Читать книгу Три товарища / Drei Kameraden - Эрих Мария Ремарк, Erich Maria Remarque - Страница 4
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ОглавлениеAm Dienstag vormittag saßen wir vor unserer Werkstatt im Hof und frühstückten, Der Cadillac war fertig. Lenz hielt ein Blatt Papier in der Hand und schaute uns triumphierend an. Er war unser Reklamechef. Er las uns vor, was er für den Verkauf des Wagens verfaßt hatte.
»Urlaub an südlichen Gestaden im Luxusgefährt«.
Köster und ich schwiegen eine Weile.
»Wozu lange reden«, unterbrach ich ihn. »Das ist ein Inserat für einen Kurort oder eine Schönheitscreme, aber nicht für ein Automobil.«
Lenz öffnete den Mund.
»Augenblick«, fuhr ich fort. »Fragen wir mal Jupp. Das ist die Stimme des Volkes!«
Jupp war unser einziger Angestellter, ein Junge von fünfzehn Jahren, der eine Art Lehrlingsstelle bei uns hatte. Er bediente die Benzinpumpe, besorgte das Frühstück und räumte abends auf. Er war klein, übersät mit Sommersprossen und hatte die größten abstehenden Ohren, die ich kannte. Lenz las ihm das Inserat vor.
»Würdest du dich für so‚ nen Wagen interessieren, Jupp?« fragte Köster.
»Einen Wagen?« fragte Jupp zurück. Ich lachte.
»Natürlich einen Wagen. Meinst du ein Pferd?«
»Hat er Schnellgang, von oben gesteuerte Nockenwelle und hydraulische Bremsen?« erkundigte Jupp sich ungerührt.
»Schafskopf, es ist doch unser Cadillac«.
»Nicht möglich«, erwiderte Jupp und grinste von einem Ohr zum andern.
»Da hast du‘s, Gottfried!« sagte Köster. »Das ist die Romantik von heute.«
Lenz verschwand mißmutig in der Bude.
Ein paar Minuten später erschien Oberinspektor Barsig plötzlich in der Hoftür. Wir empfingen ihn mit großen Ehren. Er war Ingenieur und Sachverständiger der PhönixAutoversicherung, ein wichtiger Mann, um Reparaturen zugewiesen zu bekommen. Wir standen glänzend mit ihm. Als Ingenieur war er zwar ein scharfer Satan, der nichts durchgehen ließ, aber als Schmetterlingsfachmann war er weich wie Butter. Er hatte eine große Sammlung, und wir hatten ihm einmal einen dicken Schwärmer geschenkt, der nachts in unsere Werkstatt geflogen war. Es war ein Totenkopf, die ihm in seiner Sammlung noch gefehlt hatte. Er vergaß uns das nie und besorgte uns seitdem Reparaturen. Wir fingen ihm dafür jede Motte, die wir erwischen konnten.
»Einen Wermut, Herr Barsig?« fragte Lenz.
»Keinen Alkohol vor abends«, erwiderte Barsig. »Eisernes Prinzip bei mir.«
»Prinzipien muß man durchbrechen, sonst machen sie keine Freude«, erklärte Gottfried und schenkte ein.
Barsig wischte sich den Schnurrbart.
»Ich bringe Ihnen eine gute Nachricht. Sie können den Ford abholen. Die Direktion hat bewilligt, daß Sie die Reparatur machen.«
»Großartig«, sagte Köster. »Wir können sie gut brauchen. Und wie steht es mit unserm Kostenanschlag?«
»Auch bewilligt.« Barsig stand auf und verabschiedete sich. »Denken Sie an«, sagte er im Gehen, »die Frau, die mit in dem Ford war, ist vor ein paar Tagen doch noch gestorben. Hatte nur Schnittwunden. Wahrscheinlich zuviel Blut verloren.«
»Wie alt war sie denn?« fragte Köster.
»Vierunddreißig«, erwiderte Barsig. »Schwanger im vierten Monat. Mit zwanzigtausend Mark versichert.«
Wir fuhren gleich los, um den Wagen zu holen. Er stand bei einem Bäckermeister. Der Mann war nachts halb betrunken. Nur seine Frau war verletzt worden; er selbst hatte nicht einen Kratzer bekommen. Wir trafen ihn in der Garage, als wir den Wagen zum Abschleppen fertigmachten. Er sah uns eine Zeitlang schweigend zu.
»Wann ist der Wagen fertig?« fragte er.
»In drei Wochen«, erklärte Köster.
Der Mann wollte kostenlos ein neues Verdeck, für das die Versicherung nicht haftbar war, in die Reparatur hineinschmuggeln. Wir stritten uns eine Weile herum. Schließlich gab Köster nach. Er hätte es nicht getan, wenn wir nicht Arbeit gebraucht hätten.
»Ich komme in den nächsten Tagen, den Stoff aussuchen. Beige, denke ich.«
Wir fuhren los. Draußen zeigte Lenz auf die Sitze des Fords. Sie hatten große schwarze Flecken.
»Das Blut seiner toten Frau. Und ein neues Verdeck herausgeschunden. Beige. Alle Achtung. Dem trau‘ ich auch zu, daß er die Versicherungssumme für zwei Tote‚ rausholt. Die Frau war ja schwanger.«
»Möglich«, sagte Lenz. »Es soll ja Leute geben, für die so was direkt ein Trost im Unglück ist. Uns kostet es glatt fünfzig Mark von unserm Verdienst.«
Nachmittags ging ich nach Hause. Ich war um fünf Uhr mit Patrice Hollmann verabredet, aber ich sagte in der Werkstatt nichts davon. Nicht, daß ich es verbergen wollte; aber es kam mir auf einmal ziemlich unwahrscheinlich vor. Sie hatte mir ein Café als Treffpunkt angegeben. Ich kannte es nicht; ich wußte nur, daß es ein kleines, elegantes Lokal war. Ahnungslos ging ich hin. Ich war in eine typische Damenkonditorei geraten. Mit Mühe gelang es mir, einen Tisch, der gerade frei wurde, zu ergattern. Außer mir waren nur noch zwei Männer da, und die gefielen mir nicht.
»Kaffee, Tee, Schokolade?« fragte der Kellner.
»Einen großen Kognak«, erwiderte ich.
Er brachte ihn. »Vier Plätze, bitte!« sagte er und zeigte auf meinen Tisch.
»Halt«, antwortete ich, »der Tisch ist nicht frei. Ich erwarte jemand.«
»Das geht nicht, mein Herr!« sagte der Kellner. »Um diese Zeit können keine Plätze reserviert werden.«
»Können Sie mir wenigstens noch einen Kognak bringen?« knurrte ich den Kellner an.
»Sehr wohl, mein Herr. Wieder einen großen?«
»Ja.«
»Bitte sehr.«
Er verbeugte sich.
»Es ist doch ein Tisch für sechs Personen, mein Herr«, sagte er entschuldigend.
»Schon recht. Bringen Sie nur den Kognak.«
Das ganze Unternehmen erschien mir plötzlich lächerlich. Was wollte ich hier? Und was wollte ich von dem Mädchen? Ich wußte nicht einmal, ob ich sie in all dem Durcheinander überhaupt wiedererkennen würde. Ärgerlich schüttete ich meinen Kognak hinunter.
»Salute!« sagte jemand hinter mir.
Da stand sie und lachte. Ich war plötzlich verwirrt. Das Mädchen sah ganz anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Es wirkte wie eine schmale, junge Amazone, kühl, strahlend, sicher und unangreifbar. Das wird nie etwas mit uns, dachte ich und sagte:
»Wo sind Sie denn nur so geisterhaft hergekommen? Ich habe doch die ganze Zeit die Tür beobachtet.«
Sie zeigte nach rechts hinüber.
»Dort drüben ist noch ein Eingang. Aber ich habe mich verspätet. Warten Sie schon lange?«
»Gar nicht. Höchstens zwei, drei Minuten. Ich bin auch erst eben gekommen.«
»Wollen wir hier bleiben?« fragte ich.
Sie sah mich belustigt an.
»Ich fürchte, Cafés sind überall gleich.« Ich schüttelte den Kopf.
»Wenn sie leer sind, sind sie besser. Wir könnten am besten in eine Bar gehen.«
»In eine Bar? Gibt es denn Bars, die am hellen Tage offen sind?«
»Ich weiß eine«, sagte ich. »Sie ist allerdings sehr ruhig. Wenn Sie das mögen…«
»Manchmal schon…«
Ich blickte auf. Ich konnte im Augenblick nicht feststellen, wie sie das meinte. Ich hatte nichts gegen Ironie, wenn sie nicht gegen mich ging; aber ich hatte ein schlechtes Gewissen.
»Also gehen wir«, sagte sie. Ich winkte dem Kellner.
»Drei große Kognaks«, brüllte er. »Drei Mark dreißig!«
Das Mädchen drehte sich um.
»Drei Kognaks in drei Minuten? Ganz schönes Tempo!«
»Es sind noch zwei von gestern dabei.«
Ich sah sie an. Sie erschien mir wie aus einer andern Welt. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sie war und wie sie lebte.
Die Bar war sicherer Boden für mich. Fred, der Mixer, stand hinter der Theke und polierte gerade die großen Gläser für Kognak, als wir hereinkamen. Er begrüßte mich, als sähe er mich zum erstenmal und hätte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen müssen. Der Raum war leer bis auf einen Tisch. Dort saß, wie fast immer, Valentin Hauser. Ich kannte ihn vom Kriege her; wir waren in derselben Kompanie gewesen.
»Salü, Valentin!« Er blickte auf und nickte.
»Salü, Robby!«
Wir setzten uns in eine Ecke. Der Mixer kam.
»Was möchten Sie trinken?« fragte ich das Mädchen.
»Vielleicht einen Martini«, erwiderte sie. »Einen trockenen Martini.«
»Darin ist Fred Spezialist.«
Fred erlaubte sich ein Lächeln.
»Mir wie immer«, sagte ich.
Die Bar war kühl und halbdunkel. Sie roch nach vergossenem Gin und Kognak. Ich war etwas verlegen und wußte nicht recht, wie ich ein Gespräch anfangen sollte. Ich kannte das Mädchen ja überhaupt nicht, und je länger ich es ansah, um so fremder erschien es mir. Es war lange her, daß ich mit jemand so zusammen gewesen war; ich hatte keine Übung mehr darin. Ich hatte mehr Übung im Umgang mit Männern. Vorhin, im Café, war es mir zu laut gewesen – jetzt, hier, war es plötzlich zu ruhig.
Fred brachte die Gläser. Wir tranken. Der Rum war stark und frisch. Er schmeckte nach Sonne.
»Gefällt es Ihnen hier?« fragte ich.
Das Mädchen nickte.
»Um so besser, daß es Ihnen dann hier gefällt. Wir sind oft hier. Abends ist diese Bude für uns schon fast so eine Art Zuhause.«
Sie lachte.
»Ist das nicht eigentlich traurig?«
»Nein«, sagte ich.
Fred brachte mir das zweite Glas. Er legte eine grüne Havanna dazu auf den Tisch.
»Von Herrn Hauser.« Valentin winkte aus seiner Ecke herüber und hob sein Glas.
Ich nickte ihm zu und hob ebenfalls mein Glas.
»Er ist mein Freund«, sagte ich zu dem Mädchen. »Ein Kamerad aus dem Kriege. Er weiß nicht mehr, was er mit seinem Leben anfangen soll – deshalb freut er sich einfach, daß er noch lebt.«
Sie sah mich nachdenklich an. »Das kann ich gut verstehen«, sagte sie.
Ich blickte auf. »Dafür sind Sie viel zu jung.«
Sie lächelte. Es war ein leichtes, schwebendes Lächeln, das nur in den Augen war.
»Zu jung«, sagte sie, »Ich finde, zu jung ist man nie. Nur immer zu alt.«
Ich schwieg einen Augenblick. Das Mädchen war so sicher und selbstverständlich; ich fühlte mich wie ein Holzblock dagegen. Ich hätte gern ein leichtes, spielerisches Gespräch geführt. Lenz konnte das; bei mir aber wurde es immer schwer.
»Wollen Sie nicht noch einen Martini nehmen?« fragte ich das Mädchen.
»Was trinken Sie denn da?«
»Das hier ist Rum.« Sie betrachtete mein Glas.
»Das haben Sie neulich auch schon getrunken.«
»Ja«, sagte ich, »das trinke ich meistens.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß das schmeckt.«
»Ob es schmeckt, weiß ich schon gar nicht mehr.«
Sie sah mich an. »Weshalb trinken Sie es denn?«
»Rum«, sagte ich, froh, etwas gefunden zu haben, über das ich reden konnte. »Rum hat mit Schmecken nicht viel zu tun. Er ist nicht so einfach ein Getränk – er ist schon mehr ein Freund. Ein Freund, der alles leichter macht. Er verändert die Welt. Und deshalb trinkt man ja« Ich schob das Glas beiseite. »Aber soll ich Ihnen nicht noch einen Martini bestellen?«
»Lieber einen Rum«, sagte sie. »Ich möchte ihn auch mal versuchen.«
»Gut«, erwiderte ich, »aber nicht diesen. Der ist für den Anfang zu schwer. Bring einen Baccardi-Cocktail«, rief ich zu Fred hinüber.
Fred brachte die Gläser. Er setzte auch eine Schale mit Salzmandeln und schwarzgebrannten Kaffeebohnen dazu.
»Laß meine Flasche nur gleich hier stehen«, sagte ich.
Langsam schwand die Unsicherheit, die Worte kamen von selber, und ich achtete nicht mehr so darauf, was ich sagte. Ich trank weiter und spürte, wie die große, weiche Welle herankam und mich erfaßte. Plötzlich war es nicht mehr die Bar – es war eine Ecke der Welt. Das Mädchen war fremd und geheimnisvoll. Ich hörte mich sprechen, aber es war, als wäre ich es nicht mehr, als spräche jetzt ein anderer.
Es war schon dunkel, als ich Patrice Hollmann nach Hause brachte. Langsam ging ich zurück. Ich fühlte mich plötzlich allein und leer. Ich hatte zuviel getrunken, das merkte ich jetzt. Einen schönen Eindruck mußte das Mädchen von mir bekommen haben! Sie hatte es sicher gemerkt. Sie hatte ja selbst fast nichts getrunken.
Aber ich ärgerte mich nicht nur über mich – ich ärgerte mich über alles –, auch über das Mädchen. Sie war ja der Anlaß gewesen, daß ich mich betrunken hatte.