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|26|Kapitel 1 Das 19. Jahrhundert: Die ersten Entdecker
ОглавлениеDie ersten archäologischen Unternehmungen im Heiligen Land wurden nicht von Archäologen angestoßen, sondern von Theologen, Bibelforschern und Ingenieuren, denen es vor allem darum ging, in der Bibel erwähnte Orte zu lokalisieren und die Geographie der Region zu kartieren. Obwohl keiner von ihnen als Archäologe ausgebildet war, trugen sie doch Wichtiges zu dem Fachgebiet bei, das einmal Biblische Archäologie heißen sollte.
An erster Stelle ist hier der amerikanische Theologe Edward Robinson zu nennen. Er war zwar nicht der erste, der an biblischen Fragen in Palästina (wie es damals hieß) arbeitete, aber er wurde zum bekanntesten Vertreter dieser Forscher zu seiner Zeit. Robinson, 1794 in Connecticut geboren, war protestantischer Pfarrer, Professor für biblische Exegese und Entdecker und kombinierte all diese Interessen, als er 1838 in Begleitung eines amerikanischen Missionars namens Eli Smith, der fließend Arabisch sprach, nach Palästina reiste. Beide wollten so viele in der Bibel genannte |27|Schauplätze wie nur möglich identifizieren – sie wollten, mit anderen Worten, eine historische (und biblische) Topographie Palästinas schaffen. Dazu verglichen sie zunächst die modernen arabischen Ortsnamen mit antiken hebräischen Namen – so identifizierten sie beispielsweise das damalige Beitan als das antike Bet-El.
Robinson und Smith gelang es, auf ihren Reisen etwa einhundert biblische Stätten zu verorten, obwohl sie dazu neben Bibelausgaben in Englisch und Hebräisch wenig mehr als einen Kompass, ein Teleskop und Maßbänder zur Verfügung hatten. Die Ergebnisse ihrer ersten Erkundungen wurden nur wenige Jahre später in drei Bänden veröffentlicht. Robinson kehrte 1852 nach Palästina zurück und gab danach noch einen weiteren Band heraus. Er identifizierte nicht nur mehrere Dutzend weitere biblische Stätten, sondern auch eine Vielzahl anderer Überbleibsel der Antike, darunter einen Bogen am Tempelberg in Jerusalem, der noch heute als Robinson-Bogen bekannt ist.
Robinsons Zuschreibungen waren natürlich nicht immer ganz richtig, und es gelang ihm auch nicht, alle antiken Stätten zu lokalisieren, nach denen er suchte. Einmal stand er oben auf dem Tell el-Mutesellim, einem etwas über zwanzig Meter hohen Hügel im Jesreel-Tal – den er nicht als Menschenwerk erkannte –, schaute ins Tal hinab in Richtung der Berge Tabor und Gilboa und fragte sich, wo wohl das berühmte Megiddo (das biblische Armageddon) liegen mochte. Er wusste, es musste dort irgendwo sein, aber es kam ihm nie in den Sinn, dass er tatsächlich gerade mitten darauf stand und dass wenigstens zwanzig verschiedene Siedlungsschichten übereinander in dem uralten Siedlungshügel unter seinen Füßen steckten. Aus dem gleichen Grund fand er weder Jericho noch Lachisch, |28|denn er erkannte nicht, dass die auffälligen Tells in der Landschaft des Heiligen Landes Überreste antiker Stätten sind.
Bald nach Robinsons Erkundungen beauftragte der von Großbritannien aus operierende Palestine Exploration Fund (PEF), gegründet im Jahr 1865, einen gewissen Charles Warren – einen britischen Armeeangehörigen, der später zum Ritter geschlagen und zum Generalmajor befördert wurde –, die antike Topographie Jerusalems zu erkunden und aufzunehmen. Von 1867 an arbeitete Warren mehrere Jahre lang an diesem Auftrag. Vor allem untersuchte er das Wassersystem und andere Befunde im Untergrund des frühen Jerusalem. Der Warren-Schacht – ein Teil der unterirdischen Wasserversorgung der frühen Stadt – trägt noch immer seinen Namen. Lange ging man davon aus, dass dieser Schacht eine Rolle bei der Einnahme Jerusalems durch David vor dreitausend Jahren gespielt habe, aber vor kurzem hat sich herausgestellt, dass er erst seit dem 8. Jahrhundert v. Chr., also erst nach der Zeit Davids, in Betrieb war.
Der PEF finanzierte Vermessungsprojekte, um die Geographie von ganz Palästina kartographisch zu erfassen. Der Erzbischof von York hatte bei der Gründungsfeier des PEF 1865 erklärt: »Dieses Land Palästina gehört Ihnen und mir, es ist dem Wesen nach das unsere. … Wir haben vor, Palästina der Länge und der Breite nach zu durchwandern, weil das Land uns gegeben worden ist.« Mehr noch, er fügte zur weiteren Erklärung und Rechtfertigung hinzu: »Wenn man die Bibel wirklich verstehen will …, muss man auch das Land verstehen, in dem die Bibel geschrieben wurde« – eine überzeugende Zusammenfassung der religiösen Motivation der Briten.
|29|Aber es gab auch geopolitische Motive. Die Briten waren fest entschlossen, das Gebiet zu vermessen, bevor die Franzosen sich dort festsetzen konnten. Sie wollten die Geographie im Griff haben, um schon in den Startlöchern zu stehen, wenn der unvermeidliche Zusammenbruch des Osmanischen Reiches begann. Die britischen Vermessungen in den 1870er Jahren, durchgeführt von den Royal Engineers unter der Führung von Männern wie Hauptmann Charles Wilson, Leutnant Claude Conder und Leutnant Horatio H. Kitchener führten zur topographischen Aufnahme von beinahe ganz Palästina und wurden in sechsundzwanzig Bänden Memoirs mit einer riesigen Landkarte, Architekturplänen und Fotos veröffentlicht.
Die Arbeit war allerdings nicht einfach – die Bedingungen waren primitiv, viele der Männer litten an Malaria; einige starben sogar daran. 1875 wurde das Vermessungsteam in der Nähe von Safed angegriffen, und neben anderen wurden auch Conder und Kitchener schwer verletzt. Die osmanischen Behörden fassten die Schuldigen zwar schließlich und stellten sie vor Gericht, doch der Schaden war schon angerichtet. Die Vermessung hatte dauerhafte, noch heute nachwirkende Folgen für die Region, denn die moderne Grenze zwischen Israel und dem Libanon liegt dort, wo Conder und Kitchener ihre Arbeit in Obergaliläa beendeten.
Im Gegensatz zu diesen amerikanischen und britischen Entdeckern und Ingenieuren war der Franzose Charles Clermont-Ganneau, der ursprünglich 1867 als Konsulatsmitarbeiter nach Palästina gekommen war, stärker an alten Schriften als an Architektur oder Geographie interessiert. Als Epigraphiker – Fachmann für antike Inschriften – war sein wichtigster Beitrag die Identifizierung |30|von Gegenständen wie der Mescha-Stele (auch als Moabiterstein bekannt) aus dem 9. Jahrhundert v. Chr., die bei Dibon in Jordanien gefunden wurde.
Die Inschrift war von Mescha, dem König von Moab, in Auftrag gegeben worden. Moab war damals ein kleines Königreich am Ostufer des Jordan im heutigen Jordanien. Die Inschrift auf einem schwarzen, 1,10 Meter hohen und 68 Zentimeter breiten Basaltstein beschreibt einen Sieg des moabitischen Königs und ist überaus bedeutsam für die Biblische Archäologie, denn sie nennt einen »Omri, König über Israel«. Omri regierte der biblischen Erzählung zufolge im 9. Jahrhundert das Nordreich Israel. Die Mescha-Stele zählt zu den ersten bekannten außerbiblischen Inschriften, in denen eine Person oder ein Ort genannt wird, der auch im Alten Testament vorkommt.
Auf dem Stein listet König Mescha die wichtigen Leistungen seiner Regierung auf. Wahrscheinlich errichtete er die Stele in Verbindung mit dem Bau eines Tempels für den moabitischen Gott Kemosch. Unter seinen Taten ist auch ein Sieg über das israelitische Heer aufgeführt, das der etwas abweichenden Fassung im Alten Testament (2 Kön 3,4–27) zufolge von König Joram, dem Enkel des Omri von Israel, befehligt wurde. Vor allem berichtet Mescha von seiner Zurückeroberung moabitischen Territoriums, das zuvor von Israel besetzt worden war. Der entsprechende Abschnitt der Inschrift lautet:
Ich bin Mescha, … König von Moab, der Dibonite. Mein Vater war König über Moab dreißig Jahre und ich wurde König nach meinem Vater. Und ich machte dieses Höhenheiligtum für Kemosch. |31|… denn er rettete mich vor allen Angreifern und ließ mich triumphieren über alle meine Gegner. Omri war König von Israel, und er bedrängte Moab lange Zeit … aber ich triumphierte über ihn und sein Haus. Und Israel ist für immer zu Grunde gegangen. Und es hatte sich Omri des ganzen Gebietes von Mahdeba bemächtigt und er wohnte darin während seiner Tage und der Hälfte der Tage seiner Söhne, vierzig Jahre. Aber es wohnte Kemosch darin während meiner Tage.
Die Geschichte der Inschrift ist faszinierend. Ein anglikanischer Mediziner und Missionar namens F. A. Klein identifizierte sie erstmals im Jahr 1868. Als Klein sie in den Ruinen des antiken Dibon am Ostufer des Toten Meeres erblickte, war sie noch vollständig erhalten. Er bot den Beduinen dort den Gegenwert von 400 Dollar für den Stein (womit sie einverstanden waren), ließ ihn dann jedoch an Ort und Stelle. Ein Jahr später unternahm ein Abgesandter von Charles Clermont-Ganneau den Versuch, einen Abklatsch der Inschrift zu machen, doch sein nasses Papier zerriss in mehrere Stücke, als er sich Hals über Kopf davonmachen musste. Er fürchtete um sein Leben, als unter den Beduinen ein Streit ausbrach.
Die osmanischen Behörden, denen das Gebiet unterstand, versuchten schließlich, den Stein zu bergen. Die Beduinen – die den türkischen Statthalter hassten – warfen den Stein in ein großes Feuer, bis er glutrot war, und übergossen ihn dann mit kaltem Wasser. Er zersprang in hunderte kleine Stücke, die die Beduinen in ihren Kornspeichern versteckten.
Irgendwann gelang es Clermont-Ganneau, viele der Bruchstücke zusammenzukaufen. Charles Warren erwarb noch ein paar weitere, |32|ebenso ein deutscher Forscher namens Konstantin Schlottmann. Insgesamt kamen siebenundfünfzig Stücke, große und kleine Fragmente, zusammen, und fast zwei Drittel der ursprünglichen Inschrift konnten rekonstruiert werden. Sie enthält zwar immer noch viele Lücken, die mitten durch einzelne Buchstaben oder ganze Wörter gehen, ist aber dennoch die längste Monumentalinschrift, die je im Heiligen Land gefunden wurde.
Lange galt die Mescha-Stele vor allem als wichtig, weil sie die Existenz des israelitischen Königs Omri bestätigte. Noch bedeutsamer könnte allerdings sein, dass sie womöglich auch das Haus Davids (Beit David) erwähnt: »… Und das Haus [von Da]vid wohnte in Horonên.«
Einige Jahre später befasste sich Clermont-Ganneau auch mit einer anderen Inschrift in frühem Hebräisch: Die Siloah-Inschrift war in das Steindach eines Tunnels in Jerusalem gemeißelt und wurde schließlich nach Istanbul gebracht. Der Tunnel war im Altertum fast 550 Meter weit durch den Fels getrieben worden, von der Gihonquelle außerhalb der Stadt zum sogenannten Siloah-Teich in der Stadt. Zwei Jungen, die 1880 in dem Tunnel spielten, schauten zufällig nach oben und entdeckten die Inschrift mit folgendem Text:
Als noch […] Hacke(n) […] jeder zu seinem Gefährt hin, und als noch drei Ellen zu durchbohren waren, […] die Stimme eines Mannes, der dem anderen zurief, denn da war ein Spalt an der rechten Seite […] Und am Tag des Durchbruchs begegneten sich die Arbeiter, Mann gegen Mann, Hacke gegen Hacke, und das Wasser floss von der Quelle zum Teich, 1200 Ellen |33|weit und 100 Ellen war die Dicke des Gesteins über den Köpfen der Arbeiter.
Clermont-Ganneau und andere meinten, die Inschrift beziehe sich nicht nur auf die Mittel, mit denen der Tunnel gebaut wurde, sondern spiele auch auf einen Abschnitt im 2. Buch der Könige an. Dort werden die Vorbereitungen beschrieben, die König Hiskija von Juda gegen den drohenden Angriff Sanheribs und der Neuassyrer im Jahr 701 v. Chr. trifft: »Die übrige Geschichte Hiskijas und alle seine Erfolge, wie er den Teich und die Wasserleitung angelegt und das Wasser in die Stadt geleitet hat, das alles ist aufgezeichnet in der Chronik der Könige von Juda.« (2 Kön 20,20)
Zu den von Hiskija umgesetzten Verteidigungsmaßnahmen gehörte offensichtlich auch das Graben eines neuen Tunnels, um während einer Belagerung Wasser in die Stadt zu bringen. Eine ähnliche Strategie war zuvor schon in Megiddo, Hazor und Geser eingesetzt worden. So bestätigte die Siloah-Inschrift nicht nur einen Abschnitt des Alten Testaments, sondern erklärte auch, wie wohl auch die früheren unterirdischen Wasserkanäle in der Bronzezeit an anderen Orten im alten Palästina gebaut worden waren.
All diese neuen Informationen zog George Adam Smith zu Rate, der letzte, aber wohl auch der größte in einer ganzen Reihe von Historischen Geographen, die zur Kenntnis des Heiligen Landes in jenen Jahren beitrugen, als das Fach Biblische Archäologie noch in den Kinderschuhen steckte. Smith war ein schottischer Theologe. Er wurde 1856 in Kalkutta geboren und ist wahrscheinlich vor allem durch sein Buch The Historical Geography of the Holy Land (1894) bekannt, einen überaus sorgfältig zusammengestellten |34|Band, der die Veröffentlichungen von Robinson und anderen früheren Entdeckern auf den neuesten Stand brachte. So war etwa Smith der erste, der Tell el-Mutesellim korrekt mit Megiddo gleichsetzte, was Robinson und anderen entgangen war.
Smith schrieb sein Buch nach zwei Besuchen im Heiligen Land, dem ersten im Jahr 1880, als er die Länder »Judäa, Samaria, Esdraelon und Galiläa« bereiste, wie er im Vorwort der ersten Auflage schrieb. Der zweite Besuch fand im Jahr 1891 statt, und dabei erkundete er größere Teile des Landes und kam im Norden sogar bis nach Damaskus. Smith stand dabei auf den Schultern von Riesen wie Robinson, Conder und Kitchener, die er alle voller Hochachtung zitiert. Das hinderte ihn aber nicht daran, einige ihrer Deutungen beiseite zu schieben und noch einige weitere anzuzweifeln, wie er anmerkte. Sein Ziel war es, »ein Bild vom Land als Ganzem zu geben … [und] dadurch den Klang der Geschichte zu hören.«
Smiths Buch, das zu einem durchschlagenden Erfolg wurde, kam praktisch jedes Jahr bis 1931 in einer neuen Auf lage heraus und wurde ständig auf den neuesten Stand gebracht, wenn neue archäologische Funde gemacht oder neue weltbewegende Ereignisse bekannt wurden. Nachdem etwa General Edmund Allenby die archäologische Stätte Megiddo im Ersten Weltkrieg eingenommen hatte, fügte Smith in die Auflage von 1931 einen Bericht und eine Übersetzung einer ähnlichen Einnahme des kanaanitischen Megiddo im Jahr 1479 v. Chr. durch den ägyptischen Pharao Thutmosis III. ein. Laut Sir Archibald Wavell, einem Biographen Allenbys, hatte dieser auf seinen Feldzügen in Palästina eine frühere Ausgabe von Smiths Buch dabei und konsultierte es ebenso wie die Bibel praktisch jeden Tag.
|35|Die Arbeit, die Männer wie Smith, Conder und Robinson leisteten, bildete die Grundlage für das Kommende. Sobald die ersten geographischen Vermessungen des Heiligen Landes abgeschlossen waren, bestand der nächste Schritt darin, auf der Suche nach antiken Überresten den Boden aufzugraben.