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Bailando - Enrique Iglesias

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TARIFA

Sie schläft. Nach dem zweiten Nachmittagssex einfach eingeschlafen. Das wäre ja eigentlich die Aufgabe des Mannes. Oder macht sie auch einfach eine ganz normale spanische Siesta? Ist sie nach zwei Monaten Aussteigerleben in Spanien schon wirklich angekommen? Ist das überhaupt möglich anzukommen, wenn wir so leben wie wir leben? Zwei Monate kennen wir uns. Ich liebe sie, wie ich noch nie geliebt habe. Es passt. Es passt jeder Satz zum anderen, es passt jeder Wunsch und jedes Bedürfnis zum anderen, es passt jede Bewegung und jedes Körperteil zueinander. Unsere Körper... die lieben sich auf ihre ganz eigene Art und Weise. Wie losgelöst von uns. Unsere Körper sind süchtig nach einander. Sie spüren die Anwesenheit des anderen und sie können nicht anders. Als wären sie nur dafür gemacht worden. Und zwar immer und immer wieder. Es hört nicht auf. Es passt.

Und als wäre das nicht genug, passen auch unsere Leben, unsere Hirne, unsere Pläne, unsere Sicht auf die Welt. Dieser Ort! Tarifa. Seine schroffe Schönheit, sein selbstverständliches Lebensgefühl, seine Ruhe und seine Wildheit, das Kitesurfen und der dauernde Wind, die Wellen und die Sonnenuntergänge, die jeden Abend anders sind. Die Sonne geht hier unter, als wäre der südlichste Zipfel Spaniens in Wirklichkeit das Ende der zivilisierten Welt. Und irgendwie ist es das auch. Zumindest das Ende der Welt, so wie ich sie bisher kannte. Wir sind neu hier, aber wir sind ein Teil dieser Stimmung, ein Teil dieser Welt. Wir arbeiten nicht und werden wohl in ein paar Monaten kein Geld mehr haben. Aber trotzdem. Es ist irgendwie nicht wichtig, denn es könnte sich nicht richtiger anfühlen, unser „hier sein“. Alles, was einmal lieb und wichtig war in unserer alten Heimat in Deutschland, es ist nicht viel mehr, als eine Erinnerung. Eine Erinnerung, die hier fast nichts zählt, außer dass diese Erinnerungen uns hierher gebracht haben.

Und nichts davon war geplant, wir wollten beide nur mal kurz Luft holen. Und aus zwei Urlauben von zwei Fremden wurde ein Leben. Sie stand vor mir und wollte den Stuhl neben mir im Café. ’Is this free?’. Und er war frei. Zwei Monate später... Zwei Monate, die sich nicht anfühlen wie zwei Monate. Es ist, als würde die Zeit stillstehen. Wie in meinem Traum? Nein, es ist nicht nur ein Traum. Wie ein Augenblick, der gleichzeitig ein ganzes Leben ist? Ich weiß es nicht, auf jeden Fall einfach viel mehr, als einfach nur zwei Monate... Auf jeden Fall leben wir seit fast sechzig Tagen und Nächten in diesem Einzimmerhaus, einsam auf einem Hügel mit Blick auf eine Hängematte, Afrika und den schönsten Kitesurfstrand der Welt. Wir reden und reden und reden. Ich habe das Gefühl, ich weiß alles von ihr, und trotzdem hört es nicht auf. Wir reden und reden. Selbst in den wenigen Momenten, in denen wir nicht reden können, kommunizieren wir irgendwie. Nachts lassen unsere schlafenden Körper nicht die Finger voneinander und wenn wir kitesurfen, reden unsere Blicke miteinander. Nur zwei Monate. Aber so intensiv, so voller Leben. Und jetzt liegt sie neben mir, als wäre es nie anders gewesen. Ein weißer Strich auf ihrem Rücken, wo einmal ihr Bikini gewesen ist. Ich kann ihren Hintern durch das weiße Laken erahnen und obwohl es erst ein paar Minuten her ist, will ich ihn wieder berühren, ich muss es fast. Aber die Ruhe in ihrem regelmäßigen Atmen, dazu der Wind in den Bäumen vor unserem Haus. Neben ihr zu sitzen, sie zu hören, sie zu riechen, uns zu riechen... es ist fast so schön, wie mit ihr zu schl... Nein, das geht zu weit. Nichts kommt an unseren Sex heran. Da kann sie noch so sexy atmen und dabei diese Lichtspiele mit ihren feinen blonden Haaren auf ihrer braunen Haut veranstalten. Nichts kann es mit diesem Sex aufnehmen. Wann wacht sie nur endlich auf?

HAMBURG

Wozu aufwachen? Wozu schlafen? Wozu aufstehen? Sie hat den Sinn aus meinem Leben genommen. Für mich gibt es keine wirkliche Zukunft mehr. Die Zeit ist stehen geblieben und ich vegetiere in diesem armseligen, traurigen Moment. Das Morgen macht keinen Sinn mehr. Morgen ist einfach nur noch ein Etwas. Obwohl, irgendetwas war doch morgen. Ja, morgen muss ich mich mit Frank treffen. Wie sinnlos. Er hat mir gedroht, dass ich meinen Job verliere, wenn ich nicht bald erzähle, was los ist. Und wenn schon? Es ist mir egal. Es ist mir völlig egal.

Was ist heute eigentlich für ein Tag? Die Zeit geht weiter, aber eben auch nicht. Ich sitze seit über sechs Wochen in dieser Wohnung. Die Welt dreht sich. Sie dreht sich in winzig kleinen Kreisen um diese armselige Wohnung. Unsere Wohnung. Ninas Zuhause...

Vielleicht bringt mich Frank ja auf andere Gedanken. Aber das ist ziemlich unwahrscheinlich. Vielleicht lasse ich mich auch einfach vernünftig volllaufen. Das geht sicher besser in Gesellschaft, denn alleine Saufen habe ich zur Genüge probiert in den letzten Wochen. Es macht es nicht besser. Überhaupt nicht besser.

Das Problem ist nur, ich habe keine Lust, einfach keine Lust. Ich will niemanden sehen. Ich brauche kein Mitleid und es gibt auch keine Hilfe! Soll Frank doch allein sein Bier trinken. Ich glaube, ich bleibe einfach hier sitzen. Hier ist es doch eigentlich ganz okay. Niemand stört mich, niemand will etwas von mir, niemand will mir helfen, niemand bemitleidet mich. Hier gibt es keine weiteren Demütigungen. Ich bleibe hier. Genau hier auf diesem Sofa.

TARIFA

Wo ist sie? Da! Nackt vor dem Riesenfenster unseres Minihauses und sie schaut auf unseren Strand. Ihre hellbraunen Haare sind ein wenig blonder und die wenigen Sommersprossen auf ihrem Rücken sind nach acht Wochen Sommer nur noch zu erahnen. Apfelform sagt man wohl zu diesem... zu diesem... was ist das? Sicher kein vulgärer Arsch. Und sicher nicht nur ein Hintern. Er ist so viel besser als ein einfacher Hintern. Und ein Apfel ist er erst recht nicht. Vielleicht eine Kirsche? Auf jeden Fall gehört er mir. Oder sie oder es gehört mir?

Die Muskeln ihrer Waden machen Lichtspiele auf ihrer Haut. Sie wippt auf ihren Zehen. Was macht sie? Kitesurft sie in Gedanken? Tanzt sie? Sie dreht sich zu mir! Sie funkelt. Sie lacht mich an. Ihre Augen lachen. Ihre Augen funkeln. Aber sie funkeln irgendwie von innen. Sie tanzt. Sie funkelt und sie tanzt. Sie tanzt wie Julie Delpie in ’Before sunset’... und das ohne Musik. Dieses Funkeln kommt aus ihr. Die Musik ist in ihr. Es ist... Es ist vielleicht einer dieser Momente. Ein Funkeln, das immer bleiben wird. Es muss so sein, es ist einer dieser Momente. Ein Moment, der gerade passiert und von dem ich jetzt schon sicher weiß, dass ich ihn nie vergessen werde. Einer dieser Momente. Einer dieser wenigen Momente.

»Guapilein! Ausgeschlafen?«

»Ich war eigentlich gar nicht müde, aber ich bin wohl noch mal eingeschlafen.«

»Was ist mit deinen Augen?«

»Mit meinen Augen?«

»Ja. Weinst du?«

»Sicher nicht!«

Na hoffentlich nicht.

»Sicher nicht? Alles in Ordnung?«

»Es könnte nicht besser sein.«

»Wunderbar. Denn ich könnte gerade nicht glücklicher sein. Es sei denn, mein Guapilein wäre traurig.«

»Dein Guapilein ist nicht traurig. Es ist glücklich, dein Guapilein. Mehr als das! Vielleicht ein bisschen zu viel Sonnenstrahlen in meinen Augen.«

»Sehr gut. Sehr, sehr gut.«

Junge, Junge. Kein Grund für Tränen! Oder doch? Eine kleine Freudenträne? Nix da. Ich bin hier der Mann!

Sie tanzt. Sie funkelt. Sie tanzt. Sie macht es einfach.

»Hast du das manchmal auch? Du siehst etwas oder erlebst etwas und du weißt in genau diesem Moment, dass du es nie, wirklich nie, vergessen wirst?«

»Wie meinst du genau?«

»Ich hatte gerade so einen Moment. Dieses musiklose Tänzchen von dir. Es war mehr als ein Moment. Es war einer dieser Momente, die bleiben. Ich werde dieses Bild von dir - nackt, tanzend, in unserem kleinen Aussteigerparadies - ich werde dieses Bild auf meiner Großhirnrindenfestplatte noch gestochen scharf vor mir sehen, wenn ich mit fünfundneunzig in meinem Altersheim aus dem Fenster starre.«

»Du kleiner Romantiker! Darf ich dir dann noch deinen Brei bringen oder willst du dann lieber eine junge, knackige Krankenschwester?«

»Nein! Tu es nicht! Du hast gerade das Bild zerstört. Jetzt tanzt du gerade nackt, als... Wie alt bist du dann? Einundneunzig. Eine nackte Einundneunzigjährige tanzt vor meinem inneren Auge. Hoffentlich bleibt das Bild nicht in Erinnerung. Das Originalbild war gerade sooo schön.«

»Vielleicht tanze ich morgen noch einmal für dich. Vielleicht. Aber nur wenn du nachher brav deinen Brei aufisst!«

»Hör auf!!! Ich bin noch nicht bereit, mit dir alt zu werden. Ich will, dass es für immer so bleibt, wie es ist.«

»Langfristig wird das aber schwierig.«

»In meinem Traum hast du die Zeit angehalten.«

»In deinem Traum? Wirklich? Und wie genau habe ich das gemacht?«

»Ich weiß auch nicht genau. Es war unser erstes Treffen.«

»Unser erstes Treffen? Das ist schon sooo lange her.«

»Aber irgendwie war es eben auch gerade erst gestern. Im Traum hast du mich wieder gefragt ’Is this free?’«

»’Is this free?’. Schon lustig, was aus einem einzigen Satz so werden kann.«

»Is this seat taken? Wäre richtig, glaube ich. ’Is this free?’ ist deutschenglisch. Denglish.«

»Guapilein, Guapilein, Guapilein! Und ich glaube, du würdest gerade nicht so glücklich verträumt in die Welt schauen, wenn ich den Satz damals nicht gesagt hätte.«

Dieses Lächeln. Diese Mischung aus grenzenloser Zuneigung und Herausforderung. Dieser Blick, der meine Augen fixiert und nichts anderem auf der Welt eine wirklich Bedeutung lässt. Er macht mich genauso glücklich und genauso fertig wie am ersten Tag. Er verschlägt mir die Sprache, er macht mich willenlos. Völlig hilflos. Dieser Blick macht mich glücklich.

»Keine Antwort? Guapilein?«

»Seit wann heiße ich eigentlich Guapilein und nicht mehr Guapo?«

»Guapilein! Das ist doch ganz einfach. Wenn du Quatsch erzählst oder machst, dann bist du Guapilein. Guapilein, dem die Welt erklärt werden muss. Es ist völlig irrelevant, ob die Frau deiner Träume bei der ersten Begegnung ein grammatikalisch unsauberes Denglish gesprochen hat. Sie hat dich angesprochen! Was vor ein paar Jahren noch traditionell deine Aufgabe gewesen wäre. Und schau’, was wir daraus gemacht haben! Jetzt lass uns mal nicht die Erinnerungen mit grammatikalischem Schmutz bewerfen, Guapilein.«

Das Guapilein, habe ich wohl verdient. Denn recht hat sie. Wie fast immer. Egal, was ich für einen Blödsinn rede, sie ist mir nie böse. Sie weiß, dass ich es nicht böse meine. Sie weiß, wie sehr ich sie liebe. Und ein verarschender Kosename ist das mindeste, was ich verdiene. Auch wenn ich schon lange nicht mehr Holger genannt werde, ist Guapo ja noch ein recht männlicher Name. Aber Guapilein? Egal, dann eben Guapilein.

HAMBURG

Gut ich habe es geschafft. Die Wohnung habe ich verlassen. Keine Ahnung, was es bringen soll, aber immerhin hat sich etwas verändert. Auch dieses Besäufnis mit Frank wird mich nicht retten. Wahrscheinlich wird es noch nicht einmal ein Besäufnis. Das Bier schmeckt zwar besser als die letzten, die ich getrunken habe, aber es schmeckt auch nach nicht viel mehr als nach nichts. Verdammt, da kommt er schon. Hätte ich nicht noch ein paar Minuten für mich haben können?

» Hey, Kumpel! «

»Hi, Frank.«

»Du siehst aus wie Scheiße.«

»Ja.«

»Was ja?«

»Ja! Ich glaube du hast recht. Ich fühle mich wie Scheiße. Wahrscheinlich sehe ich auch aus wie Scheiße.«

»Jetzt mal nicht gleich so eingeschnappt, Kumpel. Also. Jetzt mal ganz in Ruhe und ganz von vorne. Denn so fangen wir den Abend gar nicht erst an. Wir trinken jetzt mal ein großes Bier. Ah, du bist schon dabei, aber du brauchst sicher gleich ein zweites. Und wenn wir das haben, erzählst du mir ganz in Ruhe, warum du seit sieben Wochen nicht bei der Arbeit warst und was überhaupt mit dir los ist, und ganz am Ende kannst du mir erzählen, warum du ein klein wenig blasser bist als sonst.«

»Okay. Warte kurz, ich muss nur kurz... bin gleich wieder da, ich gehe nur kurz auf’s Klo. Ich glaube ich muss mich übergeben.«

TARIFA

»Also eine nackte einundneunzigjährige Nina tanzt vor dir. Ein unvergesslicher, magischer Moment? Für immer gespeichert auf deiner Großhirnrinde. Was noch? Was bleibt noch von uns, wenn du deinen Brei von einer knackigen Krankenschwester serviert bekommst?«

»Alles nur das nicht!«

»Klar, auch schlimme Erinnerungen bleiben einem ja für immer. Der Moment, als der Hund vors Mofa gelaufen ist. Die Haare vom Vorgänger in der Dusche des Ein-Stern-Hotels. Erinnerungen müssen nur stark genug emotional sein, damit sie bleiben, egal ob gut oder schlecht, sexy oder hässlich, lustig verrückt oder todtraurig.«

»Du als einundneunzigjährige Tänzerin bist bis jetzt das einzig Negative, das bleibt.«

»Jetzt aber mal wirklich. Was bleibt?«

»Was bleibt? Es gab mehr als ein paar magische Momente in den letzten Wochen.«

»Erzähl mir deine, ich erzähl dir meine. Vielleicht haben wir ja das gleiche erlebt.«

»Wir waren in den letzten Wochen nicht länger als zwei Minuten voneinander getrennt, was soll da anders gelaufen sein?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht nichts, vielleicht alles. Also immer abwechselnd. Die besten, die magischsten Momente! Die Momente, die in Erinnerung bleiben.«

»Gerade eben! Dieser Tanz. Vielleicht tanzt die Einundneunzigjährige für immer neben mir in meiner Erinnerung, aber es wird bleiben.«

»Ich habe einen Blick von dir, den ich nie vergessen werde. An unserem zweiten Abend waren wir doch Tapas essen mit den Freunden von meinem Kitesurflehrer.«

»Ja, ich weiß, welcher Abend.«

»Und wir saßen beide am Kopf vom Tisch und konnten während des gesamten Essens nicht miteinander reden. Und da war dieser eine Blick. Einmal haben unsere Augen sich getroffen. Dieser Blick hatte etwas. Und ich weiß gar nicht was. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, wer du wirklich bist, und ich hätte mir nie eingestanden, dass ich mich vielleicht in dich verlieben könnte. Aber der Blick, dieser Blick, ich werde ihn nicht vergessen.«

»Nein. Kein Match, kein magischer Moment bei mir. Ich habe den ganzen Abend versucht, den Blickkontakt mit dir zu vermeiden. Ich wollte mir nichts anmerken lassen, wollte unbedingt cool wirken und nicht wie ein verliebter Blickstalker. Wenn sich unsere Blicke getroffen haben, habe ich immer innerlich mit mir gemeckert und krampfhaft versucht, mich ganz auf die Gespräche mit meinen Nachbarn zu konzentrieren.«

»Aber geblieben ist dir der Moment auch.«

»Ja, aber anders als bei dir.«

»Kein wirkliches Match also. Schade eigentlich. Aber irgendetwas hast du richtig gemacht bei diesem einen Blick. Für mich war das vielleicht der wirkliche Anfang von uns.«

»Wir finden schon noch ein paar gemeinsame magische Momente. Wie ist es denn mit dem allerersten Moment. Ich werde nie dein Gesicht vergessen, bei deinem ersten Satz im Café.«

»Logisch, der allererste Moment. Ich habe dich entdeckt, diesen hübschen Mann mit seinem Buch am besten Sonnenplatz im Café. Ich war ziemlich nervös.«

»Habe ich nicht im geringsten gemerkt. Eine halbe Stunde später, auf dem Weg zum Strand, den du ja noch nie gesehen hattest, hast du dich bei mir eingehakt. Dein Psychotestspielchen...«

»Psychotestspielchen? Du hast es doch genossen!«

»Ich war völlig überfordert, das weißt du doch, das wolltest du doch. Deine Brust hat meinen Arm berührt und ich habe von der Seite nach einem Zeichen in deinem Gesicht gesucht, was wohl in dir vorgeht. Ich war völlig hilflos und wusste beim besten Willen nicht, wie ich reagieren soll. Werde ich definitiv nie vergessen! Gestochen scharf dieses Bild vor meinem inneren Auge.«

»Ja. Vielleicht. Vielleicht auch für mich einer dieser Momente. Aber kurz vorher. Kurz bevor ich mich getraut habe, mich bei dir einzuhaken, kurz davor habe ich ja lange hin und her überlegt. Soll ich? Kann ich? Ist das wirklich eine gute Idee? Ich war nervös und habe auf den Boden gestarrt. Die Straße. Die Straße sehe ich ziemlich genau vor mir. Ich könnte mir vorstellen, dass ich dieses kleine Stück Beton nie vergessen werde.«

»Das gilt als Match. Wir haben ja zwei Paar Augen. Wir können ja nicht die exakt gleichen Erinnerungsfotos auf unserer Großhirnrinde speichern.«

»Doch, wenn wir in die gleiche Richtung geschaut hätten. Gibt es solche Momente? Momente aus unseren letzten zwei Monaten, die du nicht vergessen wirst und bei denen unsere Gesichter nicht vorkommen?«

»Nachts am Strand mit Blick auf’s Wasser?«

»Ja. Die Sternenhimmel? Der Blick auf Orion?«

»Ganz sicher. Der Vollmond, der auf den Wellen funkelt?«

»Ja, habe ich auch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich irgendetwas vergessen werde. Nicht einmal die Farbe von meinem ersten Kiteschirm.«

»Hoffentlich.«

»Bailando. Das Lied von Enrique Iglesias.«

»Dieses Lied? Niemals. Ein magischer Moment? Bist du verrückt?«

»Ganz sicher sogar. Du brauchst jetzt gar nicht so zu tun, als wäre das Lied nicht cool genug für dich. Du hast es geliebt.«

»Häh? Nie im Leben!«

»Oh doch! Es war unser erster Abend auf einer Tanzfläche. Übrigens, insgesamt auch ein Abend, den ich nie vergessen werde. Es hat alles so gepasst. Aber das stärkste Bild bist du, wie du sooo glücklich beim Mitsingen aussiehst. Bei Enrique Iglesias!«

»Ich war betrunken!«

»Es war sooo ein schöner Abend. Dein Enrique Iglesias Lachen werde ich nie, nie, nie vergessen.«

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Hast du nicht noch ein etwas cooleres Bild von mir?«

»Guapilein, du musst nicht mehr der coole Surfertyp sein. Ich liebe dich, auch wenn du singst wie Enrique. Ich sehe es jedes Mal vor mir, immer wenn das Lied irgendwo läuft! Und es läuft hier oft im Radio, in den Cafés, in den Strandbars, in den Mojito-Bars. Neuerdings läuft es auch auf meinen Kopfhörern.«

Ich sag mal nichts. Dieses Lächeln ist mir auch genug. Dann singe ich eben ’Bailando’ ein Leben lang in ihren Erinnerungen, Hauptsache sie lächelt jedes Mal genau so, wenn sie daran denkt.

»Nie vergessen werde ich diese Momente, bei denen es einfach ausgesetzt hat bei mir. Ich plötzlich nicht mehr funktioniert habe, mein Gehirn nicht mehr funktioniert hat. Ich glaube, du hast meinen linken Hüftknochen schon tausend oder zigtausendmal berührt. Aber vorgestern. Kannst du dich an diesen Moment an der Kasse im Supermarkt erinnern? «

»Diesen Moment? Ich weiß, dass wir da waren.«

»Du wolltest an der Kasse an mir vorbei und hast mir ganz leicht an meinen rechten Hüftknochen gefasst, um mich ein Stück zur Seite zu schieben, um an mir vorbei zu kommen.«

»Ja, vielleicht.«

»Und ich konnte nicht mehr sprechen. Für ein paar Sekunden ging nichts mehr. Als wäre die Zeit stehen geblieben... aber nur für mich. Es ging nichts mehr. Die Kassiererin hat mich angesehen und die Lippen bewegt, aber ich habe sie nicht gehört. Eine kleine völlig harmlose Berührung und ich war nicht mehr auf dieser Welt. Ich habe dir zugesehen, wie du die Sachen zusammenpackst und meine Schenkel haben gebrannt. Gebrannt! Weil du meinen Hüftknochen leicht berührt hast. Im Supermarkt! Das war nicht normal. Das war ein bisschen krank. Aber auch ein bisschen magisch.«

Hermann, Hermann

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