Читать книгу Seelenwurms Tod - Emma Steinhauser - Страница 6

12:23 Uhr

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Rosenberg saß immer noch wie gelähmt auf seinem Bürostuhl. Er fühlte sich, als hätte ihn jemand darauf festgeklebt und er würde nie mehr aufstehen können.

Das war die mit Abstand schlimmste Krise mit Clara und es hatte sich angehört, als wäre es die letzte gewesen. Sie hatten im Laufe der Zeit schon mehrere durchgemacht, allerdings keine, die mit dem fast vollständig ausgesprochenen Gedanken geendet hatte, Schluss zu machen.

In einer liebevollen Ehe treu zu bleiben, wäre eine Selbstverständlichkeit gewesen, überlegte er, aber er musste mittlerweile schon seit vielen Jahren mit einer Frau zusammenleben, die sich einen Spaß daraus machte, ihn zu schikanieren und mit einer Respektlosigkeit zu behandeln, die er sich selbst in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte vorstellen können. Sie redete alles schlecht und torpedierte seine Pläne, wo es nur ging und dank ihrer Überzeugungskraft hatte er zuletzt nicht einmal mehr an seine eigenen Fähigkeiten geglaubt und sein Selbstvertrauen war auf ein Minimum zusammengeschrumpft.

Doch dann war Clara als Orgelschülerin in sein Leben gekommen, die ihren Mann mit einem Musikstück zum Geburtstag hatte überraschen wollen, und die sich im Laufe der Zeit als diejenige entpuppte, die an ihn glaubte. Ihn zunächst nur mochte und schließlich liebte, wie er war.

Und was war dann heute passiert? Claras Sarkasmus mochte Leonhard zwar nicht, aber er war ihm schon lange vertraut. Heute war da allerdings etwas Neues gewesen. Er erinnerte sich sehr genau an Claras Blick von vorhin. Es war der, mit dem sie sonst immer über ihren Mann redete, seitdem sie ihn als ihren Seelenwurm identifiziert hatte.

Dieses Tier hatte Leonhard zwar noch nie gefallen, im Gegenteil, am Anfang hatte er es sogar abscheulich gefunden, aber im Laufe der Zeit hatte auch er in seiner Frau immer mehr den unsäglichen Wurm erkannt, der sich in seine Seele eingenistet und ihn nicht mehr losgelassen hatte, bis er nur noch im Kreis denken konnte und schließlich nichts als seine äußere Hülle übrig gewesen war, die funktionierte. Unglücklich, ausgebrannt und leer, aufgefressen vom Seelenwurm, der sein Werk vollbracht hatte.

Clara hatte ihn tatsächlich vor seiner Frau gerettet, aber war sie jetzt wirklich so weit, das über ihn zu denken? War er zu ihrem Seelenwurm geworden, der sie mittlerweile mehr Kraft kostete, als er ihr in der wenigen gemeinsamen Zeit geben konnte? Würde sie es sich noch einmal anders überlegen?

Ein Leben ohne sie konnte er sich doch überhaupt nicht mehr vorstellen, er brauchte sie! Sie war für ihn der Fels in der Brandung, der wichtigste Mensch in seinem Leben.

Wie er das Spiel hasste, in dem er gefangen war! Trotzdem musste er weitermachen, weil es nicht anders ging.

Aber jetzt war es wirklich Zeit aufstehen, sonst würde seine Frau wieder irgendjemanden aufscheuchen, der dann nach ihm suchen musste. Das machte sie immer, wenn er sich verspätete und sie kannte genügend Leute, die ihr zu Diensten waren.

Rosenberg stieg ins Auto und als er das Tor öffnete und von der Auffahrt auf das Haus schaute, hatte er das Gefühl, sein Auto hätte den Weg alleine gefunden, denn er war dafür eigentlich viel zu sehr in Gedanken gewesen.

Wenn ihn seine Frau gleich danach fragen würde, wo er so lange gewesen war, wollte er ihr erzählen, dass er nach dem Gottesdienst noch für die nächste Orgelmatinee geübt und Verwaltungskram im Pfarrbüro erledigt hätte.

Er sperrte die Wohnungstür leise auf. Dann sah er, dass es nicht nötig gewesen wäre, weil seine Frau nicht im Bett lag, sondern am Wohnzimmerfenster saß. Sie hielt zwar den Kopf gesenkt, als würde sie schlafen, aber sie schlief nicht. Seine Frau litt immer still vor sich hin, und wenn er es genau nahm, hatte sie das schon vor ihrer Krankheit getan, als es objektiv noch gar nichts zu leiden gegeben hätte. Sie war ihr eigener Seelenwurm.

Er schaute sie an. Ihre Hände lagen in dem dicken Muff, den sie zusätzlich zu ihrer warmen Decke brauchte, damit sie nicht fror. Hatte sie sich seit dem Frühstück nicht mehr bewegt? Ihr Teller und die Kaffeetasse standen noch wie vorhin auf dem Tisch.

„Na, endlich“, sagte sie tonlos.

Er überlegte, ob er sich erst neben sie auf den Fenstersims setzen oder lieber gleich in die Küche gehen sollte.

Sie nahm ihm die Entscheidung ab, denn sie würdigte ihn keines Blickes. Das war also noch alles wie immer, nur das mit Clara nicht mehr.

Seelenwurms Tod

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