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DIE WUT DES HINTERMANNS AUF DEN VORDERMANN

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Ich möchte nicht nachtragend sein.

Noch vor Kurzem machte mein Vorgesetzter mir das Leben schwer. Seine langfristige Absicht war durchschaubar: Ständig versuchte er mich durch heimliche oder offene Intrigen zu zermürben, um mich von meinem Arbeitsplatz zu verdrängen.

Zu den morgendlichen Teambesprechungen wurde ich nicht mehr gebeten, weil, wie er mir durch die Sekretärin übermitteln ließ, nur wichtige Mitarbeiter zu erscheinen hätten. Der kühle Ton ihrer Botschaft verdeutlichte mir sogleich, mit welcher Seite sie sich verbündet hatte.

Merkwürdig: Von einem Tag zum anderen wurde meine gesamte Tätigkeit infrage gestellt.

Mein Vorgesetzter kontrollierte mich und sprach vor Kollegen oder Kunden Rügen aus, wenn ich seinen Anforderungen nicht genügte. In der Folge betraute er mich mit banalen Aufträgen, die mir meine niedere Stellung in der Firma verdeutlichen sollten.

Andere Mitarbeiter, die bislang nie durch ihre Leistungen auf­gefallen waren, wurden überschwänglich ge­lobt und mit verantwortungsvollen Aufgaben betraut. Man überging mich, als würde ich nicht mehr dazugehören. Alle in der Vergangenheit erbrachten Beweise meiner Kompetenz waren nun bedeutungslos.

Meine Vorschläge zur Lösung von Aufgabenstellungen, die sich in der Arbeit ergaben, wurden als indiskutabel vom Tisch gefegt. Kollegen, die meine Ideen aufgriffen und in leicht veränderter Form als eigene Beiträge vor­stellten, ernteten höchste Anerkennung.

Nein, ich will nicht nachtragend sein.

Zunehmend beschäftigte mich die Frage, wie ich mich zur Wehr setzen könne.

Die einzige Möglichkeit beruflich zu überleben, bestand darin, keine Fehler zu machen. Mein Vorgesetzter wusste das und schien kontrollierend auf jede Nachlässigkeit zu lauern. Obwohl ich mich be­mühte, immer wachsam, wendig und umsichtig zu sein, unterliefen mir im Zustand steigender innerer Anspannung Fehler, die mir vorwurfsvoll angekreidet wurden.

Kollegen verweigerten mir wichtige Informationen, wodurch ich falsche Entscheidungen traf. Ständig be­fand ich mich in der Erwartung eines drohenden Angriffs.

Ich fragte mich: Was könnte mein Vorgesetz­ter mir noch vorwerfen? Wo sind Schlingen im Gras verborgen? Usw. Ich spürte immer deutlicher, wie meine einstige Spontaneität verlorenging.

Unklar und nie versprachlicht blieb der tiefere Grund für die Feindseligkeit meines Vorgesetzten. Was brachte ihn gegen mich auf?

Fest stand für mich: Er be­saß in seiner Abteilung das Sagen und konnte alles so regeln, wie es seinen Vorstellungen entsprach. Innerhalb dieses Wirkungskreises duldete er nur glatte, gefällige und lenkbare Mitarbeiter, die sich ihm unterwarfen.

Ich erledigte meine Arbeit mehr als nur gut, doch war ich nicht glatt, nicht gefällig nicht unterwürfig wie andere Kollegen. Spürte er meine Reserviertheit seiner Person gegenüber? Ahnte er meine tiefe Abneigung gegen jede Obrigkeit? - Möglicherweise sah er in mir nur einen lä­stigen Eigenbrötler, der seinen Dominanzanspruch unter­grub.

Im Gegensatz zu mir genoss mein Vorgesetzter das Privileg der Unangreifbarkeit. Er besaß einen guten Draht zur obersten Direktionsebene. Er wurde ge­schätzt, denn er hatte seine Abteilung fest im Griff. Die Erfolge, durch solide Zahlen belegt, gaben ihm und seinem Führungsstil recht.

Viele Mitarbeiter passten sich diesem Menschen an und begegneten mir fortan mir offener Ablehnung. Wenige verhielten sich neutral. Bei den freundlichen Kollegen gab es solche, deren Lächeln sich als echt erwies; daneben gab es Leute, die mich scheinbar teilnahmsvoll in vertrauliche Gespräche verwickelten, um das Gehörte hinter meinem Rücken an unseren Abteilungsleiter weiterzugeben.

Ich sehe ihn im Geiste vor mir: Hochgewachsener, ein Niekranker, ein Frühaufsteher, ein Frischluftfanatiker, ein Jogger, ein Kaltduscher, ein Arbeitsfanatiker, von morgens bis abends aktiv, ein leistungsstarkes Energiebündel, kör­perbewusst, ernährungsbewusst, karrierebewusst, ein durchtrainierter Machtmensch von 45 Jahren, ein Macher, ein Starker, ein Vordermann, einer der sich über andere stellt und ihnen sagt, wo es lang geht ...

Aber all diese oberflächlichen Beschreibungen erhellen nur wenig das Bild des Mannes, der die Regie in meinem Leben führte und mir grausam berechnend Steine in den Weg rollte bis zu jenem denkwürdigen Tag, als ein völlig unerwarteter Schlaganfall ihn mit Wucht aus der Bahn warf und für alle Zeiten erstarren und verstummen ließ.

Habe ich Grund, nachtragend zu sein?

Kein Wort mehr darüber.

Das Leben geht weiter.

ARGUMENTE DER ANKLAGE

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