Читать книгу Lebendige Seelsorge 2/2016 - Erich Garhammer - Страница 6
ОглавлениеPredigt als Resonanz–Geschehen
Kleine Skizze zu einer Philosophie der Verkündigung
Obwohl es nicht wenige große Prediger gab, die auch Philosophen waren, und etliche Philosophen, die auch Prediger waren, hat so etwas wie eine „Philosophie der Verkündigung” nahezu gänzlich ein Schattendasein geführt – mit wenigen jüngeren Ausnahmen vielleicht, von denen noch die Rede sein wird. Dabei hätte sich ein solches Unterfangen bereits von der Grundverfassung allen Gottdenkens nahegelegt. Formal und philosophisch gesprochen: Wenn und sofern es ein Unendliches oder Absolutes gibt, können wir einen möglicherweise seitens seiner an uns ergehenden Anspruch (im literalen und spekulativen Sinn des Wortes) einzig im Medium unserer endlichen Verfassung vernehmen. Und exakt dieses Grundverhältnis wiederholt sich sozusagen en miniature im Geschehen der Verkündigung, sofern darin Gotteswort in Menschenwort verlautbart werden soll. Die Chiffre „Resonanz” scheint mir beide Grundverhältnisse angemessen zu charakterisieren. Klaus Müller
WENN GOTT „SPRICHT“
Allerdings impliziert dieser Terminus „Resonanz“ (bei dem es sich ja eigentlich um ein akustisches Bildwort handelt) einen neuralgischen Punkt: Der kommt immer dort zur Geltung, wo in der Bibel als der zentralen Quelle der Verkündigung die Formel „Gott spricht…“ oder „Und Gott sprach…“ etc. auftaucht (vgl. Müller 1994, 73-82). Solange wir den elementarsten Zug theologischer wie philosophischer Gotteslehre auch nur im Ansatz ernst nehmen, „spricht“ Gott natürlich nicht – weil ein solcher Akt, im Literalsinn gedacht als „Stimme von oben“, der Gott wesentlichen Transzendenz widerspräche. Das bedeutet: „Gott spricht“ ist ein Anthropomorphismus. Die biblischen Traditionen wissen um diese differenzgesättigte Analogie, ohne sie freilich tiefer zu reflektieren: „Denn Gott ist im Himmel, und du bist auf Erden, darum lass deiner Worte wenig sein“, heißt es Koh 5,1. „Gott spricht“ gehört von ältesten Schichten der Bibel an zu ihren stehenden Redewendungen. Was jedoch in der Bibel als „Wort Gottes“ apostrophiert wird, verrät, dass von dieser Redewendung keineswegs im Sinne einer Gottes Transzendenz unterschlagenden Weise Gebrauch gemacht wird. In den Vätergeschichten fungiert sie als dominierende Kategorisierung der Gottesbegegnungen. 93% der Vorkommen von „Wort Gottes“ und seiner Äquivalente im Alten Testament bezeichnen Worte aus prophetischem Mund. Die theologische Meditation von Gen 1, der priesterschriftliche Schöpfungsbericht, beschreibt das Schöpfungsgeschehen worthaft – „Und Gott sprach…“ –, um entmythologisierend die Mühelosigkeit Gottes bei diesem Tun und darin seine Souveränität und also Transzendenz über alles theo- und kosmogonische Geschehen zu artikulieren. Neutestamentlich werden auch das Jesus-Ereignis (vgl. Joh 1; Hebr 1) und schließlich die apostolische Verkündigung (vgl. Apg 4,29; 1 Thess 2,13) als „Wort Gottes“ bezeichnet. Daraus folgt: „Wort Gottes“ ist eine Kurzformel für ein außerordentlich vielschichtiges Geschehen.
Klaus Müller
Prof. Dr. Dr. habil., geb. 1955 in Regensburg; katholischer Priester und seit 1996 Universitätsprofessor und Direktor des Seminars für Philosophische Grundfragen der Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster sowie Rector ecclesiae der katholischen Universitätsgemeinde an der Dominikanerkirche zu Münster; Arbeitsgebiete: Theorie der Subjektivität, Theologische Sprachlehre und Homiletik sowie Monismusforschung (All-Einheits-Lehre) und Cyberphilosophy.
Hans Urs von Balthasar buchstabiert diesen Sachverhalt folgendermaßen aus: Gott spricht zum Menschen mitten aus der Welt, ausgehend von dessen eigenen Erfahrungen. Die Offenbarungssprache setzt die Sprache der Schöpfung voraus. Gott spricht sein Wort im Menschen und darum wird alles, was der Mensch ist, Organ für Gott. Wörtlich: „Je tiefer Gott sich selbst enthüllt, desto tiefer hüllt er sich in den Menschen hinein“ (Balthasar, 92). In dieser qualifizierten Verborgenheit Gottes hat alles Reden Gottes in Menschenwörtern und alles Reden über ihn die Bedingung seiner Möglichkeit (diese Anspielung auf die klassische kantische Formel für transzendentales Denken ist natürlich kein Zufall). Sprachlich gewendet heißt das: Das Wort der Offenbarung transzendiert sich (transitiv) – gleichsam zu uns herüber – in total menschliches Wort. Und weil das so ist, bleibt dem Wort Gottes nichts Menschliches fremd: existentiell, personal, politisch, kulturell. Das gilt auch für die Dimension des Interreligiösen.
Gleichwohl kulminiert für Christinnen und Christen dieses kommunikative Herüberkommen Gottes ins Menschliche im Inkarnationsgeschehen, sofern in Jesus von Nazareth auf einmalige – wenn auch keineswegs auf einzige – Weise ausgesagt ist, was Gott sagen will. Die ganze Schöpfung ist Resonanzkörper der Selbstaussage Gottes, also werden sich in allen Gestalten von Natur und Kultur – und natürlich auch in anderen Religionen – Verlautbarungen des Redens Gottes finden lassen, möglicherweise in bestimmten Hinsichten prägnanter als in der eigenen biblischen Tradition. Der Einmaligkeit des Gottes-Logos in Christus tut das dabei keinerlei Abbruch, sofern nach christlicher Überzeugung alles in ihm – Christus – geschaffen ist und Bestand hat (also seine innerste Identität gewinnt), wie etwa Kol 1, 15-18 zum Ausdruck bringt. Anselm von Canterbury hat diesen Gedanken spekulativ zum Konstruktionspunkt seiner gesamten philosophisch-theologischen Konzeption vertieft: „Es leuchtet ein […], dass das höchste Wesen alles, was es geschaffen hat, allein durch sich selbst schuf, und dies zwar vermöge seiner inneren Aussprache, sei es, dass es das Einzelne in einzelnen Worten, sei es, dass es vielmehr in einem einzigen Worte zugleich alles aussprach: daher ergibt sich zwingend, dass diese innere Aussprache des höchsten Wesens nichts anderes sein könne, als eben dieses höchste Wesen selbst“ (Anselm von Canterbury, Monologion XII).
Nur wenn diese innere Aussprache des zu schaffenden Endlichen letztendlich Selbstaussprache des Absoluten ist, bleibt alle Zweiheit, die jegliches Denken des Verhältnisses von Absolutem und Endlichem aporetisch machen würde, ausgeschlossen. Und das impliziert auch, dass es sich bei der inneren Aussprache im Letzten nur um ein einziges Wort handeln kann, in dem alle anderen (vorsprachlichen) Worte als Bilder oder Muster – Anselm: imago bzw. exemplum (Anselm wechselt bisweilen vom akustischen (verbum) ins optische (imago) Paradigma) – der Einzeldinge einbegriffen sind.
Noch eines will dabei bedacht sein: Jesus ist Wort Gottes in seinem Reden und in seinem Schweigen! Gott muss sich für seine Selbstoffenbarung nicht des Menschen bedienen. Aber wenn er es tut, dann sind damit alle menschlichen Dimensionen für den Ausdruck des Absoluten in Dienst genommen. Genau darin gründet im Übrigen auch das genuin theologische Recht, ja die Notwendigkeit der historisch-kritischen Methode. Ist sie es doch, die mit ihrem Methodeninstrumentar von Quellen-, Literar-, Form-, Redaktions- und Traditionskritik die inkarnatorische Resonanzstruktur als Grundstruktur des in der Bibel niedergelegten „Wortes Gottes“ ernst nimmt. Und dies ist – nach dem eben Erörterten – unverzichtbar für das Verstehen des Wortes Gottes, weil, was Gott zu sagen hat, sich ja genau im genuin Menschlichen des je gesprochenen Wortes mitteilt. Martin Buber hat das in seinem wohl populärsten (manchmal auch missverstandenen) Werk Ich und Du suggestiv auf den Nenner gebracht:
„Die gewaltigen Offenbarungen, auf die sich die Religionen berufen, sind der stillen wesensgleich, die sich allerorten und allezeit begibt. Die gewaltigen Offenbarungen, die im Anfang großer Gemeinschaften, an den Wenden der Menschenzeit stehen, sind nichts anderes als die ewige Offenbarung. Aber die Offenbarung schüttet sich ja nicht durch ihren Empfänger wie durch einen Trichter in die Welt, sie tut sich ihm an, sie ergreift sein ganzes Element in all seinem Sosein und verschmilzt damit. Auch der Mensch, der ‘Mund’ ist, ist eben dies, nicht Sprachrohr, – nicht Werkzeug, sondern Organ, eigengesetzlich lautendes Organ, und lauten heißt umlauten“ (Buber, 137f.).
RESONANZ THEORETISCH: KARL RAHNERS HÖRER DES WORTES
Vor dem Hintergrund des soeben skizzierten Resonanz-Paradigmas der Predigt wird nun aber auch etwas deutlicher sichtbar, dass eines der großen katholischen religionsphilosophischen Werke des 20. Jahrhunderts auch als Philosophie der Verkündigung gelesen werden muss: Karl Rahners Hörer des Wortes (vgl. Rahner 1997). Mit diesem Werk, ursprünglich Vorlesungen auf den Salzburger Hochschulwochen 1937, wollte Rahner – bündig gesagt – die wesentliche und apriorische Hinordnung des Menschen auf eine mögliche Offenbarung ausweisen. Um dieses Anliegen recht zu verstehen, muss man kurz die Hintergründe thematisieren, vor denen Rahner diesen transzendentalen Ansatz ins Auge fasst.
Man darf der Neuscholastik nicht global Unrecht tun. Man bezeichnet mit diesem Namen den Versuch einer Erneuerung der Scholastik im 19. und 20. Jahrhundert. Man hielt eine solche Philosophie, die sich vorwiegend an Thomas von Aquin, aber nicht nur an ihm orientierte, als Bollwerk gegen den Idealismus und Materialismus aus katholischer Sicht für dringend geboten. Ein eigenes Problem war dabei, inwiefern das, was die Neuscholastik als von Thomas kommend behauptete, tatsächlich von ihm vertreten worden war. Im Grunde handelte es sich bei diesem Projekt um eine verschärfte Version des vor allem amtlichen verordneten Boykotts gegen die gesamte Neuzeit seit Descartes. Einer der wenigen, die diese Ghettoisierung durchbrachen, war Joseph Maréchal. Er trat mit Kant ins Gespräch, um die Möglichkeit einer Metaphysik nach Kant zu erkunden, zog dabei auch andere Autoren zum Zweck einer Kant-Transformation heran, z.B. Fichte. Dieser Versuch einer Vermittlung zwischen Tradition und neuzeitlichem Subjektdenken hat Rahner fasziniert und entsprechend beeinflusst.
Rahners Perspektive aber verfügt noch über eine andere Wurzel neben dieser als dringlich erkannten Einlösung einer philosophischen Herausforderung. Bei dieser zweiten Wurzel handelt es sich um die ignatianische Spiritualität, genauer um die durch Ignatius von Loyola (1491-1556) grundgelegte Exerzitienerfahrung. Ignatius hat in aufwühlenden biographischen Suchbewegungen einen Weg aufgetan, auf dem der Einzelne für sich den Willen Gottes zu finden vermag. Anders gewendet: In den Exerzitien soll der Mensch zur Entdeckung seiner Gottunmittelbarkeit geführt werden. Logischerweise wird eine theologische Reflexion dieses geistlichen Geschehens in gewissem Umfang den Einzelnen als Einzelnen wie auch hinsichtlich seiner Wahrheitsfähigkeit thematisieren – und findet sich damit Seite an Seite mit den Grundfragen der neuzeitlichen Philosophie. In einer fiktiven Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute (vgl. Rahner 2008, 299331), die der alte Rahner zu Papier gebracht hat, kommt das prägnant zum Ausdruck, wenn es dort heißt, es gehöre zum Kern der ignatianischen Spiritualität und sei eine Verwandtschaft mit Luther und Descartes, mit der Möglichkeit einer Erfahrung der Gottunmittelbarkeit zu rechnen (vgl. Rahner 2008, 299-302). Aus dieser doppelten Wurzel, die er in sich schon verschlungen betrachtet, konzipiert Rahner seine Theologie als Mystagogie, als Einführung in jene Erfahrung, die sich dann resonanzförmig kategorisiert und auszeitigt. „Potentia oboedientialis“ (zu übersetzen etwa mit „Fähigkeit zum Ganz-Ohr-sein-Können“) ist Rahners Kennwort dafür.
RESONANZ PRAKTISCH: KARL RAHNERS GEISTLICHE TEXTE
Der kerygmatische Resonanz-Charakter von Rahners Ansatz wird erst jetzt, nachdem die Ausgabe seiner Sämtliche[n] Werke nahezu abgeschlossen ist, zur Gänze fassbar, weil erst durch diese Edition unmittelbar zur Geltung kommt, wie umfänglich geistliche Texte aus Rahners Feder – Meditationen, (Fasten-)Predigten, Gebete – parallel zu seinen akademischen Tätigkeiten niedergeschrieben wurden und – nach des Autors ausdrücklicher Bekundung – gleichrangig neben den theoretischen Werken stehen. Nicht von ungefähr hatte sich der alte Rahner gegen Lebensende gewünscht, „die in seinen Werken zerstreuten Gebete zu sammeln und zu einer Art gebeteten Dogmatik zusammenzustellen“ (Lehmann, XXIX).
In vielen dieser geistlichen Texte begegnet Rahner sozusagen in erster Person Singular als Resonanzkörper des in sein Herz gesprochenen Gotteswortes. Immer wieder ist dabei auch die Rede davon, wie wenig eigentlich unsere eingespielten dogmatischen und doxologischen Formeln dem zu entsprechen vermögen, was sie eigentlich zu sagen versuchen, wenn über und zu Gott gesprochen wird. Und dass das Gott-Welt-bzw. Gott-Mensch-Verhältnis auf ganz andere, weit komplexere und intimere Weise zu bestimmen wäre, als das unsere üblichen Glaubensformeln leisten. Was das konkret bedeutet, lässt sich aus buchstäblich zahllosen Passagen Rahnerscher Texte eruieren – und am meisten wohl dort, wo das Reden über Gott in ein Reden mit Gott, also das Genre des Gebetes wechselt. Bereits in der allerersten Buchpublikation Rahners, dem Bändchen Worte ins Schweigen (vgl. Rahner 2013, 3-38), entstanden 1937 und erschienen 1938, das einer seiner größten Publikationserfolge werden sollte, wird das greifbar. Durchgehend stößt man dort auf Wendungen, die das engste Ineinander von Gott und Mensch intonieren, um im nächsten Augenblick in einer Art Bruderschaft mit Nikolaus von Kues alle konkrete Prädizierung von Gott durchzustreichen: Da jubelt der Autor, dass in der Gnade „[…] dein [sc. Gottes] Leben mein Leben geworden wäre“ (Rahner 2013, 4), um wenige Zeilen später zu schreiben: „Gibt es Namen, die ich Dir nicht geben müsste? Aber was habe ich gesagt, wenn ich dir alle gegeben? Wenn ich, stehend am Rande deiner Unendlichkeit, hineingerufen hätte in die weglosen Fernen deines Seins alle diese Worte zumal, die ich aufgelesen habe in der ärmlichen Enge meiner Endlichkeit? Nie hätte ich Dich ausgesagt“ (Rahner 2013, 4).
Kein Name könne Gott als Gott angemessen nennen und wir könnten wahrlich von Gott nicht reden, „wäre all das nicht umschlossen von deinen fernen Unendlichkeiten“ (Rahner 2013, 5), in denen allein ich als Mensch zu leben vermag (vgl. Rahner 2013, 5). Und dann heißt es von diesem Gott: „Du bist alles in allem, und in jedem, das du bist, bist du alles. […] Und so wird alles, was in der Enge meiner Endlichkeit sich beengt, bedrängt und bekämpft, in dir zu der einen Unendlichkeit, die Einheit und Unendlichkeit zumal ist. Jede deiner Eigenschaften ist immer schon aus sich selbst dein ganzes unermessliches Sein, trägt schon in ihrem eigenen Schoß alle Wirklichkeit“ (Rahner 2013, 8).
Und wenige Zeilen später: „So ist deine Unendlichkeit die Erlösung unserer Endlichkeit. Und doch, mein Gott, ich muß Dir gestehen: je länger ich an sie denke, umso mehr ängstigt mich gerade dieses dein Wesen. Es bedroht mich in meiner Sicherheit, in ihm verliere ich alle Orientierung: Es will mir in Furcht und Zittern wieder scheinen, als ob deine Unendlichkeit, in der Alles dasselbe wird, doch nur für dich allein wäre. […] Du mußt, damit das Erschrecken über deine Unendlichkeit von mir weichen kann, dein unendliches Wort endlich werden lassen, es eingehen lassen in meine Enge, dass es darinnen sich einfügt, ohne das enge Haus der Endlichkeit, in dem allein ich wohnen kann, zu zerstören […]. In deinem ‚abgekürzten Wort‘, das nicht alles sagt, aber etwas, das ich verstehen kann, würde ich wieder aufatmen“ (Rahner 2013, 9).
Und dieses „abgekürzte Wort“ meint natürlich das Ereignis der Inkarnation. Nur der fleischgewordene Logos macht die all-eine Unendlichkeit Gottes für den Menschen erträglich und verständlich. Unter diesem Horizont kann dann sogar der bewusst angenommene eigene Tod für einen Menschen das Tor zum Glück, also zumindest inchoativ zu präsentischer Versöhntheit mit sich werden: „Dann wird das große Schweigen beginnen, in das du allein hineintönst, du Wort von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dann werden alle Menschenworte verstummt sein, Sein und Wissen, Erkennen und Erfahren werden dasselbe geworden sein […]. Kein Menschenwort, kein Bild und kein Begriff wird mehr zwischen mir und dir stehen“ (Rahner 2013, 16f.).
In den nicht weniger berühmten Predigten Rahners Von der Not und dem Segen des Gebetes (vgl. Rahner 2013, 39-116), die er 1946 im zerbombten München gehalten hat und die dann ab 1949 in vielen Auflagen gedruckt wurden, findet das seine Fortsetzung. Ich beschränke mich auf wenige prägnante Passagen. Gleich auf der ersten Seite heißt es: „Wenn der Mensch bei Gott ist in Ehrfurcht und Liebe, dann betet er. Dann vollbringt er zwar nicht alles in einem, weil ihm den Endlichen, dies nie in diesem Leben möglich ist. Aber er ist wenigstens bei dem, der alles in einem ist, und er tut darum etwas vom Wichtigsten und Notwendigsten“ (Rahner 2013, 40).
Dann begegnen Passagen, die beinahe an Spinoza gemahnen, wenn es in dem Abschnitt mit dem Titel Der Helfer-Geist heißt: „Wenn wir beten, dann ist das, was wir sagen und was wir in unserem sogenannten Ich davon merken, nur wie das letzte Echo aus unermesslichen Fernen kommend, des Rufens, in dem Gott sich selber ruft, des Jauchzens, in dem Gott selbst selig ist über die Herrlichkeit seiner Unendlichkeit, der Selbstbehauptung, mit der der Unbedingte von Ewigkeit zu Ewigkeit in sich selbst gründet. […] Er hört das unsagbare Seufzen seines eigenen Geistes, der bei Gott eintritt für seine Heiligen. Er hört als unser Seufzen, als jene Töne, die uns den chaotischen Dissonanzen unseres Herzens und Lebens eine hundertstimmige Symphonie zum Preis des Allerhöchsten machen“ (Rahner 2013, 56f.).
Und einem Menschen in der Gottesnot und Glaubenssorge eines scheinbar leeren Herzens kann Rahner in der ebenfalls weitverbreiteten Schrift Kleines Kirchenjahr (vgl. Rahner 2013, 117-189) von 1954 tröstend sagen: „Welcher Gott ist Dir eigentlich in dieser Leere des Herzens fern? Nicht der wahre und lebendige Gott, denn dieser ist ja gerade der Unbegreifliche, der Namenlose, damit er wirklich der Gott deines maßlosen Herzens sein kann. Fern ist Dir nur geworden ein Gott, den es nicht gibt: ein begreiflicher Gott […], ein sehr ehrwürdiger – Götze. […] Laß in diesem Geschehen des Herzens ruhig die Verzweiflung Dir scheinbar alles nehmen […]. Denn, wenn Du standhälst […], dann wirst Du plötzlich inne werden, daß dein Grabeskerker nur sperrt gegen die nichtige Endlichkeit, daß seine tödliche Leere nur die Weite einer Innigkeit Gottes ist, daß das Schweigen erfüllt ist von einem Wort ohne Worte, von dem, der über allen Namen und alles in allem ist. Das Schweigen ist sein Schweigen: Es sagt Dir, daß er da ist“ (Rahner 2013, 148f.).
WOHER KOMMT DAS RESONANT VERLAUTENDE GOTTESWORT?
Wenn nun das den Menschen ansprechende und beanspruchende Gotteswort ein „Wort ohne Worte“ ist, das sprechende Schweigen eines Gottes, von dem Rahner an zahllosen Stellen seines Werkes sagt, dass da ein „weiseloser“ Gott rede, den kein Name je zu erreichen vermöchte – wie kann es dann aber zu jener primären Resonanz dieses „Wortes“ im Menschenherz kommen, die dann in einer Resonanz zweiter Stufe kategorial in doxologischer oder diskursiver Sprache sich verlautbart?
Genau dieser Frage geht Richard Schaeffler nach, der sich als einer der ganz wenigen nach Karl Rahner als Philosoph auf die Problematik „Gotteswort in Menschenwort“ eingelassen hat, am umfänglichsten im ersten Band seiner Philosophischen Einübung in die Theologie (vgl. Schaeffler 2004, hier speziell 213-232). Zur Lösung des Problems etabliert er einen doppelten Theorie-Rahmen: Zum einen bettet er die Frage in jenes sprachphilosophische Schema ein, das in der Stoa unter dem Doppelnamen „logos endiathetos“ und „logos prosphorikos“ firmierte und dann seit Augustinus unter dem Doppelbegriff „verbum mentis“ bzw. „verbum internum“ versus „verbum oris“ bzw. „verbum externum“ eine komplexe philosophisch-theologische Wirkungsgeschichte entfaltete, die bis in das Hauptwerk Wahrheit und Methode (vgl. Gadamer Kap. III, 2b) des Agnostikers Hans-Georg Gadamer reicht. Für Schaeffler ist dabei entscheidend, dass es sich auch beim „verbum mentis“ bereits um das Resultat eines responsorischen Aktes handelt, so dass sich dieses nicht einem Selbstgespräch des Bewusstseins verdankt.
Diese Denkfigur stellt Schaeffler dann ihrerseits zurück in den nochmals größeren Rahmen eines erkenntnismetaphysischen Ansatzes, demgemäß all unser Erfahren aus einem Dialog mit der Wirklichkeit hervorgeht (vgl. dazu besonders als Opus magnum Schaeffler 1995). Dahinter steht Schaefflers Anliegen, den transzendentalen Ansatz Kants – durchaus im Gefälle von dessen eigener, aber unerfüllt gebliebener Intention (vgl. dazu Kant, 550) – zu vergeschichtlichen und damit die Kantischen Kategorien zu dynamisieren. Der Stärke wie der Grenze dieses Unterfangens ist an anderer Stelle nachzugehen (vgl. dazu etwa Schmidt/Wiedenhofer 2010), vor allem der Frage, ob es nicht zwangsläufig auf die schiefe Ebene kulturalistischer Konsequenzen gerät. Hier geht es stattdessen nur darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass auf diese Weise in der Tat das Verhältnis des in sich bereits responsorischen „verbum mentis“ zum – auf dieses wiederum responsorisch bezogenen – „verbum oris“, das seinerseits eine Antwort der es vernehmenden Hörerschaft erheischt, konsistent zur Darstellung gebracht wird.
Der wirklich heiße Kern des ganzen Prozesses aber bleibt dabei ausgespart, wenn Schaeffler (lediglich) schreibt, dass „[…] das Verbum Mentis den Charakter eines dialogischen Wortes haben kann, in welchem es einen zwar nicht akustisch vernehmbaren, gleichwohl aber dem Subjekt gegenüber ,äußeren‘ Anspruch des Wirklichen beantwortet“ (Schaeffler 2004, 221). Warum steht hier „‘äußeren‘“ in Anführungszeichen? Weil der Tangentialpunkt von Transzendenz und Immanenz eine Leerstelle bleibt. Wenn das resonante „verbum mentis“ nicht einem Selbstgespräch des Bewusstseins entstammen soll (was Schaeffler zu Recht ablehnt), aber genauso wenig einem supranaturalistisch-fundamentalistischen „salto mortale (F. H. Jacobi) des Glaubens, bleibt nur ein Weg: das endliche Subjekt so zu denken, dass es in seinem Hervorgang aus dem es gründenden Grund, den wir „Gott“ nennen, in diesen einbegriffen bleibt auf eine Weise, die ihm erlaubt, aus den Ressourcen des Gewahrens seiner selbst von Gott zu sprechen, weil die Signatur seiner Herkunft unauslöschlich seiner Wesensverfassung eingeschrieben ist.
Bündig gesagt: Das Problem „Gotteswort in Menschenwort“ lässt sich nur im Horizont der Denkform des Panentheismus konsistent beantworten (zum im Gang befindlichen „Panentheistic Turn“ der Theologie vgl. Müller 2010, 9-46; Müller 2015, 97-116; Müller 2016, 89-115; eine Sammlung wichtiger Diskussionen und Kritiken dieses Ansatzes vgl. in Wendel/ Schärtl 2015).
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LITERATUR
Balthasar, Hans Urs von, Gott redet als Mensch, in: Verbum Caro. Skizzen zur Theologie I, Einsiedeln 21960, 73-99.
Buber, Martin, Ich und Du, Heidelberg 81974.
Gadamer, Hans-Georg, Gesammelte Werke, Bd. 1: Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 2010.
Kant, Immanuel, Kant s handschriftlicher Nachlaß, Bd. VIII: Opus Postumum, in: Ders., Kant gesammelte Schriften, hg. v.d. Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. XXI, Berlin/Leipzig 1936.
Lehmann, Karl, Karl Rahner. Ein Portrait, in: Rahner, Karl, Frühe spirituelle Texte und Studien. Grundlagen im Orden (Sämtliche Werke, Bd. 1), Freiburg u.a. 2014, XII-LXVII.
Müller, Klaus, Homiletik. Ein Handbuch für kritische Zeiten, Regensburg 1994.
Müller, Klaus, Gott – größer als der Monotheismus? Kosmologie, Neurologie und Atheismus als Anamnesen einer verdrängten Denkform, in: Meier-Hamidi, Frank/Müller, Klaus (Hg.), Persönlich und alles zugleich. Theorien der All-Einheit und christliche Gottrede (Ratio fidel 40), Regensburg 2010.
Müller, Klaus, All-Einheit christlich – eine kleine Provokation mit Folgen, in: Marschler, Thomas/Schärtl, Thomas (Hg.), Eigenschaften Gottes. Ein Gespräch zwischen systematischer Theologie und analytischer Philosophie, Münster 2015.
Müller, Klaus, Fälliger Stilwechsel. Gedanken zum philosophischen Leitparadigma einer zeitsensiblen Theologie, in: Viertbauer, Klaus/ Schmidinger, Heinrich (Hg.), Glauben denken. Zur philosophischen Durchdringung der Gottrede im 21. Jahrhundert, Darmstadt 2016.
Rahner, Karl, Hörer des Wortes. Schriften zur Religionsphilosophie und zur Grundlegung der Theologie (Sämtliche Werke, Bd. 4), bearb. v. Albert Raffelt, Solothurn u.a. 1997, 1-281.
Rahner, Karl, Rede des Ignatius von Loyola an einen Jesuiten von heute, in: Ders., Erneuerung des Ordenslebens. Zeugnis für Kirche und Welt (Sämtliche Werke, Bd. 25), bearb. v. Andreas R. Batlogg, Freiburg u.a. 2008, 299-331.
Rahner, Karl, Worte ins Schweigen, in: Ders., Der betende Christ. Geistliche Schriften und Studien zur Praxis des Glaubens (Sämtliche Werke, Bd. 7), Freiburg u.a. 2013, 3-38.
Rahner, Karl, Von der Not und dem Segen des Gebetes, in Ders., Der betende Christ. Geistliche Schriften und Studien zur Praxis des Glaubens (Sämtliche Werke, Bd. 7), Freiburg u.a. 2013, 39-116.
Rahner, Karl, Kleines Kirchenjahr, in: Ders., Der betende Christ: Geistliche Schriften und Studien zur Praxis des Glaubens (Sämtliche Werke, Bd. 7), Freiburg u.a. 2013, 117-189.
Schaeffler, Richard, Erfahrung als Dialog mit der Wirklichkeit. Eine Untersuchung zur Logik der Erfahrung, Freiburg/München 1995.
Schaeffler, Richard, Philosophische Einübung in die Theologie. Erster Band: Zur Methode und zur theologischen Erkenntnislehre (Scientia & religio 1/1), Freiburg/München 2004.
Schmidt, Thomas M./Wiedenhofer, Siegfried (Hg.), Religiöse Erfahrung. Richard Schaefflers Beitrag zur Religionsphilosophie und Theologie, Freiburg/München 2010.
Wendel, Saskia/Schärtl, Thomas (Hg.), Gott – Selbst – Bewusstsein. Eine Auseinandersetzung mit der philosophischen Theologie Klaus Müllers, Regensburg 2015.
Reiner Kunze
Zerfall
In meines tauben ohres innenweit
läutet in der ferne mir ein kirchlein,
das sich an keine uhrzeit hält
So weiß ich nie,
ist`s spät, ist`s früh?
Das kirchlein läutet, wann es ihm gefällt
Ich weiß, wer dort das seil in händen hält
Erstveröffentlichung anläßlich des
65. Geburtstags von Erich Garhammer,
dem ich mehr als eine Handvoll Dank schulde. R.K.