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II.
ОглавлениеAn einem Freitag Abend im Monat November 1793 knetete Lisbeth nach ihrer Gewohnheit den Teig, um Hausbrod zu backen. Da es zugleich auch Fladen und Aepfelkuchen geben sollte, so hielt ich mich bei ihr in der Küche auf und sah ihr zu, indem ich mich den angenehmsten Betrachtungen hingab.
Als der Teig fertig war, setzte man Bierhefe zu, kratzte ringsherum den Backtrog ab und deckte eine dicke Federdecke darüber, um ihn gehen zu lassen. Dann breitete Lisbeth die Gluthen des Herds im Ofen aus und schob mit der Stange drei große trockene Reisigbündel hinein, die alsbald unter dem [15] finstern Gewölbe zu flammen anfingen. Als nun das Feuer gut brannte, schloß sie das Schürloch und sagte zu mir:
»Jetzt, Fritzel, wollen wir zu Bett gehen; morgen, wenn Du aufstehst, wird’s Kuchen geben.«
Wir stiegen also in unsere Kammern hinauf. Onkel Jakob schnarchte schon seit einer Stunde hinten in seinem Alkoven. Ich legte mich nieder, an die guten Sachen denkend, und brauchte nicht lange, um wie ein seliger einzuschlafen.«
Das dauerte schon ziemlich lange, es war noch Nacht und der Mond glänzte voll in mein kleines Fenster, als ich durch einen sonderbaren Lärm geweckt wurde; es war, wie wenn das ganze Dorf zum Märchen geworden wäre; in der Ferne öffneten und schlossen sich Thüren; eine Menge von Schritten ging durch die kothigen Pfützen der Straße hin und wider. Zugleich hörte ich auch in unserem Haus kommen und gehen, und purpurne Reflexe spielten auf meinen Scheiben.
Man denke sich mein Erstaunen.
Nachdem ich gelauscht hatte, stand ich behutsam auf und öffnete ein Fenster. Die ganze Straße war voll Menschen, und nicht allein die Straße, sondern auch die kleinen Gärten und Gäßchen rings umher: nichts als große muntere Bursche, mit ungeheuren dreieckigen Hüten, mit langen blauen, roth auf geschlagenen Röcken, breiten weißen Wehrgehängen über die Schulter und großen Zöpfen auf dem Rücken; ohne der Säbel und der Patrontasche zu gedenken, die ihnen um die Lenden baumelten und die ich zum erstenmal sah. Sie hatten ihre Gewehre in Pyramiden vor unserer Scheuer aufgestellt; zwei Schildwachen marschierten dabei auf und ab; die anderen gingen in die Häuser, wie wenn sie da zu Hause wären.
An der Ecke beim Stall stampften drei Pferde den Boden. Weiter weg vor der Metzig von Seppel, auf der anderen Seite [16] des Platzes war an den Mauerhaken, wo man die Kälber abstreifte, beim Schein eines großen flackernden und den Platz erleuchtenden Feuers ein ganzer Ochse aufgehängt. Sein Kopf und sein Rücken schleiften auf der Erde. Einer der Männer in Hemdärmeln und mit muskulösen Armen zog ihm die Haut ab; er hatte ihn von oben bis unten aufgetrennt. Die blauen Eingeweide ergossen sich mit dem Blut in den Koth. Die Gestalt des Mannes mit seinem nackten Hals und seiner Haßel war fürchterlich anzusehen.
Ich begriff alsbald, daß die Republikaner das Dorf eingenommen hatten, und während ich mich ankleidete, betete ich im stillen um die Hilfe des Kaisers Joseph, von dem Herr Karolus Richter so oft sprach.
Die Franzosen waren während unseres ersten Schlafes angekommen und gewiß schon vor zwei Stunden, denn als ich mich anschickte, herab zu steigen, sah ich ihrer drei, gleichfalls in Hemdärmeln wie der Schlächter, die mit unserer Schaufel das Brod aus dem Backofen zogen. Sie hatten der Lisbeth die Mühe des Backens, ebenso wie jener andere dem Seppel die Mühe des Schlachtens erspart. Diese Leute wußten mit allem umzugehen; nichts setzte sie in Verlegenheit.
Lisbeth saß in einem Winkel, die Hände über den Knieen gekreuzt und betrachtete sie mit ziemlich friedlicher Miene; ihre erste Furcht war überstanden. sie sah mich oben am Geländer und rief:
»Fritzel, komm herab! sie thun dir nichts.«
Darauf stieg ich herunter, und die Männer setzten ihre Arbeit fort, ohne sich um mich zu bekümmern. Die Thüre zum Gang links war offen, und ich sah im Obstgarten zwei andere Republikaner beschäftigt, den Teig zu einem zweiten oder dritten Einsatz anzumachen. Endlich, rechter Hand sah [17] ich durch die halbgeöffnete Thüre des Wohnzimmers den Onkel Jakob auf einem Stuhle am Tische sitzen, während ein kräftiger Mann mit dickem rothem Backenbart, kurzer runder Nase, hervorspringenden Augbrauen, weit vom Kopf abstehenden Ohren und einer armsdick über die Schulter hinabhängenden Flachsperücke, sich im Lehnsessel niedergelassen hatte und mit Appetit einen unserer Schinken versäbelte. Man sah nur seine großen braunen Fäuste, in der einen die Gabel, in der anderen das Messer, auf- und abgehen, und seine dicken muskulösen Backen arbeiten. Von Zeit zu Zeit nahm er das Glas, trank einen guten Schluck und setzte sein Geschäft fort.
Er hatte bleifarbene Epauletten, einen großen Säbel mit Lederscheide, dessen Griff hinter seinem Ellenbogen heraufstieg, und Stiefel, so mit Koth überzogen, daß man nichts mehr sah, als die gelbe Erde, die an ihnen zu trocknen begann. Auf dem Schranke lag sein Hut mit einem Busch von rothen Federn, die im Luftzug spielten, denn trotz der Kälte waren die Fenster offen; eine Schildwache ging hinten auf und ab, Gewehr im Arm, und blieb von Zeit zu Zeit stehen, um einen Blick auf den Tisch zu werfen. Während er ruhig den Schinken weiter zerarbeitete, hob der Mann mit dem dicken Backenbart mit barscher Stimme an:
»Also, du bist Arzt?«
»Ja, Herr Kommandant!«
»Nenne mich Kommandant, kurzweg oder Bürger Kommandant; ich habe es dir schon gesagt, die »Herrn und die »Madamen sind abgeschafft. Aber, um auf unsere Rede zurück zu kommen; du mußt das Land kennen; ein Landarzt kennt seine Gegend. Wie weit haben wir nach Kaiserslautern?«
»Sieben Stunden, Kommandant!«.
»Und nach Pirmasens?«
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»Ungefähr acht.«
»Und nach Landau?«
»Ich glaube fünf gute Stunden.«
»Ich glaube, ungefähr, beiläufig, ist das auch die Rede eines Mannes, der in der Gegend zu Hause ist? Höre, du scheinst mir Angst zu haben. Du fürchtest, daß, wenn die Weißröcke hier durchkommen, sie sich für die Auskunft, die du mir gibst, aufhängen. Schlage dir diesen Gedanken aus dem Sinn! die französische Revolution beschützt dich.«
Und indem er den Onkel mit seinen grauen Augen scharf ansah, sprach er, sein Glas erhebend:
»Auf das Wohl der einen und untheilbaren Republik!«
Sie stießen zusammen an, und der Onkel, ganz blaß, trank auf die Republik.
»Nun denn,« hob der andere an, »hat man hier keine Oesterreicher gesehen?
»Nein, Kommandant.«
»Ist das gewiß? Wie! schau’ mir in’s Gesicht.«
»Ich habe keinen gesehen.«
»Bist du nicht in den letzten Tagen in Rehthal gewesen?«
Der Onkel war richtig vor drei Tagen in Rehthal gewesen; er glaubte, der Kommandant sei hiervon durch einen Dorfbewohner in Kenntnis gesetzt und antwortete:
»Ja, Kommandant.«
»So, und es gab dort keine Oesterreicher?«
»Nein!«
Der Republikaner leerte sein Glas und warf einen schiefen Blick auf Onkel Jakob; dann streckte er den Arm aus und faßte ihn mit einer sonderbaren Miene am Faustgelenk:
»Du sagst: Nein.«
»Ja, Kommandant.«
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»Gut, du lägst!«
Und mit langsamer Stimme setzte er hinzu:
»Wir hängen nicht, wir Republikaner, aber wir erschießen manchmal solche, die uns betrügen.«
Das Gesicht des Onkels wurde nun noch blässer. Jedoch wiederholte er mit ziemlich fester Stimme und erhobenem Kopf:
»Kommandant, ich versichre sie auf Ehre, daß vor drei Tagen kein Kaiserlicher zu Rehthal war.«
»Und ich,« rief der Republikaner, dessen graue Augen unter seinen dichten, falben Augenbrauen funkelten, »ich jage dir, daß welche dort waren. Ist das deutlich?«
Es folgte eine Stille. Alle, die in der Küche waren, sahen herein; die Miene des Kommandanten war keineswegs beruhigend. Ich fing an zu weinen und trat mit Thränen in das Zimmer vor, wie wenn ich dem Onkel Jakob Hilfe leisten wollte; ich stellte mich hinter ihn. Der Republikaner betrachtete uns beide mit gerunzelten Brauen, was ihn aber nicht hinderte, noch ein Bissen Schinken zu verschlingen, wie wenn er damit Zeit zum Nachdenken gewinnen wollte. Draußen schluchzte Lisbeth ganz laut.
»Kommandant,« erwiderte der Onkel mit Festigkeit, »sie wissen vielleicht nicht, daß es zwei Rehthal gibt, eines Kaiserslautern zu, und das andere an der Queich, drei kleine Stunden von Landau. Vielleicht waren die Oesterreicher da unten; aber auf dieser Seite hatte man Mittwochabend noch keinen gesehen.«
»Das,« sagte der Kommandant in schlechtem lothringischem Deutsch mit spaßhaftem Lächeln, »das ist nicht übel. Aber wir, zwischen Bitsch und Saargemünd, wir sind so schlau, wie ihr. Wenn du mir nicht beweist, daß es zwei Rehthal gibt, so sage ich dir offen, ist es meine Pflicht, dich arretieren und vor ein Kriegsgericht stellen zu lassen.«
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»Kommandant,« erwiderte der Onkel, indem er den Arm ausstreckte, »der Beweis, daß es zwei Rehthal gibt, findet sich auf allen Karten des Landes.«
Er zeigte unsere alte an der Wand hängende Karte.
Da wendete sich der Republikaner in seinem Lehnstuhl um, schaute hin und sagte:
»Ah, das ist eine Karte der Gegend, laß ein bisschen sehen.«
Der Onkel nahm die Karte herab und indem er sie auf den Tisch ausbreitete, zeigte er die beiden Ortschaften.
»Gut,« sagte der Kommandant, »jetzt ist’s recht; ich verlange nur Deutlichkeit.«
Die beiden Ellenbogen auf den Tisch stützend und seinen dicken Kopf zwischen den Händen haltend, betrachtete er die Karte.
»Sieh, Sieh, das ist herrlich,« sagte er. »Wo kommt die Karte her?«
»Mein Vater hat sie gemacht; er war Geometer.«
Der Republikaner lächelte.
»Ja, die Wälder, die Flüsse, die Wege, Alles ist darauf bemerkt; ich finde mich ganz zurecht; da sind wir vorbei gekommen; das ist gut, das ist vortrefflich.«
Und indem er sich aufrichtete, sagte er deutsch:
»Du brauchst diese Karte nicht, Bürger Doktor; ich habe sie nöthig und ich nehme sie für den Dienst der Republik in Beschlag. Auf, auf. Stoß mit mir an und laß uns mit einem Schluck das Fest der Eintracht Feiern.«
Es läßt sich denken, mit welchem Eifer Lisbeth in den Keller hinabstieg, um noch eine Flasche zu holen.
Der Onkel Jakob hatte seine Sicherheit wieder gewonnen. Der Kommandant, der hierauf mich ansah, fragte ihn:
[21]
»Ist das dein Sohn?«
»Nein, es ist mein Neffe.«
»Ein kleiner, gutgebauter Bursche. Er hat mir gefallen, als ich ihn soeben dir zu Hilfe kommen sah. Wie, komm herbei,« sagte er und zog mich am Arm zu sich. Er fuhr mir mit der Hand durch die Haare und sagte mit einer etwas rauhen, aber gutmüthigen Stimme:
»Erziehe diesen Jungen in der Liebe zu den Menschen rechten; statt Kühe zu hüten, kann er so gut als ein anderer Kommandant oder General werden. Jetzt sind alle Thore offen, alle Plätze zu gewinnen; es bedarf nur Muth und Glück, um voran zu kommen. Ich, wie du mich siehst, bin der Sohn eines Grobschmieds zu Saargemünd; ohne die Republik würde ich noch auf den Amboß klopfen; unser großer Laffe, der Graf, der bei den Weißkitteln dient, wäre ein Held von Gottes Gnaden, und ich ein Esel; jetzt ist’s gerade umgekehrt, durch die Gnade der Revolution.«
Er leerte sein Glas und sagte mit zugekniffenen Augen:
»Das ist ein kleiner Unterschied.«
Neben dem Schinken lag einer der Kuchen, welche die Republikaner bei dem ersten Backschub vorgefunden hatten; der Kommandant schnitt ein Stück für mich ab.
»Beiß’ herzhaft an,« sagte er in der besten Laune, und mach, daß du ein Mann wirst.«
Dann wandte er sich gegen die Küche und rief mit seiner Donnerstimme:
»Sergeant Laflèche!«
Ein alter Sergeant mit grauem Schnurrbart, dürr wie ein Häring, erschien auf der Schwelle.
»Wie viel Laibe gibt’s, Sergeant?«
»Vierzig.«
[22]
»Wir müssen in einer Stunde fünfzig haben; mit unsern zehn Oefen fünfhundert; drei Pfund Brod auf den Mann.«
Der Sergeant kehrte zur Küche zurück.
Der Onkel und ich beobachteten alles, ohne uns zu rühren. Der Kommandant beugte sich auf’s neue über die Karte her, den Kopf zwischen den Händen. Der graue Tag begann draußen anzubrechen; man sah den Schatten der Schildwache, Gewehr im Arm, vor unsern Fenstern hin und her gehen. Es war eine gewisse Stille eingetreten; eine gute Zahl Republikaner lag und schlief ohne Zweifel, den Kopf auf dem Ranzen, um die großen Feuer her, welche sie angezündet hatten; andere ruhten in den umliegenden Häusern. Man hörte die Wanduhr gehen und das Feuer knisterte in der Küche.
Dies dauerte schon einige Augenblicke, als sich ein großer Lärm in der Straße erhob; die Fenster flogen auf, eine Thüre öffnete sich mit Geräusch und unser Nachbar, Joseph Spick, der Schenkwirth, fing an zu schreien:
»Zu Hilfe! Feuer!«
Aber niemand rührte sich im Dorf. Ein jeder war zufrieden, daß es in seinem Hause ruhig war.
Der Kommandant horchte auf.
»Sergeant Laflèche,« rief er.
Der Sergeant war auf Kundschaft fort, und kam erst einen Augenblick später.
»Was geht vor?« fragte ihn der Kommandant.
»Ein Aristokrat von einem Schenkwirth weigert sich, den Requisitionen der Bürgerin Therese Folge zu leisten,« antwortete der Sergeant mit ernsthafter Miene.
»Gut! man führe ihn mir vor!«
Der Sergeant trat ab.
Zwei Minuten später füllte sich unser Gang mit Menschen. [23] Die Thüre ging auf und vier Soldaten der Republik brachten Joseph Spick herein mit seinem kurzen Kittel, seinen weiten Leinwandhosen und seiner wollenen Pudelmütze. So stand er auf der Schwelle zwischen ihnen; sie dagegen, Gewehr im Arm, mit ihren lebkuchenbraunen Gesichtern, mit ihren abgeschabten Hüten, Löchern in den Ellbogen, großen Flickplätzen auf den Knieen, die Schuhe zerfetzt und mit Bindfaden zusammengeflickt, stolz und aufrecht wie die Könige.
Joseph, die Hände in den Taschen, mit gekrümmtem Rücken, die Stirne geduckt und mit schlotternden Wangen, konnte sich kaum mehr auf seinen langen Beinen halten; er blickte bestürzt zur Erde.
Hinten, im Schatten, zeigte sich der Kopf einer blassen und schlanken Frau, die alsbald meine Aufmerksamkeit auf sich zog; sie hatte eine hohe Stirne, gerade Nase, längliches Kinn und blauschwarze Haare. Diese glänzenden Haare waren an die Wangen angelegt und hinter den Ohren heraufgenommen, so daß ihr Gesicht, das wir ganz von vorne sahen, sehr lang erschien. Ihre Augen waren groß und schwarz. sie trug einen Filzhut mit dreifarbiger Kokarde und über den Hut her ein rothes Taschentuch, das unter dem Kinn gebunden war. Da ich bis jetzt in unserer Gegend nur blonde oder braune Frauen gesehen hatte, so gewann mir diese, so jung ich war, doch eine besondere Bewunderung ab. Ich betrachtete sie verblüfft; auch der Onkel schien mir nicht weniger verwundert, und da sie begleitet von fünf oder sechs Republikanern in gleicher Tracht, wie jene ersten, hereintrat, ließen wir sie, so lange sie da war, nicht aus den Augen.
Als sie im Zimmer war, sahen wir, daß sie einen großen Mantel von blauem Tuch anhatte mit dreifachem bis über die Elbogen fallendem Kragen. sie trug ein kleines Fäßchen, dessen Tragband ihr über die Schulter ging, und um den [24] Hals hatte sie ein breites Band von schwarzer Seide mit langen Fransen, wahrscheinlich eine Kriegsbeute, welches die Schönheit ihres ruhigen und stolzen Kopfes noch hervorhob.
Der Kommandant wartete, bis alle eingetreten waren, indem er Joseph Spick scharf im Aug behielt, der mehr todt als lebendig schien. Dann wandte er sich zu der Frau, die soeben mit einer Kopfbewegung ihren Hut empor gerichtet hatte.
»Nun, Therese,« sagte er, »was hat sich zugetragen?«
»Sie wissen, Kommandant, daß mir auf dem letzten Marsch der Branntwein bis zum letzten Tropfen ausgegangen,« sagte sie mit fester und klarer Stimme; »meine erste Sorge, als wir hier ankamen, war daher, das ganze Dorf auszukaufen, um, wohlverstanden gegen Bezahlung, ein Getränk aufzutreiben. Aber die Leute verbargen alles, und erst vor einer halben Stunde hab ich den Tannenzweig vor der Thüre dieses Mannes entdeckt. Der Korporal Merlot, der Füsilier Cincinnatus und der Tambourmajor Horatius Cocles gingen mit mir, um mir Beistand zu leisten. Wir traten ein und verlangten Wein oder Branntwein, was es gebe; aber der »Kaiserlick« hatte nichts; er that als verstünde er nichts und spielte den Tauben. Man schickte sich daher an, selbst nach zusehen und in allen Winkeln umzublicken, und endlich finden wir den Eingang zum Keller, hinter einem Scheiterhaufen im Hof. Es war ein Haufen Reisigbüschel vor die Thüre gebeugt.
»Wir hätten uns darüber erzürnen können; allein wir stiegen friedlich hinab und fanden Wein, Speck, Sauerkraut und Branntwein; wir füllten unsere Fäßchen, nahmen einigen Speck und stiegen ohne Händel wieder herauf. Aber als uns der Mann, der sich ruhig in seinem Zimmer aufhielt, so beladen zurückkommen sah, fing er an, wie toll zu schreien, und [25] anstatt unsere Assignaten anzunehmen, zerriß er sie, faßte mich am Arm und schüttelte mich aus Leibeskräften. Cincinnatus setzte hierauf seine Bürde auf den Tisch ab, nahm den großen Schlingel am Wams und warf ihn gegen das Fenster seiner Baracke. Da kam dann der Sergeant Laflèche dazu. Das ist alles, Kommandant.«
Nachdem die Frau so gesprochen hatte, zog sie sich hinter die anderen zurück, und es trat nun ein langer, dürrer und grober Mensch hervor, den Hut schief auf dem Ohr, einen langen Stock mit Messingknopf unter dem Arme, und sagte:
»Kommandant, was die Bürgerin Therese soeben vortrug, war die Entrüstung über die Treulosigkeit, die jeder Republikaner empfinden muß, wenn er auf einen Kaiserlichen stößt, in dessen Herz kein bürgerliches Gefühl wohnt und der sich so weit vermißt . . . «
»Schon gut,« unterbrach ihn der Kommandant; »das Wort der Bürgerin Therese genügt mir.«
Und indem er sich an Joseph Spick wandte, sagte er ihm auf deutsch und mit gerunzelten Augbrauen:
»Sage mir, du, willst du füsiliert sein? Das kostete nur die Mühe, dich in deinen Garten zu führen. Weißt du nicht, daß das Papier der Republik mehr werth ist, als das Geld der Tyrannen. Paß auf! für diesmal will ich dich begnadigen, in Anbetracht deiner Unwissenheit; aber wenn du dir noch einmal einfallen läßt, deine Lebensmittel zu verbergen und die Assignaten in Zahlung zurückzuweisen, so lasse ich dich auf dem Markt des Dorfs erschießen, andern zum Exempel. Pack dich fort, Schwachkopf!«
Diese kleine Anrede hielt er mit großem Ernst; dann wandte er sich an die Markedenterin:
»Es ist gut, Therese, du kannst deine Fäßchen aufladen; [26] der Mann wird feinen Widerstand leisten. Und ihr Andern, laßt ihn gehen.«
Alle gingen hinaus; Therese voraus, Joseph zuletzt. Der arme Teufel hätte keinen Tropfen Blut mehr gegeben; er war noch gut weggekommen.
Einstweilen war der Tag angebrochen.
Der Kommandant erhob sich, legte die Karte zusammen und steckte sie ein. Dann ging er zu einem der Fenster vor und schickte sich an, das Dorf zu betrachten. Der Onkel und ich sahen zum andern Fenster hinaus. Es mochte damals fünf Uhr Morgens sein.