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III.

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Ich werde mich Zeitlebens der stillen, von schlafenden Leuten versperrten Straße erinnern, die einen ausgestreckt, die andern zusammengekauert, den Kopf auf dem Tornister. Ich sehe sie noch mit ihren kothigen Füßen, ihren durchgetretenen Sohlen und verflickten Kleidern, die Jungen mit gebräunten Gesichtern, die Alten mit runzligen Wangen und alle mit geschlossenen Augenlidern; dazu die großen Hüte, die abgeblaßten Epauletten und Pompons, die wollenen Decken mit rother, ausgefranzter Einfassung, voll Löcher, die grauen Mäntel und das im Koth zerstreute Stroh. Und diese tiefe Stille des Schlafs nach dem angestrengten Marsch, diese todtenähnliche Ruhe; und den jungen Tag, wie er das alles mit seinem unbestimmten Lichte halb verhüllt; die bleiche, aus dichtem Nebel aufsteigende Sonne, die Häuschen mit ihren breiten Strohdächern, aus kleinen schwarzen Fenstern blickend, und zu beiden Seiten des Dorfs, auf dem Altenberg und dem Rehbuckel, oberhalb der Baumstücke und der Hanfäcker, die Bajonette der Schildwachen, die im letzten Sternenschein [27] erglänzten; nein, nie werde ich dieses ungewohnte Schauspiel vergessen. Ich war damals noch sehr jung, aber solche Erinnerungen bleiben.

Mit dem wachsenden Tag belebte sich nun auch das Gemälde. Ein Kopf erhob sich, stützte sich auf den Ellbogen, schaute um sich, gähnte und legte sich nochmals nieder. Anderwärts richtete sich ein alter Soldat plötzlich auf, schüttelte das Stroh von seinen Kleidern, bedeckte sich mit seinem Filz und faltete seinen Lappen von Decke zusammen; wieder ein anderer rollte seinen Mantel auf und schnallte ihn auf seinen Ranzen; ein dritter zog einen Pfeifenstummel aus der Tasche und schlug Feuer. Die sich zuerst erhoben hatten, traten zusammen und schwatzten; andere schlossen sich ihnen an und träppelten mit den Füßen, denn in der Frühe war es noch tüchtig kalt. Die auf der Straße und dem Dorfplatz angezündeten Feuer waren erloschen.

Uns gegenüber auf dem kleinen Platz war der Brunnen; eine Anzahl Republikaner wusch sich dort, um zwei große moosige Tröge gruppiert, lachend und scherzend trotz der Kälte; andere streckten ihre Lippen nach dem Rohre aus.

Bald öffneten sich nun die Häuser, eines um das andere, und man sah Soldaten heraustreten, indem sie sich mit ihren großen Hüten und ihren Tornistern unter den kleinen Thüren bückten. sie hatten fast alle die Pfeife angezündet.

Rechts von unserer scheuer, vor Spick’s Herberge, hielt der kleine Karren der Markedenterin, mit einer großen Blähe bedeckt; er war zweiräderig, einem Schiebkarren ähnlich, und ruhte auf seinen Lannen.

Hinten zog das Maulthier, das mit einer alten wollenen roth und blau gewürfelten Schabracke bedeckt war, aus unserem Schuppen eine lange Locke Heu, und kaute daran ernsthaft, mit gefühlvollem Ausdruck und mit halb geschlossenen Augen.

[28]

Die Markedenterin, am Fenster gegenüber, flickte eine kleine Hose und neigte sich von Zeit zu Zeit, um einen Blick unter den Schuppen zu werfen.

Dort saßen der Tambourmajor Horatius Cocles, Cincinnatus und Merlot, ein großer, jovialer, ausgetrockneter Bursche, rittlings auf Heubündeln einer hinter dem anderen, kämmten sich die Zöpfe und glätteten sie, indem sie sich in die Hand spuckten. Horatius Cocles, an der Spitze der Bande, trillerte eine Arie und seine Kameraden wiederholten den Schlußvers mit halber Stimme.

Ihnen Zunächst, an zwei alte Fässer gelehnt, schlief ein kleiner Tambour von etwa zwölf Jahren, ganz blond wie ich, der mich besonders interessierte. Er war’s, den die Markedenterin überwachte und dessen Hosen sie ohne Zweifel flickte. Er streckte sein rothes Näschen in die Luft, hatte den Mund halb offen, und wie sein Rücken gegen die Fässer, so ruhte sein einer Arm auf der Trommel; seine Schlegel waren aus dem Bandelier herausgefallen, und auf seinen mit Strohhalmen bedeckten Füßen lag ein ganz kothiger Pudel, der ihn erwärmte. Jeden Augenblick erhob das Thier den Kopf und betrachtete ihn, wie wenn es sagen wollte: »Jetzt möchte ich gern einen Gang durch die Küchen des Dorfs machen.« Aber der Kleine regte sich nicht. Er schlief so gut! Und da in der Ferne einige Hunde bellten, so, gähnte der Pudel; er hätte gerne Gesellschaft geleistet.

Bald darauf traten zwei Offiziere aus dem Nachbarhaus; zwei aufgeschossene junge Männer, in knappe Röcke gekleidet. Als sie am Haus vorüberkamen, rief ihnen der Kommandant:

»Duchêne, Richter!«

»Guten Morgen, Kommandant,« sagten sie, sich umkehrend.

»sind die Posten abgelöst?«

»Ja, Kommandant!«

[29]

»Nichts Neues?«

»Nichts, Kommandant!«

»In einer halben Stunde wird der Marsch wieder an getreten, laß zur Sammlung schlagen, Richter! Komm herein, Duchêne!«

Einer der Offiziere trat herein, der andere ging zum Schuppen und sagte einige Worte zu Horatius Cocles. Ich betrachtete den Neueingetretenen. Der Kommandant hatte eine Flasche Branntwein kommen lassen, sie tranken mit einander, als eine mir neue Art von Lärm sich von draußen her hören ließ; es war der Appell. Ich lief fort, um zu sehen, was es gebe. Horatius Cocles vor fünf Trommlern, der kleine auf der linken Seite, gab mit dem Stock in der Luft das Zeichen zum Wirbel. Er dauerte, so lang der Stock erhoben war. Die Republikaner kamen aus allen Gäßchen des Dorfs herbei; sie stellten sich vor dem Brunnen in zwei Linien auf, und die Sergeanten begannen das Ablesen. Der Onkel und ich waren erstaunt über die Ordnung, welche bei den Leuten regierte; sie antworteten auf den Aufruf so geschwind, daß es wie ein vielseitiges Gemurmel erklang. Sie hatten ihre Gewehre an sich genommen und hielten sie nach Gefallen auf der Schulter oder Gewehr bei Fuß.

Nach dem Verlesen trat eine große Stille ein, und einige Mannschaft aus jeder Kompagnie ging unter der Führung von Korporälen ab, um das Brod zu fassen. Dann spannte die Bürgerin Therese ihr Maulthier an das Wägelchen. Nach einigen Augenblicken kamen die Rotten wieder und brachten das Brod in Säcken und Körben. Die Austheilung begann.

Da die Republikaner schon bei ihrer Ankunft abgekocht hatten, so schnallte jetzt einer dem anderen seinen Brodlaib auf den Ranzen.

»Auf,« schrie der Kommandant mit freudigem Ton »fort!«

[30]

Er nahm seinen Mantel, warf ihn über die Schulter und ging, ohne uns weder guten Tag noch guten Abend zu sagen. Wir glaubten dieser Leute für immer ledig zu sein.

Eben da der Kommandant hinaus ging, kam der Bürgermeister, um den Onkel Jakob geschwind zu seiner Frau zu bitten, die der Anblick der Republikaner krank gemacht habe.

Sie gingen sogleich mit einander fort. Lisbeth stellte schon die Stühle in Ordnung und kehrte das Zimmer aus. Man hörte draußen die Offiziere kommandieren: »Vorwärts, Marsch!« Die Trommeln schlugen an; die Markedenterin rief: »Hüh!« und das Bataillon marschierte ab, als plötzlich ein schauerliches Krachen vom Ende des Dorfs her ertönte. Es waren Flintenschüsse, deren oft mehrere zugleich, manchmal einer um den anderen fielen.

Die Republikaner besetzten die Straße.

»Halt!« rief der Kommandant, der in den Steigbügeln stehend, sich umsah und horchte.

Ich hatte mich an das Fenster gestellt und sah die Leute alle in gespannter Aufmerksamkeit, die Offiziere außer dem Glied um ihren Anführer gruppiert, der mit Lebhaftigkeit sprach.

Plötzlich erschien ein Soldat an der Wendung der Straße, sein Gewehr auf der Schulter.

»Kommandant,« rief er von weitem ganz athemlos: »die Kroaten! der Vorposten ist aufgehoben . . . sie kommen! . . . «

Kaum hatte der Kommandant dies gehört, als er sich umwandte, gestreckten Galoppes an der Linie hinritt und rief:

»Bildet das Carré!«

Die Offiziere, die Tambours, die Markedenterin zogen sich zugleich um den Brunnen her zurück, während die Kompagnien sich wie ein Kartenspiel mischten; in weniger als einer Minute bildeten sie ein Carré von drei Gliedern, die Ersteren [31] in der Mitte, und fast zugleich entstand in der Straße ein entsetzlicher Lärm. Die Kroaten sprengten an, daß die Erde zitterte. Ich sehe sie noch um die Straßenecke herumkommen ihre großen rothen Mäntel hinter ihnen herflatternd, wie die Falten von fünfzig Fahnen, und so niedergebogen auf ihre Sättel mit vorgehaltener Lanze, daß man kaum ihre knochigen braunen Gesichter mit ihren langen dunkeln Schnurrbärten sah.

Die Kinder müssen vom Teufel besessen sein, denn anstatt mich davon zu machen, blieb ich, wo ich war, mit aufgerissenen Augen stehen, um das Treffen zu sehen. Ich hatte zwar wohl Angst, aber die Neugierde überwog.

Während ich schaute und zitterte, waren die Rothmäntel auf dem Platz. Ich hörte in der nämlichen Sekunde den Kommandanten rufen: »Feuer!« Dann ein Donnerschlag, dann nichts als ein Gesumm in meinen Ohren. Die ganze Seite des Carré’s gegen die Straße zu hatte zugleich Feuer gegeben; die Scheiben unserer Fenster fielen klirrend zusammen; der Rauch drang mit Stücken der Patronen in das Zimmer, und Pulvergeruch erfüllte die Luft.

Ich, mit sträubenden Haaren, schaute immer zu und sah die Kroaten auf ihren großen Pferden hoch vor uns in dem grauen Rauch ansprengen, abprallen und wieder ansprengen, wie wenn sie das Carré erklettern wollten, ich sah, wie die hinteren vorrückten, und immer wieder vorrückten, indem sie mit wilder stimme heulten: »Vorwärts, Vorwärts!«

»Zweites Glied, Feuer!« schrie der Kommandant durch das Gewieher und Geschrei ohne Ende.

Es war, wie wenn er in unserem Zimmer spräche, so ruhig war seine Stimme.

Ein neuer Donnerschlag folgte, und als da der Kalkbewurf von den Häusern fiel, die Ziegel von den Dächern rollten, und Himmel und Erde sich zu mischen schienen, stieß Lisbeth [32] hinten in der Küche so durchdringende schreie aus, daß man sie, selbst durch den Tumult, wie den Pfiff einer Pfeife hörte.

Nach den Pelotonfeuern begannen die Rottenfeuer. Man sah nichts mehr als die Gewehre des zweiten Glieds sich senken, Feuer geben, sich wieder erheben, während das erste Glied, knieend, die Bajonette kreuzte und das dritte die Gewehre lud und sie dem zweiten übergab.

Die Kroaten wirbelten um das Carré herum, und führten aus der Ferne Stöße mit ihren Lanzen; von Zeit zu Zeit fiel ein Hut, manchmal ein Mann. Einer der Kroaten prallte, indem er sein Pferd herumwarf, so weit vor, daß er über die drei Glieder setzte und in das Carré fiel; da warf sich der republikanische Kommandant auf ihn und nagelte ihn so zu sagen mit einem wüthenden Stich auf das Kreuz seines Pferdes; ich sah den Republikaner seinen bis zum Heft gerötheten Säbel zurückziehen. Dieser Anblick machte mich schaudern; ich floh, allein ich war kaum fort, als die Kroaten Kehrt machten und abzogen, nicht ohne eine große Zahl Menschen und Pferde auf dem Platz zu lassen.

Die Pferde versuchten sich zu erheben und brachen wieder zusammen. Fünf oder sechs Reiter, die unter ihren Thieren steckten, machten Versuche, ihre Beine zu befreien; andere schleppten sich ganz blutend auf allen Vieren daher, erhoben die Hand und schrieen mit erbärmlicher Stimme: »Pardon, Franzos!« in der Angst, daß sie massakriert würden; einige, die ihre Leiden nicht mehr aushielten, baten um den Gnadenstoß. Die meisten blieben bewegungslos.

Zum erstenmal begriff ich, was der Tod ist; diese Menschen, die ich zwei Minuten vorher voll Leben und Kraft, in wüthendem Angriff auf ihre Feinde, wie springende Wölfe gesehen hatte, da lagen sie jetzt durcheinander, gefühllos wie die Steine am Weg.

[33]

Auch in den Reihen der Republikaner hatte es Lücken gegeben: auf dem Gesicht ausgestreckte Todte und einige Verwundete, Wangen und Stirne voll Blut; sie verbanden sich den Kopf, Gewehr bei Fuß, ohne ihre Reihe zu verlassen; ihre Kameraden halfen ihnen das Taschentuch umbinden und den Hut darüber stülpen.

Der Kommandant zu Pferd beim Brunnen, seinen großen Federhut auf dem Kopf und den Säbel in der Faust, ließ die Reihen zusammenrücken; neben ihm waren die Trommler in Linie aufgestellt, und etwas entfernter, ganz nahe dem Trog, die Marketenderin mit ihrem Wägelchen. Man hörte die Kroaten zum Rückzug blasen. An der Wendung der Straße hatten sie Halt gemacht; eine ihrer Schildwachen wartete dort hinter dem Winkel des Rathhauses; man sah nur den Kopf des Pferdes. Einige Flintenschüsse fielen noch.

»Stellt das Feuern ein!« rief der Kommandant. Und alles schwieg; man hörte nur noch fernher die Trompete.

Hierauf machte die Marketenderin den Gang durch die Reihen, um der Mannschaft Branntwein einzuschenken, während sieben oder acht große Burschen am Brunnen mit ihren Soldatenschüsseln Wasser holten für die Verwundeten, die alle mit kläglicher Stimme zu trinken verlangten.

Ich hatte mich weit zum Fenster hinausgelegt, um die verlassene Straße ganz hinunter zu sehen, und fragte mich, ob die Rothmäntel es wohl wagen würden, zurück zu kommen. Der Kommandant schaute auch nach dieser Richtung aus und sprach, gestützt auf den Sattel seines Pferdes, mit einem Hauptmann. Plötzlich schritt der Hauptmann durch das Carré, schob die Reihen zur Seite und trat eilends in unser Haus.

»Der Hausherr,« rief er.

»Er ist ausgegangen.«

[34]

»Nun, du, führe mich in eure Scheue! Geschwind!«

Ich ließ meine Holzschuhe da und schickte mich an, am Ende unseres Hausgangs, wie ein Eichhörnchen die Treppe zu erklimmen. Der Hauptmann folgte mir. Oben sah er mit schnellem Blick die Leiter zum Taubenschlag und stieg sie vor mir hinauf. Im Taubenschlag stützte er die beiden Ellbogen auf den Sims des etwas niedrigen Dachfensters, um hinaus zu sehen. Ich schaute über seine Schulter weg. Der ganze Weg, so weit das Auge reichte, war mit Menschen bedeckt: Kavallerie, Infanterie, Kanonen, Munitionswagen, Rothmäntel, grüne Pelze, Weißröcke, Helme, Kürasse, Reihen von Lanzen und Bajonetten, Linien von Pferden, und Alles dies bewegte sich gegen das Dorf zu vorwärts.

»Das ist eine Armee,« murmelte leise der Hauptmann vor sich hin.

Er wandte sich kurz um, und wollte wieder hinabsteigen; aber es kam ihm ein Gedanke. Er zeigte mir längs des Dorfes, auf zwei Büchsenschußweiten, einen streifen Rothmäntel, die sich hinter Obstgärten in einen Einschnitt des Terrains verbargen.

»Du siehst diese Rothmäntel?« sagte er.

»Ja!«

»Ist das ein Fahrweg, der da vorbeigeht?«

»Nein, es ist ein Fußweg.«

»Und die große Schlucht, die ihn gerade vor uns mitten durchschneidet, ist sie tief?«

»O ja!«

»Gehen nie Fuhrwerke oder Narren darüber?«

»Nein, das geht nicht an.«

Darauf stieg er, ohne mich weiter zu fragen, rückwärts die Leiter wieder hinunter, so geschwind wie möglich, und eilte nach der Stiege. Ich folgte ihm; wir waren schnell drunten; [35] aber wir waren noch nicht am Ende des Gangs, als eine anrückende Masse von Kavallerie die Häuser erzittern machte. Dessen ungeachtet trat der Hauptmann hinaus, ging über den Platz, drückte zwei Mann im Glied zur Seite und verschwand.

Tausend kurze fremde Schreie, wie von einem Schwarm Raben: »Hurrah, Hurrah!« erfüllten nun die Straße von einem Ende zum anderen und übertönten fast das dumpfe Gepolter des Galopps.

Ich war ganz stolz, daß ich den Hauptmann in den Taubenschlag hatte führen dürfen, und hatte die Unklugheit, unter die Hausthüre zu treten. Die Uhlanen, denn diesmal waren es Uhlanen, kamen wie der Wind daher, die Lanze hinten über, auf dem Rücken den wallenden Schafpelz-Dolman, die großen härenen Mützen über die Ohren, die Augen weit aufgesperrt, die Nasen in die Schnurrbärte vergraben und die großen am Kolben mit Kupfer beschlagenen Pistolen im Gürtel. Das war wie eine Erscheinung. Ich hatte gerade nur Zeit, mich zurück zu werfen; ich hätte keinen Tropfen Blut mehr gegeben, und erst als das Kleingewehrfeuer wieder anfing, wachte ich unseren zerbrochenen Fenstern gegenüber, hinten in unserer Stube wie von einem Traume wieder auf.

Die Luft war verdunkelt; das Carré ganz weiß von Rauch. Der, Kommandant war hinten am Brunnen allein, unbeweglich auf seinem Pferd; man hätte ihn durch diesen bläulichen Schwall, aus dem hunderte von Flammen sprühten, für eine Bronzestatue halten können. Die Uhlanen schwärmten wie unzählige Heuschrecken umher, legten ihre Lanzen ein und zogen sie zurück; andere feuerten ihre großen Pistolen auf vier Schritte in die Reihen ab.

Es kam mir vor, das Carré weiche zurück, und es war auch so.

[36]

»Schließt die Glieder, haltet fest!« rief der Kommandant mit seiner ruhigen Stimme.


»Aufrücken, fest aufrücken!« wiederholten die Offiziere von Distanz zu Distanz.

Aber das Carré wich; es bildete in der Mitte einen Halbkreis. Das Centrum berührte fast den Brunnen. Auf jeden Lanzenstoß erfolgte die Parirung des Bajonetts; aber manchmal ließ es den Mann im Stich. Die Republikaner hatten keine Zeit mehr zum Laden, sie schossen nicht mehr, und die Uhlanen kamen immer wieder, zahlreicher, verwegener, wickelten das Carré in ihren Wirbel ein und erhoben bereits ein triumphierendes Geschrei, denn sie hielten sich für die Sieger.

Ich selbst hielt die Republikaner für verloren, als der Kommandant, da die Sache auf der Spitze stand, seinen Hut auf seinen Säbel steckte und einen Gesang anhob, der einem die Haut schaudern machte; das ganze Bataillon fiel einstimmig ein.

Und augenblicklich stellte sich die Vorderseite des Carré’s wieder her und trieb mit dem Bajonett diese ganze Masse mit ihrem Lanzenwald zurück.

Es war, wie wenn dieser Gesang die Republikaner wüthend gemacht hätte. Ich habe nie etwas Fürchterlicheres gesehen. Und ich habe seitdem oft gedacht, daß in der Schlacht erhitzte Menschen wilder als die wilden Thiere sind.

Aber was noch entsetzlicher war, die letzten Reihen der österreichischen Kolonne, ganz hinten in der Straße, drängten, ohne zu sehen, was am Eingang zum Platze vor sich ging, mit dem Rufe: »Hurrah, Hurrah!« immer vorwärts, so daß die in den ersten Gliedern, welche vor den Bajonettstößen der Republikaner nicht zurückweichen konnten, sich in unaussprechlicher Verwirrung herumtrieben und ein schreckliches Angstgeschrei [37] ausstießen. Ihre großen, in die Nüstern gestochenen Pferde stiegen mit aufgerichteter Mähne, heraushängenden Augen, schrillem Wiehern und fabelhaften Sprüngen empor. Ich sah von ferne diese unglücklichen Uhlanen in toller Angst sich zur Flucht wenden, sich mit dem Griff ihrer Lanzen unter ihren eigenen Kameraden Platz machen und sich wie Hasen längs der kleinen Bauernhäuschen aus den Staube machen.

Man sah nichts als ganze Haufen todter Pferde und Menschen; das Blut floß darunter weg und folgte dem Graben bis zur Furth.

»Stellt das Feuer ein!«, schrie der Kommandant zum zweitenmal. »Zum Angriff!«.

Jetzt eben schlug es neun Uhr auf der Kirche.

Wie das Dorf in diesem Augenblick aussah, läßt sich nicht beschreiben. Die Häuser durchsiebt von Kugeln, die Läden an ihren Angeln hängend, die Fenster ausgebrochen, die Kamine wankend, die Straße voll zerbrochener Ziegel und Backsteine, die Dächer der schuppen durchlöchert, und diese Haufen von Todten, diese unter einander geworfenen zappelnden und blutenden Pferde: man kann es sich, nicht vorstellen.

Die auf die Hälfte zusammengeschmolzenen Republikaner mit hinten überhängenden Hüten, stramm und fürchterlich anzusehen, standen Gewehr im Arm in Erwartung.

Hinten, ein paar Schritte von unserem Haus, berieth sich der Kommandant mit seinen Offizieren. Ich hörte ihn ganz gut:

»Wir haben eine österreichische Armee vor uns,« sagte er mit resolutem Ton; es handelt sich darum, unsere Haut in Sicherheit zu bringen. In einer Stunde werden wir zwanzig oder dreißigtausend Mann auf dem Halse haben; sie werden das Dorf mit ihrer Infanterie einschließen und dann sind wir [38] verloren. Ich werde zum Rückzug schlagen lassen. Hat einer etwas einzuwenden?«

»Nein, es ist gut,« sagten die andern.

Dann brachen sie auf, und zwei Minuten später sah ich eine große Zahl Soldaten in die Häuser dringen und Stühle, Tische, Schränke außen auf einen Haufen tragen; einige warfen von den Scheuern Stroh und Heu herab; andere führten aus den Schuppen Karren und Wägen heraus. Innerhalb zehn Minuten hatten sie am Eingang der Straße eine haushohe Barrikade errichtet. Heu und Stroh waren darüber und darunter. Sie arbeiteten unter Trommelschlag. Alsbald fing das Feuer an von einem Strohbündel zum andern bis zur Höhe der Barrikade hinauf zu klettern; die Dächer zur Seite erglänzten von der rothen Flamme, und ein schwarzer Rauch lag wie ein ungeheures Gewölbe über dem Dorf.

Von Ferne hörte man großes Geschrei; Flintenschüsse ertönten von der andern Seite; aber man sah nicht hindurch, und der Kommandant gab Befehl zum Rückzug.

Ich sah die Republikaner vor unserem Hause langsamen und festen Schritts mit funkelnden Augen, mit rothen Bajonetten, schwarzen Händen, hohlen Wangen vorüber ziehen. Zwei Trommler marschierten hinten nach, ohne zu schlagen; der kleine, den ich unter unserem Schuppen hatte schlafen sehen, war dabei. Er hatte seine Trommel auf der Schulter und ging niedergebeugt; große Thränen liefen über seine runden Wangen, die der Pulverdampf geschwärzt hatte. Sein Kamerad sprach ihm zu. »Allons, kleiner Jean! Courage!« Aber es schien nicht, als ob er auf ihn hörte. Horatius Cocles war verschwunden und die Markedenterin auch. Meine Augen folgten der Truppe bis an die Wendung der Straße.

Seit einigen Augenblicken läutete die Glocke des Rathhauses, und ganz fern ab hörte man jammernde stimmen rufen: »Feuer! Feuer!«

Ich schaute nach der Barrikade der Republikaner; das Feuer hatte die Häuser ergriffen und stieg himmelhoch auf; von der andern Seite her erfüllte Waffengeräusch die Straße, und schon sah man aus den Häusern der Nachbarschaft lange schwarze Stangen aus den Dachläden heraus kommen, um das Gerüst des Brandes zu zerstören.

Madame Therese

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