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1. Kapitel O bella Napoli

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In die Stazione centrale, den Hauptbahnhof von Neapel, brauste der von Norden kommende Zug. Ein Herr im hellen Sommeranzug, der seit einer Viertelstunde schon erwartungsvoll auf dem belebten Bahnsteig auf und ab geschritten, seine Uhr immer wieder mit der Bahnhofsuhr vergleichend, lief aufgeregt an dem langen Zuge entlang.

Wo steckten sie denn nur, seine Lieben? Seine Frau, seine beiden Kinder, die er ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte. Dunkelbrünette Gesichter, brennendschwarze Augen der Italiener; aber dazwischen auch hellhaarige, blauäugige Fremde, Vergnügungsreisende, die jetzt zur Osterzeit den Süden besuchten.

Vergeblich spähte Professor Winter in alle die fremden gleichgültigen Gesichter. Wo – wo mochten sie sein, sein Bubi, sein Mädichen?

»Facchino – facchino –!« schrie und hallte es über den Bahnsteig nach Gepäckträgern. Da plötzlich unter all dem Lärm des italienischen Stimmengewirrs deutsche Laute – Kinderstimmen, hell wie Lerchenschlag – »Vati – Vatichen!« Und da hing auch schon eins vorn, eins hinten den Rücken entlang, dem Vater am Hals, ihn streichelnd und küssend: »Vatichen, liebes Vatichen, nun sind wir wieder bei dir!«

»Mein Bubi – mein Mädichen – seid ihr groß geworden in dem Jahr!«

Mit dem einen Arm umschlang der Professor seine Zwillinge, mit dem andern seine Frau, die, Tränen in den Augen, vor Freude kein Wort über die Lippen brachte. So hielt er sekundenlang sein langentbehrtes Glück in den Armen. Bis eine laute Stimme sie unsanft auseinander riß. Ein Gepäckkarren fuhr gerade auf sie los.

Jetzt erst sah Professor Winter, daß er nicht nur seine beiden Kinder, Herbert und Suse, umfangen gehalten hatte, sondern noch zwei andere: den vierbeinigen, in den italienischen Bahnhofstumult auf gut deutsch blaffenden Bubi, ein schwarzes Hündchen, das sein kleiner Herr, der zweibeinige Bubi, auf dem Arm hatte, und die Puppe seines Töchterchens.

»Zuerst das Gepäck«, ordnete der Vater an, alle Wiedersehensfreude dem Notwendigen gegenüber zurückdrängend.

»Nein, zuerst der Vesuv! Wo ist er?« Herbert sah sich in der rauch- und menschenerfüllten Bahnhofshalle suchend um.

»Den wirst du schon noch zu sehen bekommen, mein Junge«, vertröstete ihn der Vater und übergab einem Gepäckträger die Handtaschen und den Schein für das große Gepäck. Dann nahm er liebevoll den Arm seiner Frau, während Suse sich an seinen andern Arm hängte. Herbert und sein Bubi aber eilten aufgeregt hinter dem Facchino mit Nr. 385 her, der das Handgepäck davonschleppte. Wenn er nun ein Dieb war und mit ihrem Eigentum davonlief?

Schreiende Hoteldiener umgaben, mit lebhaften Handbewegungen die Vorzüge ihrer Gasthäuser in allen möglichen Sprachen anpreisend, im dichten Knäuel die Ankommenden. Kaum daß man sich durch diese Menschenmauer einen Weg zu den Wagen bahnen konnte. Suse klammerte sich ängstlich an des Vaters Hand.

»Siehst du braun aus, Vatichen! Wie unser Teddybär!« Ordentlich fremd erschien dem kleinen Mädchen das von der südländischen Sonne stark gebräunte Antlitz des Vaters.

Als man nun glücklich bis zu einer Droschke durchgedrungen war, zeigte es sich, daß zwar Nr. 385 mit dem Handgepäck zur Stelle war, nicht aber der zweibeinige und der vierbeinige Bubi.

»Um Himmels willen, wo ist Herbert?« Die Mutter, von der langen Reise ziemlich abgespannt, sah sich erschreckt nach allen Seiten um.

Suse begann zu weinen, trotzdem sie schon zehn Jahre alt war. »Herbert ist fort, mein Herbert ist verlorengegangen.« Die Aufregung und Reiseermüdung löste sich bei dem Kinde in Tränen.

»Sei ruhig, Suschen, er wird gleich wieder da sein«, tröstete der Vater, angestrengt in dem Menschengewühl nach seinem Jungen Umschau haltend. Aber ein wenig unbehaglich war dem Professor selbst dabei zumute. Ein kleiner Junge allein in dem Bahnhofsgetümmel einer fremden Stadt, deren Sprache er nicht mal verstand, das war immerhin eine verwickelte Geschichte.

»Herbert – Herbert – – –«, rief er auf gut Glück in das Gewühl hinein. »Herbert – Herbert –«, schluchzte Suse hinterdrein.

»Wollen wir uns nicht lieber gleich an die Polizei wenden, Paul?« schlug die Mutter mit blassen Lippen vor. »Unser Junge kann sich doch hier im fremden Lande nicht mal verständlich machen. Auf allen Bahnhöfen unterwegs habe ich ihn nicht von der Hand gelassen, und jetzt, wo wir glücklich bei dir sind, passiert das.« Es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte Frau Professor Winter es ebenso gemacht wie ihr Töchterchen, das seinen Tränen freien Lauf ließ.

Der Professor trat an einen Hüter der öffentlichen Ordnung heran. In fließendem Italienisch berichtete er, daß ihm sein kleiner zehnjähriger Sohn in Begleitung eines schwarzen Hundes abhanden gekommen sei.

Der Polizist machte seine Notizen. Name: Herbert Winter aus Berlin. Alter: Zehn Jahre. Aussehen: Hellbraunes Haar, blaue Augen, frisches Gesicht. Kleidung: Matrosenanzug, dunkelblaue Matrosenmütze. Schwarzer Hund, auf Namen Bubi hörend. Sprache: Deutsch.

Mit der Liebenswürdigkeit, die den Italiener auszeichnet, sagte der Polizist tröstlich: »Keine Angst, Signore. Sie werden den Kleinen sicherlich – spätestens morgen – auf dem deutschen Konsulat wieder in Empfang nehmen können.«

»Spätestens morgen –«. Dem Professor blieb das Wort in der Kehle stecken. Inzwischen verging seine arme Frau ja vor Angst. Er gab seine Adresse und Telefonnummer an, mit der Bitte, ihm sofort Nachricht zukommen zu lassen, wenn der Vermißte sich angefunden habe.

Unterdessen hatte sich der Wagenverkehr geregelt, auch die Menschenmenge etwas zerstreut. Autos, Hotelomnibusse und Droschken ratterten davon.

Professor Winter kehrte zu seinem Wagen zurück.

Das war ein schlechter Anfang!

»Unser Junge wird bestimmt auf dem deutschen Konsulat abgegeben, Fränzchen«, begann er beruhigend.

Seine Frau hörte ihn gar nicht. Sie stand aufrecht im Wagen, über den sonnenbeschienenen Platz erregt Umschau haltend.

»Paul, dort drüben, wo die Dienstmänner stehen, ist das nicht – ja, natürlich ist das unser Junge! – – – Herbert – Herbert – – –!« Sie rief und winkte. Das Mutterauge hatte ihn erkannt.

Schnellen Schrittes durchquerte der Professor den Bahnhofsplatz. Mitten unter einer Gruppe Dienstmänner standen ganz gemütlich der zwei- und der vierbeinige Bubi. Der zweibeinige lebhaft in deutscher Sprache redend, der vierbeinige ebenso lebhaft blaffend. Immerhin schien sich der zweibeinige doch noch besser verständlich zu machen. Die Dienstmänner lachten über den drolligen kleinen Fremden und wiesen mit der Hand auf einen im Hintergrunde der Stadt aus dem Gebirgskranz allein aufragenden Bergkegel.

»Vesuvio – si, piccolo – Vesuvio! Vesuv – ja, Kleiner – der Vesuv!« riefen sie dabei.

»Aber der raucht ja gar nicht richtig – man bloß solche olle schwarze Wolke ist da drauf! Vater,« – er lief dem auf ihn zueilenden Professor entgegen –, »Vater, warum spuckt der Vesuv denn gar kein Feuer?«

Der Vater griff erst mal nach dem Arm des kleinen Ausreißers, damit er ihm nur nicht wieder entwische. »Ja, Herbert, Junge, wo steckst du denn? Wo bist du denn bloß geblieben? Mutter sorgt sich Gott weiß wie um dich, Suse weint, und ich habe bereits die Polizei deinetwegen alarmiert.« Es tat dem Vater leid, daß er gleich in der ersten Stunde des langersehnten Wiedersehens schelten mußte.

Der Eindruck seiner ernsten Worte auf den Sohn war ein merkwürdiger.

»Die Polizei, Vater, italienische Polizei? Au fein!« Der Junge strahlte über das ganze Gesicht. »Schade, daß du mich schon gefunden hast!«

»Und unsere Angst, Bubi?« Wenn die Eltern besonders zärtlich waren, gebrauchten sie immer noch den Kosenamen der Kleinkinderzeit »Bubi« oder »Mädi«.

»Mutti ängstigt sich ja immer gleich so doll, wenn ich bloß 'nen Schnupfen kriege. Ich mußte doch erst mal fragen, wo nun eigentlich der Vesuv ist, der immer Feuer spuckt. Aber du hast uns sicher bloß aus Ulk was vorgeredet, Vater. Der Vesuv ist nicht anders als unser Berliner Kreuzberg.« Herbert schien von seinem ersten Eindruck in Neapel recht enttäuscht.

»Warte es ab, Herr Neunmalklug«, meinte der Vater lächelnd.

Die beiden Bubis waren inzwischen zum Wagen transportiert worden. Suse fiel ihrem wiedergefundenen Zwilling um den Hals, als ob sie ihn jahrelang nicht gesehen habe. Die Mutter schloß ihn ebenfalls in die Arme, als müsse sie ihn noch nachträglich vor allem schützen, was ihm hätte passieren können.

Und nun saß man endlich abfahrtbereit, die Zwillinge den Eltern gegenüber auf dem Rücksitz, Herbert sein Hündchen, Suse ihre Schwarzwaldpuppe liebevoll im Arm.

»Avanti – vorwärts!« rief der Vater. »Hü – et –«, schnalzte der Kutscher und knallte mit der Peitsche. Der Gaul zog an. Professors Zwillinge fuhren zum erstenmal durch die Straßen von Neapel, das jetzt für ein ganzes Jahr ihre Heimat werden sollte.

»Was hättest du denn bloß hier in der fremden Stadt angefangen, wenn du uns nicht wiedergefunden hättest, Herbert?« Die Mutter konnte sich noch immer nicht beruhigen.

»Aber ich bin doch schon zehn Jahre alt«, begehrte der Junge auf. »Ich war doch euer männlicher Schutz unterwegs auf der Reise. Bubi hätte ganz sicher eure Fährte gefunden. Und auch sonst hätte es nichts geschadet. Dann hätte ich mir einen Wagen genommen und wäre nach Vaters Wohnung gefahren. Ich weiß doch die Adresse. Tassostraße sieben.«

»Wenn du die Adresse nicht italienisch weißt, würde man dich kaum verstanden haben, mein Junge«, bedeutete ihm der Vater. »Via Tasso, sette, müßt ihr euch merken. Via heißt der Weg, die Straße, auf italienisch. Und sette bedeutet deutsch sieben.«

»Natürlich – sept, sieben, auf französisch. Das haben wir schon in der Waldschule gelernt, Suse. Aber ich brauche das gar nicht. Ich zeige einfach.« Er hob sieben Finger in die Höhe. »Die Italiener machen das auch so.«

Der Vater schmunzelte. Der Junge hatte Beobachtungsgabe. Der kam durch die Welt.

Durch belebte Straßen, über grüne, blumenbestandene Plätze fuhr man. Der Professor machte seine Familie auf dieses oder jenes schöne öffentliche Gebäude aufmerksam.

»Palmen, Suse, sieh nur, Palmen!« rief Herbert aufgeregt, die Schwester in die Seite puffend.

Suse fuhr hoch. Sie hatte die Augen geschlossen. »Wo – wo? Ach, die ollen langen Fliegenwedel, das sind Palmen? Die sehen ja so grau und so verstaubt aus. Unsere Bäume sind im Frühling viel schöner.«

»Du wirst noch deine Freude an der herrlichen Pflanzenwelt haben, Suschen«, vertröstete der Vater.

»Unser Suschen ist müde. Das Kind ist das lange Fahren nicht gewöhnt. Es strengt ja uns Große reichlich an.« Auch die Mutter sah abgespannt aus.

»Nee, ich bin nicht ein bißchen müde«, behauptete das Töchterchen.

»Warum haste denn da die Augen zugeklappt?« verwunderte sich der Bruder. »Guck bloß mal, die Pferde haben hier Fischnetze um, mit Puscheln dran, nur die Ohren von den Gäulen gucken raus.« Herbert war ganz Auge. Er nahm die neuen Eindrücke lebhaft in sich auf.

»Fliegennetze sind das«, erklärte der Vater, »gegen Stechfliegen und Moskitos. So, Suschen, nun kannst du die Augen aufmachen, gleich wirst du das Mittelländische Meer sehen.«

»Ich will gar nicht sehen.« Suse kniff die Augen noch fester zu.

»Nanu?« verwunderte sich der Vater. Er kannte sein früher so liebenswürdiges Töchterchen nicht wieder. Was hatte das Kind? Es war doch nicht krank? »Warum willst du denn die Schönheiten der neuen Heimat nicht sehen, Herzchen?« erkundigte sich der Professor, die Stirn der Kleinen fühlend. Sie schien kühl.

»Nee, ich bin nicht krank! Ich will bloß nicht sehen. Ich will den gräßlichen Vesuv, der Feuer spuckt, nicht sehen.« Da war es heraus, Suses herzbeklemmende Angst vor dem feuerspeienden Berg.

Die Eltern und Herbert lachten. »Mein dummes, kleines Mädelchen!« Der Vater strich ihr beruhigend über die Wangen.

»Der Vesuv ist augenblicklich gar nicht in Tätigkeit. Eine Wolke liegt darüber. Wie kann man nur solch ein Angsthäschen sein!« Suse blinzelte durch die Wimpern. Dann aber riß sie die braunen Augen weit auf. Denn Herbert schrie erregt: »Das Meer – das blaue Meer!«

Tiefblau lag der Golf von Neapel, das weite Mittelländische Meer in der Sonne. Weiße Segelboote zogen wie Riesenschwäne ihre Silberbahn. Hochmastige Schiffe grüßten vom Hafen herüber. Fischerbarken tummelten sich auf den azurblauen Wogen. »O bella Napoli«, das Heimatlied des Neapolitaners, klang vom Gestade herüber.

»O bella Napoli – o schönes Neapel!« wiederholte Frau Professor Winter aus vollem Herzen, nach der Hand ihres Mannes greifend.

Auch Suse dachte nicht mehr an den gefährlichen Vesuv. Die landschaftliche Schönheit, die sich ihren Blicken erschloß, nahm das empfängliche Kind ganz gefangen.

Herbert aber wollte sogleich in den Hafen fahren, um die großen Schiffe zu sehen. Nur schwer ließ er sich auf eine geeignetere Zeit vertrösten.

Durch Santa Lucia, dem am Meer gelegenen Stadtteil mit den herrlichen Hotelpalästen für Fremde, rollte der Wagen. Weiter, immer weiter, am Kai, die Uferstraße entlang, – stets das leuchtendblaue Meer zur Linken. Unter Peitschenknall, Zungenschnalzen und »Hü–et«-Rufen des Kutschers kletterte der Gaul gemächlich die zur Höhe des Bergrückens Posilip führende Straße hinan. Malerisch schmiegten sich weiße Villen in üppig blühende Gärten. Der Vater machte seine Frau und Kinder auf die fremdländischen Pflanzen aufmerksam.

»Schau nur, Granatblüten, Suschen – die brennendroten dort. Die weißen Blüten sind Orangenblüten, die so stark duften. Ich habe sie euch früher mal in Potsdam in der Orangerie von Sanssouci gezeigt. Wir haben jetzt hier Blüte und Frucht zugleich an den Bäumen. Dies ist hier alles Rebgelände. Vignen nennt man die Weinberge.«

»Das da ist eine Zypresse, Vater, nicht wahr?« So bald es sich um Bäume oder Blumen handelte, war Suses Interesse geweckt.

»Nein, eine Pinie, Kind. Wißt ihr den Unterschied, das Erkennungsmerkmal nicht mehr? Ich erzählte oder schrieb es euch schon.«

»Natürlich wissen wir das noch«, warf sich Herbert in die Brust. »Eine Pinie sieht wie ein aufgespannter Regenschirm aus und eine Zypresse wie ein geschlossener.«

»Die Kiefern in unserer Waldschule sind ebenso schön wie die Pinien.« Suschen entpuppte sich als kleine Heimatspatriotin. »Sind wir denn noch nicht bald da?« Sie schien doch jetzt von der Reise und all dem Neuen ermüdet.

Da hielt der Wagen auch schon in der Via Tasso Nummer sieben. Suse war plötzlich wieder ganz munter. Neugierig musterten die Kinder das weiße, inmitten von Gärten liegende Haus, das ihre neue Heimat werden sollte.

Vor der Gartentür stand ein Mann, nur mit Hose und Hemd bekleidet. Seine sonnengebräunte Haut sah wie Bronze aus. Er fletschte die weißen Zähne vor Freude über die Ankömmlinge. Bubi beschnupperte ihn mißtrauisch.

»Das ist Pietro, unser Hausmeister. Gebt ihm die Hand, Kinder, und sagt ihm guten Tag.«

Die Mutter reichte Pietro als erste die Hand. »Buon giorno«, sagte Pietro. Das hieß auf deutsch »Guten Tag«. Er lachte von einem Ohr zum andern vor Freude über die Ankunft der deutschen Gäste.

»Du, Herbert, der Mann trägt ja Ohrringe!« Das war das erste, was Suse, die kleine Evastochter, entdeckte.

Wirklich – große, goldene Ringe baumelten in den braunen Männerohren. Aber Herberts Interesse war von dem Gepäck noch mehr in Anspruch genommen, das der Kutscher und Pietro abluden. Ob auch alles zur Stelle war? Er fühlte sich als männlicher Reisebegleiter von Mutter und Schwester dafür verantwortlich.

Pietro rief etwas in den Garten hinein. Die fremde Sprache klang den Kindern wie Kauderwelsch in die Ohren. Nur das Wort »subito – subito –« hörten sie heraus.

Eine Frau mit bunten Kämmen im schwarzen Haar, mit lebhaften schwarzen Augen in dem dunklen Gesicht, ein rotes Tuch um die Schultern, kam eiligst herzu. Sicher hieß sie »Subito«. Sie ergriff beide Hände der deutschen Dame, dieselben mit einem unverständlichen italienischen Wortschwall an ihr Herz ziehend. Trotzdem Frau Professor Winter italienische Studien getrieben hatte, verstand sie kaum ein Wort davon.

»Das ist Teresina, Pietros Frau, die für uns kochen und der Mutter im Haushalt zur Hand gehen wird«, stellte der Vater vor.

»Ich denke, sie heißt Subito«, flüsterte Suse dem Vater zu, während die Frau den reizenden kleinen »angeli« – auf deutsch Engelchen – begeistert das kurzgeschnittene, hellbraune Haar streichelte.

»Subito heißt schnell, rasch, plötzlich«, lachte der Vater.

Durch einen wundervollen Palmengarten mit seltsamen, großen, bunten Blumen schritt man dem Hause zu.

»Du – Suse – guck' bloß mal, da wachsen ja Zitronen und Apfelsinen – richtige Apfelsinen! Dürfen wir die pflücken, Vater?« Herbert spähte aufgeregt in dunkles Laub, aus dem goldene Früchte leuchteten. Er schien Lust zu haben, sofort auf einen Baum zu klettern.

»Morgen, Kinder, jetzt wollen wir erst mal ins Haus gehen.«

War das ein merkwürdiges Haus. Ein Bogengang von weißen Säulen lief ringsherum, Blumenterrassen tragend.

»Ach, die herrlichen dunkelblauen Glockenblumen, sind die groß und schön!« rief Suse begeistert, auf das die Säulen umwindende Blütengerank weisend.

»Das ist Klematis, wie wir ihn auch bei uns zu Lande haben. Nur wird er im Norden nicht so groß, so üppig und leuchtend wie unter italienischer Sonne. Und nun seid mir von Herzen willkommen, meine Lieben!« An der Schwelle des Hauses zog der Professor Frau und Kinder noch einmal in die Arme.

»Gottlob, daß wir wieder beisammen sind!« sagte die Mutter innig. Wenn sie auch etwas vor dem neuen Leben im fremden Lande bangte, sie war ja wieder an der Seite ihres Mannes.

Die Kinder waren inzwischen durch eine große, nach dem Garten zu offene Halle, den Eltern voran, schon ins Haus gestürmt. Auf dem spiegelblanken Mosaikboden des Vestibüls begann Herbert sofort zu schliddern. Suse, so müde sie auch war, als Zwilling hinterdrein.

»Na, ihr scheint euch ja schon ganz zu Hause zu fühlen, Krabben«, lachte der Arm in Arm mit der Mutter näherkommende Vater.

»Wohnen wir oben oder unten, Vati?« erkundigte sich Suse.

»Oben und unten. Im Erdgeschoß liegt der Eß- und Wohnraum und mein Arbeitszimmer, oben die Schlafzimmer, im Souterrain die Küche. Dort wohnen auch Pietro und Teresina. Ich habe das ganze Haus für uns gemietet.«

»Ganz allein für uns? Famos! Da können wir Krach machen, soviel wir wollen, Suse, ohne daß gleich einer raufschickt und um Ruhe bitten läßt.«

»Nehmt's euch nur gut vor«, lachte der Vater.

»Wo ist denn unsere Kinderstube, Vatichen? Meine Lotti muß jetzt ins Bett. Die Schlafaugen fallen ihr schon zu.« Dabei schien die kleine Puppenmutter nicht weniger müde.

»Die Kinderstube ist im oberen Stockwerk. Von dort hat man einen herrlichen Blick aufs Meer und auf den Vesuv.«

Suse riß die vor Müdigkeit schon klein gewordenen Augen wieder weit und entsetzt auf. »Auf den Vesuv, Vati? Der Vesuv guckt in unsere Kinderstube? Da schlafe ich nicht. Da graule ich mich ja tot!« Suse fing an zu weinen.

»Mädels sind wirklich manchmal doof!« sagte Herbert im Brustton der Überzeugung, sich ganz als Mann fühlend, zum Vater. Er jagte mit dem lustig kläffenden Bubi den andern voran die weiße Marmortreppe hinauf, die ins obere Stockwerk führte.

»Wir werden Suse in das Zimmer nach hinten in den Garten hinaus einlogieren, damit das Kind zur Ruhe kommt und sich nicht aufregt«, schlug der Vater vor.

Suse wollte nichts mehr sehen, nichts mehr essen, nur ins Bett. Sie war todmüde. Als sie sich davon überzeugt hatte, daß der gefürchtete Vesuv von ihrem Fenster aus nicht sichtbar war, ließ sie sich wie ein kleines Kind von der Mutter abwaschen und zu Bett bringen. Kaum hatte sie noch Zeit, sich über das weiße Moskitonetz, das von der Decke herab das Bett umbauschte, zu wundern. Kaum dachte sie noch daran, ihrem Vati nach einem ganzen Jahr endlich wieder den Gutenachtkuss zu geben. Sie schlief noch vor ihrer Schwarzwald-Lotti, die steif und aufrecht auf einem Stuhle saß.

Der Zwillingsbruder aber war noch höchst mobil. Er schnupperte mit Bubi, dem vierbeinigen, in allen Winkeln des neuen Hauses herum und ließ sich die von Teresina gekochten Makkaroni mit Tomatensoße und Parmesankäse herrlich munden. Er war von der Terrasse mit dem weiten Blick aufs Meer nicht ins Bett zu bekommen.

Süß und schwer strömte der Blütenduft. Aus den dämmerigen Gärten, aus den ins Meer hinausgleitenden Fischerbarken klang heller Sang – o bella Napoli!

Professors Zwillinge in Italien

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