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Kleinträgerraketen aus Deutschland – Ein Erfolgsmodell?
ОглавлениеDer Weltraum ist schon lange nicht mehr nur ein erdferner Ort exotischer Forschung, sondern wird zunehmend zum Wirtschaftraum. Das gilt nicht nur für die längst etablierten Anwendungen wie Telekommunikation, Erdbeobachtung, Meteorologie oder wissenschaftliche Arbeit quer über alle Fachrichtungen, sondern auch für Zukunftsmärkte, die heute vielen noch exotisch und kurios erscheinen.
Ein Indikator für innovative und zukunftsgewandte Volkswirtschaften sind ihre Raumfahrtaktivitäten. China ist da ganz vorne dran. Die USA auch. Diese beiden führen das Feld mit immer größerem Abstand an. Das unbewegliche Europa mit seinen byzantinischen Entscheidungsprozessen tut sich gegen diese Konkurrenz schwer. China und die USA planen und erproben schon die nächsten und übernächsten Schritte im All. Seien es die in der kurz- bis mittelfristigen Zukunft liegenden Anwendungen wie kommerzielle Raumstationen, der Abbau von Rohstoffen auf Erdmond und Asteroiden oder die Energiegewinnung durch orbitale Solarkraftwerke oder sei es in etwas fernerer Zukunft die Verlagerung umweltschädlicher Industrien von der Erde in den Weltraum oder die Einbeziehung des Alls als Wohn- und Lebensraum. Dinge wie diese scheinen vor allem uns in Europa als reine Science Fiction, doch die regulatorischen Entscheidungen zu diesen Themen werden in diesen Jahren getroffen. Europa sollte da eigentlich auf Augenhöhe mitreden. Das geht aber nur, wenn es von den anderen Parteien auch ernst genommen wird, doch tut es viel zu wenig dazu, sich in eine Position zu bringen, aus der das auch möglich ist. Wichtige Gebiete der Raumfahrt werden in Europa derzeit völlig ignoriert. Bemannte Raumfahrt beispielsweise. Hier herrscht die Meinung: Brauchen wir nicht. Irgendjemand wird uns schon mitfliegen lassen. Die Russen, die Amerikaner, die Chinesen und vielleicht bald auch die Inder. Ganz generell ist der Raumtransport, nicht nur für bemannte Flüge, die Schlüsseltechnologie für den Zugang zum Weltraum. Hier ist Europa denkbar schlecht aufgestellt. Nur ein Beispiel: Bis zum 15. September des Jahres 2021 – dem Redaktionsschluss dieser Ausgabe von SPACE – wurden weltweit 89 Orbitalstarts durchgeführt. Ganze drei davon aus Europa.
Für den unbeschränkten Zugang zum Weltraum benötigt Europa zu allererst preiswerte Trägerraketen, die technologisch und leistungsmäßig auf dem neuesten Stand sind. Im oberen Leistungsbereich der Trägerraketen hat Europa bereits wichtige Entscheidungen verschlafen. Die Ariane 6 als Nachfolgerin der Ariane 5 hat noch nicht einmal ihren (vielfach verschobenen) Erstflug absolviert und ist dennoch schon hoffnungslos veraltet. Sie ist technologisch ein Träger der frühen achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts, der sich unnötigerweise in die Gegenwart verirrt hat. Diese Rakete soll in einer Variante (als Ariane 62) für Europa auch den Bereich der oberen Mittelklasse abdecken. Im wichtigen Gebiet der mittleren Mittelklasse besitzt Europa überhaupt keinen eigenen Träger. Hier hat man sich in Vereinbarungen mit Russland die Sojus-Trägerrakete ins Haus geholt, den konzeptionell weltweit ältesten Träger überhaupt. Er geht zurück auf Russlands R-7 Interkontinentalrakete aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Europas Rakete der unteren Mittelklasse, die Vega, ist zu teuer, nicht zuletzt wegen ihrer sehr geringen Startfrequenz. Und sie ist nur mäßig zuverlässig, wie zwei Startversager in den letzten beiden Jahren gezeigt haben. Was schließlich den Bereich der Kleinträger betrifft, gab es in Europa bis vor einer Weile außer bunten Powerpoint-Präsentationen gar nichts. Immerhin, diese Situation ändert sich nun.