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Somewhere only we know - Keane

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Tarifa

Drei Uhr einundzwanzig. Ich sitze in einer Strandbar. Ein Milchkaffee, meine Sonnenbrille und Flip-Flops. Aber das Meer kann ich nicht mehr sehen. Eine riesige Uhr in der Form einer Weltkugel hängt vor mir, mitten in der Luft. Sie tickt wie mein Nachttischwecker. Tick. Drei Uhr einundzwanzig und elf Sekunden. Tick. Zwölf Sekunden. Tick. Dreizehn Sekunden. Tick. Vierzehn Sekunden.

»Is this free, Guapo?«

Da ist sie. Endlich. Die Frau, auf die ich so lange gewartet habe. Sie tut so, als würde sie mich nicht kennen. Sie spricht englisch, aber gleichzeitig spricht sie mich mit meinem Namen an. Seltsam. Aber nun gut, soll es so sein. Ich habe lange genug auf dich und diesen Moment gewartet. Setz’ dich! Es kann losgehen.

»Klar, der Platz ist frei. Setz’ dich.«

Und sie setzt sich. Setzt sich neben mich und nimmt Platz in meinem Leben. Sie lächelt. Tick. Drei Uhr einundzwanzig und fünfzehn Sekunden. Tick. Fünfzehn Sekunden. Tick. Fünfzehn Sekunden. Tick. Fünfzehn Sekunden. Tick. Fünfzehn Sekunden... Das war es dann wohl. Tick. Fünfzehn Sekunden. Um drei Uhr einundzwanzig und fünfzehn Sekunden bleibt die Zeit stehen. Die Zeit ist stehen geblieben und ein neues Leben beginnt. Es geht los. Tick. Fünfzehn Sekunden. Tick. Fünfzehn Sekunden. Wir schauen auf’s Meer. Die Kugeluhr ist verschwunden. Tick. Nur der stehengebliebene Sekundenzeiger hängt in der Luft, der Rest der fliegenden Kugeluhr ist nicht mehr da. Einfach weg. Der Blick auf’s Meer ist wieder frei. Tick. Er tickt, aber der Zeiger bewegt sich nicht mehr. Der Zeiger zeigt jetzt direkt auf’s Meer. Auf ein spiegelglattes Meer. Keine Welle. Kein Lüftchen. Als wäre nicht nur die Zeit stehengeblieben, sondern alles. Das ganze Leben steht still. Dabei fängt es doch gerade neu an.

»Wo warst du?«

Ich habe auf dich gewartet. Ich habe hier gesessen und auf dich gewartet. Gewartet auf diesen einen Moment.

Sie schaut mich an und lächelt. Ein Lächeln, das die Zeit stehen lässt. Ein Lächeln, das dem Meer die Wellen nimmt. Ein Lächeln, das die Welt bedeutet. Ein Lächeln, das mehr ist als ein Lächeln. Dieses Lächeln bin jetzt ich. Dieses Lächeln sind jetzt wir. Es geht tatsächlich los.

»Guapo?«

Und diese Stimme. Diese Vertrautheit im Ton. Diese Selbstverständlichkeit. Als ob sie immer da gewesen wäre. Als ob diese Stimme ein Teil von mir wäre, nur kommt sie aus ihrem Mund.

»Guapo?«

Aber woher kommt jetzt diese Unsicherheit in dieser Stimme? Nein, die Unsicherheit ist nicht in ihrer Stimme, die Unsicherheit ist in mir. Was ist los? Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ist es das? Ist dieser Moment zu groß für mich? Es wäre mein erster Satz in einer neuen Zeit, in meinem neuen Leben. Ist dieser Satz denn so wichtig? Bin ich wirklich nervös? Macht mir dieses neue Leben etwa Angst? Ein Leben, auf das ich ein ganzes Leben gewartet habe. Warum sollte mir das Angst machen? Oder macht sie mir Angst? Ich kenne sie eigentlich nicht. Doch weiß ich genau, wer sie ist. Ich habe sie noch nie gesprochen, aber ich weiß alles über sie. Sie ist die Frau, für die ich geboren wurde. Sie ist die Frau, von der ich schon immer geträumt habe. Sie ist der Sinn in meinem Leben. Ich weiß, ich kenne sie. Aber woher? Sie kennt meinen Namen und ich kann nicht antworten. Ist es das? Ist es das, was nicht stimmt? Diese Unsicherheit? Ich kann nicht antworten. Ich kann nicht sprechen! Was ist los mit mir? Sag doch einfach irgendetwas. Sag doch einfach ’Hallo’. Das ist doch nicht so schwer. Einfach ’Hallo!’. Aber ich kann nicht. Ich kann nicht sprechen. Sie schaut mich fragend an. Sie schaut mich an und ich kann nicht sprechen. Ich bin stumm und versinke in diesen endlosen Augen. Ich versinke wirklich. Ich falle irgendwie hinein in diese Augen. Ich falle hinein und es sind keine Augen mehr. Ich falle durch Farben. Ich falle durch die stehengebliebene Zeit. Ich falle durch ihre Augen und da sind Farben... unendliche Farben... und da sind Menschen. Ja, da sind Menschen. Es ist wie ein Film. Ich sehe sie. Sie steht an diesem Strand. Die Sonne knapp über dem Horizont. Sie trägt ein weißes Sommerkleid, der Saum nass von den kleinen Wellen. Und sie lächelt. Sie lächelt das Lächeln, das die Zeit stehen lässt. Aber diese Welt steht nicht still. Diese zwei Kinder... sie gehören zu ihr. Sie spielen mit einem Minikite am Strand, sie spielen Kitesurfprofi... und sehen auch fast so aus mit ihren halblangen, windzerzausten, blonden Haaren. Sie lachen. Sie rennen und lachen... und dieses Lachen... es ist mein Lachen! Sie haben beide den gleichen schiefen Schneidezahn wie ich. Sie lachen mein Lachen und... und sie haben mein Gesicht. Und sie schauen mich direkt an.

»Guapo?«

Sie rufen meinen Namen. Sehen sie mich? Sie wissen, dass ich da bin, aber sie können mich nicht sehen.

»Guapo? Wo bist du?«

Die Augen dieser Frau. Ich kann sie wieder sehen, sie schauen mich wieder an. Ich sehe wieder tiefblaue Augen in ihrem Gesicht. Die Kinder mit meinen Gesichtern und der Strand sind verschwunden. Nur noch diese Augen. Diese Augen... sie sind irritiert. Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen und fragen ’Warum spricht er nicht?’. Ja warum? Warum kann ich nicht antworten?

»Holger?«

Sie kennt meinen Namen. Und ich weiß ihren. Sie heißt Nina. Aber woher weiß ich das? Wer ist sie? Sie ist mir so vertraut. Wie kann das sein? Ich glaube, ich liebe sie.

»Guapo? Schläfst du?«

Was? Oh mein Gott! Ja. Nein! Ja, ich habe geschlafen. Ich habe geträumt. Ich konnte nicht sprechen. Nina stand vor mir, wie bei unserer ersten Begegnung, und ich konnte nicht sprechen.

»Alles gut?«

»Ja! Ja, alles bestens. Ich bin wohl kurz eingenickt. Ich habe geträumt.«

»Du wirst mir noch zu einem richtigen Spanier. Siesta um halb vier Uhr nachmittags?«

»Si claro! Por que no.«

»Ja, warum eigentlich nicht? Und dieses akzentfreie Spanisch... und diese braune Haut. Ich könnte mich fast in dich verlieben.«

»Fast?«

»Na ja, du röchelst ein bisschen beim Siesta machen... um es nicht schnarchen zu nennen.«

»Und das ist ein Grund, mich nicht mehr zu lieben?«

»Nein, sicher nicht. Aber sexy ist anders, Guapilein. Was hast du geträumt?«

Ich habe unsere Kinder am Strand spielen sehen. Es war mein Leben und meine Zukunft durch deine Augen. Es war schön. Ein wenig kitschig. Und ich konnte nicht sprechen. Ich hatte Angst, dich zu verlieren, weil ich nicht sprechen konnte.

»Nichts. Ein Albtraum. Ein schöner Albtraum.«

Hauptsache, ich mache ihr keine Angst mit meinen Träumen. Wir kennen uns seit zwei Monaten. Es waren die besten zwei Monate meines Lebens, keine Frage. Aber es ist ein bisschen früh, um ihr zu offenbaren, wie sehr mir Träume von einer Familie mit ihr gefallen.

»Worum ging es?«

»Ich weiß nicht genau... Ein wirrer Traum. Ein bisschen wie Kino durch die Augen eines anderen Menschen.«

»Und was für ein Kinofilm? Du hast nämlich nicht wirklich geschnarcht. Es war mehr so... mehr so ein zufriedenes Grunzen.«

»Ich grunze beim Schlafen?«

»Grunzen hört sich nicht ganz richtig an. Mehr so ein Brummen-Grunzen-Schnurren. Wie ein Bär, der von Lachsen träumt... so stelle ich mir das auf jeden Fall vor. Bin mir auch nicht ganz sicher, ob Bären überhaupt träumen.«

»Okay. Mit dem Bären-Image kann mein schlafendes Ego leben.«

»Da bin ich beruhigt. Also, worum ging es?«

»Mmmbbbrrr!«

»Jetzt übertreib’ es mal nicht. Du brauchst nicht im Wachzustand zu brummen. Ich bin doch kein Lachs.«

»Okay.«

»Also, worum ging es?«

»Du, es war echt ein wirrer Traum.«

Und was kann ich dir davon schon erzählen?

»Im Traum war ich auf jeden Fall der festen Überzeugung, dass ich ’Guapo’ heiße.«

»Aber so heißt du doch auch.«

»Na ja. Eigentlich...«

»Ja, du hießt mal Holger. Ein langweiliger, unzufriedener, blasser Berliner Holger. Holger! Auch ein schöner Name. Aber jetzt! Jetzt bist du eben ein anderer. Du bist ein wunderschöner, braungebrannter, glücklicher, liebenswerter, spanischer Guapo. Und das beste daran, du bist mein Guapo.«

»Das Argument kann ich gelten lassen, dann heiße ich gerne Guapo.«

»Und was hat Guapilein nun gemacht in seinem Traum.«

»Guapo oder Guapilein?«

»Fast das gleiche, aber nicht ablenken. Was hast du gemacht?«

»Ich? Im Traum? Ich habe eigentlich nicht viel gemacht. Du warst die Hauptperson, du hast die Zeit angehalten.«

»Ah, verstehe. Einer dieser ganz realen Träume. So einer mit vielen Farben? So ein Hippie-LSD-Traum?«

»Ja genau. Woher weißt du das? Hast du die auch manchmal?«

»Leider viel zu selten. Aber die gefallen mir am besten. Bei mir machen sie auch meistens Sinn.«

»Inwiefern?«

»Na es stimmt meistens in irgendeiner Form. Irgendeine Wahrheit steckt da immer drin.«

»Aha.«

»Stimmt es denn bei dir? Möchtest du, dass ich die Zeit anhalte?«

»Unbedingt!«

Und über die zwei Kinder mit meinem Gesicht und meinem schiefen Zahn reden wir ein anderes Mal.

»Unbedingt? Und warum?«

»Na das ist doch logisch. Damit wir in dieser Traumwelt, in der wir gerade leben, für immer weiterleben können. Keine Pflichten. Keine Verantwortung. Keine Sorgen. Einfach nur wir beide und das Leben. Es soll für immer so bleiben. Die Zeit muss stehenbleiben, das ist die einzige Lösung.«

»Sex?«

Unbedingt!

Hamburg

Sie hat mein Leben zerstört. Einfach so. Einfach weggeworfen, alles was wir hatten. Als wäre es die einfachste Sache der Welt. Einfach weg. Nichts macht mehr Sinn. Warum soll ich mich anziehen? Warum aufstehen? Arbeiten gehen? Warum soll ich etwas essen? Wer sagt, dass ich überhaupt irgendetwas sollen soll? Es macht doch alles keinen Unterschied.

Gibt es denn irgendetwas, worauf ich gerade Lust hätte? Irgendetwas? Etwas, was mir früher Spaß gemacht hätte? Sport? Mit Philips Hund spazieren gehen? Bier trinken? An der Börse spekulieren? Mein Geld zählen? Nichts! Es gibt nichts, worauf ich Lust hätte. Nichts, was mir auch nur ein bisschen Spaß machen könnte. Nichts macht Sinn ohne Nina. Einfach nichts! Bringen sich andere Menschen in solchen Momenten um? Ich habe keine Lust zu leben, aber ich habe auch keine Lust, mich umzubringen. Keine Wünsche, kein Antrieb, keine Lust, kein Nichts. Einfach nichts.

Und ich habe noch nicht mal Lust, Nina wiederzusehen. Was soll es? Sie liebt mich nicht mehr. Sie hat es gesagt. Fertig. Was soll ich denn machen? Ich könnte betteln vielleicht? Bitte liebe mich wieder? Komm, wir probieren es noch einmal? Wir machen dieses Mal alles anders? Wir machen alles so, wie du es immer wolltest? Was willst du nur? Was wolltest du und hast mir nichts davon gesagt? Ich habe alles für dich getan! Und ich hätte auch noch viel mehr getan... und ich würde auch noch viel mehr tun. Du müsstest mich einfach nur wieder lieben. Das wäre das Einzige, was diesem Leben einen Sinn geben würde. Aber so macht das hier alles keinen Sinn mehr. Sie liebt mich nicht und ich will sie nicht mehr sehen. Nie. Wozu? Einfach nie.

Tarifa

»Ich liebe dich!«

»Du liebst mich? Das sagst du doch nur, weil du gerade den Sex deines Lebens hattest.«

»Nein! Also ja! Ich meine... Ja, den hatte ich! Aber den hatte ich auch gestern und vorgestern und letzte Woche. Und die Woche davor. Und sowieso immer. Der Sex jetzt gerade kann also nicht der Grund sein. Ich liebe dich!«

»Das habe ich schon vermutet... Aber du sagst es gerade zum ersten Mal.«

»Zum zweiten Mal. Ich liebe dich. Und zum dritten Mal. Ich liebe dich. Ich liebe dich.«

»Aha, der Knoten ist geplatzt.«

»Allerdings! Ich liebe dich!«

»Ich... Vielleicht ist es ein Zufall, aber ich habe über genau diesen Satz nachgedacht in den letzten Tagen. Ich liebe dich. Der Satz ist schön. Aber auch unglaublich gefährlich, wenn man nicht aufpasst. Er hört sich romantisch an, im ersten Moment. Es ist wahrscheinlich der Satz überhaupt. Vielleicht wurde er zu oft gesagt. Oder er ist mit zu vielen verschiedenen Dingen besetzt. Diese drei Worte machen... sie machen unsicher... sie tragen eine Last mit sich, sie... Warte. Warte ich probiere es anders.

Ich glaube, viele Menschen, die ich kenne - mich eingeschlossen, dich wahrscheinlich auch eingeschlossen - viele Menschen haben ein Problem damit, ihrem Liebsten in die Augen zu schauen und diesen Satz zu sagen und dabei nicht ein kleines unterschwelliges Gefühl von Unsicherheit in sich zu haben. Mir geht es so. Und ich mag diese Unsicherheit nicht. Denn du bist das Beste, was mir passieren konnte, und der Beste, der mir je passiert ist. Und trotzdem. ’Ich liebe dich’ kommt irgendwie nur gezwungen über meine Lippen. Obwohl kein Zweifel daran besteht, dass es so ist. Es ist irgendwie absurd! Aber ich weiß jetzt auch warum. Ich habe sogar zwei gute Gründe.«

»Ich bin gespannt.«

»Dieser Satz wurde uns nämlich versaut. Und schuld daran sind all die Julia Roberts’, Keira Knightleys, Scarlett Johanssons, Reese Witherspoons, all die Brad Pitts und all die Johnny Depps. Schuld ist Hollywood. Die machen uns etwas vor. Nein, viel schlimmer! Sie setzen zwei Dinge gleich, die eigentlich nicht zusammengehören. Das, was wir hier gerade haben, dieses Wunder, dieses Kribbeln, dieser alles andere verdrängende Zustand, dieses Glück, dieses völlig selbstverständliche und doch so versaute Kribbeln in meinen Oberschenkeln, wenn ich dich berühre, dieses... wir... Wir! Einfach wir. Das ist Liebe. Das ist der Moment, in dem der Film in Hollywood aufhört. Der Moment in dem Hollywood uns denken lässt, das geht für immer so weiter, dieser Zustand hört nie auf. Brad hat seine Angelina gerade zum ersten Mal geküsst und es ist selbstverständlich, dass sie für den Rest ihres Lebens zusammenbleiben werden. Und auf einmal ist das ’Ich liebe dich’ mehr als nur Ausdruck eines Gefühls. Er wird zu einem Versprechen. Ein Versprechen, das fast eine Drohung ist. ’Ich liebe dich’ am Ende vom Hollywoodfilm heißt: Für immer. Ich werde dich nie mehr verlassen. Ich werde Kinder mit dir haben. Ich werde mit dir alt. Und im wahren Leben fragt man sich vielleicht, möchte ich das denn jetzt gerade entscheiden? Jetzt? Und wirklich für immer? Kann ich das denn sagen? Muss ich das jetzt sagen? Und diese Gedanken nehmen dem Satz seinen Zauber. Sie machen diesen Satz schwer.«

»Aber...«

»Warte kurz! Der zweite Teil ist noch viel wichtiger. Danach kannst du ’aber’ sagen. Also... Brad wird seine Angelina also nach dem ersten Kuss heiraten. Wir beide, wir fühlen genau wie die beiden in Hollywood. Genau gleich... Also nur mit dem kleinen Unterschied, dass es bei uns echt ist und kein Film. Aber wenn wir, so wie Hollywood das suggeriert, nach dem ersten Kuss geheiratet hätten, hätte uns unsere ganze Welt, unsere Freunde, unsere Familie, alle hätten uns für verrückt erklärt. Und zwar, weil man das eben nur in Hollywood macht und nicht im richtigen Leben. Im richtigen Leben wartet man nämlich ein paar Jahre. Man muss sich doch erstmal richtig kennen lernen bevor man so eine große Entscheidung trifft. Sagt man doch so. Also macht man das auch so und man wartet ein paar Jahre. In diesen Jahren geht aber mal ein größerer und mal ein kleinerer Teil dieser animalischen Anziehung, dieses Alternativlosen, dieses Selbstverständlichen, dieses Einzigartigen, es geht ein wenig verloren, es schwächt sich einfach ein bisschen ab. Ganz normal. Aber dann steht der Tag der geplanten Hochzeit bevor. Und plötzlich... plötzlich ist zwar offiziell ausreichend Zeit vergangen, um sagen zu können, dass man den Rest des Lebens miteinander verbringen möchte, aber dafür fühlen sich die beiden plötzlich nicht mehr ganz so wie Brad und Angelina am Ende vom Hollywood-Film. ’Ich liebe dich’. Ja, für die Zukunft haben sie sich jetzt entschieden, aber sind die Gefühle noch so stark wie am Anfang ihrer Beziehung? Hat sie noch dieses Brennen an der Innenseite ihrer Oberschenkel, wenn sie nur an ihn denkt oder er sie nur zufällig berührt? Hat er nicht gestern einer anderen schönen Frau hinterher geschaut? Einer Frau, die er am Anfang der Beziehung nicht einmal wahrgenommen hätte? Sind ihre Gefühle noch stark genug? Ist es überhaupt noch Liebe? Oder ist es nur noch ein Versprechen für die Ewigkeit?

Ich liebe dich’. Dieser Satz, so wie er von Hollywood und vom Rest unserer Gesellschaft geprägt wurde, dieser Satz ist am Anfang der Beziehung zu früh und nur ein paar Monate oder Jahre später ist es schon zu spät für ihn. Der Satz ist eigentlich scheiße. Denn alle Emotionen die in unseren Hirnen mit diesem Satz verknüpft sind, die überfordern ein wenig... die machen ein bisschen unsicher. Und vielleicht... ganz vielleicht ist das der Grund, warum so viele Menschen ein kleineres oder größeres Problem haben, diesen Satz auszusprechen.«

»Ich glaube... Ich glaube du hast einfach recht!«

»Ich habe recht? Einfach so? Und warum strahlst du so? Hollywood macht diesen wunderschönen Satz kaputt. Liebende haben Angst, ihn auszusprechen. Das ist doch Mist! Warum lachst du mich an? Warum siehst du so glücklich aus?«

»Weil ich es bin. Weil ich es kann! Ich liebe dich!«

»Du kannst es also?«

»Ich kann es. Die Innenseiten meiner Oberschenkel brennen zwar nicht, wenn ich dich anschaue, aber dieser Druck in meinem... also... der ist da... wie beim ersten Mal. Wie beim ersten Mal, als ich dir nah genug war, um dich riechen zu können. Er ist jetzt da. Und was die Zukunft angeht... Wenn dieser Tisch hier ein Altar wäre, ich würde ’Ja’ sagen. Ich habe keine Zweifel. Ich liebe dich.«

»Du kannst es... Vielleicht... Vielleicht... Ich glaube, ich könnte es auch... Ja... Ich kann! Ich kann, vielleicht, weil wir genau an der richtigen Stelle sind. Wir sind im richtigen Zeitfenster zwischen animalischer Anziehung und Alltag. Zwischen noch zu früh und fast zu spät für die Zukunft. Vielleicht. Oder vielleicht ist es einfach richtig... es ist einfach so... Guapo, ich liebe dich.«

»Schlaf mit mir!«

»Aber wir haben doch erst... Überzeugt!«

Hamburg

Schon an ihrem Geburtstag am Telefon war sie mir fremd. Ich dachte, das Kühle zwischen uns käme durch die Entfernung oder ihre Enttäuschung, dass ich an ihrem Geburtstag nicht bei ihr sein konnte. Dieses sinnlose Projekt am Arsch der Welt. Und ich dachte noch, ich spreche mit meiner Nina. Aber meine Nina war schon bei ihm. Ich dachte, ein bisschen komisch die Stimmung, aber eigentlich alles wie immer. Kein anderer Mann, keine Beziehungsprobleme. Meine Welt war schon untergegangen und ich dachte, es liegt wahrscheinlich nur an diesem beschissenen Videobild auf Skype. Ich dachte, dass es eben schwer ist, sich wirklich nah zu sein, wenn der andere nur ein Gesicht in einem Computer ist. Aber das war eben nicht das einzige Problem. Sie war schon weg. Sie war schon bei ihm. Ich war so dumm, so blind.

Zwei Tage später ruft sie mich an und macht mit mir Schluss. Nach all der Zeit. Und plötzlich kannte ich diesen Menschen nicht mehr. Ich habe in dieses zweidimensionale Videobild geschaut und ich wusste nicht mehr, wer sie wirklich ist. Sie war einfach ein digitales Etwas mit einem wunderschönen Gesicht. Sie sagte Dinge, die ich nicht verstand. Dieses Gesicht war niemals meine Nina. Nicht das Wichtigste, was es je in meinem Leben gegeben hat. Nicht die Frau, mit der ich für immer zusammen sein wollte. Sie war einfach ein Gesicht in einem Computer und dieses Gesicht wollte nicht mehr mir gehören. Sie wollte mich nicht mehr in ihrem Leben. Und mir war es recht. Ich wollte auch nichts mit diesem Gesicht zu tun haben. Dieses Gesicht tat mir weh. Sollte dieses Computergesicht doch machen, was es wollte. Mit meiner Nina hatte es nichts zu tun.

Hermann, Hermann

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