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3. Kapitel In der neuen Heimat

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Dem Professor machte es unterwegs Spaß, die innere Verschiedenheit seiner Zwillinge, die sich doch äußerlich so ähnlich waren, zu beobachten. Was wohl von all dem Neuen hier in Neapel den stärksten Eindruck auf sie machte. Herbert war von der Grotta nuova, einem großen Tunnel, in dem ein ohrenbetäubender Wagen- und Straßenbahnverkehr herrschte, restlos begeistert. Auch die Funicolare, die Drahtseilbahn, welche die untere Stadt mit den auf den Bergen liegenden Stadtteilen verbindet, interessierte ihn lebhaft. Suse war es unheimlich in der langen, den Possilip durchtunnelnden Grotta nuova, sie schmiegte sich fest an des Vaters Arm. Den Radau dort unten fand sie gräßlich. Auch die Funicolare erfreute sich nicht ihres Beifalls. Himmel, wenn das Drahtseil riß – wenn man plötzlich in die Tiefe sauste! Sie hatte für des Vaters Erklärungen der kastenartig übereinandergebauten Bahn, die durch ein Drahtseil mit einer zweiten Bahn verbunden war, gar kein Ohr.

»Suse, die beiden Bahnen gehen gleichzeitig ab, die eine oben, die andere unten. Sie ziehen und halten sich gegenseitig durch das Drahtseil. In der Mitte treffen sie sich. Hast du's verstanden?« Herbert fühlte sich stets verpflichtet, wenn er etwas gelernt hatte, sein Zwillingsschwesterchen zu belehren.

»Wenn das olle Drahtseil aber reißt?« war alles, was Suse davon begriffen hatte.

Auch die Mutter hörte nichts von den technischen Auseinandersetzungen. Sie blickte still und andächtig auf das herrliche Landschaftsbild. Der Golf, der wie ein leuchtendblauer Gürtel die weißen Häuser Neapels umschlang, rings umkränzt von zartviolettem Gebirge, den Apenninen, aus denen der Vesuv so harmlos herausragte, als ob er kein Wässerchen trüben könne – als hätte er nie blühende Städte und lebensfreudige Menschen unter seinem glühenden Aschenregen begraben. Und dann glitt ihr Blick wieder von der Landschaft da draußen zu dem sonnengebräunten Gesicht ihres Gatten, und Dankbarkeit durchströmte sie, daß man endlich wieder vereint war. Wenn ihre Zwillinge auch liebe, gutgeartete Kinder waren, der Vater hatte den beiden während des Jahres, das er allein in Neapel zugebracht, doch recht gefehlt. Das empfand sie jetzt erst aufs neue, als sie beobachtete, mit welcher Freude er den Kindern alles ihnen Fremde erklärte und ihre Kenntnisse dabei bereicherte.

Es war, trotzdem man erst im April war, recht heiß in der Mittagsstunde. In der Via Roma, der Hauptverkehrsstraße Neapels, in der das geschäftliche Treiben, der Fremdenstrom und das Volksleben sich abspielt, wurde einem ganz wüst im Kopf. Peitschenknall und Wagengerassel, unverständliches Geschrei von allerhand Waren ausbietenden Händlern. Die Zwillinge sperrten hier Augen und Ohren auf.

Besonders ein Korallen- und Mosaikschmuck verkaufender Italiener heftete sich an die Fersen der deutschen Familie, ihnen immer wieder seine Waren anpreisend, sooft auch der Professor ihn auf italienisch abwies: »Wir kaufen nichts – niente – basta!«

Eine allerliebste Brosche in Form einer kleinen Mandoline aus hellblauen Mosaiksteinen hielt der Verkäufer Suse vor die Augen: »O bellissimo – schön, serr schön für kleines Signorina«, versuchte er sie zu überreden.

Ei – der Suse gefiel die kleine Mandoline. Die hätte sie gar zu gern gehabt. »Vatichen,« bat sie, »kauf' doch dem armen Mann die süße kleine Mandoline ab. Er bittet doch so.«

»Ausgeschlossen, Kind. Daran muß man sich hier in Italien gewöhnen. Die Händler und Bettler sind oft recht lästig. Kauft man ihnen etwas ab, wird man sie gar nicht mehr los. Man ersteht alles in den Geschäften billiger und reeller.«

»Aber die Mandoline ist doch so niedlich, bitte, bitte« –, jetzt fing auch noch die Suse an zu betteln; denn der Italiener lief immer noch neben ihnen her, die kleine Mandoline verlockend in die Höhe haltend.

»Nein, mein Herzchen. Du mußt dich daran gewöhnen, nicht gleich alles haben zu wollen, was du siehst.«

Suse schob die Unterlippe vor; der erste Verweis vom Vater, wenn er auch in noch so liebevollem Tone gegeben war, ging ihr nahe.

Zum Glück hatte sie nicht lange Zeit, der Mandoline und der väterlichen Zurechtweisung nachzutrauern.

»Ach, sind das winzige Balkons hier in Neapel – wie Vogelbauer. Vater, warum haben die so häßliche, braune Vorhänge?« Herbert hatte seine Augen überall.

»Gegen die heiße italienische Sonne, mein Sohn. Sieh nur, überall sind die Fensterläden gegen Staub und Hitze geschlossen.«

»Gar keine Blumen sind auf den Balkons gepflanzt«, bedauerte Suse.

»Nein, Balkonblumen kennt man hier nicht. Nur auf den größeren Terrassen werden Blumen angepflanzt. Schau, Suschen, die Blumenverkäuferinnen auf der Straße haben ihre Waren in Glaskästen, damit sie frisch bleiben.«

»Suse, sieh bloß mal die ulkigen Gassen.« Herbert puffte die Schwester aufmunternd in die Seite. »Aus Steintreppen bestehen sie und so schmal sind sie. Sieh nur, Suse, da sind lauter Wäscheleinen kreuz und quer von einem Haus zum gegenüberliegenden gespannt. Da trocknen die Leute ihre Wäsche. Vater, können wir nicht mal solche drollige Straße hinaufgehen?«

»Diese Gässchen sind nicht sehr einladend und appetitlich. Immerhin echt neapolitanisch.« Der Vater kam Herberts Bitte nach und bog mit ihnen in eine dieser mit Steinstufen zur Höhe klimmenden Gässchen ein.

Puh – war das eine Luft da drin. Es roch nach verwesenden Küchenabfällen, welche die Bewohner dort einfach aus dem Fenster zu schütten pflegten. Überall sah man Bananen- und Orangenschalen auf dem Pflaster liegen. Dazu strömte aus den Häusern ein brenzliger Duft von in Öl gebackenen Fischen. Es wurde der Suse ganz übel zumute.

»Vati, wir wollen hier nicht weitergehen, es riecht abscheulich.« Sie zog ihn zurück.

»Hab' dich nicht, Suse«, ereiferte sich Herbert. »Käse riecht auch schlecht und schmeckt trotzdem gut. Sieh bloß mal, da kämmt eine Mutter ihr Kind auf der Straße vor dem Hause. Und da schält eine Frau Kartoffeln, und dort drüben steht sogar eine mitten auf der Straße am Waschfass und singt«, rief Herbert erstaunt.

»Ja, das Leben des Volkes spielt sich hier in Neapel zum größten Teil auf der Straße ab«, bestätigte der Vater.

»Dort macht ein kleines Mädchen Schularbeiten mitten auf der Straße«, rief auch Suse verwundert.

»Wenigstens lernen jetzt die Kinder hier in Neapel Lesen und Schreiben. Es gibt hier noch alte Leute, die es nicht können. Öffentliche Schreiber und Vorleser auf den Plätzen waren hier früher von dem Volk, das nicht lesen und schreiben konnte, sehr gesucht«, erzählte der Vater den Kindern.

»Wie können große Leute nur so dumm sein!« Herbert war wieder mal mit seinem Urteil fertig.

»Seht mal, Kinder, die kleinen Nackedeis dort, die nehmen Sonnenbäder«, lachte die Mutter, auf eine ganze Horde kleiner brauner Kinder, die sich auf den Steinstufen der bergigen Gasse sonnten, weisend. Aber als die Fremden jetzt vorübergingen, streckten sie ihre schmutzigen Händchen aus und bettelten: »Un soldo – un soldo!« Sogar die ganz Kleinen, die kaum sprechen konnten, bettelten schon: »Un so – un so!«

»Muttichen, haben wir nicht noch alte Sachen für die armen nackenden Kinder?« bat Suse, Tränen in den Augen. Ihr Mitleid war geweckt.

»Die Kinder wollen deine Sachen gar nicht, Herzchen. Die gehen nackt, weil's ihnen bequemer ist, und weil die Mittagssonne heiß brennt. So, schaut euch noch die kleinen Makkaroni-Esser hier an.« Der Vater wies auf eine Gruppe bronzefarbener Jungen, die aus einem gemeinsamen Topf mit den Händen ihre Makkaroni herunterschlangen. Sie entwickelten dabei eine ungeheure Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Es sah aus, als ob sie um die Wette äßen.

»Wie unmanierlich die essen!« meinte Suse naserümpfend. »Ohne Gabel und ohne Serviette.«

»Die kleinen Neapolitaner sind noch urwüchsig. Ihre Finger sind ihre Gabel«, lachte der Vater.

Aber die Zwillinge waren doch froh, als sie aus der engen, stickigen Gasse wieder zu breiten, schönen Straßen zurückkehrten.

Fruchthändlerinnen, bunte Kämme in den schwarzen Haaren, mit farbenleuchtenden Tüchern, boten allenthalben an den Ecken laut schreiend Südfrüchte aus.

»Vati, ich habe Durst.« Herbert schielte zu den verlockenden Auslagen, Apfelsinen, Mandarinen, Feigen, Datteln und Bananen hinüber. Der gute Vater kaufte herrliche Orangen.

»Hier werden schon aufgemachte Apfelsinen verkauft, nimm doch lieber die«, riet der praktische Sohn.

»Nein, das ist ungesund! Die italienischen Verkäuferinnen sind nicht sauber. Ihr dürft nur Früchte essen, die in Schalen verkauft werden, wenn sie ungewaschen sind. Nie etwas ohne Erlaubnis von den Straßenhändlern kaufen. Versprecht mir das, sonst könnt ihr leicht krank werden«, verlangte der Vater.

Das versprachen die Kinder und ließen sich die schönen, großen Früchte schmecken.

Nachdem sie noch die Galleria Umberto mit ihren eleganten Magazinen und Cafés, das Königliche Schloß, Palazzo Reale genannt, bewundert hatten, merkte der Professor, daß nicht nur Suse blaß und müde aussah, sondern daß auch seine Frau allmählich von all dem Neuen abgespannt wurde.

»Nun werden wir nach St. Elmo hinauffahren und dort essen«, schlug er vor. »Ihr habt vorläufig genug gesehen. Dort oben, von dem Belvedere des alten Klosters, hat man den schönsten Blick auf Neapel und Umgegend.«

»Und der Hafen, Vater? Und das Aquarium? Du hast mir versprochen, daß wir heute hingehen.« Herbert und sein Bubi hatten noch lange nicht genug.

»Ihr bleibt ja mindestens ein Jahr hier, Junge. Da müssen wir doch nicht alles gleich am ersten Tage erledigen. Zum Hafen will ich nachmittags mit euch. Jetzt brennt dort draußen auf der Mole die Sonne zu sehr. Soll ich einen Wagen nehmen, Fränzchen? Du siehst müde aus und Suschen ebenfalls.«

»Au ja, einen Wagen, Vati!« Suse war plötzlich wieder ganz munter geworden.

Und nun erholten sie sich bei einer herrlichen Wagenfahrt aus dem Stadtgewühl hinauf zu den Höhen. Den Corso Vittorio Emanuele ging es aufwärts, der in kühnen Windungen um die Höhe von St. Elmo herumführt.

»Seht mal, Kinder, die Straße ist zum Teil auf Viadukten aufgebaut«, machte der Professor seine Familie auf den kühnen kunstvollen Bau der Straße aufmerksam.

»Viadukt, was ist das, Vater?« erkundigte sich Suse gähnend.

»Eine Art Brücke, die von Steinpfeilern getragen wird und eine Verbindung über ein Tal hinweg bildet.«

»Eisenbahnviadukte gibt's auch, Suse.« Herbert spielte sich schon wieder auf, trotzdem er eigentlich auch nicht genau gewußt hatte, was ein Viadukt war.

»Können die auch nicht einstürzen?« Die Suse war und blieb nun mal ein kleiner Angstmeier.

In den Gärten, welche die Villen umkränzten, blühte es in allen Farben, in allen Düften. Da zeigte es sich, daß die Suse bei den Blumen und Bäumen besser Bescheid wußte als ihr Zwillingsbruder.

Die großen weißen und rosa Tulpenbäume, Magnolien genannt, blühende Pfirsich- und Aprikosenbäume in ihren rosenroten Blütenkleidern, alle kannte sie. Auch den Gummibaum – »genau so einen hat unsere Omama in Berlin, nur viel kleiner. Aber die ollen großen Kaktüsse finde ich gar nicht schön. Meine kleinen in Berlin, die du mir geschickt hast, Vati, sind viel niedlicher.«

»Kakteen heißt die Mehrzahl von Kaktus, Herzchen«, verbesserte der Vater.

»Na, es heißt doch auch die Nuss – die Nüsse«, beschwerte sich Suse.

Aber die Feigenbäume mit ihren rundgezackten Blättern, die fleischigen, blaugrünen Blätter der Agaven mit ihren herrlichen Blüten und die grauen Olivenbäume waren Suse fremd. »Ach, Kastanien«, rief sie freudig, daß sie wieder etwas Bekanntes sah.

»Ja, Edelkastanien, Suschen. Ihre Früchte sind die Maronen, die unten in den Straßen auf Feuer geröstet und verkauft werden.«

Suse konnte schon gar nicht mehr gucken. Sie schloß ermüdet die Augen, trotzdem der Blick auf die Stadt, das Meer und die Berge, je höher man kam, sich um so herrlicher gestaltete.

Und als man dann auf der von Orangengärten umbuschten Glasterrasse vor der Speisekarte saß, mußte man seinen müden Kopf auch noch anstrengen.

»Was wollt ihr essen, Kinder? Ihr dürft euch heute das erste mal, wo wir wieder beisammen sind, etwas auswählen«, sagte der Vater.

»Au fein! Richtig nach der Speisekarte, Vater?« Professors Zwillinge waren noch nicht oft in ihrem zehnjährigen Leben in einem Restaurant gewesen.

»Mit der Speisekarte werdet ihr nicht viel anzufangen wissen«, meinte der Vater lächelnd. »Sie ist italienisch. Ihr versteht sie nicht.«

»Na, Suppe und Braten verstehen wir doch, das kann doch in Italien auch nicht anders schmecken als in Deutschland«, erklärte Herbert.

»Aber es heißt hier anders. Such' dir nur was aus, mein Sohn, wenn du so schlau bist«, scherzte der Vater.

Da saß nun Herbert vor der großen italienischen Speisekarte mit lauter fremdländischen Namen. Himmel, war denn da gar nichts drauf, was er herauskannte? Aber seine Unwissenheit eingestehen, das tat er doch zu ungern, trotzdem er die italienischen Bezeichnungen der Speisen gar nicht kennen konnte.

»Pollo«, sagte er schließlich auf gut Glück, weil es das leichteste und kürzeste Wort war, was er fand.

»Sieh mal an,« lachte der Vater, »du bist gar nicht so dumm. Fränzchen, dir rate ich Fritto misto zu essen. Das ist gemischtes Gebackenes, aus Leber, Kalbsmilch, Artischocken bestehend – eine italienische Spezialität, die besonders zu empfehlen ist.«

»Ich dachte, Misto heißt Mist«, sagte Herbert laut.

»Aber Junge –!« Es war nur gut, daß die Umsitzenden kein Deutsch verstanden. »Und was will unser Suschen essen?«

»Was Schönes.« Suse war viel zu müde, um selbst etwas zu wählen.

»Risotto, risotto alla Milanese, das wird dir gewiß schmecken.« Der Vater rief: »Cameriere« – worauf der Kellner erschien, der die Bestellung entgegennahm.

»Warum nennst du den Kellner Kammer-Jöre und nicht Ober?« verwunderte sich Suse.

»Cameriere – das heißt Kellner auf italienisch. Mit einer Kammer oder gar mit einer Jöre hat das Wort nichts zu tun.« Der Vater hatte lange nicht so viel gelacht wie heute über seine Zwillinge.

»Ich habe Hunger«, sagte Herbert. »Wo bleibt mein Pollo?« Er tat sehr großartig vor Suse.

»Weißt du denn, was Pollo ist, Herbert? Pollo ist Hammelbraten«, sagte der Vater neckend, denn er erinnerte sich noch, daß sein Sohn Hammelfleisch nicht gern aß.

»Nee, ach nee! Wirklich, Vati? Dann muß Suse den ollen Pollo essen oder Bubi. Suse, tauschst du mit mir? Ich kriege deinen Otto oder wie das Zeug heißt, ja?«

»Risotto, Herbert.« Vater und Mutter lachten, daß sie Tränen in den Augen hatten.

»Na, meinetwegen.« Suse war teils aus Gutmütigkeit, teils aus Müdigkeit mit allem einverstanden.

Da brachte der Kellner die Speisen. »Pollo«, sagte er.

»Hier, für das kleine Fräulein«, erklärte der Vater italienisch. »Risotto bekommt mein Sohn. Das andere hierher.«

»Nanu?« sagte Herbert, mit langem Gesicht auf seinen Reis blickend und dann auf den Teller seiner Schwester. »Nanu? Das ist ja ganz gewöhnlicher Reis, und Pollo ist überhaupt kein Hammel, sondern Huhn. Das esse ich sehr gern.« Er weinte beinahe vor Enttäuschung.

»Siehst du, Herbert, das kommt davon, wenn man eine Unwissenheit nicht eingestehen mag. Man muß nicht immer alles besser wissen, alles verstehen wollen. Kein Mensch ist zu alt, um noch zu lernen. Und ein kleiner, zehnjähriger Junge hat noch sehr viel zu lernen.«

»Komm, Herbert, wir tauschen wieder zurück«, sagte die gute Suse, trotzdem das schön gebratene Huhn sie recht anlachte. Sie zog den Duft wie Bubi, der sachverständig und schwanzwedelnd den Gang der Dinge verfolgte, prüfend ein.

»Nee, dann teilen wir – wir sind ja Zwillinge!« rief Herbert rot werdend. Suse war doch viel besser als er.

Und so geschah's. Pollo und Risotto wurden unter die Zwillinge geteilt, und die Knochen bekam Bubi.

Bänkelsänger mit Gitarre, Geige und Harfe sangen zum Mahl italienische Volkslieder.

»Funicoli – funicoli, funicoli – cola«, – oh, das kannten die Zwillinge. Ausgelassen sangen sie den Refrain mit. Denn der feurige Vesuvwein, den sie kosten durften, hatte sie wieder ganz übermütig gemacht. Dann spielten sie, während die Eltern bei dem herrlichen Rebensaft noch die Aussicht genossen, in den alten Felsmauern des ehemaligen Kastells Versteck.

Ein Kastell ist ein italienisches Schloß, so hatte ihnen der Vater erzählt. Es war ein sehr altes Schloß, grau und verwittert. Suse konnte sich vorstellen, daß Dornröschen darin den hundertjährigen Schlaf schlief. Zwischen dem alten Mauergestein sprießte und blühte es – Kletterrosen wuchsen da in üppiger Fülle, ganz wie bei Dornröschen. Suse verbarg sich in einer Mauernische, während Herbert sich die Augen zuhielt, um sie zu suchen.

Das kleine Mädchen saß in seinem Versteck, blinzelte in das silberflirrende Mittagslicht, lehnte das Köpfchen gegen die Steinmauer und – schlief ein. All das Neue, was es kennengelernt, die Mittagswärme und der Vesuvwein noch obendrein machte müde. Mitten unter Kletterrosen schlief die Suse wie Dornröschen. Aber ihr Schlaf dauerte zum Glück keine hundert Jahre. Herbert stöberte sie nicht auf. Der suchte sie vergebens. Aber ein anderer kam, das schlafende Dornröschen zu wecken. Ein Prinz war es zwar nicht, der sie wachküsste – nur Bubi, der sie mit kalter, schwarzer Hundenase beschnupperte.

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