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Teil 1 1. Zeitdiagnose

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H: Herr Kollege Biser, Sie haben die Absicht, in einer Folge von Sendungen über Ihre „Neue Theologie“ zu sprechen. Es ist naheliegend, zu Beginn ganz allgemein zu fragen: Was verstehen Sie unter neuer, in die Zukunft weisender Theologie?

B: Ja, „Neue Theologie“ ist natürlich ein großes Wort, ein anspruchsvolles Wort, und ich möchte es auf einen Punkt bringen: Eine Neue Theologie sollte eine Antwort sein, eine christliche Antwort auf die Fragen der Zeit.

In diesem Zusammenhang muss natürlich der Weg gezeigt werden, wie diese Neue Theologie ihr Ziel erreichen kann. Das ist nicht etwa – wie man denken könnte – der Weg der Modernisierung, sondern der Weg zurück, die Rückbesinnung auf die Mitte des Christentums. Denn die Mitte des Christentums wird nach meiner Überzeugung durch zwei Faktoren definiert, die aufs Engste miteinander zusammenhängen: Das eine ist die Gottesentdeckung Jesu, und das zweite ist seine Auferstehung. Diese Mitte – und damit möchte ich diese kurze Beschreibung auch schon beschließen – ist aber nicht, wie man denken könnte, eine starre Mitte, sondern eine lebendig bewegte. Sie sucht den Menschen für sich zu gewinnen, in sich aufzunehmen und möchte zu seiner Lebensmitte werden. Das ist in ganz kurzen Worten der Sinn einer Neuen Theologie.

H: In diesem Zusammenhang stellt sich eine Frage, die meines Erachtens vorweg beantwortet werden müsste. Hat der Mensch unserer Tage überhaupt noch ein Bedürfnis nach Religion, ist er noch offen für eine Wirklichkeit, welche die Alltagserfahrung übersteigt? Man denke an den Fortschritt der Naturwissenschaften, an die Faszination der modernen Technik oder in Korrespondenz dazu an das Schlagwort vom Tode Gottes und den damit verbundenen Alltagsatheismus, der sich immer weiter ausbreitet! Angesichts dieser Phänomene kann man den Eindruck gewinnen, Religion sei vielleicht doch eine inzwischen überwundene Entwicklungsstufe der Menschheitsgeschichte. Deshalb muss einleitend geklärt werden, ob es überhaupt noch einen Sinn hat, solche Anstrengungen zu unternehmen, wie Sie es in einem langen Leben als Theologe und Philosoph, als Wissenschaftler und Seelsorger getan haben.

B: Um auf diese Frage zu antworten, lieber Herr Heinzmann, muss ich zunächst einmal einen Blick in unsere Zeit hineinwerfen. Ich sagte ja, die Neue Theologie ist der Versuch, eine Antwort zu geben auf die Grundfragen der Zeit. Und die Frage, die sich jetzt stellt, heißt ganz einfach: In welcher Zeit leben wir? Mein großer Kummer besteht darin, dass die meisten Zeitgenossen es offensichtlich noch gar nicht wahrgenommen haben, dass wir uns in der größten Stunde der bisherigen Menschheitsgeschichte befinden, allerdings auch in einer der gefährdetsten dieser ganzen Menschheitsgeschichte; das muss zunächst einmal gezeigt werden.

Ich sehe in dieser Zeit eine Zeit der sich Zug um Zug realisierenden Utopien. Die Menschheit hat immer geträumt, seit Urzeiten: Sie träumte den Traum vom himmlischen Feuer; sie träumte den Traum von der Sternenreise; sie träumte sogar den Traum von einem neuen, künstlichen Menschen. Diese Träume sind Zug um Zug in unserer Zeit in Erfüllung gegangen. Das himmlische Feuer des Prometheus wurde gebändigt in den Atomreaktoren, die Sternenreise wurde 1969 Realität mit der Landung amerikanischer Astronauten auf dem Mond. Das alles sind bereits signifikante Erscheinungen unserer Zeit. Wenn man dazu noch die modernste Evolutionstechnik in den Blick nimmt, wird man sagen müssen: Der Mensch steht im Begriff, sich selbst zu produzieren. Er hat aufgehört, ein Geschöpf Gottes zu sein, und wird zunehmend zum Produzenten seiner selbst. Das ist selbstverständlich eine folgenreiche Veränderung der ganzen Lage; und damit erhebt sich dann die von Ihnen gestellte Frage nach der Situation der Religion in unserer Zeit.

Es gibt einen hellsichtigen Interpreten dessen, was ich gesagt habe. Er ist allerdings unter einem ganz anderen Aspekt bekannt, nämlich als Erfinder der Psychoanalyse: Es ist Sigmund Freud. Freud hat 1930 einen Essay über „Das Unbehagen in der Kultur“ veröffentlicht, in dem er die von mir angesprochenen Themen bereits behandelt und analysiert hat. Für ihn galt: „Wir leben in einer Stunde der Gottesfinsternis; denn Gott ist tot.“ Das bezog sich zurück auf Friedrich Nietzsche, der diese Parole in seiner Parabel vom „tollen Menschen“ in die Welt hinausgeschrien und daraus die für ihn entscheidende Konsequenz gezogen hatte. Durch den Tod Gottes wurden die Attribute der Allmacht, der Allwissenheit und Gerechtigkeit, die der Mensch in einem Akt der Selbstentäußerung an Gott abgetreten hatte, freigesetzt, so dass sie vom Menschen zurückgewonnen werden können. Mit Freud könnte man darauf hinweisen, dass das in der modernen Hochtechnik tatsächlich geschieht. In der Raumfahrt gewinnt der heutige Mensch einen Anteil an göttlicher Allgegenwart, in der Nachrichtentechnik an göttlicher Allwissenheit und in der Evolutionstechnik sogar an göttlichem Schöpfertum. Dadurch wächst der Mensch dieser Zeit über sich hinaus, aber nur recht mühsam, da er sich an diese Eigenschaften wie ein Versehrter an seine Prothesen erst gewöhnen muss. Freud spricht ironisch davon, dass der Mensch zu einem „Prothesengott“ geworden sei. Durch den Tod Gottes sind die göttlichen Eigenschaften freigesetzt worden. Ursprünglich, so sagt Freud im Anschluss an Ludwig Feuerbach, waren das Attribute des Menschen. Der Mensch war seinem Anspruch nach allmächtig, allgegenwärtig, allgerecht. Das alles wurde an Gott abgetreten; durch den Tod Gottes sind diese Attribute jedoch in die Verfügungsgewalt des Menschen zurückgekommen, und dadurch wächst er über sich hinaus.

H: Zum besseren Verständnis Ihrer Analyse sollte man doch noch etwas genauer sagen, was das Wort vom Tod Gottes meint. Ein Gott, der existiert, kann nicht sterben, er kann nicht tot sein! Und ich denke, dass auch Friedrich Nietzsche nicht sagen wollte: Gott existiert nicht. Es geht nicht um die Existenz Gottes, sondern um die Frage seiner Bedeutsamkeit für unsere Gesellschaft.

B: Diese Frage kann man ganz exakt beantworten, denn Friedrich Nietzsche hatte einen Freund, Franz Overbeck, der ihn übrigens nach seinem Zusammenbruch vor der Einlieferung in eine italienische Irrenanstalt bewahrte. Overbeck, der ihn wahrscheinlich besser kannte als irgendein anderer, sagte: „In seinen zurechnungsfähigen Zeiten hat Nietzsche mit diesem Wort niemals gemeint, dass Gott nicht existiert.“ Er wollte vielmehr eine Aussage machen über die Rolle des Gottesglaubens in unserer Gesellschaft und in unserem modernen Bewusstsein. In diesem modernen Bewusstsein ist Gott gestorben.

H: Diese Erkenntnis wäre dann auch ein Argument dafür, dass die Neue Theologie in unserer Wirklichkeit durchaus einen Ansatzpunkt hat.

B: Ganz gewiss, das wird sogar eine vorzügliche Aufgabe der Neuen Theologie sein, den Menschen wieder den „Geschmack an Gott“ zu vermitteln, wie man im Anschluss an ein großes Wort von Friedrich Schleiermacher sagen könnte. Das ist zweifellos das Ziel. Aber ich denke, man muss zunächst einmal klären, wie es überhaupt zu diesem Ausverkauf des Religiösen in unserer Welt gekommen ist.

Dieser Vorgang hat eine lange Vorgeschichte, auf den der schon wiederholt angesprochene Friedrich Nietzsche hingewiesen hat. Er hat gesagt: „Seit Kopernikus“ – und jedermann weiß, Kopernikus hat das neue, heliozentrische Weltsystem ins Bewusstsein der Menschen gebracht – „seit Kopernikus geriet die Sache des Menschen auf eine schiefe Bahn.“ Gott wurde gleichsam an den Rand gedrängt. Und aus dieser Marginalisierung Gottes, der an den Rand gedrängt war, wurde dann schließlich die Tot-Erklärung Gottes. So lief die Geschichte ab. Und selbstverständlich muss an dieser Stelle eingesetzt werden.

Wenn ich auf Ihre Anmerkung noch deutlicher eingehen darf, dann würde ich sagen: Wir erleben in unserer Zeit eine merkwürdige Umschichtung. Auch das gehört zur Physiognomie unserer Stunde. Sie ist nicht nur eine Stunde, in der sich jene naturwissenschaftliche Wende vollzogen hat, von der vorhin die Rede war, sondern auch eine Stunde, in der sich die Sache des Menschen gewendet hat. Unlängst hat ein Soziologe behauptet: Der Konsumismus ist vorbei. Wir haben eine Zeit hinter uns, in der die Sache des Menschen verflacht und der Mensch in die Eindimensionalität abgedrängt wurde. Aber aus diesem Zustand erwacht er, vielleicht wegen der augenblicklichen, ökonomisch schwierigen Situation. Die Menschen werden bekanntlich immer dann wach, wenn es ihnen schlecht geht. Gute Zeiten sind nie gut für die Philosophie und für die Theologie. Notzeiten lehren nicht nur beten, sondern lehren auch denken. Und deswegen erwacht bei uns ein neues Gefühl für die Konstanten des Lebens. An Geld, an Lustgewinn kann man sich nicht festhalten; festhalten kann man sich nur an einem Faktor, der unverbrüchliche Sicherheit garantiert, und das ist Gott.

H: Ihre Aufgabe, Herr Kollege Biser, besteht dann darin, das Wissen um Gott den Menschen unserer Zeit zu vermitteln und auf diese Weise die Gesellschaft von innen her neu zu gestalten – ein Prozess, der gerade beim Aufbau des neuen Europa von grundlegender Bedeutung sein kann.

B: Da bin ich ganz sicher, und das hat jener von mir vorhin erwähnte Soziologe auch in aller Deutlichkeit gesagt: Wir erleben den sehr hoffnungsvollen Augenblick, in dem sich der Tod Gottes gleichsam zurückverwandelt in eine neue Auferweckung Gottes in unserem Bewusstsein. Ich sagte vorhin: Tod Gottes, das ist keine Aussage über die Existenz Gottes, über die Frage, ob es überhaupt einen Gott gibt, ob er existiert. Nein, so sagte ich im Anschluss an Overbeck: Tod Gottes ist nur die Registrierung des Sachverhalts, dass Gott in unserer Welt nicht mehr jene zentrale Rolle spielt, die ihm von seiner ganzen Begrifflichkeit und Bedeutung her zukommen müsste; dass er gleichsam aus unserer Welt verdrängt worden ist. Doch wir erleben – und ich möchte das noch einmal mit Betonung sagen dürfen – den außerordentlich hoffnungsreichen Augenblick, wo wir eine Zurückverwandlung dieser Situation erfahren, und da müsste dann selbstverständlich auch eine neue theologische Reflexion einsetzen, und ebendies ist die Stunde der Neuen Theologie.

H: Das würde aber auch bedeuten, dass der ozeanische Atheismus, von dem Sie gelegentlich sprechen, seine große Zeit hinter sich hat. Damit zeichnet sich eine außerordentliche Aufgabe für Philosophie, Theologie und Christentum ab. Es ist unmittelbar einsichtig, dass eine Neue Theologie von dieser Situation ausgehen muss. Durch die bloße Wiederholung der alten Sätze und Glaubensformeln lassen sich die anstehenden Probleme nicht bewältigen!

B: Darauf kann man mit einem Nietzsche-Wort antworten. Nietzsche hat ja vor allem mit seinem Zarathustra Furore gemacht – es ist das bekannteste seiner Werke. Dort gibt es das Gespräch zwischen Zarathustra und dem letzten Papst. Der letzte Papst – weil Gott tot ist – sagt: „Du bist frömmer als du glaubst, mit einem solchen Unglauben. Irgendein Gott in dir bekehrte dich zu deinem Unglauben.“

Das ist natürlich in einer nüchternen Sprache gesagt nichts anderes als die Feststellung: Der Gottesglaube kehrt zurück, Gott gewinnt wieder Bedeutung in unserem Denken. Und das muss selbstverständlich theologisch aufgefangen und aufgearbeitet werden; das ist die Sache der Neuen Theologie.

H: Das heißt also, diese Neue Theologie hat die Aufgabe, die zentrale Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins zu beantworten!

B: Das ist ganz klar, denn unlängst sagte jemand, der es wissen musste – der Leiter einer demoskopischen Erhebung –, dass mit dem Gottesglauben auch die Sinnfrage im Schwinden begriffen sei. Ich habe das als eine im Grunde sehr hoffnungsvolle Diagnose empfunden, denn wir müssen, wenn wir das Gottesbewusstsein neu erwecken wollen, zunächst auch auf die Frage nach dem Lebenssinn des Menschen eingehen und müssen nach Mitteln und Wegen suchen, wie der Mensch zum Interesse an seinem Sinn zurückgeführt und wie ihm die Sinnfrage dann auch wirklich beantwortet werden kann. Das alles ist Aufgabe der Neuen Theologie, und sie ist neu, weil die alte Theologie diese Frage so noch nicht gestellt hat und weil es ein dringendes Gebot der Stunde ist, dass der Zusammenhang zwischen Gottesglaube und menschlicher Sinnfrage neu entdeckt und neu auf den Begriff gebracht wird.

H: Ihre Analyse kommt zu dem nicht anfechtbaren Ergebnis, dass auch der heutige Mensch noch die Frage nach dem Sinn und damit nach Gott stellt.

Bevor wir aber in unser Gespräch über eine Theologie der Zukunft eintreten können, muss ein Problem angesprochen und geklärt werden, das für jede „Theologie“, sofern sie „Rede von Gott“ sein will, von grundlegender und vorentscheidender Bedeutung ist. Was soll unter dem Wort „Gott“ verstanden werden?

Auf den ersten Blick scheint die Antwort selbstverständlich zu sein. Das Wort Gott gehört nicht nur im religiösen Kontext zu unserem alltäglichen Sprachschatz – wenn auch in zunehmendem Maße in der Negation als „Gott-losigkeit“. In den entsprechenden Übersetzungen kommt der Terminus in allen Kulturen vor. Man sollte also – gleich wie man dazu steht – wissen, wovon die Rede ist, wenn von Gott gesprochen wird. Bei genauerem Zusehen wird aber dieser Selbstverständlichkeit schnell der Boden entzogen. Gerade weil das Wort Gott überall begegnet, in philosophischen Entwürfen ebenso wie in religiösen Überzeugungen, muss erst gefragt werden, was jeweils darunter verstanden werden soll.

Ganz allgemein stellt sich die Frage nach Gott im Horizont der Kontingenzerfahrung. Der Mensch muss zur Kenntnis nehmen, dass die erfahrbare Wirklichkeit – und das gilt auch für ihn selbst – endlich und vergänglich ist. Auf der Suche nach dem Grund dafür, dass Endliches überhaupt existiert, fordert das Denken eine unsere Welt übersteigende, transzendente Wirklichkeit. Diese transzendente Wirklichkeit wird üblicherweise mit dem Wort Gott belegt und dient als Welterklärung. Sie ist der alles begründende, selbst aber grundlose Grund der Realität.

Im abendländischen Kulturkreis entspricht das in etwa der Weltauslegung der griechischen Philosophie. Die Welt ist als ganze ewig, alles Einzelne ist kontingent. Das Göttliche, nicht ein personal zu verstehender Gott, ist der immanente Weltgrund als das „selbst unbewegte, alles andere bewegende Prinzip“, wie Aristoteles es formuliert. Und trotz einer relativen Transzendenz gehört dieses Prinzip letztlich zu dieser Welt.

Das christliche Verständnis von Gott unterscheidet sich davon radikal. Gott ist kein Prinzip, er unterliegt keiner Notwendigkeit, er hat sich vielmehr in der Geschichte als handelndes Subjekt geoffenbart. In Freiheit und Souveränität hat er die Welt ins Dasein gesetzt und ist dadurch in einen Dialog mit dem Menschen eingetreten. Der Mensch ist der zwar endliche, aber gleichwohl freie Dialogpartner Gottes. In diesen wenigen Hinweisen deutet sich das Spezifikum und das zentrale Geheimnis des christlichen Gottesverständnisses an, durch das es sich von allen Möglichkeiten, Gott zu denken, unterscheidet. Gott ist mehr als das denknotwendige Ergebnis menschlicher Reflexion, er ist kein Entwurf menschlicher Erkenntnisbemühung. Er hat sich selbst – über diese durch menschliches Bemühen erreichbare und erreichte Einsicht hinaus – als Inbegriff der Liebe erschlossen.

Diese Selbstoffenbarung Gottes als die Liebe kann vom Menschen zwar nicht erschlossen, sie kann aber denkend nachvollzogen werden. Das geschieht in dem Versuch, den einen, lebendigen Gott als personalen Lebensvollzug zu verstehen. Von diesem Ansatz her eröffnet sich ein Zugang zur Trinität. Das Verständnis Gottes als dreifaltiger ist für das Christentum grundlegend und unverzichtbar. Zugleich ist die Trinitätslehre Anlass, dem Christentum vorzuwerfen, es erhebe zwar den Anspruch, eine monotheistische Religion zu sein, lehre aber in Wirklichkeit drei Götter, vertrete also einen Tritheismus. Wenn man die Frage gar mit mathematischen Kategorien angeht, kommt es schließlich zu der törichten These, das Christentum mute seinen Gläubigen in sich Widersprüchliches zu, nämlich eins sei gleich drei.

Es zählt zweifellos zu den schwierigsten Anforderungen, vor die sich christliche Theologie gestellt sieht, die Lehre von der Dreifaltigkeit widerspruchsfrei zu vermitteln. Bei einem solchen Versuch muss als erstes in Erinnerung gerufen werden, dass Gott grundsätzlich, auch in seiner Selbsterschließung in Jesus Christus, nicht begriffen werden kann. Dass Gott unbegreiflich ist, ist nach Thomas von Aquin das Höchste menschlicher Gotteserkenntnis. Diese Einsicht hat jedoch nicht zur Folge, dass wir von Gott überhaupt nicht reden könnten, dass also der Agnostizismus unvermeidlich sei. Um das Sprechen von Gott zu ermöglichen, bedient man sich der Methode der Analogie. Das besagt, dass wir unsere zwischenmenschlichen und innerweltlichen Erfahrungen als Modell benutzen, um in uneigentlicher Weise – trotz seiner grundsätzlichen Unbegreiflichkeit – von Gott zu sprechen. Die Unähnlichkeit ist bei analogen Begriffen oder Sätzen immer größer als die Ähnlichkeit. Von diesem Ansatz her lässt sich die Rede vom dreifaltigen Gott rechtfertigen, ohne dadurch der Gefahr zu erliegen, einen „begriffenen“ Gott zu entwerfen.

Wenn sich Gott also selbst als die Liebe kundtut, dann kann er nicht als statische und isolierte Wirklichkeit gedacht werden. Liebe ist ein Geschehen zwischen Personen, deshalb muss der eine Gott personal strukturiert gedacht werden. Die Wesenselemente des Personseins – Erkenntnis, Freiheit, Dialogfähigkeit – müssen analog auch von Gott ausgesagt werden können. Die Begrenzungen, die mit dem menschlichen Personbegriff verbunden sind, wie Vereinzelung, Abgeschlossenheit und anderes mehr, müssen ausdrücklich ausgeschlossen werden, wenn man nicht doch dem Missverständnis des Tritheismus verfallen will.

Diese hinführenden Überlegungen ermöglichen es, das trinitarische Grundbekenntnis – „ein Gott in drei Personen“ – widerspruchsfrei zu denken und dem Verständnis auf analoge Weise nahezubringen. Die Natur des einen Gottes ist die Liebe. Liebe aber ist wesentlich, nicht nur akzidentell, personales Bezogensein. Weil Gott und Liebe austauschbare „Begriffe“ oder genauer: eine identische Wirklichkeit sind, ist es das Wesen Gottes, in zwischenpersonaler Bezogenheit zu existieren, ohne dass dadurch das eine göttliche Wesen vervielfältigt würde. Ursprünglich ist also Dreieinigkeit ein innergöttliches Geschehen. Der eine Gott ist Vater in personaler Relation zum Sohn als dem Logos, dem Wort; das Wort in Gott ist Person in Bezug auf den Vater. Der Geist schließlich ist die personhafte Relation zwischen Vater und Sohn. Die Einsicht in das dreipersonale Wesen des einen Gottes, die aus der Erfahrung des in der Geschichte handelnden Gottes gewonnen wurde, ist die Möglichkeitsbedingung für Schöpfung und Erlösung. Als Vater ist Gott der Schöpfer und Herr der Welt und der Geschichte. Durch den Sohn richtet er sein Wort an den Menschen und teilt sich selbst dem Menschen mit. Heiliger Geist schließlich ist Gott, insofern er in seiner schöpferischen und erlösenden Gegenwart dem Menschen nahe ist.

B: Damit ist in groben, aber verständlichen Zügen umrissen, was das Wort „Gott“ im spezifisch christlichen Verständnis bedeutet. Und dieses Verständnis liegt natürlich auch der Neuen Theologie zugrunde.

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