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Der Weg zu den Universitäten

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Salerno, wo Frauen hatten Medizin studieren können, war auf diesem Gebiet kein Vorbild geworden. Die maßgebenden Hochschulen des späten Mittelalters, angefangen von Bologna und Pavia in Norditalien, über Montpellier in Südfrankreich bis zum einflussreichen Paris, setzten diese Linie nicht fort. Außerhalb der Schulmedizin waren heilkundige Frauen allenthalben im späten Mittelalter und früher Neuzeit tätig. Aber sie waren eben von den Akademien und Zünften ausgeschlossen und es dauerte viele Generationen, bis sich auf diesem Gebiet etwas änderte.

Dies ist der Grund, weshalb der Fall Erxleben bis heute eine so große Beachtung erfuhr. Der harte, doch erfolgreiche Lebensweg der Frau Dr. Dorothea Erxleben, geb. Leporin (1715–1762) hat ein Zeichen gesetzt. Das Fräulein Leporin begann 1741 mit dem Studium der Medizin in Halle/Saale und setzte auch nach ihrer Heirat mit dem Pfarrer Erxleben und der Geburt ihrer vier Kinder das Studium fort. Sie promovierte 1754 im Alter von fast 40 Jahren in Halle mit einer auf Latein verfassten Dissertation; ihre lateinisch gehaltene Dankesrede rühmte der Dekan als einer antiken Römerin würdig. Die ausnahmsweise erteilte Promotionserlaubnis kam direkt vom preußischen König Friedrich II. Frau Dr. Erxleben meisterte danach in Quedlinburg ein Leben als Ärztin, Pfarrersfrau und Mutter von neun Kindern (vier eigenen und fünf Stiefkindern). Die Universität Halle-Wittenberg ehrte sie mit einer bronzenen Bildnisbüste und mit einem seit 1994 vergebenen Dorothea-Erxleben-Preis für hervorragende medizinische Dissertationen oder entsprechende Leistungen (Abb. 1).


Abb. 1 Dorothea Christiane Erxleben. Bronzebüste Universität Halle-Wittenberg, von Marianne Traube, 1994. Universitätsklinikum Halle-Kröllwitz, Foyer.

Der Fall Erxleben war ein Monument persönlicher Tüchtigkeit und Integrität. Als Ärztin war sie ein historisches Versprechen an die Frauen der Zukunft, aber kein Zeichen einer konkreten Möglichkeit. Eben weil die Hochschulen den Frauen noch versperrt waren, konnte sie nur durch königliche Förderung ihren Weg finden. Die Ärztinnen des Altertums brauchten keine königlichen oder adeligen Wohltäter, denn sie hatten keine Universitätshürden zu überwinden. Die Hindernisse der Frauen im Altertum lagen in der rechtlich minderen Stellung der Frau allgemein, und an der hat kein Kaiser Roms etwas geändert – Heide oder Christ. Für Frau Dr. Erxleben war die Ausnahmeerlaubnis des Preußenkönigs entscheidend, der dabei die Rolle des fürstlichen Wohltäters spielte. Aber das war nur ein vorläufiges, einsames Zeichen am Himmel. Der nächste wirklich wichtige Schritt war dann der Aufstieg des Dritten Standes nach den Revolutionen zwischen 1789 und 1848, an dem die studierwilligen Frauen allerdings wieder erst mit einiger Verzögerung teilhaben durften.

Der Erfolg moderner Ärztinnen ist umso bemerkenswerter, als man in Deutschland erst seit etwas mehr als hundert Jahren Frauen das Medizinstudium erlaubt. Den Geburtsjahrgängen der Zeit um 1850, die im Zweiten Deutschen Kaiserreich nach 1871 an die Universitäten hätten gehen können, war die medizinische Promotion noch nicht erlaubt. Die beiden deutschen „Fräulein Doctores“, Emilie Lehmus aus Fürth (1841–1932) und Franziska Tiburtius aus Rügen (1843–1927), promovierten 1875 und 1876 an der Universität Zürich, nicht in Deutschland.

Dennoch war insgesamt die zweite Hälfte des 19. Jh. der Durchbruch. Frauen wurden an den Hochschulen zum Medizinstudium zugelassen, die Zeit der weiblichen Parallelwelten der Hebammen und Kräuterfrauen ging zu Ende. Das wilhelminische Deutschland war der letzte Staat des Abendlandes, der sich dazu durchrang: Erst 1899 ließ man in Deutschland Frauen zum Medizinstudium zu, und dies später als nicht nur in den USA (wo dies schon seit 1850 möglich war), sondern auch später als in Frankreich (1863), in der Schweiz (1864) und sogar später als in Griechenland (1890). Im Berliner Reichstag verursachte 1876 die Erwähnung der Möglichkeit von Ärztinnen minutenlange Heiterkeit.

Wie rasch sich die Dinge in wenigen Jahren entwickeln konnten, verrät ein Schlaglicht auf die „Frauenfrage“ an der Harvard-Universität in Cambridge/USA. Als in Deutschland noch lange keine Rede davon war, dass Frauen Medizin studierten, sprach man in Harvard im Jahre 1878 bereits vom Problem einer zu starken Zahl von Frauen in der Medizin. Anderthalb Jahrhunderte später lag im Jahre 2012 der Frauenanteil unter den Medizinstudenten in Harvard bei ca. 50 %; die vorausschauende Sorge der Männer war begründet.

Eine der unerfreulichen, unerwarteten und dennoch großen Chancen für Ärztinnen war der Erste Weltkrieg. Als die Welt des europäischen Adels in den Schlammfeldern Flanderns, den Gräben Verduns und den Weiten Galiziens zugrunde ging, waren die Frauen zur Stelle, in vorher unerhörter Weise die Rolle der Männer zu übernehmen. Das britische Women’s Hospital Corps richtete schon im September 1914 im Pariser Hotel Claridge ein Militärkrankenhaus ein, das nur verwundete Männer von der Front als Patienten aufnahm und das nur Frauen als Chirurginnen, Ärztinnen und Betreuerinnen aufwies. Andere Einrichtungen dieser Art kamen unter dem Zwang des Großen Krieges hinzu. Trotz aller Hindernisse konnte man nach 1918 nicht wieder auf den Status quo ante zurückkehren. Heute, hundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges, sind Ärztinnen zu einem bestimmenden Faktor des Medizinbetriebes geworden.

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