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Kapitel 1

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Ich sah, wie er sich drehte, noch ehe er sich von mir losriss. Ich griff nach ihm und packte ihn am Ärmel, aber das war nicht genug, um ihn zu stoppen. Er warf in einer fließenden Bewegung den Kopf zurück und ließ ihn ohne das geringste Zögern vorschnellen. Er traf sein Ziel und aus der Nase des Mannes neben ihm spritzte Blut. Ich riss ihn zurück, packte seinen Arm und stieß ihn auf den harten Betonboden. Ich kniete mich auf seinen Rücken, hielt mit einer Hand seine Handgelenke in Handschellen fest und drückte mit der anderen sein Gesicht auf den Boden.

»Rühr dich ja nicht, Ofeldt.«

Es war so schnell gegangen, dass mein Verstand einen Moment brauchte, um alles zu verarbeiten. Ich hatte rein auf der Basis von Instinkt und Adrenalin gehandelt. Gerade hatte ich den Gefangenen Ofeldt noch eskortiert, im nächsten Augenblick hielt ich ihn auf dem Boden fest. Alles Teil eines normalen Arbeitstages für einen Vollzugsbeamten in einem Hochsicherheitsgefängnis.

Das Seely State Prison beherbergte die schlimmsten Insassen von ganz Nevada. Vergewaltiger, Mörder, Kinderschänder und Spinner. Insasse Ofeldt war ein Mörder und ein Spinner, weshalb ich im Umgang mit ihm besonders vorsichtig war. Ich versuchte nicht, mich bei ihm anzubiedern, aber ich bemühte mich, ihn nicht zu verärgern oder zu reizen, wenn er schon wütend war. Von meinem Partner, Officer Todd Lang, konnte ich das nicht behaupten.

Lang war „von der alten Schule“. Er arbeitete seit fast zwanzig Jahren in Seely und regelte die Dinge, wie er es für richtig hielt, ohne sich um die offiziellen Regeln zu kümmern.

Die Probleme hatten schon am Morgen begonnen. Ofeldt war verärgert gewesen, weil er dachte, er hätte zu wenig Frühstück bekommen. Er hatte Lang dafür verantwortlich gemacht. Ich war mir nicht sicher, ob das stimmte, aber ich traute es ihm zu.

Als ich herausgefunden hatte, dass wir Ofeldt zum Hofgang begleiten sollten, war ich nicht begeistert gewesen. Trotz Ofeldts Ärger, hatte Lang es nicht lassen können, ihn weiter zu reizen, nachdem wir ihm die Handschellen angelegt und ihn aus seiner Zelle geholt hatten. Hör auf zu maulen, hatte Lang gefaucht, als Ofeldt ihn noch einmal beschuldigt hatte, ein Stück Obst von seinem Frühstückstablett genommen zu haben. Halt einfach die Klappe, du alte Zicke.

Mir hatte es gereicht und ich war im Begriff gewesen, Lang zu bremsen, als Ofeldt sich gedreht und Lang einen Kopfstoß verpasst hatte, ehe ich es hatte verhindern können.

Ich warf einen Seitenblick zu meinem Partner. Lang lag auf dem Rücken und hielt sich die Hände vors Gesicht, während Blut aus seiner Nase spritzte. »Denk nicht mal dran, irgendeinen Scheiß zu machen, Ofeldt.«

»Ich würde Ihnen nichts tun, Kash«, antwortete er. »Sie sind okay. Gegen Sie habe ich nichts. Ich hatte da nur was zu erledigen, wissen Sie?«

»Nun, das hast du eindeutig getan.«

Ich würde mich nie auf die Seite eines Insassen stellen, wenn es um einen anderen Beamten ging, aber es gab Zeiten, in denen ich große Lust dazu hatte. Hätten sie ihre Auseinandersetzung auf der Straße ausgetragen, hätte Ofeldt Lang in den Hintern getreten. Aber auf der Straße hätte Lang sich nie mit einem Kerl angelegt, der doppelt so groß und dreimal so verrückt war.

***

Als ich am Dienstag aufwachte, wusste ich, dass es einfach nur ein weiterer langweiliger Tag werden würde. Aufregende Dinge passierten selten an zwei Tagen hintereinander. Die Arbeit war eine sich wiederholende Serie von Bewegungsabläufen. Dieselben Dinge tun, mit denselben Leuten arbeiten. Ich fühlte mich oft wie Bill Murray in dem Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Wenn es eine Lektion gab, die ich lernen sollte, dann versagte ich dabei vermutlich. Ich arbeitete seit zehn Jahren im Strafvollzug von Nevada, die letzten sechs davon in Seely. Ich hatte nicht geplant, meine Karriere darauf aufzubauen, es war nur ein Job gewesen, um wieder auf die Beine zu kommen. Es war aber gut bezahlt, also war ich hängen geblieben.

Ich arbeitete in Zwölf-Stunden-Schichten; in einer Woche an vier Tagen, in der nächsten an drei. Die langen Arbeitstage waren nicht angenehm, aber die langen Wochenenden machten das mehr als wett. Sie gaben mir die Gelegenheit, meinen außerdienstlichen Interessen nachzugehen, nämlich meinem Liebesleben. In einer Stadt mit rund fünftausend Einwohnern schwul zu sein, war scheiße. Sich tief im Schrank zu verstecken, war für meinen Job aber eine Notwendigkeit. Die Bewohner von Seely in Nevada würden ausflippen, wenn sie wüssten, dass ich beide Male Obama gewählt hatte. Und sie würden mich wahrscheinlich lynchen, wenn sie herausfänden, dass ich Schwänze lutschte. Ja, verdammt. Ich liebte es, einen harten Schwanz im Mund zu haben. Und ich hasste es, diese Seite von mir zu verbergen. Aber ich musste nun mal arbeiten. Ich war noch keinem Mann begegnet, der es wert gewesen wäre, die Schranktür zu öffnen, oder der es gewollt hätte. Außer Wochenendaffären, hatte ich seit drei Jahren keine Beziehung mehr. Es hatte Typen gegeben, mit denen die sexuelle Chemie toll gewesen war, und wir hatten versucht, es zu etwas Längerfristigem auszudehnen. Diese sogenannten Beziehungen hatten immer nach ein paar Monaten frustrierender Anrufe und sexfreier Wochenenden voller Streit, Ärger und Anschuldigungen geendet.

Nachdem ich geduscht hatte, versuchte ich meine dunklen Locken halbwegs zu bändigen und zog mich an. Die Arbeitsuniform war ein langweiliger, olivgrüner Kampfanzug. Viele Männer und Frauen liebten Uniformen. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Ich fühlte mich jedenfalls nicht sexy, wenn ich für die Arbeit angezogen war. Die Cargohose hatte große Seitentaschen. Ein Waffengurt und ein Ledergürtel mit Fächern für Handschellen und Schlüssel vervollständigten die Uniform.

Alles an meinem Job hörte sich viel cooler an, als es tatsächlich war. Vollzugsbeamte waren kaum mehr als Pförtner und Babysitter. In einem Hochsicherheitsgefängnis zu arbeiten, wirkte wahrscheinlich wie ein aufregender Beruf, aber das war es nicht. Ich begleitete Insassen zu den Einzelduschen und wieder zurück und auch zu den Hofgängen und wieder zurück. Zu den Essenszeiten brachte ich ihnen ihre Mahlzeiten und auch sonst einfach alles, was sie brauchten. Vollzugsbeamte waren vom Papierkram der Gefangenen bis zu ihren Hygieneartikeln für alles verantwortlich. Auch dafür, hinter ihnen sauber zu machen, wenn sie die Böden versauten.

Da Seely ein Hochsicherheitsgefängnis war, gab es in den einzelnen Zellenblöcken sehr wenig Bewegung. Wann immer Gefangene sich außerhalb ihrer Zelle aufhielten, waren ihre Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt. Die strengen Regeln machten das Arbeitsumfeld sicherer, aber auch langweiliger.

Zugegeben, ich war nicht besonders glücklich. Es war an der Zeit, dort aufzuhören. Nicht nur Zeit, Seely zu verlassen, sondern auch, meine Karriere als Vollzugsbeamter zu beenden. Ich hatte bisher nur noch nicht den richtigen Anreiz.

Dann kam er und alles wurde anders.

Kompromittiert

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