Читать книгу Jeder wird noch von mir sprechen, wenn ich groß bin - Elmar Weihsmann - Страница 10
7. Das erste Gehalt
ОглавлениеDie Tage fliegen dahin, die Zeit vergeht wie im Flug, ich kann mir schon gar nicht mehr vorstellen wie das Leben vor der Lehre im Supermarkt gewesen ist. Aber das ist ungerecht, ich habe mich in der Kinder-WG wirklich wohlgefühlt, genau genommen ist es mir dort echt gut gegangen, zumindest besser als das was sich bei anderen Kindern das zu Hause nennt.
An mein echtes zu Hause kann ich mich gar nicht mehr wirklich erinnern, in Wirklichkeit war es kein echtes Nest für drei so kleine Gören wie wir gewesen sind, es war nur immer laut und oft hat einer von den beiden, die so etwas wie unsere Eltern gewesen sind laut geschrieen und dann hat der eine zugeschlagen und die andere hat geheult und dann hat es dem einen leid getan und die andere hat es ihm heimgezahlt, weil er zugeschlagen hat und so ging das den ganzen Tag und nicht selten auch die Nacht durch und was gutes zum Essen gab es nicht oft, dafür gab es sehr viel hartes Zeug zum Saufen, was natürlich nur der eine oder die andere ausgesoffen hat und dann war natürlich wieder nichts für uns Rotznasen da und weil hungrige Gören weinen ist wieder einer von den beiden ausgeflippt und dann ist das ganze Affentheater wieder von vorne losgegangen mit dem ewigen Geschrei und dem zuschlagen und dem weinen. Ich kann, ich will das alles einfach nicht mehr hören. Ich bin echt froh, dass ich ins Heim und dann in die Kinder-WG gekommen bin, da war ich zwar ein ‚Spinnenkind’ aber es gab wenigstens kein Geschrei mehr und kein Weinen und kein zuschlagen, das ist schon mal etwas und ab und zu, dann, wenn ich ganz brav gewesen bin hat mir auch mal die WG-Leiterin über die Haare gestrichen.
Gibt es meine Eltern überhaupt noch? Gibt es überhaupt noch etwas woran ich mich gerne an sie erinnere? Meine Mutter hat mir manchmal über die Haare gestreichelt. Das hat sie wenigstens gut gekonnt. Mein Vater, der hat mir manchmal die Schultern gedrückt und auf den Schoß gesetzt, aber das war nur sehr selten, bis dann die Polizei gekommen ist und die Beamten gesagt haben, dass unsere Eltern nicht mehr zurückkommen werden, wieso haben sie nicht gesagt, nur, dass später, viel später, wenn wir erwachsen sind, das wissen und auch verstehen werden.
Dann kamen auch schon die Sozialarbeiter und haben uns drei Gören vom Polizeirevier ins Kinderheim gebracht. Dort hat man uns getrennt. Die Maria, die alle nur Maja nannten und die auch viel lieber so gerufen werden wollte, die ist sofort in eine Kinder-WG gekommen, und weil sie viel älter ist, als der Andy und ich, hat sie auch bald zu lernen begonnen, angeblich ist sie jetzt in einem guten Friseursalon beschäftigt, ich hab sie nie mehr wieder gesehen, nicht einmal zu Weihnachten ist sie bei uns im Kinderheim vorbei gekommen.
Dann bin ich bald in die neue Mittelschule gekommen und in die Kinder-WG umgezogen und der Andy, der der jüngste von uns drei Spinnenkindern ist, hat alleine im Kinderheim zurückbleiben müssen, er hat sehr geheult und ich hab noch mehr geheult, weil ich nicht mehr bei meinem Andy sein konnte, aber die ganze Heulerei hat natürlich nichts genutzt und jetzt bin ich im Lehrlingsheim und es ist der erste August und ich habe auch tatsächlich mein erstes Gehalt bekommen.
Oh mein Gott, ich sehe auf meinen Lohnzettel, was alle im Supermarkt gleich machen, wenn sie dieses magische Blattpapier bekommen und der Ali und der Seppi sind mit mir in der Pause in die Bank gegangen, die auch im selben Gebäude wie der Supermarkt untergebracht ist und sie habe mir gezeigt, wie man mit der Kundenkarte den Kontoauszug ausdruckt und die Zahlen auf dem Bankbeleg mit denen am Lohnzettel vergleicht.
Alles klar? Bei mir schon.
Die Lehrlingsentschädigung ist ordnungsgemäß eingegangen, natürlich ist etwas für das Lehrlingsheim gleich abgebucht worden, aber es ist noch immer genug für mich da!
Halleluja! Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Taschengeld nur für mich gehabt! Ich freu mich. Ich freu mich ja so! Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, ich das kleine Spinnenmädchen, das dumme Spinnenkind hat endlich etwas Geld in der Tasche, das hätten mir viele in der neuen Mittelschule niemals zugetraut.
Aber ich habe was und ich habe es mir verdient!
Sehr zufrieden schlafe ich an diesem Abend ein und ich träume, ich träume eine langen, schönen Traum von vielen Freunden auf einer schönen Wiese und einem Mädchen und einem Jungen, die gemeinsam tanzen gehen.
Oh wie habe ich doch gut geschlafen. Lange habe ich noch an diesen schönen Traum gedacht.
„Du bist heute verträumt?“ sagt die Jugoslawin.
„Äh?“
„Normaler Weise bist du das nicht“, sagt die Jugoslawin.
„Tatsache?“
„Ja. Hast du vielleicht etwas mit einem Jungen angefangen?“
Ich erzähle der Jugoslawin von meinem Traum und die ist ganz begeistert und meint, dass ich was draus machen soll.
„Okay? Aber nur was?“
„Wo hast du bisher die meisten Freunde gehabt?“ fragt die Jugoslawin.
„In der Kinder-WG.“
„Alles klar, heute ist Samstag, zu Mittag fährst du in deine alte WG und bringst ihnen was süßes mit“, schlägt die Jugoslawin vor.
Tolle Idee und noch dazu total leicht umzusetzen für mich.
Gesagt, getan. Schon sitze ich in dem Bus, der mich zurück in meine Kindheit bringen wird.
Oh wie haben die große Augen gemacht, als ich mit meiner großen Schachtel Süßigkeiten für alle angekommen bin. Wie haben sie sich gefreut, dass ich auf die Glanzidee gekommen bin, meine alten Kumpels zu besuchen.
Besonders die WG-Leiter sind total angenehm überrascht, dass ich nach so kurzer Zeit schon wieder hier vorbeischaue und auch was mitgebracht habe.
„Du schaffst das“, sagen sie alle und spielend gelingt es mir den Karli und den Berni aufzubauen, die total down sind, weil sie heute die Koffer packen müssen.
Aber heute fahren sie mit mir gemeinsam ins Lehrlingsheim und ich helfe ihnen beim einziehen und mit so einer coolen Braut, wie mich im Schlepptau, da kann ja einfach nichts mehr schief gehen.
Die Stimmung steigt.
„Passt auf Jungs, wenn das Spinnenmädchen im Supermarkt was weiterbringt, dann schafft ihr die Mechanikerlehre doch mit links!“
Der Karli und der Berni sind sich da nicht so sicher.
Aber zum Glück sind sie nicht allein. Der Ali und der Seppi sind auch im Heim und begrüßen ihre alten Kumpels aus der Kinder-WG wie ganz große Gangsterrapper.
„Cool dass ihr da seid, Jungs.“
„Das ist unser Spruch: Weil wir Lehrlinge sind kennt uns jedes Kind, wir reißen Bäume aus, wo keine sind!“
„Alles klar?“
Wer wird da schon nein sagen. Ab zu einer Runde Cola ins Lehrlingscafè und zu einer Runde Tischfußball und morgen gehen wir alle zusammen ins Schwimmbad und bleiben dort, bis sie uns rausschmeißen, das schöne Wetter am Sonntag wird bis zur letzten Sekunde ausgenützt.