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Der Blick über den Genfer See war an diesem Morgen atemberaubend. Die Bäume am Quai du Mont-Blanc streckten ihre dunkelfeuchten Winterarme, deren Spitzen dicht mit weißem Reif überzogen waren, in den klaren Himmel. Dahinter, im blitzenden Wasser des Sees, abgedeckt mit eisstarren Planen, lagen einige Boote in der tief stehenden Sonne.

Jan Nimhaaven saß im Cottage Café, dem kleinen Ziegelbau mit Holzdach am Südufer des Sees, direkt hinter dem Brunswick Monument, dem bedeutenden Grabmal Herzog Karls des Zweiten. Er mochte das Lokal in dem alten Gebäude mit seinen dunklen Parkettböden, den kitschigen Stuckdekorationen und den charmant antiquierten Möbeln vom Flohmarkt. Es hatte etwas sehr Individuelles, ohne aufdringlich zu sein, und auch etwas Beruhigendes, was die Konzentration förderte. Wenn er in Genf zu tun hatte, in seinem Job war dies relativ oft der Fall, ging er nach dem Frühstück im Hotel stets hierher, nahm einen kleinen Mokka, dachte über seine Vorhaben nach und bereitete sich auf die Sitzungen des Tages vor. Die freundlich entspannte Atmosphäre, die hier auch schon früh um acht herrschte, empfand er als angenehmen Gegensatz zu den geschäftlichen Terminen, bei denen jeder versuchte, sein Pokerface aufzusetzen, um sich nicht durch eine persönliche Haltung angreifbar zu machen.

Nimhaaven war Mitarbeiter der Europäischen Kommission und einer der geladenen Delegierten bei den Genfer Gesprächen. Diese informellen Beratungen fanden in regelmäßigen Abständen zwischen Europa und Amerika statt. Durch ein umfassendes Programm zu grundsätzlichen Problemen kam den Treffen eine besondere Bedeutung zu. Auf diskret neutralem Boden wurden die prinzipielle Haltung der Nato zu wichtigen Angelegenheiten erarbeitet und die Weichen für eine gemeinsame Vorgehensweise gestellt.

Heute war ein bedeutender Tag für den niederländischen Abgeordneten, denn er übernahm den Vorsitz in einer der Arbeitsgruppen, die am Rande der Tagung stattfanden und die er selbst initiiert hatte. Es ging um die Siedlungspolitik Israels – ein Thema, das ihn seit Jahren beschäftigte und bei dem er ständig versuchte, die Union zu einem schärferen Vorgehen zu bewegen. Nimhaaven war ein erklärter Gegner Israels, was er gerne hinter politischen Sachargumenten verbarg. Die meisten Länder der EU, auch sein eigenes, waren sehr vorsichtig in ihren Aussagen und auch mit den USA war nicht zu rechnen. So hatte es lange gedauert und viel an Lobbyarbeit bedurft, um seine Kollegen für Verhandlungen über einen Boykott zu gewinnen. Den Ausschlag gab schließlich der französische Delegierte Bernhard Roux, der großes Ansehen bei den Mitgliedern genoss und sich von den Argumenten überzeugen ließ.

Nimhaaven stand auf und zahlte seine Mokkas, drei waren es gewesen. Es wurde langsam Zeit, hinüber ins Kempinski zu gehen, das nur fünf Minuten entfernt an der gleichen Uferpromenade lag. Er wollte sich auf dem Zimmer frisch machen und sein Eröffnungsreferat durchgehen.

Es war klirrend kalt und der Wetterbericht der Acht-Uhr-Nachrichten meldete für Genf die ersten Tage mit Temperaturen unter minus zehn Grad für das zweite Wochenende im Dezember. Die sonst gut frequentierten Gehwege entlang des Ufers am Quai schienen wie leergefegt. Jeder, der am Samstag zu dieser Stunde schon unterwegs sein musste, saß im Auto, nahm die Tram oder benutzte einen der Trolleybusse.

Trotz der Kälte trug Nimhaaven nur eine kurze Jacke und keine Kopfbedeckung. Mit seinen hundertdreißig Kilos litt er unter zu hohen Temperaturen und fürchtete bereits die lange Sitzung im überheizten Léman B, dem Tagungsraum, den sein Sekretariat für das Wochenende gemietet hatte. Es war das kleinste Besprechungszimmer des Hotels, aber seine Arbeitsgruppe bestand vorerst nur aus fünf Mitgliedern.

Er mochte das Hotel mit seinen antiquierten Suiten, den Marmorbädern und dem riesigen Glasportal, dessen Eingang man von der Straße aus über eine Holzbrücke erreichte. Architektonisch war es ein ziemlicher Klotz, doch innen erinnerte ihn das Foyer – mit dem spiegelnden Steinboden und dem von innen beleuchteten Rezeptionspult – an Las Vegas, wohin er sich mindestens einmal im Jahr eine Reise gönnte und seiner Spiellust frönte. Im guten alten Europa hatte er das strikt unter Kontrolle, ging nur ab und an in ein Casino, um die Atmosphäre zu schnuppern. War er aber in einem der Spielertempel in der Wüste Nevadas, unbeobachtet und unter Gleichgesinnten, gab es kein Halten mehr. Nicht selten verzockte er in wenigen Tagen die Hälfte seines Jahreseinkommens, das mit allen Vergütungen, Taggeldern, Spesenabgeltungen und Zusatzeinnahmen für diverse Gefälligkeiten so um die Dreihunderttausend betrug. Was soll’s, dachte er dann, man lebt nur einmal und als bekennender Single habe ich keine Familie, für die ich sorgen müsste.

Er fuhr hinauf in seine Junior Suite mit Seeblick, schlüpfte aus seiner Jacke und der Cordhose und duschte ausgiebig. Danach föhnte er seine schütteren Haare, damit sie exakt die kahlen Stellen überdeckten, zog seinen dunkelgrauen Anzug an und entschied sich für die weinrote Krawatte mit den feinen weißen Punkten.

»Wie Ihnen allen hinlänglich bekannt ist, sind in den letzten zwanzig Jahren über dreißig Milliarden Dollar in die Palästinensergebiete geflossen, die zum Großteil in unkontrollierbaren Firmengeflechten versickern. Alleine von uns, der Europäischen Union, kamen mindestens acht Milliarden, der Rest aus den USA, den Golfstaaten und aus verschiedenen Sozialwerken der Vereinten Nationen.« Nimhaaven war mitten in dem Referat und in seinem Element. Endlich kam Bewegung in die Sache. Er schob mit einer zufriedenen Geste seine randlose Brille zurecht, um besser lesen zu können, und ging in seinem Text weiter. »Von den Zahlungen profitiert nicht die Bevölkerung, sondern überwiegend Konzerne, die sich in Gaza und im Westjordanland bedienen. Die Gründe sind Korruption und verfehlte Siedlungspolitik.«

Er sah in die Runde, die seinen Ausführungen eher gelangweilt folgte. Nur einer der Teilnehmer machte sich Notizen.

»Bereits seit längerem gibt es deshalb strengere Zollgesetze für diese Gebiete und Projekte dieser Unternehmen erhalten keine Fördergelder mehr«, fuhr Nimhaaven fort. Er entschloss sich, den Vortrag abzukürzen und zum entscheidenden Punkt zu kommen. »Der Effekt dieser Maßnahmen ist aber bislang gering, womit es – im Interesse der Menschen – an der Zeit ist, eine härtere Gangart einzuschlagen und eindeutige Sanktionen gegen Israel zu verhängen. Der erste Schritt muss daher sein, die finanziellen Mittel einzufrieren und die geplanten Investitionen auszusetzen, bis die bestehenden korrupten Kanäle trockengelegt sind.«

*

Ron Gazzarah saß in der zweiten Etage des Kempinskis bei einem der Panoramafenster der Floor-Two-Lounge und nippte an dem Black Russian on the rocks, ein doppelter Wodka mit Kaffeelikör, den die Bedienung eben gebracht hatte. Er war von der israelischen Botschaft als offizieller Medienbeobachter der Gespräche akkreditiert, die wirklichen Gründe für den Besuch in Genf lagen für einen Operationschef des Geheimdienstes aber auf anderen Gebieten. Er warf keinen Blick hinaus auf den See oder die spektakuläre Kulisse der Alpen dahinter. Der herrliche Tag vor den Fenstern interessierte ihn nicht. Die Dinge spitzten sich auf mehreren Ebenen zu – von seinem Informanten in der Arbeitsgruppe Nimhaaven wusste er, dass die Entwicklungen demnächst eine härtere Gangart erfordern würden, vom verdeckt laufenden Einsatz im Libanon fehlte jegliche Information und später musste er noch diesen unangenehmen Kanadier abwimmeln. Er checkte zum wiederholten Mal seine Mails, wieder war keine aus Beirut dabei.

»Ah, Ron, ich habe dich schon in der Bar gesucht.«

Die sonore Stimme beendete Gazzarahs Suche nach einer Mail. Er steckte sein Handy ein und begrüßte den eleganten Herrn, der zum Tisch getreten war.

»Bitte, Moshe«, sagte er und deutete auf den Fauteuil gegenüber, »nimm doch Platz.«

Obwohl sie einander schon lange kannten und sich mit Vornamen ansprachen, gingen sie äußerst förmlich miteinander um. Moshe Ben-Ilan saß auf einer Schaltstelle im israelischen Außenministerium und war der kommende Mann in der Politik des Landes. Er war noch nicht einmal fünfzig, mit seinem hohen Haaransatz und dem kurzen, schon gänzlich grauen Vollbart wirkte er aber deutlich älter. Dazu trugen auch seine kalten Augen unter den buschigen Brauen und der schmallippige Mund bei, die seinem Gesicht einen leicht überheblichen Ausdruck gaben.

»Danke.« Ben-Ilan öffnete sein teures Wollsakko, strich die dezent gemusterte Weste glatt und setzte sich. Er war zu einem Termin mit dem israelischen Botschafter in der Schweiz, so konnte er sich ohne Aufsehen mit dem Geheimdienstmann treffen, um sich über die neuesten Entwicklungen informieren zu lassen. »Und, Neuigkeiten?«

»Leider ja«, Gazzarah war die knappe, unfreundlich klingende Sprechweise Ben-Ilans gewohnt und nahm sie nicht persönlich. »Es geht in die erwartete Richtung.«

»Du hast es aus erster Hand?«

»Mein Informant, einer der Teilnehmer in der betreffenden Arbeitsgruppe, ist bei allen Sitzungen dabei.«

»Der Kontakt ist zuverlässig?«

»Über jeden Zweifel erhaben, dafür verbürge ich mich. Man spricht von weiteren Sanktionen.«

Ben-Ilan zog unmerklich die Augenbrauen zusammen, sein Mund wurde noch schmaler als sonst.

»Das wäre eine Katastrophe, Ron«, sagte er nach einer Pause, »schon die bisherigen Maßnahmen der Zollpolitik und die reduzierten Förderungen lassen potente Investoren abwandern. Verschärfte Sanktionen hätten verheerende Folgen für die Wirtschaft unseres Staates.«

»Ganz zu schweigen vom Imageverlust, wenn wir das hinnehmen würden«, pflichtete Gazzarah bei. »Nimhaaven spricht offen über einen Boykott!«

»Dieser fette holländische Antisemit!«, rutschte es Ben-Ilan heraus. Er beugte sich weit vor, sprach leise und blickte dabei wie zufällig an Gazzarah vorbei zum Fenster hinaus. »Diese Idee darf niemals als Antrag den Weg in ein Plenum finden.«

»So weit ist er zum Glück nicht.«

»Aber solche sturen Fanatiker warten nur auf die passende Gelegenheit, die sie benutzen können, um ihren Scheiß durchzubringen. Wir müssen jederzeit bereit sein zu reagieren.« Er lehnte sich wieder zurück und sagte gedehnt: »Jederzeit, Ron! Haben wir uns in diesem Punkt verstanden?«

»Zweifellos, aber wie sieht die Rückendeckung aus?«

»Keine Sorge, unsere Leute stehen voll dahinter, nur es muss an der Regierung vorbeigehen und es darf keinerlei Verdacht auf mich fallen. Wir haben unzählige politische Seilschaften«, Ben-Ilan machte eine wegwerfende Handbewegung, »die zu viele Interessen und nicht die nötige Entschlossenheit haben. Israel wird es uns danken, Ron, wenn erst die richtigen Leute am Ruder sind.«

Gazzarah nickte mechanisch und leerte sein Glas. Das Eis war mittlerweile zergangen und der Wodka schmeckte schal. Was ist aber, wenn die richtigen Leute nicht ans Ruder kommen?, hätte er sein Gegenüber gerne gefragt, verkniff es sich aber. Ben-Ilan baute mit viel Geschick ein eigenes Netzwerk im Hintergrund auf, um in dem Augenblick, wo sein Einfluss groß genug war, das politische Ruder an sich zu reißen. Gazzarah wusste, dass er sich auf ein äußerst gefährliches Spiel einließ, aber war diese Gruppierung erst am Zug, würde auch er in die absolute Führungsriege im Mossad aufsteigen. Der Nachrichtendienst unterstand nur dem Premier, der zugleich auch Außenminister war. Das bedeutete, im Zentrum der Macht zu sein und genau da wollte Ron Gazzarah hin.

»Ich kümmere mich darum«, sagte er daher und wischte seine Befürchtungen beiseite. »Der Plan ist …«

»Erspar mir die Details.« Ben-Ilan winkte ab. Er vermied es, über schmutzige Dinge genau Bescheid zu wissen. Wesentlich war nur, dass sie funktionierten. »In der anderen Aktion läuft alles?«

»Ja, natürlich! Keinerlei Probleme, es ist alles im Griff«, antwortete Gazzarah schnell, um nicht durch eine Pause seine Unsicherheit zu zeigen, weil er aus Beirut noch keine Nachricht von seinem Team hatte. Aber das brauchte der Politiker nicht zu wissen.

»Gut, Ron«, sagte Ben-Ilan knapp und erhob sich, »ich muss weg, zu einem Termin in der Botschaft.«

Damit ging er – nur mit einem Kopfnicken und ohne Gruß.

»Eitler Arsch«, brummte Gazzarah unhörbar hinter ihm her, sah auf die Uhr und stand ebenfalls auf.

Er musste zu dem Treffen mit dem verdammten Kanadier in das chinesische Restaurant des Hauses, wo sie zum Essen verabredet waren. Er hatte Hunger und hoffte nur, dass ihm dieser bei der bevorstehenden Unterhaltung nicht vergehen würde. Während er in den Lift stieg, um in die Etage darunter zu fahren, zog er sein Mobiltelefon aus der Tasche und checkte, ob eine Mail aus Beirut eingetroffen war. Aber das Display zeigte: No Messages.

»Hey! I’m here!«

Der asiatische Kellner, der die Silberplatte mit den gebackenen Garnelen auf dem Serviertisch abstellte, zuckte zusammen. Dann legte er dem Gast das Essen vor, ohne sich anmerken zu lassen, was er über den großen, grobknochigen Glatzkopf dachte, der sich aus dem Sessel hochschraubte und – quer durch das Lokal – lautstark seinem Besucher winkte.

Das chinesische Tsé Yang im ersten Stock des Hotels war eines der besten Restaurants in Genf, pflegte eine elegante Atmosphäre und bot perfekt zubereitete Delikatessen. Dementsprechend distinguiert waren auch die Gäste, die in dem Lokal den Gaumenfreuden frönten und ob des Benehmens irritiert innehielten.

Doug Whise ließ sich wieder auf den Stuhl fallen und breitete die Hände zur Begrüßung aus.

»Hello Ronny, ich war früher da und habe deshalb schon bestellt«, polterte er, ohne seine Lautstärke auch nur im Geringsten zu vermindern, und deutete auf die Garnelen, als Gazzarah an den Tisch trat.

»Kein Problem«, antwortete der betont leise und nahm den Platz gegenüber ein. Für das saloppe Ronny hasste er Doug.

Der Kellner verbeugte sich und reichte ihm die Speisekarte.

»Danke, die brauche ich nicht«, sagte Gazzarah, der oft und gerne hier aß, »ich nehme als Vorspeise die Teigtaschen mit frischem Ingwer und dann die Spezialität des Hauses.«

»Das Szechuan Rindfleisch auf Sellerie und Lauch – ausgezeichnete Wahl«, erwiderte der Kellner nickend. »Zu trinken darf ich Ihnen traditionell Tee anbieten?«

»Ja, passt gut zum kalten Wetter.«

Der Kellner entfernte sich mit einer weiteren höflichen Verbeugung und Doug, der grinste, weil Gazzarah Tee bestellt hatte, lehnte sich zurück. Er nahm einen tiefen Zug von seinem Bier und wischte sich dann mit dem Handrücken den Mund ab. Manieren waren nie seine Stärke gewesen. Die brauchte er auch nicht, denn Doug trieb sich fast das ganze Jahr über in zweifelhaften Camps in Südländern herum, wo man das Essen einfach aus Dosen löffelte. Das Auffallende an ihm war sein Gesicht mit der Narbe, die die linke Augenbraue in zwei Teile zerschnitt, und dem herben, verbissen wirkenden Mund mit den großen, viel zu weißen falschen Zähnen.

Nach seiner eigenen Definition war Doug ein beliebter Militärberater für einige politische Regime. In Wahrheit war er ein abgehalfterter Söldnerführer, der bei jedem Umsturz für die Seite, die am besten bezahlte, seine dreckigen Finger ins Spiel brachte. Doch inzwischen vermieden es viele Militärberater, ihn und seinen bunten Haufen anzuheuern, da er häufig hohe Kollateralschäden verursachte. Folglich hatte er eine eigene Sicherheitsfirma unter dem klingenden Namen Clearance gegründet und keilte die Aufträge selbst, direkt von den Diktatoren oder Putschisten der Dritten Welt. Freiwillige, die sich gegen guten Sold verdingten, irgendwo Köpfe kaputtzuschlagen, gab es genug, so zählte Dougs Privatarmee unterdessen über fünfzig Mann. Damit war er nun auf größere Aufträge angewiesen, da seine Finanziers, die sich von der Investition in die Idee satte Gewinne erwarteten, langsam begannen, den Geldhahn zuzudrehen.

»Es wäre an der Zeit, über eine breitere Kooperation zu sprechen«, sagte Doug nach dem üblichen belanglosen Smalltalk, zwischen zwei Garnelen, und trank sein Bier gierig in einem Zug aus.

»Über das Thema haben wir schon letztes Mal diskutiert«, versuchte Gazzarah auszuweichen, »ich denke daran, aber es ist recht schwierig.«

»Schwachsinn«, brauste Doug ansatzlos auf, »was kann für dich schon schwierig sein, als Obermacher beim Mos…?«

»Genug«, unterbrach der Geheimdienstmann die unbedachte Äußerung scharf.

Die Leute rundherum schauten auf. Doug maulte irgendetwas, begann aber wieder im Teller zu stochern.

»Bist du vollkommen verrückt geworden?«, setzte Gazzarah leise und eindringlich hinzu. »Halte dich zurück, sonst haben wir uns das letzte Mal getroffen.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Doug mit einem harten Blick und einem verächtlichen Unterton. »Ich stehe mit dem Rücken zur Wand. Dir brauche ich nicht zu sagen, was so eine Mannschaft kostet. Ich muss unbedingt einige lukrative Sicherheitseinsätze haben. Du weißt, Ronny, ich würde alles tun, um sie zu bekommen.«

Der Schluss war eine offene Drohung und Gazzarah spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Doch wollte er nicht seine eigene Position gefährden, musste er um jeden Preis ruhig bleiben. Wieder einmal rächt sich mein Fehler, dachte er zornig.

Es war vor über zwanzig Jahren gewesen: Ron Gazzarah war damals bei einer Sabotagezelle des Mossad und hatte seinen ersten Einsatz in Bosnien als Kommandant. Er sollte, gemeinsam mit Leuten vom amerikanischen Geheimdienst, eine paramilitärische Gruppe der Weißen Adler ausschalten, die aufseiten der Serben für ihre Brutalität berüchtigt waren. Die Amis setzten, um die eigenen Agenten zu schonen, vermehrt bezahlte Kämpfer ein. Einer dieser Blutsöldner – mit dem Auftrag, die Tötungen zu übernehmen – war der kanadische Waffennarr Doug Whise, der zuvor auf der albanischen Seite mitgemischt hatte und sich gerne auch dafür rekrutieren ließ. Es ging schief. Gazzarah, selbst noch unerfahren, hetzte die Gruppe in einen Hinterhalt und von den zwölf Männern überlebten nur zwei – er und Doug. Um dem drohenden Prozess und einer sofortigen Entlassung zu entgehen, vertuschte er die unschöne Sache mit dessen Hilfe.

Seitdem war er gezwungen, Doug ruhig zu halten und ihm Aufträge zukommen zu lassen. Durch seinen internen Aufstieg bis zum Chiefs of Operations ging das ohne größere Probleme, aber er mochte den Hitzkopf nicht und versuchte, sich diesen mit unbedeutenden Missionen vom Leib zu halten. Doug war für stille Geheimdienstarbeit einfach nicht geschaffen und Gazzarah liebte es, Einsätze mit einer professionellen Lautlosigkeit durchzuführen – in der Vorbereitungsphase.

»Ich sehe, was ich machen kann«, sagte er, um die Situation zu beruhigen. Sein Mobiltelefon meldete mit einem leisen Piepston den Eingang einer Mail. Er wandte sich zur Seite und las die Nachricht. Sein Gesicht wurde starr. »Ich muss dringend weg!«

»Du musst weg?« Doug polterte wieder los. »Ich komme extra von Marokko hierher, um dich zu treffen! Und du musst weg?«

»Ja, es geht eben nicht anders«, er senkte die Stimme, »ich habe einen Einsatz und da ist anscheinend die Scheiße am Dampfen. Das ist eindeutig wichtiger!«

Doug wollte schon wütend hochfahren, doch Gazzarah drückte ihn zurück auf den Stuhl.

»Unter Umständen kann ich etwas in Syrien arrangieren«, sagte er schnell, um dem Kanadier etwas in Aussicht zu stellen, das ihn vorläufig besänftigte und das Gespräch beendete, »da läuft einiges mit dem IS schief. Die Allianz braucht jede Menge Personal.«

»Das wäre ein Anfang.« Doug entspannte sich, der Tonfall blieb aber drohend. »Aber lass dir nicht zu lange Zeit, nicht nur meine Finanzen gehen zu Ende, auch meine Geduld!«

Ron Gazzarah hörte das nur mehr mit halbem Ohr. Er ließ sein Essen stehen, verabschiedete sich knapp von Doug, zahlte im Vorbeigehen seine Rechnung und stürmte die Treppen hinunter.

Unfähig, dachte er aufgebracht, alle unfähig! Dass er sich als Operationschef um eine laufende Angelegenheit persönlich kümmern musste, würde Konsequenzen für die Leute im Libanon haben, das schwor er sich. Aber erst einmal galt es, die Mission ohne großes Aufsehen zu klären. Sein Gehirn lief auf Hochtouren. Er musste in die Botschaft, die Identität wechseln und am Airport Bescheid geben. Er sprang in den silbernen Mercedes in der Tiefgarage. Während er die Nummer des Piloten wählte und auf den Quai hinausbog, hatte er den Kanadier bereits vergessen.

Lena Halberg: London '05

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