Читать книгу Три товарища / Drei Kameraden - Эрих Мария Ремарк, Erich Maria Remarque - Страница 5
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ОглавлениеDas Wetter wurde warm und feucht, und es regnete einige Tage lang. Dann klärte es sich auf. Als ich am Freitagmorgen in die Werkstatt kam, sah ich Mathilde Stoß auf dem Hof stehen.
»Nu sehen Sie doch mal, Herr Lohkamp! Is doch immer wieder‘n Wunder.«
Ich blieb überrascht stehen. Der alte Pflaumenbaum war über Nacht aufgeblüht.
»Und der Geruch«, sagte Mathilde und verdrehte die Augen, »wunderbar – genauso wie Ihr Rum…«
Ich roch nichts. Aber ich verstand sofort.
»Es riecht mehr nach dem Kundenkognak«, behauptete ich.
Ich schenkte ihr ein Glas Rum ein und ging dann zur Benzinpumpe, Jupp saß schon da. Er hatte vor sich eine Anzahl abgeschnittener Blütenzweige stehen.
»Was soll denn das heißen?« fragte ich erstaunt.
»Für die Damen«, erklärte Jupp. »Wenn sie tanken, gibt‘s so einen Zweig gratis. Habe daraufhin schon neunzig Liter mehr verkauft. Der Baum ist Gold wert, Herr Lohkamp.«
»Du bist ein geschäftstüchtiger Knabe.«
Er grinste. Ich ging zur Grube hinüber, wo Lenz gerade unter dem Ford hervorkroch.
»Robby«, sagte er, »mir ist da was eingefallen. Wir müssen uns mal um das Mädchen von dem Binding kümmern.«
Ich starrte ihn an. »Wie meinst du das?«
»Genau, wie ich es sage. Aber was starrst du denn so? Wie hieß das Mädchen eigentlich noch? Pat, aber wie weiter?«
»Weiß ich nicht«, erwiderte ich.
»Du hast doch ihre Adresse aufgeschrieben!«
»Habe den Zettel verloren.«
»Verloren!« Er sah mich an. »Dilettant! Um so schlimmer! Weißt du denn nicht, was das für ein Mädchen war? Herrgott!« Er starrte zum Himmel. »Läuft uns endlich schon mal was Richtiges über den Weg, dann verlierst du die Adresse!«
»So großartig fand ich sie gar nicht.«
»Weil du ein Esel bist«, erwiderte Lenz, »der nichts kennt, was über das Niveau der Huren aus dem Café International hinausgeht! Du Klavierspieler! Es war ein besonderer Glücksfall, dieses Mädchen! Du hast natürlich keine Ahnung von so was! Hast du dir die Augen angesehen? Natürlich nicht – du hast dein Schnapsglas angesehen. Endlich einmal ein Mädchen, wie es sein muß, schön, natürlich und, was das wichtigste ist, mit Atmosphäre« – er unterbrach sich –, »weißt du überhaupt, was das ist, Atmosphäre?«
Gottfried redete weiter. Er hatte ja keine Ahnung davon, was passiert war und daß jedes Wort von ihm mich traf. Besonders jedes über das Trinken. Er lobte und lobte das Mädchen, und mir wurde bald zumute, als hätte ich wirklich etwas Besonderes verloren.
Ärgerlich ging ich um sechs Uhr zum Café International. Zu meinem Erstaunen herrschte ein Riesenbetrieb, als ich eintrat. Auf der Theke standen Torten und Alois rannte mit einem Tablett voll Kaffeegeschirr ins Hinterzimmer. Ich blieb stehen. Der Wirt klärte mich auf. Heute war im Hinterzimmer die Abschiedsfeier für Rosas Freundin Lilly. Ich schlug mich vor den Kopf. Natürlich, dazu war ich ja eingeladen! Als einziger Mann sogar, wie Rosa bedeutungsvoll gesagt hatte.
Ich ging rasch noch einmal los und besorgte einen Strauß Blumen, eine Ananas, eine Kinderklapper und eine Tafel Schokolade. Rosa empfing mich mit dem Lächeln einer großen Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzähne leuchteten. Ich erkundigte mich, wie es ihrer Kleinen ginge, und überreichte für sie die Zelluloidklapper und die Schokolade. Rosa strahlte. Ich wandte mich mit der Ananas und den Blumen an Lilly.
»Meine herzlichsten Glückwünsche!«
»Er ist und bleibt ein Kavalier!« sagte Rosa. »Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide.«
Lilly war die beste Freundin Rosas. Sie hatte eine glänzende Karriere hinter sich. Sie war eine Hotelfrau. Sie geht nicht auf den Straßenstrich – sie wohnt im Hotel und macht da ihre Bekanntschaften. Fast alle Huren kommen nicht dazu – sie haben nicht genug Garderobe und auch nie genug Geld. Lilly hatte zwar nur in Provinzhotels gelebt; aber sie hatte fast viertausend Mark gespart. Jetzt wollte sie heiraten. Ihr künftiger Mann betrieb ein kleines Installationsgeschäft. Er wußte alles von ihr, und es war ihm gleichgültig. Für die Zukunft konnte er unbesorgt sein; wenn eines dieser Mädchen heiratete, war es zuverlässig. Sie waren treu. Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.
Rosa schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Sie legte mir ein mächtiges Stück von Kuchen auf. Ich wußte, was ich zu tun hatte.
»Der ist aber bestimmt nicht im Laden gekauft…«
»Selbstgebacken«, sagte Rosa glücklich.
Sie war eine gute Köchin und hatte gern, wenn man es anerkannte.
Die Unterhaltung hier konnte jedem Damenkränzchen Ehre machen.
»Alles schon vorbereitet, Lilly?« fragte ich. Sie nickte.
»Die Aussteuer hatte ich ja schon lange. Wunderbare Aussteuer«, sagte Rosa.
Ich setzte mich ans Klavier. Rosa hatte schon darauf gewartet. Sie liebte Musik wie alle diese Mädchen. Ich spielte zum Abschied noch einmal alle ihre und Lillys Lieblingsschlager. Zu Anfang das »Gebet einer Jungfrau«. Dann folgte »Der Vöglein Abendlied«, das »Alpenglühen«, »Wenn die Liebe stirbt«, »Die Millionen des Harlekin« und zum Schluß »Nach der Heimat möcht‘ ich wieder«. Das liebte Rosa besonders. Huren sind ja das Härteste und Sentimentalste zugleich. Alle sangen es mit.
Lilly mußte ihren Bräutigam abholen. Rosa küßte sie herzhaft ab.
»Mach‘s gut, Lilly.«
Beladen mit Geschenken ging sie davon.Sie hatte ein ganz anderes Gesicht als früher. Es hatte wieder etwas von einem jungen Mädchen. Wir standen vor der Tür und winkten Lilly nach. Die ganze Gesellschaft kehrte in das dunkle International zurück. Aber es kam keine rechte Stimmung mehr auf.
»Spiel uns noch einen zum Schluß, Robby!« sagte Rosa. »Zum Aufmuntern.«
»Schön«, erwiderte ich. »Wollen wir mal den ›Alten Kameradenmarsch‹‚ runterhauen.«
Dann verabschiedete ich mich auch. Ich überlegte, was ich machen sollte. In die Bar wollte ich auf keinen Fall; in ein Kino auch nicht; in die Werkstatt? Unschlüssig sah ich nach der Uhr. Es war acht. Jetzt mußte Köster wieder zurück sein. Wenn er da war, konnte Lenz nicht wieder stundenlang über das Mädchen reden. Ich ging hin. In der Bude war Licht. Nicht nur in der Bude – auch der ganze Hof war überflutet. Köster war allein da.
»Was ist denn hier los, Otto?« fragte ich. »Hast du vielleicht den Cadillac verkauft?«
Köster lachte. »Nein. Gottfried hat nur ein bißchen illuminiert.«
Es sah wunderbar aus.
»Großartig«, sagte ich. »Wo ist er denn?«
»Er holt was zu essen.«
»Glänzende Idee. Fühle mich so ein bißchen hungrig.« Köster nickte »Essen ist immer gut. Hauptgesetz aller alten Krieger. Ich habe heute Karl zum Rennen gemeldet.«
»Was?« sagte ich.
»Etwa zum Sechsten?«
Er nickte. »Verdammt noch mal, Otto, da starten doch allerlei Kanonen.« Er nickte wieder.
»In der Sportwagenklasse Braumüller.«
»Halt«, rief Gottfried, der gerade hereinkam, »erst futtern!«
Er packte das Abendbrot aus – Käse, Brot, steinharte Räucherwurst und Sprotten. Dazu tranken wir gut gekühltes Bier. Zwei Stunden arbeiteten wir dann an Karl herum und kontrollierten und schmierten alle Lager. Hinterher aßen Lenz und ich zum zweitenmal Abendbrot. Gottfried beleuchtete jetzt auch den Ford. Durch Zufall war bei dem Zusammenstoß einer der Scheinwerfer heil geblieben.
»So, Robby, nun hol mal die Flaschen. Wir wollen das ›Fest des blühenden Baumes‹ feiern.«
Ich stellte den Kognak, den Gin und zwei Gläser auf den Tisch.
»Und du?« fragte Gottfried.
»Ich trinke nichts.«
»Was? Warum nicht?«
»Weil ich keine Lust dazu mehr habe.«
Lenz betrachtete mich eine Weile.
»Unser Kind ist übergeschnappt, Otto«, sagte er dann zu Köster.
»Laß ihn doch, wenn er nicht will.« Lenz schenkte sich sein Glas voll.
»Der Junge ist schon seit einiger Zeit etwas verrückt.«
»Ist noch nicht das Schlechteste«, erklärte ich.
Der Mond kam groß und rot hinter dem Dach der Fabrik gegenüber hervor. Wir saßen eine Weile und schwiegen.
»Sag mal, Gottfried«, begann ich dann, »du bist doch ein Fachmann in der Liebe, nicht?«
»Fachmann? Ich bin der Altmeister der Liebe«, erwiderte Lenz bescheiden.
»Schön. Ich möchte nämlich mal wissen, ob man sich eigentlich dabei immer blödsinnig benimmt.«
»Wieso blödsinnig?«
»Na so, als ob man halb trunken ist. Herumredet und Unsinn quatscht und schwindelt.«
Lenz brach in ein Gelächter aus.
»Aber Baby! Das Ganze ist doch eine Lüge. Eine wunderbarere Lüge von Mama Natur. Schau dir den Pflaumenbaum an! Er schwindelt auch gerade. Macht sich schöner, als er nachher ist. Es wäre ja scheußlich, wenn Liebe was mit Wahrheit zu tun hätte.«
Ich richtete mich auf. »Du meinst, ohne etwas Schwindel geht‘s überhaupt nicht?«
»Überhaupt nicht, Kindchen. Mach, was du willst – steh kopf, rede den dümmsten Quatsch, prahle wie ein Pfau, singe vor ihrem Fenster, nur eins tu nicht; sei nicht sachlich! Nicht vernünftig!«
Ich wurde lebendig. »Was meinst du dazu, Otto?«
Köster lachte. »Wird wohl stimmen.«
Er stand auf und klappte Karls Motorhaube auf. Ich holte meine Rumflasche und ein Glas und stellte sie auf den Tisch. Otto ließ den Wagen an. Der Motor schlurfte ganz tief und verhalten. Lenz hatte die Füße auf der Fensterbank und starrte hinaus. Ich setzte mich neben ihn.
»Warst du schon mal betrunken, wenn du mit einer Frau zusammen warst?«
»Oft«.
»Und?«
Er sah mich aus schrägen Augen an. »Nie entschuldigen, Baby. Nie reden. Blumen schicken. Ohne Brief. Nur Blumen. Die decken alles zu.«
Ich sah ihn an. »Könnte nun eigentlich ruhig etwas trinken«, sagte ich und machte die Flasche auf.
Ich ging früh nach Hause. Als ich die Korridortür aufschloß, hörte ich Musik. Es war das Grammophon Erna Bönigs, der Sekretärin. Eine leise, klare Frauenstimme sang. »Wie hab‘ ich nur leben können ohne dich«, sang die Stimme, ein paar Schritte weiter hinter der Tür. Ich zuckte die Achseln und ging in mein Zimmer. Nebenan hörte ich erregtes Gezänk. Ein paar Minuten später klopfte es bei mir und Hasse kam herein.
»Störe ich Sie?« fragte er müde.
»Gar nicht«, sagte ich. »Wollen Sie was trinken?«
»Lieber nicht. Nur etwas sitzen.« Er sah stumpf vor sich hin. »Sie haben‘s gut«, sagte er, »Sie sind allein…«
»Ach Unsinn«, erwiderte ich. »Immer so allein‚ rumsitzen, das ist auch nichts – können Sie mir schon glauben…«
Er saß zusammengesunken in seinem Sessel.
»Hab‘ mir das Leben ganz anders vorgestellt«, sagte er nach einer Weile.
»Haben wir alle«, sagte ich.
Nach einer halben Stunde ging er wieder hinüber, um sich mit seiner Frau zu vertragen. Ich gab ihm ein paar Zeitungen und eine halbe Flasche Curaçao mit, die noch von irgendwann auf meinem Schrank herumstand – ein unangenehmes, süßes Zeug, aber für ihn ganz gut. Er verstand doch nichts davon.
Ich setzte mich ans Fenster. Draußen lag der Friedhof im blauen Mondlicht. Ich saß ziemlich lange und dachte an allerlei Dinge. Auch daran, wie wir damals zurückgekommen waren aus dem Kriege, jung, ohne Glauben, wie Bergleute aus einem eingestürzten Schacht. Die Zeit der großen Menschen- und Männerträume war vorbei. Die Betriebsamen triumphierten. Die Korruption. Das Elend.
Am nächsten Morgen brach ich frühzeitig auf und klopfte den Besitzer eines kleinen Blumenladens aus seiner Wohnung, bevor ich zur Werkstatt ging. Ich suchte einen Busch Rosen bei ihm aus und sagte ihm, er möge sie gleich fortschicken. Es war ein wenig sonderbar für mich, als ich die Adresse langsam auf die Karte schrieb: Patrice Hollmann.