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I.

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Im Hohenzollernmuseum zu Berlin hängt ein großes Bild: die Huldigung an Friedrich Wilhelm IV. Eine unabsehbare Menge hält den freien Platz vor dem Wohnsitz der Könige von Preußen besetzt. Über den Massen wehen die Fahnen und Standarten der Verbände. Tribünen sind für die Bevorzugten errichtet, und bis zur ersten Etage des Schlosses erhebt sich ein Thronbalkon. Die vielen Tausende blicken gespannt auf den neuen König, der mit feierlicher Handbewegung den Eid leistet, ein treuer Diener seines Volkes zu sein. In der Menge sind nicht wenige Gesichter zu bemerken, die den Ausdruck skeptischer Zurückhaltung bewahren, und das dichte Gedränge sieht eher nach einer politisch aufs höchste interessierten Versammlung aus als nach einer Huldigung für den König. Der Monarch ist es, der hier vor seinem Volk erscheint, und „die Szene wird zum Tribunal“.

Die Provinzialdelegierten von Berlin beschlossen, als sie am Abend dieses 15. Oktober 1840 noch einmal zusammentraten, den denkwürdigen Augenblick eines königlichen Versprechens im Bilde festhalten zu lassen. Es kam ihnen besonders darauf an, daß Friedrich Wilhelm IV. und seine zum Schwur erhobene Rechte deutlich zu sehen waren. Und dieses Bild sollte dem König nur zur bleibenden Erinnerung überreicht werden.

Franz Krüger, der Maler großer Paradebilder, bekam den Auftrag, das historische Ereignis darzustellen, und zwar in Ausmaßen, die das Gemälde davor bewahrten, in der Fülle der königlichen Geschäfte und in den Räumen des großen Schlosses übersehen zu werden. Fünfzehntausend Reichstaler ließen die Provinzialdelegierten es sich kosten, ihren König an einen Eid zu erinnern. Wahrscheinlich dachten sie daran, daß der Vater Friedrich Wilhelm IV. seinem Volke wiederholt eine Verfassung versprochen hatte, ohne sich genötigt zu sehen, sein Wort einzulösen.

Der Maler nahm seine Aufgabe sehr genau. Er scheute die Arbeit nicht, hunderte von Menschen porträtähnlich auf das Bild zu bringen und den Vorgang des königlichen Schwures mit sachlicher Treue wiederzugeben. Franz Krüger war ein braver Handwerker, und das kam den Wünschen der Besteller dieses Bildes entgegen. Sie verlangten und erhielten eine historische Illustration im Riesenformat.

Mit versteckten Andeutungen und schüchternen Ermahnungen ist noch nie Politik gemacht worden. Das auf eine Verfassung hoffende Bürgertum mußte erst die Fackel der Märzrevolution von 1848 anzünden, ehe Friedrich Wilhelm IV. bemerkte, daß die bürgerliche Klasse nicht mehr länger im Hintergrunde des politischen Theaters bleiben wollte. So wenig die deutsche Bourgeoisie ihren französischen und englischen Nachbarn gleichen konnte, weil diese einen ökonomischen und politischen Vorsprung von etlichen Jahrzehnten hatten, die Unmöglichkeit eines Fortbestands der göttlichen Weltordnung von vorgestern hätte sogar einer königlich preußischen Regierung klar werden müssen. Der junge Industriekapitalismus empfand die Kleinstaaterei mit all ihren behördlichen Hemmnissen und altväterlichen Traditionen als unerträglich, und der allgemeine Ruf nach Freiheit kam ihm nur gelegen. „Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt“, demokratische Intellektuelle und freisinnige Kleinbürger mochten das Lied mit andächtiger Inbrunst singen, „komm mit deinem Scheine, süßes Engelsbild“ – der Industriekapitalismus stellte sich dabei einen sehr realen Schimmer vor. Was er brauchte, war die Freiheit des Profitmachens. Und er konnte sehr ungemütlich werden, als er später, glücklich am Ziel, von den achtundvierziger Waffenbrüdern aus dem Stande der Kleinbürger und Arbeiter hören mußte, sie hätten sich unter Freiheit etwas anderes vorgestellt.

Der „Pöbel“ hatte die Revolution eben wieder einmal für die anderen gemacht. Mochte er davon zehren, daß er den König gezwungen hatte, entblößten Hauptes die aufgebahrten Opfer des Aufstandes zu grüßen! Während die Sieger der Berliner Straßenschlachten ein solches Schauspiel – aber ach, ein Schauspiel nur! – veranstalteten, um sich dann aufs Ohr zu legen, beeilten sich die während der Kämpfe im Hintergrund gebliebenen Mächtegruppen, den Ertrag der Revolution einzustecken. Der König fand sich sehr schnell in den Korrekturen seiner Rolle zurecht. Angetan mit den „alten, ehrwürdigen Farben deutscher Nation“, zeigte er sich am 21. März 1848 hoch zu Roß in den Straßen von Berlin, und Maueranschläge verkündeten die Freudenbotschaft: „Eine neue glorreiche Geschichte hebt mit dem heutigen Tage für Euch an. Ihr seid fortan wieder eine große Nation, stark, frei und mächtig im Herzen von Europa! Preußens Friedrich Wilhelm IV. hat sich, im Vertrauen auf Euren heldenmütigen Beistand und Eure geistige Wiedergeburt, zur Rettung Deutschlands an die Spitze des Gesamtvaterlandes gestellt.“

Das war die Proklamation eines großen Deutschlands unter der Führung Preußens und der Versuch, den Hohenzollern rechtzeitig den Anteil am bevorstehenden goldenen Zeitalter zu sichern. Die kapitalistische Bourgeoisie dachte bei der Formulierung „Deutsche Nation“, die seit den sogenannten Befreiungskriegen nicht mehr aus der öffentlichen Diskussion verschwinden wollte, an etwas Brauchbares: an einen Innenmarkt ohne dutzenderlei Zollschranken, ohne Kirchturmsinteressen, alle Türen offen und alle Taler in rollender Bewegung, und dann an den Anlauf zu imperialistischer Politik, zu friedlicher und – bei dem Gott, der Eisen wachsen ließ! – auch kriegerischer Eroberung der Weltmärkte. Die Märzrevolution, so verunglückt sie auch sein mochte, bedeutete für das Großbürgertum den Beginn einer sehr einträglichen Blut- und Eisenpolitik, die zwei Jahrzehnte später, nach einem Vorstoß auf Paris, im Spiegelsaal zu Versailles ihren Glorienschein empfing, weitere fünfzig Jahre später, nach einer verunglückten Wiederholung dieses Vorstoßes, am selben Ort freilich ihre Konkurserklärung unterschreiben mußte.

Für den Kleinbürger und den Arbeiter hatte der Ausgang der Märzrevolution eine bedrohliche Wendung genommen. Die neuen Herren waren keine angekränkelten und ihrer selbst nicht mehr sicheren Despoten, denen die Angst vor dem Schicksal ihrer königlichen Kollegen jenseits des Rheins im Nacken saß. Die bürgerliche Oberschicht kannte ihre Bundesgenossen vom März 1848 viel zu gut, um noch Bange vor ihnen haben zu können. Und jetzt räumte sie, trefflich von einer wieder ermutigten königlichen Regierung unterstützt, mit allem auf, was auch nur nach Demokratie und anderen freiheitlichen Verzierungen aussah.

Die schnell emporschießende Industrie proletarisierte den Kleinbürger, entvölkerte das platte Land und machte aus den Landbewohnern entwurzelte Insassen von Mietskasernen größer und größer werdender Städte. Das moderne Proletariat wurde geschaffen und mit ihm sein Abfall, der „fünfte Stand“, der „Abschaum der Gesellschaft“, das Lumpenproletariat der Gosse, der Kellerwohnungen und Dachböden und Spelunken.

Die bürgerliche Behaglichkeit, die Franz Krüger im Vertrauen auf den ewigen Fortbestand solcher satten und zufriedenen Zustände mit ruhiger Sicherheit und Breite auf seinen Gemälden dargestellt hatte, wurde bald von den Dissonanzen immer schärfer werdender Klassenunterschiede überschrien. Mit der biederen familiären Auffassung aller Dinge des öffentlichen Lebens wurde aufgeräumt. Für die Pflege einer langsam gewachsenen bürgerlichen Kultur war jetzt keine Zeit. Die oberen Zehntausend, die eine Weltmacht als Rahmen beanspruchten, konnten sich nicht mehr mit dem Stadtbild von Berlin als Hintergrund zufrieden geben. Die gute alte Zeit wurde ins Museum abgeschoben.

Ein Maler wie Theodor Hosemann, der nach Krüger in Berlin von sich reden machte, interessierte die neue Bourgeoisie wenig. Sie überließ ihn dem Volke, dessen politisches Format mit dieser Kleinkunst übereinstimmte. Die bürgerliche Malerei, kaum in Erscheinung getreten, hörte bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts wieder auf, ein bestimmter und eindeutiger Begriff zu sein. Zwischen regierender Bourgeoisie und regiertem Bürgertum erweiterte sich schnell ein tiefer Riß, der auch die künstlerischen Äußerungen dieser Klasse spaltete. Und das war nicht nur in Deutschland so. Zu fast derselben Zeit wurden Daumier und Gavarni in Paris vor die Frage gestellt, ob sie sich für den Boulevard oder für die schmutzige Straße im Quartier der kleinen Leute entscheiden wollten. Daumier ging in das Heerlager der sozialen Revolution und bewahrte damit seine Kunst vor der Verflachung; er wurde der größte Pamphletist seiner Zeit. Gavarni hatte nicht diese Kraft der Entscheidung. Er pendelte zwischen den Klassen hin und her. So kam es, daß Daumier ein großes Kapitel im Buch der Geschichte mit ganzseitigen und von der Wucht großer Gedanken erfüllten Zeichnungen illustrierte, während die geistvolle und ironische Eleganz eines Gavarni nur zu Vignetten und Randzeichnungen eines Anhanges über Launen und Moden dieses Zeitalters langt.

Theodor Hosemann ist sehr oft mit Gavarni verglichen worden. Er hat zweifellos sehr viel von ihm gelernt, die Auffassung und auch die zeichnerische Manier. Gemeinsam hatte er mit ihm die Vorliebe für die Welt des „kleinen Mannes“, für die Typen der Straße, für das Milieu der unteren Schichten. Die Freude am sarkastischen Witz dieser Leute, an ihrem unbesiegbaren Humor, der ihnen hilft, das schwere Dasein leichter zu nehmen, das Vergnügen an diesen Eigenschaften ist die Grundlage der Kunst eines Gavarni und eines Hosemann. Beide dachten freilich nie daran, es ihrem Zeitgenossen Daumier gleichzutun und ihre Empfindungen zur sozialen Anklage zu steigern.

Hosemanns Bedeutung entspricht dem historischen Maß des deutschen Kleinbürgertums. Seine zierlichen Zeichnungen mit ihren possierlichen Figürchen und spaßigen Situationen blieben auch dann noch in ihren engen Grenzen, wenn sie Illustrationen zu politischen Satiren sein sollten.

Es ist die Schicksalsverbundenheit eines Theodor Hosemann mit seiner Zeit, die seinen Zeichnungen das größere Format versagt. Das Kleinbürgertum war an die Wand gequetscht, eine Schicht ohne eigenen Willen, ein Pufferstaat zwischen den neuen Großmächten Kapital und Arbeit. Konnte auf diesem Terrain eine ausdrucksvolle Kunst wachsen?

Das Schaffen Hosemanns ist nur deshalb bedeutsam, weil die Kunst eines anderen aus ihm die entscheidende Anregung bekam. Der alte Hosemann war Lehrer des jungen Zille.

Der unbekannte Zille

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