst am späten Abend sehen? So wie es bisher gewesen war, lag diese Vermutung nahe. Würde sie den ganzen Tag, jeden Tag, alleine in irgendeiner Wohnung verbringen, die nicht ihr gehörte, nicht ihr Zuhause wäre? Ihr jetziges Leben mochte vielleicht ein wenig monoton sein, aber so sehr hatte sie sich nicht gelangweilt. Schließlich war sie seit über einem halben Jahr beinahe jeden Abend ausgegangen und hatte interessante oder auch langweilige Menschen getroffen, sich unterhalten, getanzt und getrunken. Ihr Leben war behütet und nun, da sie beinahe 24 war und Alkohol ohnehin illegal war, hatte es ihr auch Spaß gemacht. Zumindest hatte sie stets ausgehen können und dafür war New York der perfekte Ort, der aufregendste Ort. Dieses Leben hier hatte sie zu Mason geführt. Sie musste nur herausfinden, ob ihr Leben verlangte, dass sie mit ihm ging, dass sie mit ihm neu anfing.
Hollie seufzte und leerte ihr Glas. Sie stand auf und schenkte sich nach, ehe sie die Rumflasche wieder hinter ein paar Büchern im Regal versteckte. „Unsinn.“, sagte sie sich selbst. Das Leben, ihr Leben verlangte gar nichts von ihr. Sie war es, die etwas verlangen musste. Sie war es, die ihr Leben gestaltete, die den Weg bestimmen würde und das Ziel. Nur das war entscheidend. Sie musste herausfinden, was sie wirklich wollte und dann könnte sie sich dafür einsetzen, es auch zu kriegen.
Und was hatte sie schon bisher fertig gebracht? Sie war eine Tochter, eine Schwester und eine Freundin. Nichts davon hatte sie wirklich selbst entschieden. Sie war beinahe 24 und hatte in ihrem Leben noch nicht ein einziges Mal arbeiten müssen. Sie hatte auch keine Ahnung, was sie wirklich machen wollte. Für sie schien es ebenso spannend zu sein, Kellnerin in einer Bar zu sein, wie Journalistin zu werden. Vielleicht könnte sie beides sein? Bisher war sie nichts davon geworden, weil ihre Eltern nicht wollen würden, dass sie in irgendeiner Bar arbeitete und sie hatte keinen ihrer Texte veröffentlichen wollen, weil sie sicher war, dass man ihn nur abgedruckt hätte, weil ihr Vater reich und einflussreich war. Das wäre in New Orleans sicher anders. Doch hier lebte ihre Familie. Und so sehr ihr ihre Schwester auf die Nerven gehen konnten und so sehr sie sich manchmal mit ihren Eltern stritt, sie liebte sie alle. Sollte sie einfach so davon laufen und sie alleine lassen? Hatte sie nicht auch eine Verantwortung ihrer Familie gegenüber?
Hollie zuckte zusammen, als ihre Schwester Chloe im Türrahmen erschien. Sie trug ein enges blaues Kleid und ihr Kopfschmuck war ein wenig verrutscht. Sie lehnte gegen den Türrahmen, weil sie ein wenig zu betrunken war, um sich ohne bedenkliches Wanken gerade zu halten.
„Was machst du da?“, fragte sie und ließ ihren Mantel zu Boden fallen.
„Nachdenken.“, antwortete Hollie grinsend. „Du hast zu viel getrunken, Chloe. War es eine aufregende Nacht?“
Chloe machte ein prustendes Geräusch und kam torkelnd zu ihr herüber, während sie schwerfällig ihre Handschuhe auszog und ebenfalls zu Boden fallen ließ. „Wie jede andere Nacht auch.“, sagte sie und ließ sich neben ihrer Schwester ins Polster fallen. Ihr Blick glitt über Hollie. „Du bist wirklich schön geworden, weißt du?“
Hollie lächelte und strich ihr über die Wange. „Dankeschön.“
Chloe zuckte die Schultern. „Bist du glücklich, Lil?“, fragte sie dann und nutzte den Spitznamen, den sie ihr als Kind gegeben hatte und der deshalb so vertraut und familiär war. Als sie klein waren, hatte Chloe aus Hollie, Hollillie gemacht -besonders häufig wenn Hollie aus irgendeinem Grund geweint hatte- und über die Jahre war daraus der Kosename Lillie oder Lil geworden. „Ich meine, in letzter Zeit gehst du mehr aus und interessierst dich mehr für die anderen Menschen…Hast du vielleicht einen Mann gefunden? Ist es das?“
Hollie trank einen Schluck Rum, ehe sie ihre Schwester wieder ansah. „Ich habe einen Mann kennen gelernt und ihn gleich wieder verloren.“
Chloe musterte sie angestrengt. „Warum verloren?“
„Er ist nicht von hier.“, antwortete sie. „Er geht wieder nach Hause.“
„Und will dich nicht mit nehmen?“
„Doch…doch, er will mich mit sich nehmen.“, antwortete sie und lächelte, obgleich ihr die Tränen in die Augen traten.
„Warum bist du dann so traurig?“, fragte Chloe verständnislos.
„Ich kann doch nicht einfach mit ihm gehen, Chloe.“, sagte sie und sah ihre Schwester abwartend an. „Ich meine…ich hab’ doch euch alle. Ich kann nicht einfach gehen.“
Chloe seufzte und ließ sich noch tiefer in das Polster sinken, sodass sie mehr lag, als saß. „Liebst du ihn denn?“, fragte sie forschend. Und als ihre Schwester langsam, schüchtern nickte, lächelte sie. „Weißt du, ich bin auch einmal verliebt gewesen, Lillie. Ich wäre mit ihr überall hingegangen, selbst wenn uns niemand akzeptiert hätte.“
„Mit ihr?“, fragte Hollie überrascht. Sie hatte gewusst, dass ihre große Schwester eine Feministin war und sich bereits deshalb viel mit Frauen umgab, aber sie hatte nicht gewusst, dass sie wohl auch mehr als nur Freundschaft für ihr eigenes Geschlecht empfand.
Chloe lachte leise. „Tja, ich bin eine Lesbe, Schätzchen.“, sagte sie schulterzuckend.
„Oh.“, brachte Hollie hervor, ehe sie zu lächeln anfing.
Chloe lehnte sich an sie. „Das hast du nicht erwartet, oder?“
„Nein, aber jetzt, wenn ich darüber nachdenke, dann ergibt es schon Sinn.“, antwortete sie ehrlich. „Hauptsache du bist glücklich.“
„Ich bin nicht glücklich.“, gab Chloe sogleich zu. Sie strich sich das blonde Haar aus dem Gesicht und schniefte leicht. „Sie hat mir mein Herz gebrochen und jetzt versuche ich, es zu flicken. So ist das Leben, schätze ich.“
„Wie ist ihr Name?“, fragte Hollie und streichelte das Haar ihrer Schwester routiniert.
„Alice.“, antwortete Chloe und fing leise zu weinen an. „Sie hat mich vor zwei Wochen fallen lassen und ist jetzt mit einem Mann zusammen. Sie sagt, sie werden heiraten. Schließlich will sie Kinder haben und wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.“
„Das tut mir leid.“, sagte Hollie ehrlich. „Kommst du damit zurecht?“
Chloe nickte leicht. „Es tut weh, aber ich mache weiter.“, sagte sie ehrlich. „Wie heißt der Mann, der dein Herz bekommen hat?“
„Mason.“, antwortete Hollie und musste unwillkürlich lächeln. „Ich kenne ihn eigentlich kaum, aber ich bin schon jetzt unsterblich in ihn verliebt…Und ich weiß, wie verrückt das ist. Ich glaube nicht einmal selbst, dass wir eine Chance haben. Das Leben ist so nicht.“
Chloe richtete sich auf und blickte sie an, während sie ihre Hände umschlossen hielt. „Sag das nicht, Hollie. Du bist noch so jung.“, sagte sie eindringlich. „Du solltest mit ihm gehen, Süße. Du solltest ihn lieben, bis zum Umfallen, bis nichts mehr übrig ist. Denn das ist es, was das Leben ausmacht.“
Hollie blickte sie forschend an. „Du sagst das, obwohl dir selbst gerade das Herz gebrochen wurde?“, fragte sie skeptisch. „Das wird vermutlich auch mir passieren, wenn ich mich jetzt darauf einlasse.“
„Und wenn schon?“, fragte Chloe lachend. „Willst du nicht wissen, wie das ist, kleine Schwester? Willst du nie erfahren, wie erhebend das Gefühl von Liebe sein kann und wie zerschmetternd ein gebrochenes Herz sich anfühlt? Wenn du es nicht versuchst, was bleibt dir dann? Was glaubst du, wird dein Leben für dich ausmachen, wenn du dich nicht traust, etwas zu empfinden?“
„Du rätst mir also dazu, mein Herz zu verschenken, auch wenn es mich zerbricht?“, fragte Hollie sie erstaunt.
„Ja, genau das.“, versicherte Chloe ihr sogleich. „Und wer weiß? Vielleicht ist dein Mason genau der Richtige für dich? Vielleicht wird er dir dein Herz nicht brechen, sondern es so zu schätzen wissen, wie du es verdienst.“
„Ich wusste nicht, dass du so romantisch bist, Chloe.“, gab Hollie lächelnd zu.
Ihre Schwester zuckte die Schultern. „Bin ich nicht…nicht richtig. Ich glaube einfach, dass wir in dieser Welt einen Menschen finden müssen, der uns genauso liebt, wie wir ihn. Es wäre alles so sinnlos ohne Liebe. Und langweilig.“
Hollie lachte leise. „Ja, vielleicht hast du Recht.“
Chloe lächelte selig. „Wie ist er denn so?“
Ein verliebtes Lächeln zeichnete sich auf Hollies Gesicht ab. „Großartig, er ist wirklich großartig.“, antwortete sie ehrlich. „Er sieht gut aus und er ist höflich und clever. Wenn er mich ansieht, dann fühlt es sich an, als wäre ich jemand Außergewöhnliches und ich fühle mich großartig…Und er hat so gütige Augen.“
Chloe streichelte ihre Hand. „Das klingt toll, Lil.“, sagte sie aufrichtig.
Sie nickte. „Er lügt mich nie an.“, sagte sie und lachte leise. „Dabei hat er viele schlechte Dinge erlebt und ist nicht Stolz darauf, wie er einst gewesen ist. Doch er war von der ersten Sekunde an ehrlich zu mir, obwohl er leicht hätte lügen können. Ich mag das. Es zeigt, dass er Ehre und Anstand besitzt.“
Chloe nickte. „Tja, du bist verliebt, Schatz. Unsterblich.“, sagte sie und freute sich aufrichtig für ihre Schwester. „Und du hast es verdient, dich so zu fühlen.“
„Danke.“, sagte sie ehrlich berührt. „Du hast das aber auch verdient.“
Chloe machte eine wegwerfende Geste. „Zuerst einmal pflege ich mein gebrochenes Herz. Auch das will ausführlich genossen werden, denn es verdeutlicht einem erst, wie gut man es vorher gehabt hat.“, sagte sie und zuckte die Schultern, ehe sie schelmisch grinste. „Wie es aussieht, finden viele Frauen es anziehend, ein trauriges Mädchen wieder aufzubauen.“ Sie zwinkerte und lachte, als ihre Schwester errötete. „Ich bitte dich! Nach der Liebe ist Sex das Beste. Das kannst du doch nicht abstreiten.“
Hollie zuckte leicht die schmalen Schultern. „Ich weiß nicht, wie das ist.“
Chloes Augen weiteten sich. „Nein?!“, brachte sie fassungslos hervor. Sie griff nach Hollies Glas und kippte es in einem Zug herunter. „Du bist noch jungfräulich?“
„Ja.“, antwortete sie ehrlich. „Bisher hat mich kein Mann je genug interessiert.“
Chloe küsste sie auf die Wange. „Das ist reizend.“, sagte sie, aufrichtig gerührt. „Dann hoffe ich, dass dieser Mason dich zu schätzen weiß. Ansonsten werde ich euch nachreisen und ihm in den Hintern treten.“
Hollie lachte leise. „Chloe? Wie ist Sex denn so?“, fragte sie schüchtern. „Hattest du auch schon Sex mit Männern oder nur mit Frauen?“
„Zuerst mit Männern, dann nur noch mit Frauen.“, antwortete sie ehrlich. „Anfangs wusste ich noch nicht, dass ich mich mehr für Frauen interessiere…wie auch immer. Sex ist auf jeden Fall…“ Sie hielt inne und überlegte. „Es ist großartig. Aber nur, wenn du den Menschen auch liebst, zumindest für mich war es so.“
Hollie nickte. „Du denkst wirklich, dass es das Richtige wäre, mit ihm zu gehen?“
Chloe zuckte die Schultern, ehe sie ihre Schwester im Aufstehen auf die Wange küsste. „Ich denke, dass es vermutlich alles wert ist, Schwesterherz.“, sagte sie aufrichtig. „Aber am Ende ist es deine Entscheidung und du musst selbst wissen, ob du sie mit dem Herzen oder dem Kopf treffen willst.“
„Du bist ganz schön clever, große Schwester. Der Alkohol macht dich nahezu weise.“, sagte Hollie grinsend, während ihre betrunkene Schwester zur Tür torkelte.
Chloe drehte sich grinsend zu ihr um und zwinkerte. „Ja, das bin ich und ja, das macht er.“, sagte sie und lachte leise. „Wenn du mit ihm mitgehst, Lillie, verabschiede dich nicht von mir. Ich hasse Abschiede, dabei wird immer geweint und na ja…du weißt schon. Geh einfach und werde glücklich, kleine Schwester.“
„Okay.“, erwiderte Hollie leise, traurig. „Danke für diese Unterhaltung, Chloe.“
Ihre Schwester nickte knapp. Dann verschwand sie im Flur und ließ Hollie mit ihren Gedanken alleine.
*
Fin selbst half den Young-Brüdern beim Verladen der Brennutensilien. Der ältere Young, Riley, erschien ihm nicht der Hellste zu sein. Aber im Gegenteil zu seinem Bruder Ryan zögerte er nicht, mangelnde Intelligenz mit Gewalt wett zu machen. Vermutlich war er für Rhys Tod verantwortlich. Also vermied Fin es, mit dem riesigen Glatzkopf zu reden. Ohnehin vertraute ihm niemand hier genug, um ihn einzuweihen. Als er nach dem Russen gefragt hatte, hatte man ihm nur gesagt, dass der nie wieder kommen würde und Fin wusste, was das bedeutete. Auf der Straße hatte sich allerdings schnell das Gerücht verbreitet, die Cosa Nostra sei nach Kians Tod auch für Rhys Ableben verantwortlich und auch wenn Fin es besser wusste, hatte er die Wahrheit lieber verschwiegen. Obgleich seit seiner Übereinkunft mit Mason Wochen vergangen waren, hatte er noch nicht mit Kate darüber gesprochen, nicht wirklich zumindest. Er wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. Also hatte er ihr gesagt, dass er sich mit dem Boss einig geworden war, was in gewisser Weise ja auch stimmte, und dass sie sich nicht zu fürchten brauchte, weil sie weder Logan noch Riley oder Ryan je wieder sehen musste. Dass das auch sein Fortgehen bedeutete, dass das der Preis war, hatte er ihr verschwiegen und würde es auch weiterhin für sich behalten bis zu dem Moment, wo er wirklich fahren musste und sie verließ. Bis dahin hatte er die Zeit mit ihr genutzt und versucht, das Unausweichliche zu akzeptieren. Im Grunde war das, was er tun würde, für Kate und ihre Sicherheit. Und sie war es wert. Rachel allerdings würde er nicht zurück lassen müssen, obgleich ihm dieser Gedanke um einiges angenehmer getroffen hätte. Mason hatte ihm erzählt, dass er sie bereits mit nach New Orleans genommen hatte und sie dort auf ihn warten würde. Als Fin ihn gefragt hatte, warum er die falsche Schwester für einen neuen Anfang mitnehmen sollte, hatte Mason ausweichend reagiert, weshalb Fin sicher war, dass etwas dahinter steckte. Mason hatte nur gesagt, dass Rachel bereitwillig mit gekommen war und dass Kate einiges mehr zurück gelassen hätte. Fin hatte sie ebenfalls nicht aus ihrem bisherigen Leben reißen wollen, aber er wusste, sie wäre mit ihm gegangen, wenn er sie gebeten hätte. Als Schneiderin konnte sie auch in Louisianna arbeiten. Nur ihre Hautfarbe wäre im Süden ein Grund zur Besorgnis gewesen, doch das galt schließlich auch für Rachel, vermutlich sogar für Mason selbst. Doch Fin hatte sie nicht gefragt, hatte alles vor ihr verheimlicht und ihr die Entscheidung abgenommen. Er wollte nicht, dass sie seinetwegen alles aufgab. Er wollte sie nicht in Gefahr bringen und er wusste, das wäre sie, wenn er sie mitnähme.
Fin war in seine Gedanken versunken und wurde deshalb von Rhiley, den er nicht besonders mochte, was, wie er annahm, auf Gegenseitigkeit beruhte, angestoßen, damit er weiter machte. Ryan allerdings schien ihm zugänglicher zu sein als die anderen.
Während sie alles in einen kleinen Laster verluden, trat Fin näher zu dem blonden Young. „Wie ist es in New Orleans so?“, fragte er unverbindlich.
Ryan Young richtete seine blauen Augen nur kurz auf seine, ehe er sich wieder auf seine Arbeit konzentrierte. „Wie überall sonst auch, schätz ich.“, antwortete er.
Fin konnte sofort den irischen Akzent hören. Bei Ryans Bruder allerdings war er ihm nicht so sehr aufgefallen, vermutlich weil der Glatzkopf nicht sehr viel redete und zumeist nur einsilbige Befehle brüllte. „Und ist der Boss auch wie jeder andere Gangsterboss?“, fragte Fin und provozierte ihn nun ein wenig absichtlich, um heraus zu finden, wie weit seine Loyalität tatsächlich reichte.
Ryan richtete sich auf, nachdem er das schwere Holzfass in den hinteren Teil der Ladefläche geschoben hatte. Er steckte sich eine Zigarette an und bot auch Fin eine an, die dieser dankend annahm. „Nein, er ist ganz und gar nicht wie jeder andere.“, antwortete er schließlich. „Ich kann dir ansehen, dass du überlegst, Ärger zu machen, Mann, und ich kann dir nur raten, es sein zu lassen.“
Fin stieß ein wenig von dem Rauch aus. „Ich will keinen Ärger machen.“, sagte er zu seiner Verteidigung. „Ich bin es, dem Ärger gemacht wurde.“
„Dafür kannst du dich bei der Cosa Nostra bedanken.“, sagte Ryan und arbeitete weiter.
„Dann hat wirklich die Mafia Kian Jenkins umgebracht?“, fragte er hellhörig.
Ryan nickte. „Jep.“
„Und wieso?“, wollte Fin wissen. Wenn es die Mafia gewesen war, dann erkannte er den Grund einfach nicht und darüber hatte er sich bereits seit Wochen den Kopf zerbrochen. Jenkins war viel zu unwichtig, um hinterhältig ermordet zu werden.
„Geht dich nichts an, mein Freund.“, entgegnete Ryan grinsend.
„Also private Gründe.“, erwiderte er feststellend. Dann hatte ihr Gangsterboss wohl allerhand Probleme mit der Mafia. Und wenn er sich erinnerte, wie Mason Hernandez über die Cosa Nostra gesprochen hatte, hatte er das Gefühl, dass dieser Mann genau wusste, wovon er geredet hatte. „Ist euer Boss Mitglied der italienischen Mafia gewesen?“, fragte er, über seine Gedanken hinweg. Vielleicht waren Jenkins, Rhys und auch er selbst nur Opfer eines Konkurrenzkampfes geworden.
Dafür fing er sich einen Hieb gegen den Kopf von Ryans durchgeknalltem Bruder ein. „Misch dich nicht ein!“, fuhr er ihn an. „Der Boss geht dich nichts an, Bursche!“
Ryan rollte die Augen. „Lass das, Riley.“, sagte er und redete mit ruhiger Stimme auf ihn ein, als wäre er ein begriffsstutziges Kind. „Du weißt, was der Boss gesagt hat. Richtig, Bruder?“
Riley Young nickte. „Ich soll dem Brenner nichts tun.“
Ryan nickte und lächelte. „Dann tu ihm nichts. Er hat nur Fragen gestellt, weil er jetzt auch zu uns gehört. Mason liegt etwas an ihm, also werden wir zumindest so höflich sein und ihm ein wenig Respekt entgegen bringen.“
Fin blickte überrascht zu dem Riesen, der nun wie ein geprügelter Hund Schultern und Kopf hängen ließ und verständnisvoll nickte. „Ok, Bruder.“, sagte er einlenkend. Dann wandte er sich ab und verließ die Ladefläche.
„Ist er in Ordnung?“, fragte Fin forschend.
„Was meinst du?“, wollte Ryan wissen.
Fin zuckte leicht die Schultern und sog an seiner Zigarette. „Ich meine, im Kopf.“
Ryan grinste halbherzig. „Ja, ist er.“, antwortete er. „Nur ein wenig langsam, manchmal. Aber ein guter Kerl, im Grunde.“
Fin nickte leicht. „Mason will, dass ihr mich gut behandelt?“
„Weißt du, zumindest in einem hatte mein Bruder Recht: Du mischst dich zu gerne in Dinge, die dich nichts angehen, Alter.“
„Ich versuch’ nur rauszufinden, wer mich aus meinem Leben reißt, Mann.“, sagte er und breitete die Arme aus. Konnte keiner von ihnen verstehen, was man ihm alles nahm? Was ihr Boss ihm nahm? „Auf einmal geht alles den Bach runter und ich hab’ keine Ahnung, an welcher Stelle ich einen Fehler gemacht hab’.“
„Hast du nicht.“, entgegnete Ryan ruhig. „Du bist gut, in dem, was du tust. Deshalb lebst du noch. Du hast ’ne Freundin, der was an dir liegt, deshalb lebt sie noch. Und du hast das Glück für Mason Hernandez zu arbeiten, deshalb wird er dich vor der Cosa Nostra schützen.“
„Ich fühl’ mich gar nicht so glücklich.“, erwiderte Fin ruhiger.
Ryan zuckte mit den Schultern. „Du würdest erst so richtig in der Scheiße sitzen, wenn wir dich nicht mitnehmen würden, Mann. Das kannst du mir glauben.“, sagte er ehrlich. „Die Mafia hätte dich auch aus dem Weg geräumt. Wir retten dir also das Leben. Vielleicht zeigst du mal ein bisschen Dankbarkeit und hörst auf, wie ein Mädchen zu jammern.“
Fin dachte ein paar Sekunden darüber nach, sicher, dass der jüngere Young glaubte, was er da sagte. „Und wieso hat der Boss dann überhaupt beschlossen, mich zu retten?“, fragte er neugierig.
Ryan Young blickte ihn an und lachte leise. „Weil er ein guter Kerl ist.“, antwortete er. „Nicht immer und nicht zu jedem, aber er hat die richtigen Werte und steht immer zu seinem Wort. Und aus irgendeinem Grund, den mein Bruder hier nicht versteht und den ich auch noch nicht erkannt habe, denkt er, du wärest es wert, vor der Mafia gerettet zu werden.“
„Und weil er das denkt, macht ihr, was er will?“
Ryan packte ihn plötzlich am Kragen und hielt ihn dicht vor sich. „Ja, genau deshalb.“, sagte er gepresst. „Du verstehst offensichtlich nichts von Ehre und auch nichts von Anstand, Fin.“ Ryan ließ ihn so plötzlich wieder los, wie er ihn angepackt hatte. „Scheiße, wieso gibt es bei euch Kleinkriminellen immer mindestens einen, der nicht die Klappe halten kann?“, murmelte er vor sich hin, ohne darauf eine Antwort zu erwarten.
Fin beschloss, ihm vorerst den Gefallen zu tun und zu schweigen, ebenso wie er sich nicht gewehrt hatte, obgleich er, da war er ganz sicher, nur einen gezielten Treffer hätte anbringen müssen, um seinen Gegner bewusstlos zu schlagen. Das Leben hatte ihn derartige Kämpfe gelehrt und doch vermied er sie, wenn es cleverer war, sich keine Feinde zu machen. Nachdem, was er von Ryan gehört hatte, nachdem, was Mason bei ihren Treffen gesagt hatte, fiel es ihm noch schwerer den Boss einzuschätzen. Dass er ihn zuerst sofort nach New Orleans hatte schleppen wollen und ihm dann großzügig noch einen Monat mit Kate gelassen hatte, war für Fin äußerst merkwürdig. Auf der einen Seite schien die Cosa Nostra ihnen das Leben schwer zu machen, was es gefährlich machte, länger als nötig in New York zu bleiben und da Fin Mason nicht für dumm hielt, nahm er an, dass dieser das genau wusste. Er hatte sich nach seinem Grund gefragt und war schließlich zu dem Schluss gekommen, dass eine Frau im Spiel war. Doch das ging ihn nichts an und er selbst hatte von diesem Umstand ebenfalls profitiert. Er wollte nur einschätzen können, wie groß die Gefahr, in der sie schwebten, tatsächlich war. Immerhin hatte Ryan Young ebenfalls gesagt, wenn er hier bliebe, bedeute es seinen Tod. Kian und Rhys waren bereits gestorben. Trotzdem wäre Fin nicht vor der Situation weg gelaufen, sondern hätte sich ihr gestellt. Vielleicht hatte Ryan Recht und Mason rettete ihn auf seine Weise tatsächlich das Leben. Doch warum er das tat, verstand Fin ebenfalls nicht. Schnapsbrenner gab es, wie Mason selbst gesagt hatte, an jeder Ecke, und er, Fin, wäre diesen Aufwand gar nicht wert gewesen, glaubte er zumindest. Vielleicht machten Masons Taten, die ein wenig willkürlich erschienen, es so schwer, ihn einzuschätzen. Zuerst hatte er auf Fin wie ein gewöhnlicher Gangsterboss gewirkt, vielleicht ein bisschen cleverer als man es gemeinhin erwartete. Doch jetzt stellte er fest, dass seine Leute tatsächlich nicht nur loyal ihm gegenüber waren, sondern ihn wirklich schätzten. Das war sicherlich etwas anderes als bei der Mafia. Diese Leute gehorchten ihrem Boss nicht aus Angst, sondern aus Respekt. Sie schätzten ihn und waren deshalb bereit, ihn mit ihrem Leben zu verteidigen. Fin fragte sich, wie Mason sich diese Art von Wertschätzung verdient hatte. Was er hatte tun können, um diese gefährlichen Männer so bedingungslos auf seine Seite zu bringen…Nur half ihm im Grunde nichts davon weiter. Zwar wollte er Mason Hernandez besser einschätzen können, um besser abwägen zu können, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte, doch es würde nichts an seiner Situation ändern. Davon musste er ausgehen. In jedem Fall war er um Kates willen ein wenig beruhigt. Wenn dieser Gangsterboss tatsächlich so ein anständiger Kerl war, dann würde er sein Wort halten und Kate verschonen. Fin hatte sich noch nicht von ihr verabschiedet, aber er konnte relativ sicher sein, dass es ihr ohne ihn gut gehen würde. Das war die Hauptsache. Er würde schon irgendwie klar kommen, würde irgendwie überleben, solange es ihr gut ging. Was Rachel anging, hatte er noch nicht ganz verstanden, was dahinter steckte. Vor vier Wochen waren sie zusammen im Auto gefahren, ehe dieser Logan sie nach New Orleans gebracht hatte, und Rachel hatte sich an ihn geklammert, als hätte sie zuvor die Hölle durchlebt. Da jedoch Mason und dessen Bodyguard ebenfalls im Auto gewesen waren, hatten sie kaum miteinander gesprochen. Jedenfalls schienen alle davon auszugehen, dass er alles für Rachels Sicherheit tun würde. Natürlich hatte er sie immer beschützt, denn sie war schließlich Kates kleine Schwester. Um ihretwillen schon war sie auch irgendwie Teil seiner Familie geworden, jedoch der ungeliebte Teil, den man sich nicht aussuchen konnte. Er hätte sich immer für seine Freundin, nicht für deren Schwester entschieden. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er, dass Rachel selbst eine Vereinbarung mit den Gangstern getroffen hatte, um ihr Leben zu schützen. Vielleicht würde er die Wahrheit heraus finden, wenn er erst alleine mit ihr reden durfte. Bisher hatte er dazu jedoch keine Gelegenheit bekommen. Man hatte sie in der Nächten, als sie noch in New York gewesen war, in unterschiedliche Hotelzimmer gebracht und tagsüber verbrachte er, wenn er nicht gerade mit Kate Zeit verbringen konnte, Zeit mit Mason und dessen Männern. Nicht unbedingt freiwillig, doch wie Fin bemerkt hatte, verfolgte ihn mindestens einer der Männer und behielt ihn vorsorglich im Auge, falls er doch plante, sich abzusetzen. Also war er dazu übergegangen, seine Angelgenheiten zu regeln, solange er noch hier war. Er sagte seinen Schnapsabnehmern, dass er aus dem Geschäft ausstieg und sie deshalb nicht mehr beliefern konnte. Auf diese Weise verabschiedete er sich unauffällig von ihnen allen und aufgrund der tödlichen Vorkommnisse stellte niemand seine Erklärung, aufzuhören, in Frage.
Dann hatte Kate nach ihrer Schwester gefragt. Es war ihr erst nach einer Woche aufgefallen und Fin hatte bis zu diesem Moment gewartet, um sie anzulügen. „Den hier hab ich gefunden.“, hatte er gesagt und ihr dann einen Brief gegeben, den Rachel auf Masons drängendes Bitten selbst geschrieben hatte. In dem Brief sagte sie ihrer Schwester, dass sie einen Mann kennen gelernt, sich verliebt habe und mit ihm weg gehen würde. Kate solle sich keine Sorgen machen und sie würde sich melden, sobald sie angekommen wäre und sich alles beruhigt hatte. Kate hatte vor Wut getobt, ehe sie geweint hatte und sich schämte, dass sie den Fortgang ihrer eigenen Schwester erst so spät bemerkt hatte. Fin hatte sie getröstet, schließlich war Rachel nicht gerade ein Stubenhocker gewesen, sodass die Schwestern sich meistens, ob absichtlich oder nicht, kaum gesehen hatten.
Gestern Morgen hatte Kate wieder mit ihrer Schwester angefangen, ihn gefragt, warum sie sich noch immer nicht gemeldet hat. Fin hatte sie angesehen und ihr eine ausweichende Antwort gegeben. Sie wäre vermutlich zu glücklich verliebt, um nun an ihre große Schwester zu denken und sie versuchte sicherlich erst einmal, sich ein solides Leben aufzubauen, ehe sie sich an die Zurückgelassenen erinnerte. Kate wusste, dass Fin Rachel nicht besonders mochte, wenngleich er immer versucht hatte, sie trotzdem gerecht und freundlich zu behandeln. Ihr hingegen fehlte die Schwester, schließlich waren sie ein Leben lang zusammen gewesen. Und es machte sie traurig, dass sie nun einfach so verlassen worden war. Fin war jedoch froh, dass sie nur traurig, nicht misstrauisch war. Es war schwer genug, sie zu belügen, denn ihm war nun bewusst geworden, dass er sie zuvor nicht angelogen hatte. Er hatte zuvor keinen Grund gehabt, ihr höchstens etwas verschwiegen, was nicht relevant für sie oder ihre Beziehung gewesen war. Als Ryan Young gestern Morgen, als Kate das Haus verließ um zur Arbeit zu gehen, wieder vor ihrem Haus Wache stand und sich dabei bemühte unauffällig zu sein, hatte Fin ihn beim Verlassen des Hauses angesprochen. Er hatte ihm gesagt, dass er seit Wochen von seinen Aufpassern wusste und dass es allmählich lächerlich wurde, so zu tun, als passten sie nicht auf ihn auf. Trotzdem stand, dieses Mal der andere Young, wieder ein Aufpasser vor dem Haus als er Abends zurückkam. Dann, am nächsten Morgen als es noch dunkel war, war er, kaum dass er ein paar Stunden geschlafen hatte, aus dem Bett gerissen worden und hatte die restliche Nacht über die Gerätschaften abgebaut und verladen, wobei sie mit Letzterem noch immer nicht ganz fertig waren. Mittlerweile dämmerte es schon und die ersten Näherinnen kamen in die Fabrik. Kate wäre längst wach und hätte bemerkt, dass er nicht mehr neben ihr lag. Vielleicht fragte sie sich, ob auch er sie, wie Rachel, verlassen hatte. Aber vermutlich war sie eher verärgert, weil er ihr nicht gesagt hatte, dass er heute so früh das Haus verlassen wollte. Wie auch? Er hatte es ja selbst nicht gewusst. Dass er nun jedoch seine eigenen Geräte verlud, bedeutete für ihn, dass er bald aufbrechen würde. Es bedeutete, er würde Kate tatsächlich verlassen und im Gegensatz zu Rachel, hatte er ihr nicht einmal einen Brief hinterlassen. Jedoch hoffte er, dass er vielleicht die Chance hätte, Kate noch einmal wieder zu sehen. Ob sie wussten, dass sie hier arbeitete? Ja, ganz sicher, sonst wäre das Überwachen der letzten Wochen völlig überflüssig gewesen. Würden sie verhindern, dass er mit ihr sprach?
„Wir müssen uns beeilen, wenn wir nicht die Bullen oder die Cosa Nostra am Hals haben wollen.“, sagte Ryan soeben zu seinem Bruder und dem lächerlich gut aussehenden Aufpasser. Fin hatte seinen Namen häufiger gehört, als dass er Logan gesehen hatte und konnte den großen Blonden nicht einschätzen. Er stand immer abseits und behielt alles aufmerksam im Blick. Sicherlich hatte er das Sagen, wenn sein Boss nicht da war. Die Art, wie er sich scheinbar aus allem heraushielt, verriet seine Autorität.
Nun nickte er. „Ich helfe euch.“, sagte er und warf seine Zigarette weg. Dann packte er mit an, damit es schneller voran ging. Wieder konnte Fin sich nur über diese Männer wundern. Offenbar stand die Gang über allem.
Fin allerdings hatte augenblicklich kein Interesse daran, schneller fertig zu werden. Ganz im Gegenteil, er sah hier die letzte Chance, Kate noch einmal zu sprechen. Jetzt hatte er zwei Möglichkeiten. Entweder er boykottierte die Arbeit, um langsamer zu werden und Zeit zu schinden, wobei er sicher war, dass zumindest Ryan Young nicht lange brauchen würde, um diesen Plan zu durchschauen. Oder er konnte schneller arbeiten und ehrlich sein, sie bitten, noch einmal mit ihr sprechen zu dürfen.
Fin entschied sich für Letzteres. Er packte härter mit an, arbeitete schneller. Im Grunde wollte auch er nicht von den Bullen erwischt werden, und erst recht nicht von der Mafia. Selbst wenn die Bullen ihn durch eine Verhaftung hier behalten könnten…dieses Leben wollte er noch weniger. Seine Freiheit war das einzige, für das er jeden Kampf ausgetragen hatte. Und wenn er Mason Hernandez vertraute, dann bestand für ihn die größte Chance, diese erhalten zu können.
Nach weiteren zehn Minuten, es war längst hell und die ersten Fabrikarbeiterinnen hatten sie auf ihrem Weg in die Fabrik bemerkt, schlossen Fin und Ryan die Plane und machten den Inhalt der Ladefläche unsichtbar.
„Gute Arbeit, Mann.“, sagte Ryan und reichte ihm die Hand.
Fin ergriff sie und schüttelte sie knapp. „Gleichfalls.“
„Dann können wir ja endlich los.“, sagte der Schönling und trat eine weitere Zigarette mit seinem Stiefel aus.
„Ja…hey, meint ihr, ich könnte kurz nach meiner Freundin sehen?“, fragte Fin und drückte sich selbst die Daumen. „Sie arbeitet hier in der Fabrik. Es würde nicht lange dauern, versprochen.“
„Wissen wir.“, sagte Riley Young und verzog das Gesicht, während er darauf wartete, dass jemand anderes diese Entscheidung traf.
„Willst du das wirklich machen, Mann?“, fragte Ryan und hielt ihm erneut eine Zigarette hin, ehe er sich selbst eine anzündete. „Ich meine, sie kann jetzt denken, du wärest verschwunden. Sie kann dann angefangen, sich zu verabschieden. Denkst du, es würde euch helfen, sie noch einmal zu sehen?“
Fin senkte den Blick. Auf diese Weise hatte er es tatsächlich noch nicht gesehen. Aber er kannte Kate und wusste, sie würde nicht annehmen, er hätte sie wortlos verlassen, sondern, dass die Cosa Nostra ihn hatte verschwinden lassen. Sie würde nicht ruhen, ihn zu suchen, bis auch sein Körper tot in Hell's Kitchen auftauchte oder sie ihn lebend finden würde. Wenn sie jedoch heraus fand, dass er lebte und er sie schlicht verlassen hatte, dann würde sie ihn hassen und es ihm nie verzeihen. „Kann schon sein.“, gab er zu und sah Ryan in die Augen. „Aber es gibt noch ein paar Sachen, die ich ihr sagen muss.“
Logan stöhnte ärgerlich. „Wenn du ihr sagst, wohin wir fahren, bringe ich sie um.“, sagte er und blickte Fin eindringlich an. „Wenn du etwas über den Boss sagst, was sie nichts angeht –und damit meine ich so ziemlich alles, was du über den Boss sagen könntest-, bringe ich sie um. Wenn du sie um Hilfe bittest, bringe ich sie um. Wenn du ein Wort über ihre nervtötende Schwester verlierst, bringe ich sie um.“
„Nur Privates, hab’ verstanden.“, sagte Fin, damit er nicht weiter in seiner Aufzählung machte.
„Du hast drei Minuten.“, entschied Logan dann. „Ab sofort.“ Er warf bereits einen Blick auf die Uhr.
Fin eilte zum Haupteingang der Fabrik. Ryan folgte ihm in einiger Entfernung. Offenbar vertrauten sie ihm nicht genug, um darauf zu setzen, dass er freiwillig zu ihnen zurück käme. Als hätte er jetzt die Flucht riskiert, wo alle bewaffneten Männer Masons hier waren, statt die Wochen vorher zu nutzen. Und sie konnten nicht wissen, wie sehr er Kate liebte, wie sehr er sie beschützen wollte. Sie ahnten nicht, dass er ihnen ausgeliefert war, solange sie ihr Leben bedrohten.
Fin durchquerte die Halle, in der bereits an unzähligen Nähmaschinen und einigen Laufbändern gearbeitet wurde. Kate war die Vorarbeiterin. Sie würde im hinteren Teil sein und dort ihre Begutachtung beginnen. Also lief er dorthin.
Er hatte bereits mehr als eine Minute seiner Zeit verloren. Dann endlich sah er sie. Schon aus der Ferne konnte er erkennen, dass sie sich nicht gut fühlte. Sie wirkte blass, müde und sie hatte geweint.
„Kate.“, sagte er und griff ihren Arm.
Sie zuckte zusammen und brach sofort in Tränen aus, als sie sich in seine Arme warf. „Fin!“, schluchzte sie und umklammerte ihn ängstlich. „Ich dachte, du wärest tod…ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen, so wie Rhys oder Jenkins oder meine Schwester.“
Er berührte ihr Gesicht, senkte den Kopf, um sie besser ansehen zu können. „Hey, schon gut, Baby.“, sagte er und küsste sie auf die Lippen. Sie musste sich ein wenig beruhigen, damit sie ihm zuhören könnte. „Geht’s wieder?“
Sie nickte, weinte aber noch immer. „Was…? Wieso bist du hier? Ich dachte, sie hätten dich gekriegt. Als du heute Morgen nicht neben mir lagst, dachte ich wirklich, ich wäre jetzt ganz alleine.“
Fin nickte nun seinerseits knapp. „Sie haben mich gekriegt.“, antwortete er. „Aber es ist nicht die Mafia.“, setzte er erklärend hinzu. „Pass auf, Katy. Ich muss gehen.“
„Dann komme ich mit.“, erwiderte sie verzweifelt. „Ich komme mit dir. So ähnlich hatten wir es doch geplant.“
Er küsste sie auf die Stirn und schüttelte den Kopf. Die Zeit lief ihm davon. „Nein, das geht nicht mehr.“, sagte er, was sie erneut zum Weinen brachte. „Süße, bitte. Ich muss gleich gehen. Wir haben keine Zeit.“
Kate versuchte, sich zusammen zu reißen, blickte ihm in die schönen blauen Augen und konnte selbst nicht aufhören, zu weinen. „Okay.“
„Ich werde heute verschwinden, aber du wirst hier bleiben. Niemand wird dir etwas tun. Diese Leute, mit denen ich gehe, sind nicht von der Mafia. Sie werden mir nichts tun und auch dir nicht. Verstehst du?“
Kate nickte, wenngleich sie nicht ganz verstand, was hier los war. „Okay, wir beide werden in Sicherheit sein.“
Er lächelte liebevoll. „Ja, genau.“, sagte er und küsste erneut ihre weichen Lippen. „Alles wird gut werden. Du weißt, wo ich mein Geld versteckt hab’. Ich werde es nicht mitnehmen. Hol es dir heute Abend und versteck es in deiner Wohnung.“
Wieder nickte sie. „Was ist mit Rachel? Sie ist auch verschwunden. Hängt das zusammen, Fin?“
Fin erinnerte sich, dass er nichts über Kates Schwester sagen sollte. „Schon gut, ich kümmere mich um sie. Vertrau mir.“
Kate erkannte, dass der breitschultrige Mann hinter Fin ihn zur Verschwiegenheit anhielt. Also nickte sie. „Okay, ich vertraue dir.“
„Gut. Also du nimmst dir das Geld, ja? Vielleicht solltest du es nehmen und damit weit weg von hier gehen, Katy. Fang von vorne an.“
„Okay.“, erwiderte sie und umklammerte sein Hemd. „Ohne dich…-“
Er zog sie in seine Arme und umschloss sie fest. „Ich liebe dich, Kate.“, sagte er und küsste sie aufs glänzende Haar. „Wenn ich dich nicht wiedersehe, dann bin ich zufrieden, dich überhaupt solange gekannt zu haben. Ich will, dass du glücklich wirst. Heirate, kriege süße Kinder und denk’ nicht mehr an mich.“
Sie wich ein wenig zurück, um ihn ansehen zu können, legte ihre Hand an seine Wange. „Niemals, Baby.“, entgegnete sie lächelnd. „Ich werde dich immer lieben, Fin. Und ich werde warten, bis du zu mir zurück kommst. Das verspreche ich dir.“
Ihm traten die Tränen nun ebenfalls in die Augen. „Das will ich nicht.“, sagte er, obwohl ein Teil von ihm es doch wollte. „Ich will, dass du alles vom Leben kriegst, was du dir immer gewünscht hast. Versprich mir, dass du leben wirst, dass du glücklich sein wirst.“
Sie nickte schluchzend.
„Fin.“, sagte Ryan hinter ihm. Die Zeit war abgelaufen. Ryan hielt den Kopf ein wenig gesenkt, weil ihm offensichtlich auch nicht gefiel, sich in dieses persönliche Gespräch zu mischen.
„Ok.“, sagte Fin, zu ihm. Dann sah er Kate wieder an, küsste sie ein letztes Mal. Betrachtete ein letztes Mal ihr hübsches Gesicht, die großen, braunen Augen, das ebene, strahlende Lächeln. „Leb wohl, Katy. Und pass auf dich auf.“
Kate nickte. „Okay. Du auch auf dich, Baby.“, flüsterte sie aufgelöst. „Ich liebe dich.“
Fin zwang sich, zu lächeln. „Und ich liebe dich.“
Dann ließ er ihre Hand los und folgte Ryan ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen. Er konnte sie, trotz der lauten Arbeitsgeräusch um ihn herum, zusammen brechen hören, weinend. Es brach ihm das Herz und deshalb konnte er sie nicht noch einmal ansehen. Er wusste nicht, ob er dann weiter gehen könnte. Aber er musste weiter gehen. Er musste sie los lassen.
„Tut mir leid, Mann.“, sagte Ryan auf dem Weg zum Laster. „Du liebst sie wirklich, he?“
Fin sagte nichts, nickte nur knapp. Er konnte nichts sagen, war zu sehr darauf konzentriert, seine Tränen zurück zu halten.
„Es ist besser so, denk’ ich.“, sagte Ryan seufzend. „Rettet ihr wahrscheinlich nicht nur das Leben, sondern macht es auch zu einem Besseren.“
Fin sah ihn an. Erneut war er sicher, dass der Ire meinte, was er sagte. Und Fin fragte sich plötzlich, ob er tatsächlich Recht hatte. Würde Kate nun, da er weg war, ein besseres Leben haben? War er es gewesen, der sie zurück gehalten hatte? Zumindest hatte er sie erst in Gefahr gebracht. Das hatte er immer gewusst, nur war er zu selbstsüchtig gewesen, um sie deshalb aufzugeben. Er hatte sie zu sehr gebraucht. Sie hatte sein Leben erst lebenswert gemacht. Wenn er darüber nachdachte, wurde ihm bewusst, dass sie immer das Gute in seinem Leben gewesen war. Doch er hatte ihr nicht das Gleiche gegeben. Er hatte sie in Schwierigkeiten gebracht und nun hatte er ihr das Herz gebrochen. Vermutlich wäre es ehrenwerter gewesen, sie gehen zu lassen, als er bemerkt hatte, dass er ihr nicht geben konnte, was sie verdiente. Nur hatte er sich mit aller Macht an die Hoffnung geklammert. Und sie war immer seine Hoffnung gewesen. Kate hatte ihn zu einem besseren Menschen gemacht. Sie hatte es verdient, ein Leben ohne ihn zu führen. Ein gutes Leben, voll von Freude und den guten Dingen. Und selbst wenn sie es jetzt noch nicht so sehen würde, eines Tages, da war Fin sicher, würde sie aufwachen, und ihr Herz würde nicht mehr schmerzen. Eines Tages würde sie aufwachen und ihr Leben wäre ein anderes. Sie würde nicht mehr jeden Tag an ihn denken und irgendwann würde sie gar nicht mehr an ihn denken. Eines Tages wäre er nur noch eine verblassende Erinnerung für sie.
Fin stieg mit Logan in ein Auto, während die Young-Brüder in den Laster stiegen. Gleich nachdem die Wagen gestartet wurden und auf die Hauptstraße gelenkt worden waren, fuhren sie in unterschiedliche Richtungen. Fin fragte nicht, warum. Er fragte auch nicht, wohin sie ihn nun bringen würden. Es interessierte ihn nicht. Er hatte gerade den besten Teil seiner Selbst aufgegeben. Das Leben würde weitergehen, aber alles würde anders sein.
Sie fuhren zum Cotton Club und Logan parkte den Wagen direkt vor der Tür. „Komm mit.“, sagte er und stieg aus.
Fin folgte ihm. Sie betraten das Gebäude, gingen in den ersten Stock. Logan wies ihn an, sich auf einen Stuhl in der Nähe der leeren Bühne zu setzen. Überhaupt sah der Club bei Tageslicht und ohne Betrieb befremdlich aus. Und viel weniger schön und aufregend. Die bemalten Wände wirkten nicht nostalgisch, sondern lächerlich. Das Mobiliar war teilweise abgenutzt, der Boden nicht gefegt. Fin war nie zuvor zum Feiern hier gewesen. Weil der Inhaber Kate und anderen Afroamerikanern den Zutritt verweigerte. Deshalb hatte Fin sich ebenfalls nicht hier aufgehalten. Er hatte nichts mit Menschen zu tun haben wollen, die seine Frau verachteten. Und jetzt, morgens, wirkte der Club auf ihn wie ein Fremdkörper. Doch auch jetzt wollte er nicht hier sein. Nur hatte er nun wohl keine Wahl. Er fragte sich, warum sie ihn hier her gebracht hatten. Und ob Mason Hernandez mit Owney Madden zu tun hatte. Fin hatte schon viel von dem Besitzer des Cotton Clubs gehört, jeder hier hatte das. Vielleicht war er selbst also nicht an die italienische Mafia geraten, aber wie es aussah, wohl doch an eine irische Gang. Madden war ein irischer Gangster und für Mason arbeiteten auch Iren. Allerdings verriet Masons Hautfarbe, dass er selbst Latino war. Fin konnte sich darauf keinen richtigen Reim machen. Im Grunde war es wohl auch nicht wichtig.
Logan kam zu ihm zurück und stellte ihm ein Glas Whisky hin. „Probier mal.“
Fin blickte ihn verwundert an. „Ist es dafür nicht ’n bisschen früh?“
Logan lachte. „Du hattest doch ’nen beschissenen Tag, oder nicht?“, erwiderte er und trank selbst Cola.
„Ja, danke dafür.“, entgegnete er zynisch, was seinen Gegenüber erneut zum Grinsen brachte. Dann trank er von dem Whisky. „Gar nicht schlecht.“, gab er zu. Heutzutage war der Schnaps nahezu immer ungenießbar. Die Brenner mischten den unterschiedlichsten Schnaps zusammen und verkauften ihn als Whisky. Und dank der Prohibition fand der ekelhafte Alkohol reißenden Absatz.
Logan grinste und steckte sich eine Zigarette an. „Mr. Madden stellt seinen eigenen Whisky her.“, erklärte er. „Ich war neugierig, ob du es besser kannst.“
Fin zuckte die Schultern und schob das volle Glas von sich. „Ja, kann ich.“
Logan lachte zufrieden. „Gut für uns.“, sagte er und musterte ihn dann. „Was läuft da mit dir und dieser kleinen Nervensäge?“
Fins Stirn legte sich fragend in Falten.
„Rachel.“, setzte Logan also hinzu.
Fin zuckte die Schultern. „Nichts.“, antwortete er aufrichtig. „Sie ist die Schwester meiner Freundin.“
Der Blonde nickte, als verstünde er augenblicklich mehr. „Aber sie ist in dich verliebt.“
Er sagte es so betonungslos, dass Fin nicht wusste, ob es eine Frage oder eine Aussage war. „Nein, ich glaub’ nicht.“, antwortete er. „Wieso interessiert ihr euch für Rachel?“
„Tja, irgendwie hat sie es geschafft, dass wir sie mit nehmen.“, antwortete Logan Sawyer seufzend. „Und für gewöhnlich ziehe ich es vor, meine Schlampen nicht mit nach Hause zu nehmen.“
Fins Hände ballten sich zu Fäusten. „Was?“, presste er ärgerlich hervor. Er selbst war Rachel niemals nahe gewesen, weder körperlich, noch geistig, aber nun missfiel es ihm, einen Fremden so über die Schwester seiner Freundin reden zu hören. Generell hielt er nichts von Männern, die über Frauen sprachen, als wären sie minderwertig. Fin wusste, dass Rachel gerne mit Männern flirtete und wenn er ehrlich war, hatte er sich niemals gefragt, ob sie es auch dabei bewenden ließ, aber er fand, dass sie das selbe Recht auf ihr Vergnügen hatte, wie jeder Mann auch.
Doch Logan lachte nur, scheinbar aufrichtig amüsiert. „Ich war mit ihr im Bett.“, sagte er und klopfte Fin einmal kurz und heftig gegen die Schulter. „Nichts für ungut. Hätte ich geahnt, dass sie so eine Klette wird, hätte ich vermutlich drauf verzichtet.“
„Du lügst. Rachel ist nicht so.“, sagte Fin, nicht sicher, ob er hier zum Narren gehalten wurde oder nicht. Vermutlich wollte der schöne Logan ihn nur verunsichern oder ihn wütend machen. Beides war ihm gelungen. Vielleicht stimmte es auch, aber er sah nicht, warum Logan es ihm so unbedingt erzählen wollte, schließlich war Rachel nicht seine Freundin und es ging ihn nichts an, mit wem sie ins Bett ging. Außerdem war sie unter Kates wachsamen Obhut so gut wie nie mit einem Mann nach Hause gekommen.
„Nein, deine Kleine ist nicht so.“, sagte Logan gleichgültig. „Du hast dir wohl die anständige Schwester ausgesucht. Rachel allerdings öffnet ihre Schenkel für ’nen guten Drink.“
Kaum hatte das letzte Wort Logans Mund verlassen, da hatte Fins Faust ihm am Kinn erwischt. Logan stürzte vom Stuhl. Fin stand jetzt, doch seine Wut war so schnell verflogen, wie sie gekommen war. Es war nicht seine Angelegenheit, er mochte nur nicht, wie selbstgerecht Logan über Rachel sprach. Das machte es persönlich für ihn.
Logan lachte freudlos. „Gar nicht so übel.“, sagte er und rieb sich das schmerzende Kinn. Er rappelte sich auf, stellte den Stuhl wieder ordentlich hin und setzte sich wieder. „Nimm Platz.“
Fin zögerte. Er hatte ebenfalls mit Wut gerechnet, nicht aber mit dieser selbstgerechten Kontrolle, die Logan nun an den Tag legte.
Dieser legte nun seine Waffe vor sich, ließ sie aber nicht los. „Setz dich.“, verlangte er noch einmal. Und als Fin seiner Drohung nach kam, grinste er zufrieden. „Du musst lernen, die Wahrheit hinzunehmen, ohne auszuteilen, Junge.“, sagte er und trank nun von dem Whisky, den er ihm gebracht hatte. „Rachel ist ’ne Schlampe. Das kann dir gefallen, oder auch nicht, aber es ändert nichts an der Wahrheit.“
Fin stöhnte gereizt auf. „Was zur Hölle soll das hier?“, fragte er also. „Warum willst du mich davon überzeugen, dass Rachel billig ist? Und wieso machst du hier einen auf Kumpel?“
Logan grinste und rieb sich das gerötete Kinn. „Wenn du mich verunstaltet hast, werde ich dir doch was brechen müssen.“, sagte er zusammenhangslos. Dann richtete er seine grünen Augen auf Fins. „Ich hab’ kein Problem mit dir, Mann. Noch nicht.“, antwortete er schließlich. „Aber wenn du zu uns gehören willst, muss ich dir trauen können.“
„Und das tust du nicht.“, entgegnete Fin und nahm sein, nun beinahe leeres, Glas zurück um selbst davon zu trinken.
Logan grinste. „Nein.“, gab er zu. „Vor allem nicht, wenn du ihr traust.“
Fins Stirn legte sich neuerlich in Falten. „Wem? Rachel?“
Logan nickte. „Ihr kann man nicht trauen. Sie denkt vor allem an sich selbst.“, sagte er aufrichtig überzeugt. „Und wenn du einer wie ihr traust, steht dein Urteilsvermögen schlecht da. Verstehst du mich?“
Fin nickte. „Ich hab’s mir nicht ausgesucht.“, sagte er ehrlich. Vermutlich hätte er ihr tatsächlich nicht ganz freiwillig vertraut. Rachel war flatterhaft und sie war eine Überlebenskünstlerin, was immer den Verdacht nahe legte, dass ihre eigene Haut ihr am kostbarsten war. „Sie ist Familie.“ Und Logan war das nicht. Deshalb erzählte Fin ihm auch nicht, was er wirklich von Rachel hielt und auch nicht, dass er ihr nie sonderliches Vertrauen entgegen gebracht hatte.
Logans Grinsen wurde zu einem Lächeln, als er langsam nickte. „Das werden wir auch für dich sein. Wenn du es wert bist.“, versicherte er.
Nun grinste Fin seinerseits. „Das hab’ ich mir auch nicht ausgesucht.“, sagte er und stellte widerwillig fest, dass Masons Männer gar nicht so übel zu sein schienen. Wäre er Logan oder Ryan unter anderen Umständen begegnet, wären sie vermutlich Freunde geworden. „Also, worauf warten wir hier?“, fragte er schließlich.
„Auf den Boss, letztlich.“, antwortete Logan.
Und wie auf sein Stichwort hin, trat Mason Hernandez vor Owney Madden in den Raum.
„…das bedeutet, dass du von hier verschwinden musst, mein Freund.“, redete Madden gerade auf ihn ein. „Wenn Joe The boss hinter allem steckt, dann nur, weil er dich wieder haben will.“
Mason blieb stehen und grinste freudlos. „Oder weil er mich tot sehen will.“
Madden hielt ebenfalls an und stemmte die Hände in die Hüfte. „Nichts davon ist gut.“, sagte er und überlegte angestrengt. „Was willst du jetzt machen, Mason?“
Dieser steckte sich gerade eine geladene Waffe in den Hosenbund, während er noch eine zweite in der Hand hielt. „Reden.“, antwortete er. „Zuerst.“
Maddens Grinsen zeigte Anzeichen von Besorgnis, aber schließlich nickte er und umarmte seinen Freund knapp. „Ich lad ihn hier her ein.“, sagte er dann. „Wie viele Männer hast du hier?“
„Nur noch zwei…und den Schnapsbrenner.“, antwortete Mason, ohne Nachdenken zu müssen.
Owney verzog ärgerlich das Gesicht, ehe er Fin kurz musterte und wieder Mason ansah. „Der ist nicht nur ein Schnapsbrenner, Mason.“, sagte er und war dazu näher an ihn heran getreten, damit die anderen ihn nicht hörten. „Der is‘ so’n knallharter Typ von den Spezialtruppen der Army.“, erklärte er und seufzte dann. „Aber selbst wenn er so gut ist, wie es heißt, dann sind es immer noch zu wenig Männer.“, entschied er. „Ich telefonier’ ’n bisschen rum. Sicherlich kann ich ’n paar alte Gophers her bestellen.“
Mason reichte ihm dankbar die Hand. „Ich weiß das zu schätzen, Owney.“
Der zuckte leicht die Schultern. „Bleib solange hier, mein Freund. Wir wollen kein Risiko eingehen.“
Fin blickte sich besorgt um und erkannte auch in Logans Miene Anspannung.
Mason kam zu ihnen herüber, während Madden in seinem Büro verschwand.
„Hast du’s gehört?“, fragte Mason Logan.
Der Blonde nickte. „Also die Morello Familie?“, fragte er mit knirschenden Zähnen, ehe er ärgerlich den Kopf schüttelte. „Seit Nick tot ist, geht alles den Bach runter.“
Nick Morello war ein einflussreicher Mafiosi gewesen, der vor neun Jahren ermordet worden war. Seither stritten sich die Gangsterbosse um Morellos Territorium. Joe Masseria scharrte jedoch bedrohliche Mobster wie Savatore D’Aquila, Peter Morello und Charles Lucky Luciano um sich. Das brachte ihm langsam aber sicher den Beinamen The boss ein.
Mason nickte. „Ich will ehrlich zu dir sein…zu euch beiden. Vermutlich wird das Ganze hässlich enden.“, sagte er aufrichtig und sah beide Männer, aber hauptsächlich Logan, an. „Wenn ihr verschwinden wollt, kann ich das verstehen.“
Fin sah ihn fassungslos an. „Wir dürfen gehen?“, fragte er verständnislos. Wieso hatte man ihn überhaupt her gebracht? Das machte alles wenig Sinn. Besonders, wenn er überlegte, was er soeben mitgehört hatte. Offensichtlich brauchte Mason Hernandez jeden Mann und konnte sich nicht leisten, sie weg zu schicken.
Mason nickte bestätigend. „Ich hab’ dich nicht gerettet, um dich dann hier umbringen zu lassen, Fin.“, sagte er schulterzuckend.
Logan erhob sich und umarmte Mason. „Ich rufe Ryan an und sag’ ihm, wie’s aussieht.“, sagte er. „Oder Javier…wen ich erreichen kann.“
Mason lächelte freudlos. „Eigentlich fände ich es besser, wenn du dich von nun an um meine Geschäfte kümmern würdest, Logan.“, sagte er. „Nur, falls ich es nicht schaffe. Ich vertraue dir. Du kannst den Jungen nehmen und nach Hause fahren, dich um alles kümmern.“
Logan schnalzte mit der Zunge. „Nein, danke, Boss.“, sagte er. „Sollte es heute hier enden, dann will ich an deiner Seite sein. Und zumindest Salvatore nehme ich mit mir.“ Logans Familie stammte aus Sizilien und er selbst war in Brooklyn Mitglied der Mafia unter Salvatore D’Aquila gewesen. Dann hatte Mason ihm das Geld gegeben, sich raus zu kaufen und ihm eine Möglichkeit geboten, in New Orleans von vorne anzufangen. Allerdings hatte Logan noch immer seine Probleme mit dem alten Boss. Er hatte es gehasst, dass Salvatore von allen einflussreichen Mafiosi um Rat gefragt worden war und, Logans Meinung nach, niemals die richtigen Entscheidungen getroffen hatte. Schließlich standen meistens Leben auf dem Spiel. Er hatte es verachtet, einen unbeteiligten Mann um Rat zu bitten, als wäre er Gott, der eine unabänderliche Entscheidung zu treffen hatte.
Die beiden Männer reichten sich die Hände, ehe sie sich kurz umarmten. Mason klopfte ihm die Schulter. „Danke, mein Freund.“
Logan nickte knapp. „Ich schulde dir mehr als das.“, gab er ruhig zurück. Dann ging er an seinem Boss vorbei und kümmerte sich um die Anrufe, die er erledigen wollte.
Mason setzte sich neben Fin und stellte eine Flasche von Maddens teurem Whisky auf den Tisch. „Ich meine es ernst, Fin. Du kannst verschwinden. Das hier ist nicht dein Kampf.“
Fin erwiderte seinen Blick. „Warum ist es deiner?“, wollte er wissen.
Mason lachte lautlos und fuhr sich mit der Hand übers angespannte Gesicht. „Ich war mal einer von ihnen.“, antwortete er ehrlich. „Und dann bin ich ausgestiegen, hab’ alles hinter mir gelassen und von vorne angefangen.“ Er schenkte sich ein Glas ein und trank einen Schluck. „Jetzt wollen sie, dass ich ihnen gehorche. Also werde ich entweder wieder, wer ich einst gewesen bin, oder ich verdeutliche ihnen meine Position.“ Er hielt kurz inne und grinste dann ärgerlich. „Joe will seine Macht demonstrieren, weil er gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen. Passt ihm nicht, dass er mich am Arsch lecken kann.“
Fin grinste und schob sein leeres Glas vor. Mason schenkte auch ihm ein. „Wieso machst du nicht einfach, was die wollen?“
Mason schüttelte langsam den Kopf. „Ich muss mich um meine eigenen Leute kümmern und das kann ich am besten erledigen, wenn ich selbst die Entscheidungen treffe.“, sagte er. Es ging ihm auch ein wenig um den eigenen Stolz, der es ihm verbot, vor dem alten Freund und Boss zu kriechen. Er würde nicht einmal einlenken, wenn er es vermeiden könnte. „Meine Männer sind wirklich anständige Kerle, Fin. Sie haben es nicht verdient, umgebracht oder ausgenutzt zu werden. Und sie vertrauen darauf, dass ich ihnen helfe.“
„Ihnen wobei helfen?“, wollte er wissen.
Mason sah ihn an. „Beim Ausstieg.“, antwortete er und zuckte die Schultern. „Die meisten meiner Leute waren in Gangs oder bei der Mafia. Jetzt arbeiten sie für mich und können selbst Entscheidungen treffen.“
„Haben die Kian umgebracht, um dich zu verärgern?“, fragte Fin forschend. „War das nur Teil eines beschissenen Machtkampfes?“
„Weiß ich noch nicht.“, antwortete er aufrichtig. „Sie haben mir nicht direkt gesagt, was sie wollen. Nur fangen sie an, meine Leute umzubringen.“
„Wieso verschwindest du dann nicht einfach von hier?“, fragte Fin. „Ich meine, dann sind deine Leute nicht mehr hier und die Cosa Nostra ist machtlos.“
Mason sah ihn schuldbewusst an. „Sie haben deine Freundin, Fin.“, sagte er dann.
Es traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. „Was?“, brachte er fassungslos hervor.
„Tut mir leid.“, sagte Mason aufrichtig. „Sie wollten dich haben und haben sie gefunden.“
Fin versuchte seine Gedanken zu ordnen. Wie war das überhaupt möglich? Er hatte sie doch erst vor wenigen Stunden gesehen, sich gerade noch mit ihr unterhalten, sich gerade erst von ihr verabschiedet, damit ihr Leben nicht mehr durch ihn in Gefahr geriet... „Was bedeutet das?“, fragte er drängend. „Ist sie tot?“
Mason leerte sein Glas und stöhnte leise. „Nope. Dann hätten sie ja kein Druckmittel mehr.“
Fin musste sich beherrschen, um nicht durchzudrehen und seiner Wut freien Lauf zu lassen. „Was geht dich das überhaupt an?“, fragte er verständnislos. „Kate ist meine Angelegenheit, nicht eure. Ihr solltet einfach verschwinden und Kate und mich zurück lassen.“ Er überlegte angestrengt. „Würde das etwas bringen? Würde die Cosa Nostra sie leben lassen, wenn sie annehmen, dass wir nichts mehr mit dir zu tun haben?“
Mason schüttelte leicht den Kopf. „Ihnen gefällt nicht, wie gut dein Schnaps ist, Fin. Du hast sowieso auf ihrer Liste gestanden, weil du ihr beliebtester Konkurrent bist.“, antwortete er. Eine Information, die er Maddens Knochenbrechern zu verdanken hatte. „Und weil du zufällig für mich gearbeitet hast, schlagen sie zwei Fliegen mit einer Klappe.“
„Scheiße, verflucht!“ Fin schlug die Hände über den Kopf und starrte auf die Tischplatte. Er hatte Kate in diese Situation gebracht. Es war alles seine Schuld. Allerdings würde es ihr nicht helfen, wenn er nun darüber verzweifelte. Er musste einen Weg suchen, zumindest sie zu retten. Er atmete tief durch und hob dann den Kopf, um Mason anzusehen. „Was kann ich tun?“
Mason grinste. „Kannst du so gut mit einer Waffe umgehen, wie Owney behauptet?“
Fin nickte. „Ich war Soldat.“
Mason schob ihm seine eigene Waffe zu. „Hab’ ich mir gedacht.“, sagte er. „Nur eine Regel, Fin.“, setzte er hinzu, während sein Gegenüber die Waffe genauer in Augenschein nahm. „Es wird nicht wild drauf los geschossen.“
Fin hielt seinem Blick stand. „Klar.“
Masons Miene wurde ernst. „Ich meine es ernst, Mann.“, versicherte er. „Die werden Kate benutzen, um dich zu manipulieren. Wenn du drauf eingehst, haben sie schon gewonnen.“
Fin breitete hilflos die Arme aus. „Was erwartest du von mir, Mann?“, fragte er, beinahe verzweifelt. „Soll ich etwa dabei zu sehen, wie sie ihr weh tun?“
„Wenn es nötig ist.“, erwiderte Mason und seufzte. „Halt dich an Logan.“, sagte er dann überlegend. „Wenn er anfängt zu schießen, dann darfst du auch.“
Fin nickte, noch nicht sicher, ob er sich daran halten würde.
„Ich verspreche dir, dass ich alles versuchen werde, um sie da lebend raus zu holen.“, versicherte er ihm aufrichtig. „Wenn du mir das glauben kannst, dann halt dich zurück, bis der richtige Moment gekommen ist.“
Fin sah ihm in die Augen. Er glaubte ihm. „In Ordnung.“, gab er also nach.
Es war ein Uhr Mittags als Joe The man who dodge bullets Masseria im Cotton Club erschien. Mason hatte von Madden mehr als zehn Mann zur Unterstützung bekommen und Owney selbst hatte es sich ebenfalls nicht nehmen lassen, dabei zu sein. Für ihn gab es einige einfache Grundsätze, zu denen gehörte: Sein Club, seine Regeln. Mason hatte drei Männer am Eingang positioniert und einen vierten, der Bericht erstattete. Da er selbst für Joe gearbeitet hatte, wusste er, wie gern der Mafiosi die Wachen still und heimlich ausschalten ließ. Deshalb der vierte Mann in Reserve. Im Club selbst, vor der Tür zum Büro von Madden, standen sieben weitere Männer, allesamt ehemalige Mitglieder der Gophers, allesamt schwer bewaffnet. Mason saß am Schreibtisch von Owney, Logan, Nicolo und Fin um sich. Owney hielt sich ein wenig im Hintergrund, wurde jedoch von zwei Bodyguards beschützt.
Joe Masseria tauchte mit Peter Morello, der Nummer zwei in seiner Gang, Lucky Luciano, einem seiner Topmänner, die sich besonders durchs Morden auszeichneten, und drei weiteren, bewaffneten Männern auf.
Morello, der The clutch hand genannt wurde, weil ihm an der rechten Hand vier Finger fehlten, trat um den Tisch herum und breitete vor Mason die Arme aus. „Mason, mein Junge.“, sagte er, wie gewohnt auf Italienisch und blickte ihn abwartend an.
Mason zögerte nur kurz, ehe er sich erhob und Peter umarmte. „Joe, wir geht’s dir?“, fragte er und sprach ihn mit seinem vertrauten Namen, aber auf Englisch an.
Peter tätschelte ihm knapp die Wange und lächelte. „Tja…wie sagt ihr Amerikaner? Der Lack ist ab?“
Mason nickte. Peter war tatsächlich alt geworden, aber er ging auch steil auf die 60 zu und hatte sein Leben lang keine Ruhe gehabt, sodass die Zeit noch deutlichere Spuren hinterlassen hatte.
„Ich bin ein bisschen enttäuscht, Mason.“, sagte er und hielt ihn bei den Armen. „So viele Bodyguards?“
„Du selbst hast mir beigebracht, dass es besser ist, dem Gegner immer einen Schritt voraus zu sein, um nicht das Nachsehen zu haben.“, erwiderte Mason auf Italienisch. Dann wechselte er ins Englische: „Setz dich bitte, mein Freund.“
Peter nickte und blickte ihn mit einer seltsamen Mischung aus Vertrautheit und Skepsis an. „Du musst meine Verwunderung verstehen, Mason. Ich dachte, du hättest dich zur Ruhe gesetzt und jetzt hast du mehr Männer zu deinem Schutz abgestellt, als Guiseppe hier.“, sagte er, während er wieder um den Tisch herum ging und sich davor auf einem Stuhl nieder ließ. Zwei bewaffnete Italiener positionierten sich hinter ihm.
„Ich habe mich zur Ruhe gesetzt.“, sagte Mason ruhig. „Dann habt ihr angefangen, meine Leute umzubringen und mich damit gezwungen, meine Position zu überdenken.“
Joe Masseria, der noch in den 30ern war, umarmte ihn ebenfalls. Jedoch weniger vertraut, als misstrauisch. Seine aufmerksamen Augen sahen ihn ebenso sehr an. „Es tut gut, dich wieder zu sehen, mein Bruder.“, sagte er lächelnd. „Die Zeit konnte dir offensichtlich nichts anhaben. Anders als bei mir.“ Er rieb sich seinen etwas dicklichen Bauch und lachte dann. Tatsächlich war er etwas dicker geworden, was Mason besonders an seinem rundlichen Gesicht erkannte. Doch alles andere erschien ihm unverändert zu sein. Joe hatte noch immer die gleiche Frisur, seine kurzen, dunklen Haare trug er zu einem mit Pomade herunter gekämmten Seitenscheitel. Seine schmalen Lippen lächelten noch immer so aufgesetzt, wie Mason es in Erinnerung hatte. Misstrauisch und zu allem entschlossen.
Joe nahm neben Peter Platz. Lucky Luciano blieb dicht neben ihm stehen. Sein leicht vernarbtes Gesicht unbeweglich. Sein rechtes Augelid hing ein wenig herab und war Mason immer als sein unverkennbares Markenzeichen erschienen. Es ließ ihn immer grimmig erscheinen und die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass es auch so war. Mason fuhr bei seinem Anblick durch den Kopf, dass sie alle nicht ohne Narben geblieben waren. Er selbst hatte eine verblichene, längliche Narbe, die von seinem linken Ohr bis zu seinem Kinn herunter reichte, weil er mit einem Jagdmesser angegriffen worden war. Und zahlreiche andere Narben überall am Körper. Selbst Fin, der nie Mitglied der Mafia gewesen, nur ebenfalls in Hell's Kitchen aufgewachsen war, hatte eine Schnittnarbe über dem rechten Auge, die durch die Augenbraue verlief und an der Stirn bereits ausgeblichen war. Das Leben hier hatte sie alle tatsächlich, nicht nur metaphorisch gezeichnet.
Luciano deutete mit dem Kopf zu Logan und grinste, was bei ihm nicht so sehr befremdlich, wie gefährlich wirkte.
„Wie ich sehe, arbeitet The handsome jetzt für dich?“, griff Joe sogleich auf. „Und du sagst, du gründest nicht deine eigene familia?“
Mason, der sich wieder gesetzt hatte, lehnte sich, scheinbar entspannt, zurück und lachte leicht. Der Stolz in ihm wollte antworten, dass er verdammt noch mal tun könne, was er wolle, doch die Vernunft, riet ihm davon ab. Er musste nur an Hollie denken und schon war er nicht mehr versessen darauf, heute zu sterben. Immerhin, wenn er diese Verhandlung hier lebend und gesund hinter sich bringen könnte, vielleicht würde sie dann am Ende für ihn her kommen. Vielleicht würde er hier augenblicklich auf sein tatsächliches Ziel hinarbeiten. „Habt ihr deshalb meine Männer umbringen lassen?“, fragte er also. „Weil ihr denkt, ich würde ein konkurrierendes Geschäft eröffnen?“
„Hast du das vor?“, fragte Peter Morello forschend. Er hielt sein makelloses Lächeln aufrecht und Mason wusste, dass er es auch noch tragen würde, nachdem er sie alle umgebracht hätte.
„Nein.“, antwortete Mason, erleichtert, nun zu wissen, was die Beweggründe der Morello Familie gewesen waren. „Ich bin ausgestiegen. Logan ist ausgestiegen. Nichts, was wir tun, hat mit euch oder euren Geschäften zu tun.“
Joe nickte zu Fin herüber. „Warum rettest du ihn dann?“, wollte er wissen. „Er sollte dir egal sein. Nur ein krimineller Elitesoldat aus Harlem. Trotzdem…jetzt steht er hinter dir.“
„Mein Freund hier hat ebenfalls beschlossen, sich zur Ruhe zu setzen.“, sagte Mason mit unergründlicher Miene, obgleich es ihm zu denken gab, dass sie genau wussten, wer Fin war. Er befürchtete, dass sie Fin vielleicht weniger als Konkurrenten, als als mögliches Familienmitglied betrachteten. „In letzter Zeit sind zu viele seiner Freunde grundlos umgebracht worden. Das verändert einen Mann.“
Peter lachte leicht, aufrichtig dieses Mal. „Du hattest schon immer eine Schwäche dafür, die Verdammten beschützen zu wollen, Mason.“, sagte er und war wieder ganz vertraut, familiär. „Deshalb haben wir dich immer geschätzt. Du bist so loyal und großzügig. Eine Seltenheit in unserem Geschäft.“
„Und ich wusste dein Vertrauen immer zu schätzen, Joe.“, erwiderte Mason lächelnd. „Nur bin ich nicht mehr in eurem Geschäft.“
„Das behauptest du.“, gab Joe Masseria zurück. „Allerdings scheint der beste Schnapsbrenner der Stadt für dich zu arbeiten und das bedeutet, er arbeitet gegen uns. Ihr beide tut das.“
Mason verschränkte die Arme vor der Brust. Diese Männer waren eindeutig nicht hergekommen, um die Probleme friedlich aus der Welt zu schaffen. Er kannte sie gut genug, um sie einzuschätzen zu können. Sie waren hier, um ihn zu töten. Sie wollten ihn aus dem Weg schaffen, wenn sie ihn schon nicht für sich gewinnen konnten. Das galt vermutlich auch für Fin, nur dass der nichts davon wusste. Sie hatten ihn nicht über ihr Vorgehen oder ihre Beweggründe aufgeklärt, nur eben angefangen jeden in seiner Umgebung getötet. „Nein, mein Freund.“, sagte er, dennoch ruhig. „Finlay wird mit mir mit kommen. Wir werden die Stadt verlassen und niemand wird sich weiter in euer Geschäft drängen.“
„Dann arbeitet Mr. Bates von nun an ausschließlich für dich?“, fragte Morello forschend. Im Gegenteil zu Masseria war er bereit, Mason eine Chance einzuräumen sein Leben zu retten.
Mason blickte Fin an. „Ja.“
Fin nickte entschieden. „Ja, ich werde New York nicht mehr beliefern.“, antwortete Fin nun seinerseits. „Niemanden außer Mason Hernandez, genau genommen.“
Peter Morello nickte leicht. „Das klingt vernünftig, für mich.“, sagte er einlenkend. „Gilt Mr. Bates Einschränkung auch auf seinem Gebiet der Kampferfahrung?“, setzte er forschend hinterher.
„Ich kämpfe nicht.“, antwortete Fin aufrichtig. Das tat er tatsächlich nicht. Man hatte es ihm beigebracht, für den Krieg, nicht um damit sein Leben zu bestreiten.
Peter nickte leicht, denn diese Aussage deckte sich mit dem, was er in Erfahrung gebracht hatte.
Joe Masseria verzog nur kurz widerwillig die Miene, ehe er sich wieder unter Kontrolle hatte. „Doch eigentlich sind wir nicht nur deshalb hier.“, sagte er und verschränkte die Finger beider Hände vor dem Bauch. „Meine Familie hat festgestellt, dass du dich noch immer außerordentlich gut anstellst, Bruder.“, sagte er und lächelte zufrieden. „Ein solches Ausnahmetalent wie dich, würden wir nur ungern ziehen lassen.“
Mason hielt ebenfalls sein Lächeln aufrecht. „Das weiß ich zu schätzen, Joe.“, sagte er mit gefasster Stimme. „Aber ich versichere euch, dass ich niemanden zur Verfügung stehe. Ich bin ausgestiegen und dabei bleibt es.“
Joe Masseria nickte lange, ehe er die Hände aneinander klatschte. „Ich habe allerdings eine Freundin, die das Gegenteil behauptet.“, sagte er dann, so, als wäre es ihm gerade erst eingefallen. Wohingegen Mason genau wusste, dass er all das lange vorbereitet hatte. „Wenn du nichts dagegen hast, wird unser gemeinsamer Freund Samuele sie zu uns bringen?“ Joe drehte sich zu einem seiner Männer um und schnippte mit den Fingern. Gleich darauf wurde Kate Dearing von Samuele Romolo, der einst unter Mason gearbeitet hatte, in den Raum geschliffen. Man hatte ihr die Hände auf den Rücken gefesselt und ihr Gesicht war blutüberströmt, weil sie offensichtlich mehrere Platzwunden, ausgelöst durch heftige Schläge, erlitten hatte.
Fin, der sich bereits seelisch auf ihren Anblick vorbereitet hatte, zuckte nur unmerklich zusammen, obgleich er hätte schreien können. Er gab sich die größte Mühe unbeteiligt auszusehen, so als hätten seine Feinde nicht seine Geliebte in ihren Händen. Er sah sie an, als bedeute sie ihm nichts. So wie Mason es von ihm erwartete. Fin vertraute darauf, dass er sie so retten konnte.
Kate Dearing hielt sich nur noch mit Mühe selbstständig auf den Beinen. Allerdings war sie zu stolz, um sich von dem kleinen, aber kräftigen Italiener tragen zu lassen. Er hielt sie am Oberarm fest und sie wandt nicht nur die Kraft auf, sich selbst aufrecht zu halten, sondern sie hob ebenfalls ihren Kopf und blickte alle Männer gleich abfällig an. Als sie jedoch Fin erblickte, blitzte in ihren Augen kurz Hoffnung auf. Sie wusste nicht, was hier passierte, aber sie war sicher, dass er nichts damit zu tun hatte und ebenso ein Opfer geworden war, wie sie selbst. Sie liebte ihn zu sehr, um ihn nun in Schwierigkeiten zu bringen.
Joe Masseria sah sie grinsend an. „Schätzchen, würdest du noch einmal wiederholen, was du uns vorher gesagt hast?“, sagte er, scheinbar geduldig.
Kate schüttelte langsam den Kopf, nur ein Mal. „Ich habe euch gar nichts gesagt.“, sagte sie mit fester Stimme.
Joe schnalzte mit der Zunge. „Das stimmt nicht ganz.“, behauptete er. „Viel mehr hast du uns erzählt, dass dein Freund, der Schnapsbrenner hier, jetzt für die Mafia arbeitet. Und du hast behauptet, dass mein alter Freund hier, dass Mason sein Boss ist.“, sagte er und blickte selbigen dann an. „Dass würde bedeuten, dass du ein uomo d’onore bist, Mason. Dass du nie aufgehört hast, einer zu sein. Es bedeutet, dass du gegen uns arbeitest, statt dich uns neuerlich anzuschließen.“
„Ich habe das nicht gesagt!“, rief Kate aus, ehe Samuele ihr eine heftige Ohrfeige schlug, die ihre Lippen erneut zum Aufplatzen brachte. „Das ist eine Lüge. Ich habe euch gar nichts gesagt.“, zischte Kate mit Tränen in den Augen.
Als Samuele erneut ausholte, spuckte sie ihm ihr eigenes Blut ins Gesicht.
Daraufhin zog der Italiener seiner Waffe. Im selben Moment sprang Mason auf und Fin zuckte zusammen. Mit einem Mal hatten alle Männer im Raum ihre Pistolen, Revolver und Waffen herausgeholt.
Kate war zu Boden gestürzt, Samuele hielt seine Waffe auf sie gerichtet, Fin visierte ihn an.
„Immer mit der Ruhe.“, sagte Mason unter Aufbringung seiner ganzen Willenskraft. Wäre es nach seinen persönlichen Wünschen gegangen, dann hätte er mindestens einen von seinen Gegnern einfach erschossen. „Wir sind doch hier unter Freunden, oder nicht? Eine Familie.“
„Aber diese kleine Hure nennt mich einen Lügner!“, platzte Joe heraus und erhob sich ebenfalls, baute sich seinerseits vor Mason auf. Nur der Tisch trennte sie voneinander.
„Du bist ein Lügner.“, zischte Kate schluchzend. „Du willst töten, nicht verhandeln.“
Samuele lud seine Waffe auf einen einzigen Blick von Masseria hin.
„Lass uns verhandeln, mein Freund.“, sagte Mason und versuchte aufrichtig, die Situation zu entschärfen. „Ihr wollt, dass ich die Stadt verlasse und mich aus euren Geschäften raushalte. Richtig?“
Joe nickte. „Ja.“
Mason lächelte aufgesetzt. „Und ich will die Frau und dein Wort, dass ihr uns zufrieden lasst, wenn wir die Stadt verlassen und nicht zurück kommen.“
„Abgemacht, mein Freund.“, sagte Joe mit einem selbstgerechten Grinsen.
„Glaubt ihm nicht!“, schrie Kate plötzlich. „Er will euch alle umbringen! Im Auto haben sie gesagt, dass s…-“
Samuele hatte ihr in den Kopf geschossen. Gleich darauf ertönte der nächste Schuss. Fin hatte Samuele in den Brustkorb geschossen. Nicolo riss Mason mit sich zu Boden, Owney wurde von seinen Bodyguards geschützt, Peter Morello und Joe Masseria von ihren. Alle anderen schossen. Ein paar Sekunden lang war es ohrenbetäubend laut. Dann hörten alle auf zu schießen. Drei von Joes Männern lagen blutend am Boden, Samuele war ebenso tot wie Kate Dearing. Einer von Owneys Bodyguards hielt sich den Hals, doch das Blut schoss nur so heraus. Nicolo hatte eine Schusswunde am Arm erlitten, wirkte dadurch jedoch nur noch wütender, statt eingeschüchtert. Fin hatte einen Streifschuss an den Rippen erlitten, der schmerzte, aber nicht tödlich war. Mason war von derselben Kugel wie Nicolo getroffen wurden, die nun in seiner linken Schulter steckte. Alle anderen schienen unverletzt.
Mason richtete sich wieder auf, ebenso wie Logan und Nicolo, die sich nun beide halbwegs vor ihm positionierten. Keiner von ihnen würde mehr von der Stelle weichen und den Italienern eine neue Chance bieten, ihn zu erwischen.
„Schluss jetzt!“, rief Mason aus. Sein Arm schmerzte ebenso sehr, wie seine Brust. Nico hatte die Kugel, die Lucky auf ihn gefeuert hatte, nicht abgehalten, nur gebremst. „Alle nehmen die Waffen runter!“ Selbst seine eigenen Männer zögerten, gehorchten jedoch, nachdem auch die übrigen Mafiosi ihre Waffen senkten. Mason sah Peter Morello an. „Du weißt, wie das hier ausgehen wird, wenn ihr jetzt nicht einlenkt, Joe.“, sagte er eindringlich. „Ihr seid in der Unterzahl. Wenn wir euch nicht erledigen, dann tun das unsere Männer vor dieser Tür.“
„Jetzt verhandelst du mit Morello?“, fragte Masseria wütend. „Ich bin der Boss, nur mein Wort zählt.“
„Dann benimm dich wie ein Boss, Guiseppe.“, sagte Mason zornig. „Gib mir die Hand darauf, dass ihr uns in Ruhe lasst. Willige ein, uns gehen zu lassen und uns nicht weiter zu behelligen.“
„Was hätte ich davon, Mason?“, fragte Joe grinsend zurück und breitete fragend die Arme aus.
„Dein Leben.“, antwortete er. „Euer aller Leben. Ein geringer Preis für deinen übertriebenen Stolz.“
„Ich bin ein uomo d’onore, ein Ehrenmann!“, fauchte Joe Masseria wütend.
Mason lächelte ruhig. „Dann gib mir die Hand und dein Wort darauf und triff damit die Entscheidung eines Ehrenmannes.“, forderte er ihn heraus.
Joe zögerte nur unmerklich und ergriff die dargebotene Hand. „Verschwindet noch heute Nacht aus meiner Stadt und ihr habt mein Wort darauf, dass wir euch in Frieden lassen.“
„Abgemacht.“, erwiderte Mason und löste den Händedruck.
„Wir gehen.“, sagte Joe an seine restlichen Männer gewandt. Luciano stützte einen der angeschossenen Männer. Einer konnte sich selbst aufrappeln und taumelnd hinaus schleppen. Die beiden anderen verbluteten langsam, doch für sie würde jede Hilfe zu spät kommen.
Peter Morello kam noch einmal auf Mason zu und griff seine Hand. „Gut gemacht, mein Junge. Was für ein Verlust für die meinen.“, sagte er auf Italienisch und lächelte aufrichtig. Dann wandte er sich ebenfalls ab und verließ Maddens Büro.
„Ich geh’ gucken, dass diese Spinner wirklich verschwinden.“, sagte Owney und folgte den Italienern nach einigen Sekunden.
Fin wartete, bis die Mafiosi den Raum verlassen hatten, dann rannte er zu Kate und ließ sich neben ihr auf die Knie fallen. Er zog ihren leblosen Körper auf seinen Schoß, streichelte ihr blutiges Gesicht, während ihm lautlos Tränen über die Wangen liefen. Er wurde nicht hysterisch, obgleich sein Herz schmerzte und es ihn unendlich leid tat. Sie war noch so jung gewesen und er war Schuld daran, dass sie das Leben, das sie hätte führen sollen, einfach verloren hatte.
„Du brauchst einen Arzt.“, sagte Logan zu Mason, weil die Wunde bereits einen blutigen Kreis auf seinem Hemd hinterlassen hatte. „Ihr alle braucht einen Arzt.“
„Darum kümmere ich mich später.“, entgegnete Mason. „Nico?“
Der winkte ab. „Ich bin in Ordnung, Boss.“, versicherte er. „’schuldige, dass ich die Kugel nicht aufgehalten habe.“
Mason lachte freudlos und klopfte seinem Freund auf die Schulter. „’schuldige, dass ich der Auslöser für den Schuss auf uns beide war.“
Logan verzog das Gesicht. „Was ist mit ihm?“, fragte er und deutete mit dem Kopf zu Fin, der ebenfalls blutend auf dem Boden saß und das Gesicht der Toten streichelte.
„Gib ihm ein bisschen Zeit, um sich zu verabschieden.“, sagte Mason mitfühlend. Er wandte den Blick ab. „Wir müssen Owney helfen, die Leichen los zu werden, ehe die Bullen hier auftauchen.“
Logan nickte und zog seine Waffe hervor, um zu beenden, was sie alle angefangen hatten. Mason seinerseits hockte sich vor den Iren, der im Sterben lag, weil er Owney mit seinem Leben verteidigt hatte. Der Mann starrte ihn panisch an, während er unter Schmerzen zuckte und das Blut zwischen seinen Fingern hindurch sprudelte.
Mason ergriff seine andere Hand und hielt sie umschlossen. „Schon gut, mein Freund.“, sagte er mit beruhigender Stimme. „Du hast dein Bestes gegeben und wirst an einen besseren Ort kommen.“
Der Mann atmete röchelnd, starrte Mason verzweifelt, ängstlich an.
„Ich werde es beenden.“, sagte der. „Es wird dir danach gut gehen. Alles ist in Ordnung, mein Freund.“ Der Ire ließ die Hand von seinem Hals sinken und umklammerte mit ihr Masons Hand. Dann schoss Mason ihm in den Kopf und beendete sein Leid.
Logan hatte in der Zwischenzeit die beiden sterbenden Italiener erschossen. Er sah seinen Boss an. „Ich werde nach Owney sehen.“, sagte er. „Vielleicht hat er ein paar Säcke oder so.“
Mason nickte. „Hilf ihm bitte, Nicolo.“, bat er seinen Leibwächter.
Nachdem auch die beiden Männer den Raum verlassen hatten, hockte Mason sich zu Fin. Er legte ihm die breite Hand auf die Schulter. Fin weinte nicht mehr, starrte sie nur noch an und quälte sich selbst mit Vorwürfen. Hätte er sie retten können, wenn er bemerkt hätte, dass die Mafia hinter ihm her war? Hätte es etwas geändert, wenn er früher mit ihr aus New York verschwunden wäre? Hätten sie es dann geschafft?
Fin umklammerte mit einem Arm Kates Kopf, die andere Hand legte er über Masons. Aus irgendeinem Grund spendete ihm diese Geste Trost, wo Worte es nicht vermocht hätten. Vielleicht, weil die Cosa Nostra sie in eine ähnliche Situation gebracht hatte, weil sie sie beide für sich gewollt hatten und sie bestraft hatten, weil sie sich geweigert hatten, sich ihnen anzuschließen.
„Brauchst du noch Zeit?“, fragte Mason ihn leise. Fin erwiderte nichts. „Logan und Nico werden bald zurück sein und die Leichen weg bringen. Bis dahin hast du Zeit, dich von ihr zu verabschieden, mein Freund.“
„Ihr werdet sie nicht in einen Sack stecken und mit den anderen Leichen im Hudson versenken.“, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. Sie war nicht bedeutungslos und würde so auch nicht entsorgt werden. Das hatte sie einfach nicht verdient. Nichts hiervon hatte sie verdient. Fin beugte sich über sie und wischte sich mit Daumen und Zeigefinger die Tränen aus den Augen.
Masons Hand legte sich kurz auf seinen Kopf. „Nein, Mann. Wir machen es, wie du willst.“, sagte er aufrichtig. „Sie hat uns gerettet, Fin. Sie hat uns gewarnt, statt sich selbst zu retten, wollte sie dich retten. Sie hat dich geliebt.“ Mason wartete, doch Fin wollte nichts dazu sagen, also erhob Mason sich seufzend und ließ ihn alleine.
„Es tut mir leid.“, flüsterte Fin schmerzlich. Er strich ihr übers Gesicht. Ihre Rehaugen, die einst so liebevoll und lebenslustig geblickt hatten, waren nun leblos und leer. Sie starrte ins Nichts. Und während er ihr in die Augen sah, wurde ihm bewusst, dass sie nicht mehr da war. Sie war nicht mehr bei ihm. Da war nichts mehr in ihren Augen. Nichts, was sie vorher ausgemacht hatte. Nichts von dem, was sie ausgestrahlt hatte. Kate war nicht mehr da. Sie war ihm genommen worden. Fin hatte keine Ahnung, wie er nun weiter machen sollte. Sie war seine Hoffnung gewesen, sein Grund, alles zu überleben. Und jetzt hatte er niemanden mehr.
Er beugte sich über sie und schloss ihre Augenlider, ehe er sie langsam auf die Stirn küsste. Dann suchte er den Schreibtisch ab und fand schließlich einen Brieföffner, mit dem er ihre Fesseln durchschneiden konnte. Gleichgültig ließ er beides zu Boden fallen. Er legte ihren Körper vorsichtig auf den Boden, legte ihre Hände über ihrem Bauch zusammen. Während er sie betrachtete und ihr Haar streichelte, beruhigte er sich und begann das Unausweichliche zu akzeptieren. „Ich habe ihn für dich umgebracht, Katy.“, flüsterte er. „Es tut mir so leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte…es tut mir so leid, dass ich dich nicht retten konnte.“ Er fuhr sich mit der Hand über Mund und Kinn. „Aber du hast mich gerettet.“, sagte er aufrichtig und hoffte, sie könnte ihn trotz allem hören. „Ich habe dich geliebt…ich liebe dich noch immer. Du warst der gute Teil meines Lebens. Ich hoffe, jetzt wird auch für dich alles gut.“ Er senkte seinen Kopf und küsste ihre leblosen Lippen. Dieses Mal wusste er sicher, dass es das letzte Mal sein würde.