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Kapitel 4

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»Dein Lieblingsinsasse wünscht dich zu sprechen«, sagte Davis, als er am Donnerstagmorgen von der ersten Runde mit den Frühstückstabletts zurückkam.

»Mister Unbeugsam?«

Davis nickte und ich kicherte. Als wir alle anderen versorgt hatten, schlenderte ich zu Zelle 6. »Guten Morgen, Ibeabuchi, was kann ich für Sie tun?«

Er verzog das Gesicht und vermied es, mich anzusehen. »Ich bin am Verhungern.«

»Sind Sie jetzt bereit, Befehle zu befolgen?«

Er nickte.

»Wenn wir auf dieser Seite fertig sind, kommen wir wieder zu Ihnen.« Er protestierte, aber ich unterbrach ihn. »Ein Wort der Beschwerde und Sie werden den ganzen Tag auf Ihr Essen warten.«

Der Häftling hielt schnell den Mund.

»Setzen Sie sich jetzt auf Ihr Bett und warten Sie geduldig, bis ich fertig bin.«

Er ging zum Bett, setzte sich hin und starrte auf den Boden.

Davis und ich beendeten die Essensausgabe und kehrten dann ohne Hast zu Zelle 6 zurück.

»Sind Sie bereit, zu kooperieren, Ibeabuchi?«

Er nickte.

»Gut. Kommen Sie rüber und knien Sie sich hin.«

Er kam wortlos zur Tür und kniete sich hin. Ich ließ die Tür öffnen und beugte mich dann hinunter, um die Beinfesseln zu entfernen.

»Bewegen Sie sich nicht, bis die Tür geschlossen ist«, befahl ich und Ibeabuchi nickte. Die Tür fiel zu, Davis öffnete die Durchreiche und Ibeabuchi stand auf und streckte seine Hände aus. Ich nahm ihm die Handschellen ab, holte sein Essenstablett und stellte es in die Öffnung.

Ibeabuchi schnappte es und aß mit den Händen, noch bevor er sich setzte.

»Das war cool.« Davis kicherte. »Du hast ihm eine Lektion erteilt.«

»Mach dir nichts vor«, antwortete ich. »Er hat sich nicht verändert. Er hasst mich jetzt noch mehr, weil ich ihn vor allen gedemütigt habe.«

»Glaubst du, er plant etwas?«

»Ich weiß, dass er das tut. Es ist nur eine Frage der Zeit.«

***

»Hey, Officer?«

Eine schüchterne Stimme unterbrach eine Pause, die ich im Lagerraum einlegte. Davis war gerufen worden, um den Officern in Block 1 zu helfen, also war ich eine Zeit lang allein.

»Officer?« Es war Insasse Ivy.

»Hey, Ivy, was gibt’s?« Ich kam zu seiner Tür.

»Ich habe eine Frage, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Fragen kostet nichts.«

»Gibt es eine Möglichkeit, dass ich etwas zum Lesen bekomme? Egal was, wirklich, nur etwas zum Zeitvertreib.«

Es war gegen die Regeln, Zeitschriften von einem Insassen an einen anderen weiterzureichen, aber ich tat es gelegentlich, weil ich nicht sah, was daran schlecht sein sollte. Und manchmal gab es Typen wie Ivy, die einfach etwas zum Lesen brauchten. Es gab eine Bildungsabteilung mit einer Bibliothek, in der Häftlinge Bücher und Zeitschriften ausleihen konnten. Aber weil Ivy neu war, dauerte es einige Zeit, bis er etwas ausleihen durfte.

Ich ging in einige Zellen und besorgte mir ein paar Zeitschriften: People, Reader‘s Digest, Entertainment Weekly und eine drei Jahre alte Ausgabe des Playboy. Ivys Gesicht erstrahlte, als ich die Zeitschriften unter seiner Tür durchschob. Unter der Tür war ein Spalt von etwa eineinhalb Zentimetern. Es war einfacher und sicherer, Dinge dort durchzureichen, als den Essensschlitz zu öffnen.

Ivy grinste breit. »Danke. Vielen Dank.«

***

Donnerstag war unser letzter Arbeitstag in dieser Woche und zum ersten Mal seit Langem freute ich mich nicht auf das Wochenende. Es bedeutete drei Tage ohne Davis, der so ziemlich der einzige Lichtblick in meinem Leben war.

An den meisten Wochenenden fuhr ich eine Stunde nach Reno und ging in die Bars oder in die Sauna. Wenn es nötig war, suchte ich mir ein billiges Motel und hatte dort billigen Sex. Ich wusste nicht, was ich jetzt wollte, aber bedeutungsloser Sex war es nicht.

Als der Samstag dann kam, langweilte ich mich bereits zu Tode. Am Morgen klingelte mein Handy und das Display verriet, dass es dienstlich war. Normalerweise wäre ich nicht rangegangen, aber ich hatte nichts Besseres zu tun.

»Hallo.«

»Hey, Kash, hier ist Sergeant Burson. Wir suchen jemanden, der heute Nacht in Block zwei die Friedhofsschicht übernimmt. Interessiert?« Die Friedhofsschicht war von 17 Uhr bis 5 Uhr. Es war jetzt 10 Uhr, aber ich konnte die Schicht übernehmen, wenn ich davor ein paar Stunden schlief.

»Ja, kann ich machen.«

Ich blieb noch eine Stunde wach, nahm dann eine Schlaftablette und schlief fünf Stunden.

Als ich zu meinem Block kam, bereute ich meine Entscheidung sofort, die Überstunden angenommen zu haben. Meine Vorgesetzte war eine große Frau mittleren Alters, die nie die Klappe halten konnte. Gledsen wollte mich und nutzte jede Gelegenheit, um mich zu verführen. Selbst wenn ich heterosexuell wäre, hätte ich mich so weit von ihr ferngehalten wie möglich. Sie hatte mir alle Einzelheiten ihres Sexuallebens mitgeteilt und war so ziemlich die ungehobelteste Person, die ich je getroffen hatte.

Sobald ich konnte, flüchtete ich aus der Blase, indem ich Gledsen sagte, dass ich im hinteren Lagerraum eine Zeitschrift lesen würde. Das Lesen von Zeitschriften oder Büchern im Dienst war gegen die Regeln, aber das war etwas, was fast jeder tat, besonders in der Friedhofsschicht.

Einige Häftlinge riefen meinen Namen, als ich den Gang entlangging, und fragten mich, was ich dort tat.

»Ich mache Überstunden«, antwortete ich.

Ein Insasse namens Hoss fragte mich: »Wollen Sie nicht mit Gledsen abhängen und ihr ein bisschen näherkommen?« Ich kannte Hoss ziemlich gut und er war ein Spinner.

»Sehr witzig«, antwortete ich.

Bei einigen der Häftlinge war das Licht aus. Ich schaute in ihre Zellen. Es gab keine Licht-aus-Regel. Die Jungs durften die ganze Nacht wach bleiben, wenn sie wollten. Die Zellen 20 bis 23 waren dunkel, aber Zelle 24 war beleuchtet, also sah ich hinein, als ich vorbeiging, und erstarrte.

Ivy lag auf seinem Bett, die Augen geschlossen und die Hand um seinen erigierten Schwanz gelegt. Er streichelte sich und genoss es offensichtlich. Es war nicht das erste Mal, dass ich versehentlich einen Häftling beim Wichsen erwischte, und normalerweise ging ich einfach weiter. Aber bei Ivy hatte der Anblick etwas Faszinierendes.

Er öffnete die Augen, mein Gehirn schaltete sich wieder ein und ich ging weg.

»Oh Scheiße«, rief Ivy.

Ich drehte den Wasserhahn im Hinterzimmer auf und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.

Ein paar Minuten später rief Ivy nach mir. »Hey, Kash. Kann ich, ähm, mit Ihnen reden?«

»Ja, gleich.« Ich riss mich zusammen und trat an sein Zellenfenster.

»Es tut mir leid«, flüsterte er. »Auf dem Boden hört man nicht, wenn jemand kommt. Ich weiß, ich kann Ärger kriegen, weil ich mich entblößt habe.«

Ich schüttelte den Kopf. »Das hast du ja nicht mit Absicht gemacht. Du hast nur getan, was … alle Jungs tun. Also mach dir keine Gedanken darüber.«

»Danke, Kash, ich weiß das zu schätzen.«

»Ich bin froh, dass dir die Zeitschriften gefallen haben, die ich dir gegeben habe.« Ich lächelte.

»Hm? Oh … der Playboy! Ja, der war cool.«

Ich ging zurück in den Lagerraum und las ein Buch. In der Friedhofsschicht gab es wenig zu tun, außer etwa alle zwei Stunden zu zählen. Und dazu musste ich nur von Tür zu Tür gehen, um sicherzugehen, dass alle Häftlinge noch da waren.

Irgendwann gegen 2 Uhr nachts saß ich hinten und tat mein Bestes, um wach zu bleiben, als ich seltsame Geräusche aus Ivys Zelle hörte. Neugierig, aber ängstlich, ihn wieder beim Wichsen zu erwischen, schaute ich durchs Fenster. Er schlug in seinem Bett um sich und stöhnte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Ich klopfte mit meinem Schlüssel an die Scheibe und er setzte sich rasch auf. Ich konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er Angst hatte und nicht wusste, wo er war.

»Ivy, ist alles in Ordnung?«, fragte ich.

Er sah sich um und starrte mich eine Minute lang an, ehe er antwortete. »Ja, mir geht’s gut.«

»Erzähl mir keinen Scheiß. Irgendwas stimmt nicht. Willst du darüber reden?«

Er schüttelte den Kopf. »Das hat keinen Sinn. Das liegt alles in der Vergangenheit.« Er stand auf und ging zu seinem Waschbecken, drückte den Knopf für kaltes Wasser, nahm etwas davon in die Hände und spritzte es sich ins Gesicht. »Das hier ist meine Zukunft.«

Ich lehnte mich gegen die Tür. »Wie lange hast du vor dir?«

Er betrachtete mich mit einem Blick voller Traurigkeit und völliger Hoffnungslosigkeit. »Ich werde diesen Ort nie mehr verlassen.«

»Du bist ein Lebenslänglicher?« Ich war überrascht. »Was hast du angestellt?«

Er sah mich an und blickte dann schnell zur Seite. »Ich wurde wegen Mordes ersten Grades verurteilt. Das örtliche Büro des Innocence Project arbeitet an meinem Fall, aber ich mache mir keine Hoffnungen.«

Ich bemerkte am Tonfall seiner Stimme, dass er nicht darüber sprechen wollte, also ließ ich das Thema fallen.

»Okay, ich wollte nur sichergehen, dass es dir gutgeht. Du kannst wieder schlafen.«

»Das will ich nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich hätte nur dieselben schlimmen Albträume.«

Ich massierte meinen Nacken und unterdrückte ein Gähnen. »Ich habe Probleme, wach zu bleiben. Wir können reden, wenn du willst.«

Seine Mundwinkel wanderten nach oben. »Das wäre cool, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Nein, gar nicht.«

Ich schob eine Kiste mit Toilettenpapier an den Rand des Raumes nahe der Tür. Wenn Ivy seitlich aus seiner Tür sprach, konnten wir einander gut genug hören. Die Häftlinge in der Nähe konnten uns allerdings auch hören, also musste ich vorsichtig sein, was wir sagten.

»Hatten die Träume mit deinem Fall zu tun?«, erkundigte ich mich.

»Nein«, antwortete er. »Mit Mist von früher.«

»Schlimmes Zeug, was?«

»Ja, ich hatte kein märchenhaftes Leben wie aus dem Bilderbuch. Aber das hat niemand wirklich, oder?«

»Ich jedenfalls nicht.«

»Es gab auch gute Zeiten, als ich ein Kind war«, gab er zu. »Aber dann änderten sich die Dinge und es ging alles den Bach runter. Ich war ungefähr sechs oder sieben Jahre alt und meine Eltern nahmen meine Schwestern, meinen Bruder und mich mit auf einen Ausflug an den Lake Tahoe. Wir hatten so viel Spaß beim Spielen im Wasser. Ich wollte nicht nach Hause fahren. Das ist eine der letzten guten Erinnerungen, die ich habe.«

»Was ist passiert?«, fragte ich.

»Meine Mutter starb zwei Jahre später und dann ist mein Vater abgehauen.«

»Verdammt.«

»Meine älteste Schwester war gerade neunzehn geworden, also wurde sie unser Vormund. Für meinen älteren Bruder, meine jüngere Schwester und mich. Ich dachte, meine Eltern zu verlieren, sei schrecklich und es könne nicht schlimmer kommen. Aber es wurde schlimmer.«

Ich wechselte das Thema und erzählte Ivy davon, dass ich im Alter von sechs mit meinem Cousin in einer riesigen Schlammgrube stecken geblieben war, als wir unseren Onkel auf eine Baustelle begleitet hatten. Ich lächelte über die Erinnerung und war mir sicher, dass sogar Ivy ein wenig kicherte.

Kompromittiert

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