Читать книгу Mein Herz, ich will dich fragen, was ist denn Liebe, sag! - Ernst-Günther Tietze - Страница 4
Оглавление1 Mein Herz, ich will Dich fragen, Was ist denn Liebe, sag’?
Über Liebe wird ständig gesprochen, geschrieben, gesungen und gefilmt. Aber was ist denn Liebe überhaupt?
Der Apostel Paulus schreibt im 1. Korintherbrief:
„Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig.
Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.
Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil,
lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach.
Sie freut sich nicht über das Unrecht,
sondern freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.
Die Liebe hört niemals auf.“
Nach dieser schönen Definition ihrer Eigenschaften können wir schauen, welche Arten von Liebe es gibt:
- die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind,
- die Liebe zu Kranken und Sterbenden,
- die so genannte Vaterlandsliebe,
- die Tierliebe,
- die Liebe zwischen erwachsenen Menschen, z. B. Frau und Mann.
Allen Arten der Liebe gleich ist eine innere Verpflichtung, anderen Wesen ein Stück von sich selbst zu opfern. Welche Art von Liebe ist denn nun in dem Gedicht gemeint?
Mutterliebe bis zur Aufopferung ist nahezu allen weiblichen Lebewesen angeboren und wird bei der Geburt eines Kindes aktiviert. Um sie geht es hier aber nicht, allerdings könnte Paulus sie meinen.
Agape, die Liebe der Mutter Theresa zu Kranken und Sterbenden fühlen vor allem Frauen. Es gibt sie auch im Tierreich, z. B. bei Elefanten. Auch sie meint das Gedicht nicht, aber wahrscheinlich Paulus, wenn er an die Gemeinde denkt.
Die sogenannte Vaterlandsliebe ist eine Euphorie, die von gewissenlosen Politikern und Militärs gezüchtet wird und Millionen hoffnungsvoller junger Menschen in einen sinnlosen Tod treibt. Die fanatische Liebe zu einer Religion oder einer politischen Weltanschauung liegt auf derselben Ebene. Natürlich meint das Gedicht diese schlimme „Liebe“ nicht.
Tierliebe kommt sowohl aus ethischen Motiven vor, um ein schwächeres Wesen zu beschützen, als auch bei einsamen Menschen, die ein Lebewesen um sich brauchen. Auch um sie geht es im Gedicht nicht.
Das Gedicht meint die erotische Liebe zwischen Frauen und Männern. Nur die Menschen haben zusätzlich zu der aus dem Tierreich übernommenen Sexualität, die der Erhaltung der Art dient, das tiefe seelische Erleben der Liebe als eine wundervolle Zugabe entwickelt. Wer hat es noch nicht gefühlt, das innige hingezogen Sein zu einem anderen Menschen, die Schmetterlinge im Bauch, wenn man nur an ihn denkt, und erst recht, wenn eine Begegnung mit ihm bevorsteht?
Francoise Sagan schreibt in „Bon jour Tristesse“:
„Voller Schmerz dachte sie an die Behutsamkeit,
mit der sie versucht hatte, ihn kennen zu lernen,
an dies ungeheure Kapitel von Zärtlichkeit, Interesse und Güte,
das sie damals aufgebracht hatte, wie jeder Mensch,
der beginnt, einen anderen zu lieben.“
Das Hohelied Salomos sagt:
„Liebe ist stark wie der Tod,
ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn,
dass auch viele Wasser nicht mögen die Liebe auslöschen,
noch die Ströme sie ertränken.“
Und Friedrich Rückert beschreibt die Liebe in einem schönen Gedicht:
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muss,
ich liebe dich, weil ich nicht anders kann.
Ich liebe dich nach einem Himmelsschluss,
ich liebe dich durch einen Zauberbann.
Dich lieb’ ich wie die Rose ihren Strauch,
dich lieb’ ich wie die Sonne ihren Schein,
dich lieb’ ich, denn du bist mein Lebenshauch,
dich lieb’ ich, weil dich lieben ist mein Sein.
Nur in dieser erotischen Liebe finden Männer und Frauen zueinander und wissen zuerst meist nicht, was ihnen geschieht. Nach der griechischen Mythologie hat der Liebesgott Eros, den die Römer später Amor nannten, sie mit seinem Pfeil getroffen. Heute weiß man, dass der Pfeil aus einem Hormoncocktail besteht, der beim Anblick einer die Sinne reizenden Person ausgeschüttet wird. Daneben übermitteln Pheromone in der gesamten Tierwelt, also auch beim Menschen, sexuell anregende Signale. Liebe ist alles andere als Ratio, sie ist im höchsten Grade unvernünftig. Gerade deshalb ist sie so schön.
Liebe bedarf der Werbung. Selbst ein Vogelmännchen muss einen erheblichen Aufwand treiben, ehe das Weibchen bereit ist, sich ihm hinzugeben. Das gilt in viel höherem Maße bei den Menschen. Eine Frau kennt ihren Wert und will ihn vom Mann anerkannt wissen. Um ihr diese Anerkennung zu erweisen, muss er behutsam auf sie zugehen, ihr zeigen, wie hoch er sie schätzt. Zwar sagt ein Sprichwort: „Wenn ein Mann wirbt, hat die Frau schon geworben“, das heißt, sie hat schon eine Vorauswahl getroffen, aber erst aus der Anerkennung ihres Wertes sieht sie, dass auch der Mann bereit ist, ihr etwas von sich zu geben. Nur dann wird sie auch auf ihn zugehen.
Noch sind wir in der ersten, aufregendsten Phase der Liebe, sie ist noch keine richtige Liebe, sondern nur „verliebt sein“. Man glaubt schon, den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Aber man kennt einander noch lange nicht genug und muss deshalb schrittweise immer mehr voneinander entdecken. Dazu gehört natürlich, dass jeder sich vom Partner entdecken lässt, sich ihm öffnet. Dann wird das Sprichwort „Liebe macht blind“ ungültig.
Jede Verliebtheit hat das Ziel, in eine tiefe Liebe zu münden, denn kein Lebewesen will allein sein, es sucht dauerhaft das zweite Ich, mit dem es sich bedingungslos verbinden kann. Wenn sich der Sturm der ersten Leidenschaft gelegt hat, beginnt die zweite Phase, der Übergang vom „verliebt sein“ zur richtigen Liebe. Das ist ein langer Prozess der Prüfung, auch Selbstprüfung mit Fragen, kritischen Betrachtungen und Zweifeln. Hier ist der Verstand gefordert, man muss ehrlich mit sich selbst sein, auch auf die Gefahr hin, dass der Kopf das Gefühl nicht bestätigt. Eine glückliche Gemeinschaft ist nie selbstverständlich.
Nur wenn man sicher ist, dass der geliebte Mensch für eine lebenslange Gemeinschaft der Richtige ist, darf man „ja“ zur ganzen Partnerschaft mit ihm sagen, sich auch die die körperliche Liebe gestatten. Diese ganz enge und innige Hingabe mit Körper und Seele, das „Erkennen“ des geliebten Menschen, wie die Bibel sagt, im unverfälschten Zustand höchster Erregung ist der Höhepunkt, die vollkommene Bestätigung jeder Liebe. Nichts ist mehr wie vorher, wenn man einander in diesem Moment „erkannt“ hat. Auf dieses Ereignis steuert in der gesamten Tierwelt, also auch wieder beim Menschen die Werbung um den geliebten Partner hin. Und wie bei den Tieren darf auch bei uns Menschen ausschließlich die Frau bestimmen, ob sie zu diesem letzten Schritt bereit ist. Nur wenn auch sie es mit allen Fasern will, wird es für den Mann immer wieder zu einem überwältigenden Erlebnis.
Im Gegensatz zu den meisten Tieren ist diese Vereinigung beim Menschen zwar ein wichtiges und schönes, aber lange nicht das einzige Element der Liebe. Ständige Aufmerksamkeit für den Partner, Opferbereitschaft, füreinander da sein, Abgleich der Wünsche und Interessen sind ebenso wichtig. Nur daraus kann eine Liebe erwachsen, die außer dem Körper auch die Seele und den Geist umfasst.
Sollte es trotzdem nach der innigen Vereinigung irgendwann zu einer Trennung kommen, hinterlässt die Erinnerung an dieses große gemeinsame Erleben bei jedem Partner Spuren, die nur mit Schmerzen und Herzblut ausgelöscht werden können. One-night-stands sind damit nicht gemeint.
Wenn aber dann beide die richtige Liebe erreicht haben, beginnt die dritte, schwierigste Phase, das miteinander Leben, wo die Liebe die Probleme des Alltags überwinden muss. Dass zwei Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und zumindest teilweise unterschiedlichen Interessen ständig zusammen leben, ist eigentlich eine Unmöglichkeit. Denn wenn die beiden sich immer besser kennen lernen, werden nicht nur die Gemeinsamkeiten deutlicher, sondern auch die Unterschiede. Da gilt es, nicht zu resignieren, sondern umeinander zu kämpfen, sich zu verständigen, aber nicht klein beizugeben oder auf dem Eigenen zu beharren. Das ist nicht einfach. Missverständnisse entstehen, unbeabsichtigte Kränkungen, auch das Gefühl von unverstanden sein. Nur tiefe Liebe kann das alles überwinden, damit die Gemeinschaft nicht nur bestehen bleibt, sondern immer fester wird. Verzeihen ist ein Muss in solcher Gemeinschaft. „Liebende leben von der Vergebung“ heißt ein Buchtitel von Manfred Hausmann.
Liebe ist geben und nehmen, zuhören und verstehen. Wie bei allen Dingen im Leben geht es auch in der Liebe bergauf und bergab, ist es laut und leise, gibt es Sonne und Schatten. Und man muss dem Partner immer wieder sagen und zeigen, wie sehr man ihn liebt. Liebe ist Leben. Und was lebt, will gepflegt, behütet und beschützt sein. Kleine Überraschungen, kleine Aufmerksamkeiten können dem geliebten Menschen zeigen, wie sehr wir ihn lieben und wie wichtig er uns ist. Das ist eine lebenslange Aufgabe und nur sie erhält die Liebe.
In den folgenden Kapiteln verbinden kleine Geschichten die Verse des Gedichtes mit realen Erlebnissen. In einigen dieser Geschichten mündet die Liebesbeziehung in eine Ehe, die die Liebesgemeinschaft offiziell bestätigt. Seit etwa 150 Jahren hat sich in den westlich orientierten Ländern die Liebesheirat durchgesetzt, nachdem früher, wie in anderen Ländern noch heute üblich, die Ehen von den Eltern nach familiären oder finanziellen Kriterien arrangiert und dadurch oft unglücklich wurden. Eheschließungen nehmen inzwischen wieder zu, nachdem lange eher unverbindlich zusammen gelebt wurde. Leider werden viele Ehen oft schon im Stadium der Verliebtheit geschlossen und bald wieder geschieden. Der Satz aus Schillers Glocke sagt genug darüber:
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
ob sich das Herz zum Herzen findet!