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THEMA Catholic Women

Kairos für eine geschlechtergerechte Kirche

In der katholischen Kirche werden Frauen und Männer differenziert und hierarchisiert. Das entspricht schon lange nicht mehr der Überzeugung vieler Christinnen und Christen von einer evangeliumsgemäßen Kirche. Auseinandersetzungen und Veränderungen sind angezeigt. Jetzt. Andrea Qualbrink

EIN VÖLLIG NEUES VORZEICHEN

Das Leben hat ein neues Vorzeichen bekommen: Die Corona-Pandemie, die aktuell das Leben der Menschen weltweit bestimmt, wirkt wie ein Vorzeichen für alles andere. Es fällt mir nicht leicht, unter diesem Vorzeichen, das unsere Existenz betrifft – das Leben, die Gesundheit, die wirtschaftliche Existenz so vieler Menschen – über ein Thema zu schreiben, dass mir wie vielen so lange schon wichtig ist und das Anfang 2019 eine ungeheure Dynamik entwickelt hat: die katholische Kirche und die Frauen. Aber vielleicht hilft dieser Gedanke: Mir scheint, die Lebensbedingungen, die uns die Pandemie aufzwingt, spülen vieles noch deutlicher an die Oberfläche. Für die Kirche stellen sich die Fragen: Was ist ihre Aufgabe unter diesem Vorzeichen, diesen Bedingungen? Was haben wir zu tun? Was ist unverzichtbar? Wie sind wir Kirche angesichts von Tod und Verlust, physical distancing, Quarantäne, Einsamkeit, home office und home schooling, und wie entsprechen wir unserem Auftrag, Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit zu sein (vgl. Lumen gentium 1)? Wie erkennbar ist an uns die unbedingte Liebe Gottes? Und im Zuge dessen wird dann auch die Frage nach den Frauen in der Kirche an die Oberfläche gespült: Entspricht die Kirche mit ihren aktuellen Strukturen, die Frauen und Männer wegen ihres Geschlechts differenzieren und hierarchisieren, ihrem Auftrag?

ZEITDIAGNOSE: FORDERUNGEN MIT WUCHT

Seit Jahrzehnten fordern Frauen (und Männer) auf der Grundlage theologischer Auseinandersetzungen und geschlechtertheoretischer Diskussionen eine katholische Kirche, in der Frauen nicht wegen ihres Geschlechts differenziert und vor allem nicht von den Weiheämtern ausgeschlossen werden. Immer war aber auch mit der Diskussion und den Forderungen Angst und Druck verbunden: Angst, wegen der öffentlichen Forderung nach der Priesterweihe für Frauen die eigenen beruflichen Möglichkeiten in der Kirche zu gefährden; Angst, wegen geschlechtertheoretisch fundierter Aussagen zum Thema Gender möglicherweise kein Nihil obstat für einen theologischen Lehrstuhl zu bekommen; Sorge, als katholischer Frauenverband weniger Zuschüsse aus kirchlicher Hand zu erhalten, wenn man die Forderung nach der Priesterweihe von Frauen offen ausspricht. Das Diskussionsverbot nach dem Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis 1994 zeigte Wirkung – trotz aller theologischen Anfragen an die Argumentation. Und auf die 2004 mit dem Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt lehramtlich zementierte Geschlechterdualität ließ sich autoritär pochen – ohne Rekurs auf das Niveau der interdisziplinären Geschlechtertheoriedebatte (vgl. hierzu u. a. Heimbach-Steins 2004).

Andrea Qualbrink

Dr. theol., Referentin für Strategie und Entwicklung im Bischöflichen Generalvikariat des Bistums Essen. Sie ist befasst mit Fragen der Organisations-, Personal- und Kirchenentwicklung, promovierte über Frauen in kirchlichen Leitungspositionen, erhob für die Deutsche Bischofskonferenz 2013 und 2018 den Frauenanteil in Leitungspositionen deutscher Ordinariate und entwickelte das Programm „Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf“ des Hildegardis-Vereins e. V. mit. Sie ist Mitglied des Forums „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ auf dem Synodalen Weg.

Die Forderungen nach der Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem Bild und der Position von Frauen erfuhren eine erhebliche Dynamisierung im Fahrwasser eines anderen Themas: 2010 wurde in Deutschland erstmals die schreckliche Tatsache öffentlich, dass Kindern und Jugendlichen insbesondere durch Priester und Ordensleute in kirchlichen Einrichtungen sexualisierte Gewalt angetan und dies zum Schutz der Täter und der Institution verschwiegen und vertuscht wurde. Die deutschen Bischöfe reagierten damals mit der Initiierung des sogenannten Gesprächsprozesses. Im Zuge dieses Prozesses positionierten sich zahlreiche Verbände von Lai*innen zu den Themen, mit denen sich die katholische Kirche dringend auseinanderzusetzen habe. Hierzu gehörten in einer Vielzahl von Positionspapieren – ausgehend vom Thema Machtmissbrauch und der männerdominierten Kirche – auch die Forderungen nach mehr Frauen in Leitungspositionen, nach der Weihe von Diakoninnen und in einigen wenigen Fällen auch die Forderung nach der Priesterweihe von Frauen (vgl. ausführlich Qualbrink 2019/1, 56-66). 2013 reagierte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mit einem Studientag im Rahmen ihrer Frühjahrsvollversammlung, der die Frage nach Frauen in Leitungspositionen in den Mittelpunkt rückte. Der Studientag endete mit einer Selbstverpflichtungserklärung der DBK, den Frauenanteil in kirchlichen Leitungspositionen weiter zu erhöhen und die Entwicklungen fünf Jahre später zu prüfen (vgl. Bode, 93). 2018 wurde plangemäß das Update der ersten Zahlenstudie vorgelegt, das tatsächlich einen leichten Anstieg von Frauen in Leitungspositionen in den deutschen Ordinariaten von 13 auf 19 Prozent auf der oberen Leitungsebene nachwies (vgl. Qualbrink 2019/2). Die Vorstellung der neuen Zahlen in der Frühjahrsvollversammlung 2019 wurde allerdings erneut überschattet vom Thema Missbrauch.

Die Ergebnisse der von der DBK in Auftrag gegebenen MHG-Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche durch Priester und Ordensmänner erschütterten die katholische Kirche in Deutschland zutiefst – und das, obwohl die Zahlen des Hellfelds für niemanden überraschend sein konnten. Diese Erschütterung löste auf verschiedenen Ebenen der Kirche in Deutschland das bittere Gefühl und die Erkenntnis aus, dass es so nicht weitergehen könne. So erklärte etwa Bischof Franz-Josef Overbeck, der Missbrauchsskandal in seiner ganzen Weite sei ein „Point of no Return“. Die Kirche erlebe eine Vertrauenskrise extremsten Ausmaßes. Alle Fragen, die es auch vorher schon gab, müssten neu beantwortet werden, darunter die Sicht auf Homosexualität, eine generelle Neudimensionierung der Geschlechterbeziehungen sowie Fragen des Zölibats, des Machtmissbrauchs und der Rolle von Frauen in der Kirche (vgl. Rünker).

Anfang 2019 erfuhr das Thema Frauen in der Kirche eine Dynamisierung wie noch nie zuvor in der jüngeren Kirchengeschichte. Zu einem entscheidenden Player wurde die Gruppe Maria 2.0, ein Lesekreis von Frauen aus Münster, der zu einer Aktionswoche im Mai 2019 aufrief und eine enorme Bewegung in ganz Deutschland, in Österreich und der Schweiz auslöste. In einem offenen Brief der Initiative an Papst Franziskus heißt es: „Wir glauben, dass die Struktur, die Missbrauch begünstigt und vertuscht, auch die ist, die Frauen von Amt und Weihe und damit von grundsätzlichen Entscheidungen und Kontrollmöglichkeiten in der Kirche ausschließt.“ Etwa gleichzeitig zeigte sich eine Fraueninitiative in Österreich: „50 Tage – 50 Frauen: bleiben – erheben – wandeln“ und eine Initiative in der Schweiz: „Gleichberechtigung.Punkt.Amen“. International dynamisierte sich die Initiative Voices of Faith. Sie erklären in ihrer Kampagne #overcomingsilence: „Mehr als die Hälfte aller Katholiken sind Frauen. Hingegen werden Entscheidungen, die alle Katholiken betreffen, nur von Männern getroffen. Treffen wir aber weiter einseitige Entscheidungen, gefährden wir die Relevanz und Langlebigkeit der katholischen Kirche. Wir brauchen mehr Stimmen, die für unseren Glauben sprechen. Beginnen wir mit denjenigen Stimmen, die bereits die Hälfte der katholischen Kirche repräsentieren.“ Anlässlich der Amazonas-Synode forderte Voices of Faith öffentlichkeitswirksam mit Verweis auf das Stimmrecht von Ordensmännern das Stimmrecht von Ordensfrauen bei Bischofssynoden ein. Im November 2019 gründete sich mit dem Catholic Women’s Council eine globale Dachgruppe römisch-katholischer Netzwerke, die sich für die volle Anerkennung der Würde und Gleichberechtigung der Frau in der Kirche einsetzen.

Auch die beiden großen deutschen Frauenverbände, die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) und der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB), erhoben erneut positioniert ihre Stimmen für Frauen in der Kirche. Sie fordern ausdrücklich und in profilierten Kampagnen die Ordination von Frauen und volle Gleichberechtigung in der katholischen Kirche (vgl. „gleich und berechtigt“ der kfd und „Wir bewegen Kirche“ des KDFB). Laut wurde ebenfalls die Stimme der Frauenorden. Im Oktober 2018 erklärten die Generaloberinnen von 34 Frauenorden aus der Schweiz, Luxemburg, Österreich und Deutschland, Frauen sollten zu allen kirchlichen Ämtern und Diensten und bei Bischofssynoden mit Stimmrecht zugelassen werden. Auch einige deutsche Bischöfe erklärten öffentlich, so etwa Bischof Feige von Magdeburg, Bischof Bode von Osnabrück, Bischof Kohlgraf von Mainz, Bischof Overbeck von Essen u. a., dass die Debatte um die Frauenweihe geführt werden müsse.

Die deutsche Kirche erlebt tatsächlich eine „Kernschmelze“: Es sind Frauen und auch eine ganze Reihe von Männern aus der Mitte der Kirche, die ihre Stimme erheben, auf die Straße gehen, ausdrücken, woran sie z. T. jahrzehntelang in „ihrer Kirche“ gelitten haben. Sie fragen vom Kern ihres Glaubens her die Strukturen der Kirche an; es geht um theologische Kernfragen. Neu sind die Öffentlichkeit und Wucht der Auseinandersetzung, in der wissenschaftliche Diskussionen, Glaube, Verletzungen, Wut und der Wille zur Veränderung zusammenkommen. Junge Frauen und Männer finden sich – jenseits der klaren, engagierten Positionierungen der Jugendverbände im BDKJ – allerdings weniger auf den Protestmärschen. Rainer Buchers These vom Ermöglichungsdiskurs findet hier Bestätigung: Insbesondere junge Frauen ringen nicht um Ermöglichungen und Veränderungen in der Kirche, sie verlassen sie (vgl. Bucher, 288f.).

DER SYNODALE WEG

Im Zuge der Frühjahrsvollversammlung 2019 einigten sich die deutschen Bischöfe mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) auf eine Reaktion hinsichtlich der Ergebnisse der MHG-Studie: Zum einen wurden Projekte im Blick auf den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche aufgesetzt, zum anderen wurde der „Synodale Weg“ initiiert, der die Strukturen der Kirche zum Thema machen und verändern soll. Das ZdK ergänzte die drei von der DBK vorgeschlagenen Foren um ein viertes, das schließlich unter dem Titel „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ zu arbeiten begann.

Der Synodale Weg wird von vielen skeptisch beäugt. Daniel Bogner z. B. fragt kritisch an, ob die Lai*innen wirklich auf den Tisch hauen, wenn sichtbar werde, dass es wieder nur Gesprächstherapie bleibe (vgl. KNA).

Das Thema des Forums „Frauen in Diensten und Ämtern“ wurde im Papier des vorbereitenden Forums zu Recht als wichtige „Nagelprobe“ für die Authentizität des Reformwillens der römisch-katholischen Kirche in der öffentlichen Wahrnehmung bezeichnet (vgl. Vorbereitendes Forum Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche). Gibt es nach dem Synodalen Weg keine maßgeblichen, tiefgreifenden Veränderungen für Frauen in der katholischen Kirche, ist der Weg wesentlich gescheitert.

Was ich dem Synodalen Weg zutraue: Entscheidungen, die auf ortskirchlicher Ebene treffbar sind, werden in den meisten (Erz-)Diözesen umgesetzt. Es wird die Kirche verändern, wenn Frauen taufen, bei der Eheschließung assistieren, predigen und Kranke salben. Es werden hoffentlich Fakten gesetzt, hinter die die Kirche nicht mehr zurückkann. Das ist natürlich nicht ausreichend, zumal solche Regelungen kirchenrechtlich mit der Situation des Priestermangels zu begründen sind, was immer auch eine Zumutung für Frauen ist. Aber es sind Schritte für all jene, die bereit sind, sie mitzugehen, und diese Schritte werden die Kirche verändern.

Was ich befürchte: Die Ortsordinarien haben die Freiheit, sich gemeinsam getroffenen Beschlüssen zu verweigern. Auch wenn beim Synodalen Weg über Macht, Partizipation und Gewaltenteilung in der Kirche diskutiert wird, so haben die Ortsordinarien genau dieses Recht: Sie können sich machtvoll über theologisch diskutierte und überdiözesan partizipativ getroffene Entscheidungen hinwegsetzen. Das werden manche deutsche (Erz-)Bischöfe und Kardinäle tun.

Schließlich hoffe ich, dass die Synodalversammlung die Empfehlung nach Rom geben wird, das Thema der Zulassung von Frauen zu allen Weiheämtern zu diskutieren. Ich habe jedoch die Sorge, dass dies auf weltkirchlicher Ebene nicht geschieht und dass das Lehramt der katholischen Kirche nicht – trotz der interdisziplinären Geschlechtertheoriedebatte – von seinem normativen Blick auf die Geschlechter lässt. Trotz der hilfreichen Aussagen im Blick auf Lai*innen im Schreiben Querida Amazonia (vgl. Schüller) haben mich die Zuschreibungen und Platzzuweisungen des Papstes an „die Frau“, also alle Frauen weltweit (vgl. Nr. 99-103), zwar nicht überrascht, aber als Theologin, Katholikin und Frau verärgert und verletzt.

FRAUEN UND WEIHE & FRAUEN UND LEITUNG

Oben wurde bereits deutlich, dass die Themen Weihe von und Leitung durch Frauen zu den dringlichen Forderungen an die katholische Kirche gehören. Beide Themen sind zu unterscheiden, dispensieren aber nicht voneinander. Die Forderung nach deutlich mehr Frauen in kirchlichen Leitungspositionen hin zu paritätisch, besser noch divers besetzen Leitungsteams entspricht der Forderung nach Geschlechterbewusstsein, Gerechtigkeit und einer professionellen Personalarbeit bei der Förderung von Potenzialträger*innen und der Besetzung von Leitungspositionen. Leitungspositionen sind mit Gestaltungsmacht verbunden und erfordern Führungskompetenzen – auch in der katholischen Kirche. Es gibt Frauen, die führen können und die Kirche gestalten wollen. Es ist die Aufgabe der Organisation und vor allem der Entscheider(*innen), ihre Verantwortung bei der Erhöhung des Frauenanteils in Leitungspositionen zu übernehmen (vgl. ausführlich Qualbrink 2019/1, 499-528).

Dies zu tun entbindet die Organisation aber nicht von der Auseinandersetzung mit der Forderung nach der Weihe von Frauen. Die Behauptung, Frauen, die sich für Frauen in kirchlichen Leitungspositionen einsetzen, sowie jene, die solche Leitungspositionen besetzen, ließen sich dahingehend instrumentalisieren, von der Forderung nach Frauen in den Weiheämtern abzulenken, ist unzutreffend, unterstellt sie doch, dass weder die betreffenden Wissenschaftlerinnen noch die betreffenden Frauen in der Lage wären, diese Gefahr zu sehen und aktiv mit ihr umzugehen.

Die Alternative wäre, dass sich Frauen kirchlichen Leitungspositionen und der Forderung danach aus Prinzip verweigern. Das würde dann möglicherweise auch bedeuten, dass sie sich in ihren eigenen Überzeugungen, Wünschen, Charismen und Kompetenzen beschneiden und nicht die ihnen mögliche Gestaltungsmacht an dem Ort, der ihnen wichtig ist, anstreben und übernehmen. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass man das patriarchale, hierarchische Ständesystem der katholischen Kirche von innen und aus der zweiten Reihe fundamental verändern könnte. Ich weiß auch, dass dieses System Frauen in kirchlichen Leitungspositionen nicht einfach überall integriert und es ihnen nicht leicht macht. Mir ist bewusst, dass nicht alle Frauen in kirchlichen Leitungspositionen die katholische Kirche geschlechtergerecht verändern wollen. Die Frauen in Leitungspositionen, die ich für meine Dissertation interviewt habe, sagen aber selbst, dass sie etwas mit dem System machen, dass ihre Anwesenheit und ihre Arbeit wirken. Ich nenne das „produktive Störung“. Die Frage an das System ist: Wie wirksam lässt es sich stören? Und die Frage an die Frauen ist: Was lassen sie sich zumuten?

Bei der Forderung nach der Zulassung von Frauen zu allen Weiheämtern geht es um die Auseinandersetzung mit den theologischen Argumenten für die definitive Nichtzulassung von Frauen zum Priesteramt. Die Forderung ist eine existenzielle Anfrage all jener Frauen, die sich zum Priesteramt von Gott berufen fühlen. Schließlich wird die Forderung getriggert vom Gerechtigkeitsempfinden von Menschen in einer Gesellschaft, in der niemand wegen seines Geschlechts diskriminiert werden darf. Dabei geht es aber nicht um eine Anpassung an den sogenannten Zeitgeist, wie häufig unterstellt wird. Es geht darum, dass die Argumente in der Erklärung Inter insigniores der Glaubenskongregation von 1976 theologisch bei Weitem nicht eindeutig zu überzeugen vermögen (vgl. hierzu zusammenfassend Demel). Ähnlich verhält es sich mit der Normativität der Dualität und Komplementarität der zwei Geschlechter, die die geschlechtertheoretisch informierte theologische Wissenschaft zu Recht kritisiert (vgl. z. B. Heimbach-Steins 2004, Heimbach-Steins 2015 sowie Marschütz), die aber herangezogen wird, um eine schöpfungsgewollte unterschiedliche Berufung der zwei Geschlechter zu begründen. Frauen wird die Zulassung zu den Weiheämtern verweigert auf der Grundlage zutiefst infrage stehender theologischer Argumente, über die nicht diskutiert werden durfte. Es ist gut, wenn wir uns als Kirche jetzt argumentativ mit dieser Frage auseinandersetzen. Und bei dieser Auseinandersetzung gilt es, sich der Quellen und der Hermeneutik zu vergewissern. So kann z. B. nicht die Antwort auf die Frage, ob es schon einmal geweihte Diakoninnen in der Kirche gegeben hat, das entscheidende Kriterium einer vom Papst eingesetzten Kommission sein, ob es heute oder in Zukunft welche geben darf. Der Auftrag der Kirche ist es, evangeliumsgemäß zu sein und am Reich Gottes mitzubauen – und zwar entsprechend den Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, müssen Theologie und Kirche um die Frage ringen, was evangeliumsgemäß ist, immer wieder neu nach dem Willen Gottes fragen und die Zeichen der Zeit im Licht des Evangeliums beleuchten (vgl. Gaudium et spes 4).

Welche Weiheämter also entsprechen einer Kirche, die Zeichen und Werkzeug des Heils sein soll?

Die Frage nach den Frauen in der Kirche und die Forderung nach den Weiheämtern für Frauen sind ein Zeichen der Zeit. Die Argumente gegen ihre Zulassung sind nicht tragfähig, und die Diskriminierung von Frauen aufgrund einer angeblichen eindeutig schöpfungstheologisch fundierten Geschlechterdualität ist nicht christlich. Die Forderung darf aber nicht zu kurz greifen und nicht versäumen zu fragen, welche Weiheämter denn die katholische Kirche braucht: Welche Weiheämter also entsprechen einer Kirche, die Zeichen und Werkzeug des Heils sein soll? Die MHG-Studie jedenfalls sieht zwischen dem Klerikalismus, der sakralisierten Machtfülle von Priestern und dem Missbrauch von Macht in sexualisierter Form einen Zusammenhang. Darum müssen Frauen nicht paternalistisch vor der Gefahr des Klerikalismus bewahrt werden (vgl. Nr. 100). Vielmehr muss die Kirche jedweden Klerikalismus ausmerzen und sich fundamental mit den Weiheämtern auseinandersetzen.

EINE CHRISTLICHE KIRCHE

Ich sehe keinen Grund, warum in der katholischen Kirche Frauen und Männer differenziert und hierarchisiert werden müssten. Die Taufformel im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Galatien erinnert an die Aufhebung aller ‚Schubladen‘ dieser Art im Christentum: „Denn alle, die ihr in den Messias hineingetauft seid, habt den Messias angezogen wie ein Kleid. Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzig-einig im Messias Jesus.“ (Gal 3, 27f). Ich sehe den Auftrag, den die Kirche hat: Zeichen und Werkzeug des Heils, des Reiches Gottes zu sein. Diesem Auftrag muss die Sozialgestalt der Kirche, müssen sämtliche Strukturen und Ämter, insbesondere auch Amtsträger*innen und schließlich das Volk Gottes entsprechen.

LITERATUR

Bode, Franz-Josef (Hg.), Als Frau und Mann schuf er sie. Über das Zusammenwirken von Frauen und Männern in der Kirche, Paderborn 2013.

Bucher, Rainer, Die neue Ordnung der Geschlechter und die Ohnmacht der katholischen Kirche. Zum Ausklingen der patriarchalen Definitionsmacht, in: Eder, Sigrid/Fischer, Irmtraud (Hg.): … männlich und weiblich schuf er sie … (Gen 1,27). Zur Brisanz der Geschlechterfrage in Religion und Gesellschaft (Theologie im kulturellen Dialog 16), Innsbruck 2009, 281-296.

Demel, Sabine, Frauen und kirchliches Amt. Grundlagen – Grenzen – Möglichkeiten, Freiburg i. Br. 2012.

Heimbach-Steins, Marianne, Ein Dokument der Defensive. Kirche und Theologie vor der Provokation durch die Genderdebatte, in: Herder Korrespondenz 58 (9/2004), 443-447.

Heimbach-Steins, Marianne, Die Gender-Debatte – Herausforderungen für Theologie und Kirche (Kirche und Gesellschaft 422), Köln 2015.

Katholische Nachrichten Agentur, „Sich zu engagieren, ist teilweise sehr frustrierend“. Theologe kritisiert Umgang der Kirche mit Engagement; abrufbar unter: https://www.domradio.de/themen/reformen/2019-12-15/sich-zu-engagieren-ist-teilweise-sehr-frustrierend-theologe-kritisiert-umgang-der-kirche-mit.

Marschütz, Gerhard, Wachstumspotenzial für die eigene Lehre. Zur Kritik an der vermeintlichen Gender-Ideologie, in: Herder Korrespondenz 68 (9/2014), 457-462; abrufbar unter: https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2014/9-2014/wachstumspotenzial-fuer-die-eigene-lehre-zur-kritik-an-der-vermeintlichen-gender-ideologie/.

Rünker, Thomas, Bischof Overbeck sieht Kirche an historischem Wendepunkt, 07. November 2018; abrufbar unter: https://www.bistum-essen.de/pressemenue/artikel/bischof-overbeck-sieht-kirchean-historischem-wendepunkt/.

Qualbrink, Andrea, Frauen in kirchlichen Leitungspositionen. Möglichkeiten, Bedingungen und Folgen der Gestaltungsmacht von Frauen in der katholischen Kirche, Stuttgart 2019.

Qualbrink, Andrea, Studie „Frauen in Leitungspositionen deutscher Ordinariate/Generalvikariate 2018“ Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, 2019; pdf-upload unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2019/2019-035d-FVV-Lingen-Studie-Frauen-Leitungsposition.pdf.

Schüller, Thomas, In persona Mariae. „Querida Amazonia“ macht den Weg frei für Kardinälinnen, in: Herder Korrespondenz 74 (5/2020), 41-43. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Nachsynodales Apostolisches Schreiben Querida Amazonia von Papst Franziskus an das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 222), Bonn 2020.

Vorbereitendes Forum Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche, Abschlussbericht der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Synodalforums; pdf-upload unter: https://www.synodalerweg.de/fileadmin/Synodalerweg/Dokumente_Reden_Beitraege/SW-Vorlage-Forum-III.pdf.

[Links alle zuletzt eingesehen am 22. April 2020]

Lebendige Seelsorge 3/2020

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