Читать книгу Die Verarschungsgesellschaft - Elmar Schwenke - Страница 6
3. Das Gesetz der Prärie
ОглавлениеNoch regiert der Sozialdarwinismus, der uns glauben macht, es herrsche das Gesetz der Prärie – der Stärkere unterdrückt den Schwächeren. Jeder glaubt, das sei die Regel, nach der diese Welt funktioniert, gewissermaßen das Ziel. Doch der Mensch ist nicht dazu da, die Regeln des Tierreichs nachzuäffen. Er ist da, um diese Ordnung zu durchbrechen, um ein höheres Bewusstsein zu erlangen.
Sicher, der menschliche Geist wurde nicht zum Zweck der Wahrheitsfindung ausgebildet, sondern danach, was für sein Fortkommen und Überleben wichtig war (was erklärt, warum Menschen, die diese Maxime leben, so erfolgreich sind). Doch dieses rudimentäre und animalische Denken gehört längst zum Rattenschwanz unserer Evolution. Wohin es führt, wenn wir dem Affen in uns Zucker geben, dafür ist der derzeitige Zustand der Welt das beste Beispiel – oder besser, das schlechteste.
Die Gewaltfalle
Es gibt kaum einen Fernsehsender, vom Kinderkanal einmal abgesehen, auf dem nicht von morgens bis abends Krimis und Gewaltfilme laufen. Selbst bei den öffentlich-rechtlichen jagt ein Tatort den anderen und Inspektor Salander schlägt sich mit den perfidesten Abschlachtszenarien herum, die Szenen aus Horrorfilmen wie SAW 1 bis 8 in keiner Weise nachstehen. Die Gewaltspirale lässt sich schwerlich zurückdrehen, jeder Level, der einmal erreicht ist, muss überboten werden, sonst verliert er an Wirkung. Wer heutzutage die Bandbreite aktueller Horrorfilme kennt, wird über Werke eines gewissen Edgar Wallace nur noch müde lächeln können, von Edgar Allan Poe einmal ganz abgesehen. Vielleicht auch deswegen, weil der dahinter liegende Sinn, sozusagen der doppelte Boden, gar nicht mehr erkennbar ist.
Bei den Computerspielen ist das nicht anders. Sicher, virtuelle Kriegsspiele machen nicht jeden zum Amokläufer. Doch was hat es für Folgen, in einer Welt aufzuwachsen, die so viel Virtuelles hervorbringt? Der Mensch lernt am Modell. Und wenn das vorherrschende Modell dasjenige ist, das man in unzähligen Filmen und Computerspielen bestaunen kann, dann wird das ganz sicher Auswirkungen haben – für die Gesellschaft als Ganzes.
Würden Aliens unser Fernsehprogramm analysieren – wenn sie sich überhaupt die Mühe machten –, ich glaube, sie würden erschrecken und schnell erkennen, auf welch primitiver Stufe der Bewusstseinsentwicklung wir uns befinden. (Doch mal ehrlich! Wie langweilig wäre unser Fernsehprogramm, wenn auf allen Kanälen sämtliche Krimis und Gewaltfilme gestrichen würden? Merken Sie was? Das ist so wie bei einem Alkoholiker, der wie besessen an seinem Schnaps hängt oder wie bei einem Drogenabhängigen, der an seiner Droge hängt. Versuchen Sie mal, sie ihm wegzunehmen!)
Kein Wunder also, dass eine Spezies, die sich tagein, tagaus Horror- und Gewaltfilme reinzieht, nicht friedvoller und bewusster werden kann. Und schon sind wir beim nächsten Thema.
Die Fleischfalle
Man muss ja nicht gleich jeden Ökotrip mitmachen und strikter Veganer sein, der nicht einmal tierisches Eiweiß in Form von Rühr- oder Spiegelei zu sich nimmt. Doch etwas weniger Fleischkonsum täte manchem Erdenbürger durchaus gut. Und den Tieren, die dann nicht geschlachtet würden und am Leben blieben, auch. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall.
Alle vier Stunden wird irgendwo auf der Welt ein neues McDonald's-Lokal eröffnet und auch in Deutschland nimmt die Anzahl der Schlachthöfe ständig zu. In einem Beitrag des Deutschlandfunks zum Thema Massentierhaltung klagte ein Viehhalter darüber, dass der Preiskampf immens wäre, weil ein Schlachthof nach dem anderen gebaut würde, da könne man nicht ans Tierwohl denken, Platz koste nun mal Geld. Ein Biobauer bestätigt das und sagt, es gebe trotzdem Nischenprodukte, die zwar teurer wären, wo das Fleisch aber von Bio-Schweinen stamme. Worauf ein Hörer anruft und meint, das Schwein würde am Ende so oder so geschlachtet. Recht hat er. Das wäre das Gleiche wie wenn höhere Wesen uns Menschen töteten – zu Versuchszwecken oder um von unseren negativen Energien zu leben – und sich damit brüsteten, ein Teil dieser Menschen würde jetzt nicht mehr von LKW überfahren, sondern von Elektroautos. Dann meint eine Fachfrau aus der Veterinärbranche, es sei nun mal seit Jahrtausenden so, dass der Mensch Tiere esse. Das hat mein Vater als Mediziner auch gesagt. Tierische Eiweiße könne man nun mal nicht ersetzen. Was jedoch nicht stimmt. Längst ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Ernährung mit pflanzlichen Produkten nicht nur nicht zu Mangelerscheinungen führt, sondern sogar noch gesünder ist als die konventionelle. Demnach ist es nur eine Frage der Einstellung und des Bewusstseins, ob der Mensch massenhaft Tiere isst oder nicht. Ganz abgesehen davon, dass wir uns über den Verzehr von Tieren animalische Energien reinziehen, die Massentierhaltung und Massenabschlachtung von Tieren ist grundsätzlich menschenunwürdig, was nicht gerade zu einem bewussteren menschlichen Leben beiträgt.
Außerdem ist das eine Frage der Gewohnheit. Es gab auch mal eine Zeit, da war es ganz normal, dass Bolschewiken oder Polacken auf offener Straße erschossen wurden. Niemand empfand etwas Unrechtes dabei, weil Bolschewiken und Polacken als unwertes Leben galten. Und heute noch werden in Afrika, wenn der Mann als Familienoberhaupt gestorben ist, die dazugehörigen Frauen auf dem Marktplatz verbrannt, weil sie ohne ihn nicht überleben könnten. Auch daran stört sich niemand, weil dort jeder diese Sozialisation durchläuft. Er kennt es nicht anders.
Die Werbefalle
Ebenso kennen wir es als Europäer nicht anders, dass wir Tag für Tag von früh bis spät mit Werbung überschüttet werden. Werbung ist einer der wichtigsten Bestandteile unseres Lebens. Sie begleitet uns auf Schritt und Tritt, auf allen Kanälen und in sämtlichen Medien, ja wir haben sie schon so verinnerlicht, dass wir gar nicht mehr merken, dass sie da ist. Doch nur mal angenommen, sie wäre plötzlich nicht mehr da, dann würde auf einmal etwas ganz Entscheidendes fehlen. Wie grau und trist wäre dann unsere Welt? Was hätten wir uns dann noch zu sagen? Wir würden wahrscheinlich zu ersticken drohen!
Mich nervte das immer dermaßen, wenn ich als Musiker unterwegs war, in Hotels übernachtete und nachts den Fernseher anmachte. Dort liefen die Sender, die ich zuhause nie sah: Sat1, Pro7, RTL und Vox. Doch ich kam nie dazu, mir mal einen Film bis zum Ende anzusehen, weil aller zehn oder fünfzehn Minuten ein Werbeblock eingeblendet wurde. Nach dem dritten oder vierten Werbeblock hab’ ich meistens abgeschaltet. Frank, unser Gitarrist und Filmegucker vom Dienst, meinte dann immer, das sei ganz normal, was bei mir nur hilfloses Kopfschütteln hervorrief. Dabei kam ich mir vor wie ein Alien von einem andern Stern. Ich konnte nicht begreifen, warum Millionen zivilisierter Menschen sich das bieten ließen. Wieso nahm man denn das einfach so hin? Man müsste das boykottieren, diese Sender einfach nicht mehr einschalten. Doch das Gegenteil war der Fall. Und jedes Mal nahm ich mir vor, eine Petition im Bundestag einzubringen, um diesen Werbewahnsinn eindämmen zu lassen. Zuhause angekommen dämmerte mir, wie sinnlos ein solches Ansinnen war und ich verfolgte den Gedanken nicht weiter.
Verko(r)kste Werbeträger
Doch mal ganz ehrlich: Wer glaubt denn wirklich, dass Verona Pooth beim Discounter Kik einkauft oder Michael Ballack online nach billigen Charterflügen sucht? Oder dass Halle Berry auf Schuhe von Deichmann steht? Keiner. Noch dazu ist in der Werbebranche hinlänglich bekannt, dass Celebrities, also Promi-Werbung, nur unterdurchschnittlich funktioniert. Offenbar sorgt der Glamour-Faktor dafür, dass nicht wenige Unternehmer und Manager es toll finden, mal eine echte Berühmtheit zu engagieren und sich in ihrer Nähe zu sonnen. Auch wenn es inzwischen genügend Beispiele dafür gibt, dass solche Werbeverträge nach hinten losgingen, weil – wie im Fall Dieter Bohlen – der Werbeträger in einer Zeitung seine wahre Meinung über ein Firmenprodukt kundtat oder – wie im Fall Christoph Daum – der Energiekonzern RWE auf einmal mit einem Werbeträger dastand, der als Kokser entlarvt wurde. Noch dazu ist die Qualität solcher Werbespots fast durchgängig schlecht. Entweder, weil der Werbeträger keinen vernünftigen Satz herausbekommt, weil die Zeit für die Dreharbeiten fehlt oder weil die Gage zu hoch ist und deshalb an den Produktionskosten gespart werden muss. Ausnahmen bestätigen die Regel: die Gummibärchen-Werbung von Ex-Talkmaster Thomas Gottschalk. Obwohl – ich kann mich nicht entsinnen, dass ich mir wegen der Gottschalk-Spots auch nur ein einziges Mal eine Tüte Gummibärchen gekauft hätte. Doch ich weiß selber, dass man diesbezüglich nie von sich auf andere schließen darf.
Rufen Sie jetzt an!
In den 1990er Jahren gehörte es zu meinen Aufgaben beim Hörfunk, Werbe- und Promotionspots zu produzieren. Ich weiß noch, es ging um irgendein Gewinnspiel, das Radio PSR, der private sächsische Rundfunk, bewarb. In der Kreativrunde, in der alle möglichen Werbeideen per Brainstorming besprochen wurden, sagte ich zu einem Kollegen, den ich für besonders einfallsreich hielt: „Da würde ich doch nie anrufen!“ Worauf der zuständige Redakteur meinte:„Ja, du nicht. Ich auch nicht. Aber wir machen das doch nicht für uns, sondern für die Leute!“
Dieses Beispiel zeigt verallgemeinernd und symbolisch zugleich, in welch absurder Welt wir eigentlich leben. Wir tun am laufenden Band Dinge, die wir normalerweise ablehnen, die wir weder gut noch erstrebenswert finden. Wir machen das aus rein kommerziellen Erwägungen und halten unsere Fahne ständig in den Wind der Quote. Würde man eine solche Geisteshaltung tiefenpsychologisch analysieren, käme dabei heraus, dass sie in höchstem Maße suspekt und im pathologischen Sinne pervers ist. Doch es ist die Geisteshaltung, die wir Tag für Tag erleben, die für uns schon so normal geworden ist, dass wir gar nicht mehr merken, dass wir uns im Grunde selbst verarschen. Ein Ende ist nicht abzusehen. Zumal das neue Medium Internet gerade erst im Entstehen begriffen ist. Schon vor Jahren stand zu diesem Thema im Trendletter, dem Informationsdienst für Unternehmer, Manager und Marketingleiter:
Bald wissen wir alles über die Kunden. Was die Kunden kaufen, wann sie es kaufen und wo, was sie in ihrer Freizeit tun, wie sie leben – all das wird in wenigen Jahren offenliegen. Die Technologien dafür sind da, in den nächsten Jahren werden sie gebündelt und damit einen Strom von unbekannter Breite erzeugen: Rechnen Sie mit einer exponenziellen Vermehrung des Wissens über Ihre Kunden – machen Sie sich das zunutze, bevor es Ihre Wettbewerber tun.(4)
Überhaupt haben die Werbebotschaften, die tagtäglich über die Massenmedien auf uns einwirken, längst die Rolle traditioneller Sinnstifter wie Schulen und Kirchen eingenommen. Es ist das ständige Vater unser, das von der Kanzel des Kommerzes gepredigt wird und unsere Konsumgläubigkeit ist so tief verwurzelt wie im Mittelalter der Gottesglaube. Nur dass aus armen Sündern inzwischen zahlungskräftige Konsumenten geworden sind. Unsere Einkaufszentren sind zu modernen Tempeln geworden, wo wir den Konsum verehren und ihn tagein, tagaus gleich einem Götzenbild anbeten. Doch warum ist das so?
Die Philosophie des Geldes
Die Antwort auf diese Frage hat Georg Simmel schon 1900 vorweggenommen. In seiner Philosophie des Geldes denkt er die moderne Konsumgesellschaft voraus, dahingehend, dass er meint, man würde mit dem Erwerb von Waren das eigene Ich erweitern. Das heißt, man erwerbe mit dem Kauf bestimmter Waren ein Image, also ein Bild seiner selbst für sich und die anderen. Diese Waren, mit denen man sich umgibt, werden dann Teil des eignen Ichs, also Teil der eignen Identität.
Heute gehört der Erwerb von Konsumgütern zu den größten Glücksstiftern unseres modernen Lebens. Wir können sie rund um die Uhr – jederzeit – bekommen, ganz einfach per Mausklick. Alles, was wir wollen, können wir bekommen – fast alles. In einer Zeit, in der es mit anderen Glücksstiftern nicht mehr allzu weit her ist, in der es keinen Glauben mehr gibt, keine Hoffnung und sogar die Liebe zu einem Markt von kurzzeitigen Kicks und Klicks mutiert ist. Da ist das Einzige, was noch Bestand hat, die Welt des Konsums. Sie ist uns sicher wie das Tosen einer Autobahn, die tagein, tagaus 365 Tage im Jahr immer ein und dasselbe Brausen hervorbringt, unabhängig davon, wer von A nach B fährt – irgendjemand fährt immer von A nach B.
Vielleicht ist ja exzessiver Konsum ein Zeichen von Lebensangst, ein Zeichen von Entfremdung. Wem die Gefühlswelten anderer Menschen zu unberechenbar sind oder wer regelrecht Angst vor realen Kontakten hat, der verlässt sich lieber auf die unbelebten Waren des Konsums. Sie sind berechenbarer und jeder Zeit verfügbar. Das bekommen wir schon beizeiten mit. Denn die Konsumlaufbahn eines jeden von uns beginnt bereits im Babyalter. Schon mit 18 Monaten können Kleinkinder Marken erkennen, was auf einschlägigen Marketing-Kongressen immer wieder betont wird. Ab dem Moment, wo das Kind im Einkaufswagen sitzt, lernt es, durch Zeigen Sachen zu verlangen, die es oft auch bekommt. Von da an begreift es Einkaufen als legitimen Weg, Dinge zu bekommen. Sobald das Kind laufen kann, sucht es selbst Produkte aus und beschreitet seinen ersten Weg als Konsument. Und dann geht es sehr schnell.