Читать книгу Die drei Lästerschwestern können's nicht lassen - Erich Hübener - Страница 5
Heimweh
ОглавлениеMaria hatte die Angewohnheit, an jedem Morgen das Kalenderblatt des vergangenen Tages abzureißen. Als sie es an diesem Tage tat, stellte sie fest, dass sie bereits zwei Wochen hier auf der Insel war. Schon 14 Tage, dachte sie, ist das kurz oder lange? Zwei Wochen können sehr lang sein, wenn man auf etwas wartet, zum Beispiel, wenn sie früher auf den Beginn der Ferien gewartet hatte. Aber hier waren die zwei Wochen wie im Fluge vergangen. Es war ja auch so viel passiert. Und alle kümmerten sich um sie. Das war sie gar nicht gewohnt. Erst gestern Abend hatte Frau Behrends sie eingeladen und gesagt „Kommen Sie doch mal zu uns herunter. Wir würden uns gerne ein bisschen mit Ihnen unterhalten. Wir könnten einen schönen echten ostfriesischen Tee miteinander trinken.“ Maria stimmte zu und so saßen sie dann abends zusammen bei Tee und ostfriesischen Waffelröllchen. Als Maria nach der zweiten Tasse Tee eine weitere mit der Begründung ablehnte, dass sie sonst womöglich nachts nicht schlafen könne, sagte Frau Behrends „Nee, junge Frau, das Problem haben Sie bestimmt nicht. Denn es kommt darauf an, wie ich den Tee zubereite, ob er müde oder munter macht. Und außerdem heißt es bei uns: Drei ist Ostfriesenrecht. Das müssen Sie noch lernen.“
Die Unterhaltung allerdings gestaltete sich etwas schwierig, weil das Ehepaar Behrends miteinander nur Plattdeutsch redete. Und da verstand Maria manchmal noch nicht einmal, worum es in ihrem Gespräch ging. Andererseits schienen Herrn Behrends die Fragen nicht auszugehen und Maria hatte Mühe alle zu beantworten. Als Herr Behrends den Raum kurz verließ, sagte Frau Behrends „Er fragt so viel, weil er Ihren Dialekt so gerne hört.“
Maria erinnerte sich daran, dass Rebekka, die ja das Holsteiner Platt beherrschte, einmal gesagt hatte, dass selbst sie noch Probleme hätte, die Ostfriesen zu verstehen. „Und auf den Inseln ist es noch schlimmer“, hatte sie gesagt, „denn da wird fast auf jeder Insel noch ein eigener Dialekt gesprochen.“
Doch jetzt, da sie vor dem Kalender stand und auf das ihr so vertraute Bild des Augsburger Doms blickte, wurde ihr bewusst, wie weit sie von ihrem eigentlichen Zuhause entfernt war. Plötzlich überkam sie das Heimweh, ein Gefühl, das sie eigentlich gar nicht kannte. Selbst in der sechswöchigen Kur vor zwei Jahren war ihr so etwas nicht passiert. Wahrscheinlich war sie so mit ihrem Wunsch auf Frühverrentung beschäftigt gewesen, dass sie gar keine Zeit hatte, Heimwehgefühle zu entwickeln. Jetzt entschloss sie sich, ihre Freundinnen anzurufen. Sie hatte so viel zu erzählen und sie wollte natürlich auch wissen, wie es den anderen in der Zwischenzeit ergangen war. Aber vor allem wollte sie wieder die vertrauten Stimmen und den heimatlichen Dialekt hören.
„Bisch dus wirklich?“ frage Renate.
„Ja, stell dr vor, i habs zwoi Woche ausghalta ohne eich azurufa. Aber iats muas des oifach sei. Mi gfreits ja so, endlich eire Stimma amol zu heara“, sprudelte Maria gleich los, „wie gots dr denn und was machen dia andere?“
„Na komm, was soll scho passiert sei? Du bisch ja grad amol zwoi Wucha auf Borkum und lebsch net seid oim Johr aufm Mond, odrr?“
Und sie lachten herzlich.
„Ja“, antwortete Maria, „woisch des fehlt mr nämlich o, des Lache, so wia frühr, wenn mr beianand warn. I glob, i hab in dene zwoi Wucha koi eunzigsmol so herzhaft glacht, wia grad mit dir. Aber iats raus mit dr Sproch: was war bei eich wirklich los?“
Renate zögerte einen Moment und sagte dann „Na, net viel, ausser dass Stefie sich d Fuass broche hot, Brititte arbeitslos isch und Elvira sich von ihrem Ma trennt hot.“
Stille.
Maria hatte die Luft angehalten und sagte dann überrascht „Waaas?“
Es war noch immer still auf der anderen Seite. Aber Maria meinte schon ein unterdrücktes Glucksen zu hören.
„Sag des noml.“
Und dann war es mit Renates Beherrschung vorbei. Sie prustete ins Telefon und sagte endlich „Noi, natürli nedda! Alles a „Schmarra. Aber so ebbes wolltescht du doch heara, odrr?“
„Noi, nazüli et, du Bissgurk, des wärn ja glei drei Katastropha auf oimol. Aber iats mol ohne Schmarra: Was isch wirkle passiert?“
„Wart, loss mi überlega …doch, jo, wir warn beim Chines und dr Chef persönlich hot se noch dir erkundigt. Du muasch ihm amol von deine Pläne verzählt haba, denn er hot gfrogt: Wie geht es Malia auf Bolkum?“ Und Maria lachte, weil Renate den chinesischen Slang so gut nachmachen konnte.
„Natürli ham wir über di gred und uns gfrogt, wias dr wohl got. Aber Elvira hot gmoind, dass dir guat got, sonst hätt sie si bestimmt scho gmeldet.“ Und wir ham natürli viel gquatscht und viel glacht. Du woisch gwis wias bei uns normalerweis zuganga isch, odrr?“
„Ja, freile. Wia hosch vorher so schea gsagt? I leb ja net seit oim Johr aufm Mond.“
Und sie lachten schon wieder.
„Aber iats verzählscht du erscht amol wias dr ganga isch“, dängelte Renate,
„i muss ja beim nägschta Treffa ebbs tzm verzähla haba.“
„Alles was du willscht“, begann Maria und erzählte dann von der Kutschfahrt bei ihrer Ankunft, von der freundlichen Begrüßung an der „Heimlichen Liebe“, von ihrer kleinen Wohnung bei Behrends, wo sie Tag und Nacht das Meer rauschen hört „außer es isch Ebbe“, schloss sie.
„Isch dr des denn net manchmol zuviel Meeresrauscha“, erkundigte Renate sich.
„Noi, im Gegendeil, i ka drbei herrlich eischlofa und vermiss es, wenns i net hör.“
„Und wia isch es denn mit deiner grossa Liab?“, fragte Renate jetzt ganz direkt. Dann das wollten die anderen sicher ganz genau wissen.
„Geh, Schmarrn, drvo war doch nia d Red. Wie fanden uns halt gegenseitig sympathisch. Und des isch immer no so. Ansonstn kann i mi net beklage. Christian isch a Kavalier dr alten Schule, liest mr jeden Wunsch von de Lippn ab und hot sogar auch wenn dr Ladn hier richtig bummt, immr amol Zeit für mi.“
Und sie erzählte weiter von der schönen Bank hinten im Garten und von dem für sie reservierten Tisch „im Eck“.
„Na, des wär doch was für uns“, hakte Renate ein, „edo könntn wir so richtig schön ratschn.“
„Ja, scho, nur alloi ratschts sichs halt schlecht.“
„Des got scho, stellscht halt die Handy a, wenn du was Interessantes sigscht.“
Und das Lachen ging weiter.
„Willscht was höra?“
„Klar, erzähl!“
„Neulich war a Ehepaar do, dia Fisch bstellt ham. Und dr gscheite Ehema hot gmoint seiner Frau lang und breit erklärn zu müssn, wo bei dem Fisch dia Gräta sind und wia ma sie vermeida ka. Abr anschließend hotr sich so an oiner Fischgrät verschluckt, dass r garnemme aufhöra ka zum huschta.“
Und sie lachten lauthals.
„Gschiet ihm grad recht“, stellte Renate am Ende fest.
„Und dann gibt’s hier a junge Fraa, die öfters mit am Ma zum Essa kommt.“
„Na und?, des isch doch nix Besonderes.“
„Na, an und für sich ned, nur des die Fraa jedsmol mit a andrer Ma da isch.“
„Na, so a Ludr“, kommentierte Renate.
Es entstand eine kleine Pause und Maria wusste, dass da noch etwas kam, denn so gut kannte sie ihre Freundin. Und so kam es auch.
„Und, wia läufts bei eich so im Bett?“, fragte Renate ganz direkt.
„Also was du blos wieder alles wissa willscht.“
„Na woisch, des isch doch des erschte, wonoch die andere mi froga werdn.“
Maria überlegte einen Moment und sagte dann „Sag deane: Oh wenn auf de Berg scho Schnee liegt, kanns im Tal durchaus noch grünen.“
Renate brauchte einen Moment, um über diese sibyllinische Antwort nachzudenken.
„Des soll i deane saga?“
„Jo, mol sea, ob jemand begreift, was domit gmoint isch.“
„Du immer mit deine Sprüch. Abr dia vermissn wir ebenso, wia di selbscht.“
„Und i vermiss außer eich natürli d schwäbische Küche. Auf dr Speisekart der „Heimlichen Liebe“ steht alles, was sonst o üblicherweis auf Speisekarta steht. Und i derf mr o alles aussucha. Abr Kässpatza gibt’s natürli net. Und Nudlagericht nur ganz selta.“
„Was gibt’s denn?“
„Na halt viel Fisch, Labskaus und Bohna, Bira und Speck und Bott.“
„Was isch des denn?“
„Des isch a Buttermilchsupp.“
„Na ja, an Hoka hot selbscht ds Paradies.“
„Ja, und i wird eich o weiterhin drüber berichta.“
„Des will i hoffa!“
„Also, pfia di Gott mei Schatz, griaß des restliche Kleeblatt und gib alls an dicken Kuss von mir auf die Backa.“
„Ja, mach i. Pfia die Gott und meld die wiedr.“
Maria brach schnell das Gespräch ab, denn sie merkte, dass sie einen Kloß im Hals hatte. Aber es ging ihr jetzt doch wesentlich besser und sie machte sich auf den Weg zur „Heimlichen Liebe“.