Читать книгу HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH - Eva Adam - Страница 8
Kapitel 2
ОглавлениеHells Bells
Die ersten Tage der »ambulanten« Pflege an Sepps Nachbarn Erwin gestalteten sich recht schwierig. Nachdem der Erwin den Sepp während der Arbeit alle zehn Minuten auf dem Handy angerufen hatte, weil er entweder am Verdursten war oder demnächst ganz bestimmt erfrieren würde, wenn Sepp nicht sofort die Heizung aufdrehen würde, beschloss der gutmütige Herr Müller, sich doch ein paar Tage Urlaub zu nehmen. Zu einer richtigen Arbeit, wie Wiggerl sie ihm aufgetragen hatte, kam er unter diesen Umständen sowieso nicht und der Bauhofkapo war deswegen schon wieder einmal saugrantig. Außerdem stand in drei Tagen ohnehin das große Brauchtums-Event »Wolfauslassen« an. Und weil der Sepp auch hier natürlich an vorderster Front mit dabei war, wäre er sowieso demnächst in den »Wolfauslasser-Urlaub« gegangen, so wie jedes Jahr, da konnte er jetzt also auch noch ein paar Tage »Erwin-Urlaub« vorn dranhängen.
Sepps Spontanurlaub kam Erwin sehr entgegen, denn er vergaß natürlich nicht, was ihm sein Nachbar demütig in dieser regnerischen Nacht nach Gretls Leichentrunk versprochen hatte, und pochte vehement auf Einhaltung. Eine entsprechende To-do-Liste fertigte Erwin unverzüglich an. Wie ein König thronte er in seinem vom Sanitätshaus ausgeliehenen Krankenbett im ersten Stock und kommandierte den Feuerwehrkommandanten seit gestern durch die Gegend. In Wahrheit durfte Erwin eigentlich seinen Fuß sogar schon wieder ein wenig belasten, aber das verschwieg er seinen Mitmenschen und vor allem Sepp vorerst lieber noch. Die Krücken hatte Erwin sicherheitshalber gut versteckt. Die volle Aufmerksamkeit zu genießen und zu delegieren, war immer schon Erwins Lieblingsbeschäftigung gewesen, aber er hatte das verblüffende Talent, mit seiner Art bei seinen Mitmenschen immer das zu bekommen, was er wollte, und keiner nahm es ihm wirklich übel.
Die erste Aufgabe, die Erwin für seinen Nachbarn vorgesehen hatte, war ein neuer Anstrich im Untergeschoss seines etwas »ofredigen«, also heruntergekommenen kleinen Hauses. Er selbst war nicht unbedingt der geborene Handwerker oder vielleicht hatte er auch einfach keine Lust dazu. Im Prinzip sogar verständlich, denn der alleinstehende Erwin war sowieso fast nie daheim. Seine vielen ehrenamtlichen Pöstchen, unter anderem als Gemeinderat, Kassier beim Fußballverein, Zweitem Vorstand bei den Eisschützen und Sportwart bei den Mountainbike-Freunden – um nur eine kleine Auswahl zu nennen – machten ihn zu einer Art Unterfilzbacher Multifunktionär mit vielschichtigen Repräsentationsaufgaben.
Nachdem sich die beiden Männer endlich auf einen passenden Weißton als Wandfarbe geeinigt hatten, ging Sepp ans Werk. Aber auch den treuherzigsten und geduldigsten Menschen kann ein gelangweilter pensionierter Postbote, der – angeblich – ans Bett gefesselt war, in den Wahnsinn treiben. Erwin hatte sich sogar ein Glöckchen für die bessere Kontaktaufnahme zwischen Erdgeschoss und Obergeschoss erbeten, was aber Sepp dann mit einem dezenten Fingerklopfen an die seitliche Stirn wortlos, aber vielsagend ablehnte. Er freute sich regelrecht, als ihm gegen frühen Nachmittag die Wandfarbe ausging, denn das war eine kleine willkommene Verschnaufpause von dieser penetranten »Nachbarschaftssklaverei«, wenigstens für ein paar Minuten.
»Erwin, jetzt pass einmal auf. Ich muss jetzt schnell a Farb‘ holen, weil die jetzt aus ist. In der Zwischenzeit überlegst‘ dir, ob du das hier so weitermachen willst. Weil das geht mir schon echt auf die Nerven mit deiner ständigen Anschafferei, ich bin ja nicht dein Diener. Langsam versteh ich schon, warum du keine Frau hast. Und wenn ich wieder da bin, dann reißt dich gefälligst zam, sonst kannst deine Bruchbude alleine ausweißeln«, sprach er und verschwand mit seinem alten Ford Pick-up zum örtlichen Farbenfachgeschäft, zum Malermeister Erich Schwarz oder dem Schwarz-Maler – wie er auch genannt wurde.
Erich war ein lustiger Handwerker, ein guter Spezl und ein zuverlässiger Feuerwehrkamerad. Er nahm den Sepp auch gleich gebührend in Empfang.
»Servus Müller, ich hab schon gehört, dass du beim Erwin ausweißeln musst. Das ganze Dorf hat schon Mitleid mit dir«, schmunzelte der Schwarz-Maler.
Sepp hatte die vier Eimer Farbe gerade von Schwarz in Empfang genommen und auf die Ladefläche des Pick-ups gestellt, als ein dumpfer Knall aus undefinierbarer Entfernung in seine Ohren drang. Der Malermeister schimpfte gleich drauflos.
»Das sind bestimmt wieder die depperten tschechischen Düsenjets. Wenn die wieder umeinanderfliegen wie die Sau und die Schallmauer durchbrechen, dann wird die Oma immer ganz hysterisch. Ich sag’s dir, was ich da mitmach‘ mit dem alten Weiberleut und ihrer ständigen Nervosität. Sie denkt dann immer, der Krieg ist wieder ausgebrochen.«
Daraufhin entwickelte sich ein wirklich interessantes Gespräch zwischen Erich und Sepp über ihre beiden anstrengenden Pflegefälle. Man hätte auch sagen können, sie haben gelästert, was das Zeug hielt. Die besprochenen Patienten und ihre Eigenarten waren in diesem Fall Erichs achtundneunzigjährige Oma Annamirl und natürlich Sepps nervtötender Nachbar Erwin. Sie bemitleideten sich gerade gegenseitig, als ihre Feuerwehrpiepser gleichzeitig wie wild zu fiepen anfingen.
B3 – Person in Gefahr war als Kurznachricht auf dem Textfeld zu lesen. Was so viel bedeutete wie »Explosion eines Wohnhauses« – und eben halt »Person in Gefahr«. Für den Feuerwehrkommandanten nichts Besonderes, Sepp nahm das in der Regel immer sehr professionell und behielt trotz Höchstadrenalin die Nerven. Was ihm dann aber den Boden unter den Füßen wegzog, war die Adresse der Unfallstelle, die natürlich mit übermittelt wurde. Fichtenbergerstraße 2 stand da. Erich sprang augenblicklich, ohne ein Wort zu verlieren, in Sepps Pick-up. Aber Sepp starrte immer noch ungläubig auf seinen Piepser.
»He Sepp, geh weiter jetzt. Was ist denn los?«, rief Erich schon abfahrbereit aus dem Wagen.
»Das ist beim Erwin …«, murmelte Sepp nur leise vor sich hin. Er schüttelte sich kurz, schaltete auf Feuerwehrmodus um, sprang ins Auto und rauschte wie der Teufel zum Feuerwehrhaus.
Nach und nach trafen die Kameraden ein. Hansi war total käsig im Gesicht, als er abgehetzt in den Umkleideraum kam. Völlig mitgenommen stürmte der Bauhofkollege sofort auf den Sepp zu und drückte ihn erleichtert mit feuchten Augen so sehr, dass ihm fast die Luft wegblieb.
»Gott sei Dank! Ich hab gedacht, dir ist was passiert«, schluchzte er. Hansi wusste natürlich, dass Sepp beim Weiderer im Haus als »Hausl« – eine Art Hausmeister – zugange war. Umso größer war die Freude, als er seinen besten Freund gesund und munter zu Gesicht bekam. Aber jetzt hieß es: Einsatz für die Freiwillige Feuerwehr Unterfilzbach.
Mit dem gesamten Feuerwehrfuhrpark rückten sie aus. Unter gellendem Sirenengeheul schossen der Drehleiterwagen, das Löschtruppenfahrzeug und alles, was sonst noch fahrbar war, zum Ortsrand an die Unglücksstelle in Sepps Nachbarschaft. Bei der Ankunft trauten sie ihren Augen kaum.
Das frühere Weiderer-Wohnhaus lag nur noch in Trümmern vor ihnen. Es qualmte und rauchte, Flammen loderten zwischen den alten Balken, zusammengekrachten Wänden und Bergen voller Schutt hervor. Nachdem die Männer aus ihren Autos gesprungen waren, blieben einige von ihnen ein paar Millisekunden in Schockstarre stehen, Sepp vielleicht sogar ein wenig länger. So einen Einsatz hatte es in der Geschichte der Freiwilligen Feuerwehr Unterfilzbach noch nie gegeben. Explosionen gab es schon mal ab und zu, eine Gasflasche oder eine Odelgrube zum Beispiel. Aber gleich ein ganzes Haus, das war eine Premiere.
Nicht einmal eine halbe Stunde war vergangen, da hatte das Haus noch gestanden und Sepp dem Erwin die Meinung »gegeigt«. Augenblicklich erfüllte ihn ein unglaublich schlechtes Gewissen, es fiel ihm deutlich schwer, hier den Einsatz zu leiten. Es war jedem sofort klar, dass in diesem Haus keiner überlebt haben konnte. Hansi schien Sepps Unruhe zu bemerken und versuchte seinen Freund zu trösten.
»Ähm, Sepp. Was hast denn? Ist es wegen dem Erwin? Glaubst du, den gibt’s noch? Was meinst du, hm? Also wenn, dann glaub ich, suchen wir nur noch die Leiche oder seine Einzelteile. Aber schau, das ist ja auch nicht das Schlechteste, so ein Ende. Das ging bestimmt ganz schnell, ohne große Schmerzen, das wünscht sich ja eigentlich jeder, oder? Und mei, so jung war er ja jetzt auch wieder nicht mehr …«
Leider war Hansi nicht immer der Feinfühligste und Sepps Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sein Beruhigungsversuch eher kontraproduktiv.
»Scheiße! Hansi! Der Erwin war vor einer halben Stunde noch munter wie ein Glöckerl. Und ich hab ihn auch noch geschimpft, als ich weg bin. Was ist denn passiert? Schau dir das mal an, wie‘s hier ausschaut!«, sagte Sepp ein wenig panisch und mit zitternder Stimme.
So hatte Hansi seinen Freund noch nie gesehen, er war sonst der ewig ruhende Pol, sein Fels in der Brandung mit Nerven aus Drahtseilen. Aber dieser Einsatz nahm den Müller Sepp wirklich sehr mit. »Herrschaftszeiten, wie gibt’s denn des?«, konnte er es einfach nicht glauben.
Aber jetzt war keine Zeit für Analysen. Jetzt musste erst einmal gehandelt werden. Sepp versuchte so konzentriert wie nur eben möglich seine Kommandos zu geben. Die Straße wurde abgesperrt und die Atemschutzträger und der Löschtrupp machten sich bereit. Sehr vorsichtig und mit letzter Hoffnung versuchten die Feuerwehrmänner in den Trümmern, den Erwin vielleicht doch noch zu finden.
Nach etwa zehn Minuten kam auch Oberkommissar Bernhard Dietl an die Unfallstelle, in solchen Fällen alarmierte die Rettungsleitstelle automatisch alles, was eventuell zu gebrauchen war, also auch die Polizei. Ein Sanka samt zwei Rettungssanitätern und Notarzt komplettierte schließlich die gesamte Blaulichtfraktion an Ort und Stelle.
»Oha!«, gab Dietl gleich einmal verblüfft von sich, als er das Ausmaß der Verwüstung mit weit aufgerissenen Augen inspizierte. »Servus Müller, was hamma denn da?«, begann er das offizielle Dienstgespräch mit dem Kommandanten.
»Mei, Bernhard, das ist mir echt unerklärlich. Ungefähr vor einer halben Stunde war ich noch beim Erwin im Haus. Und jetzt … Aus die Maus. Bums! Ende! Vorbei!«, kam seine Antwort immer noch ziemlich traumatisiert.
»Hamma Verletzte?«, mischte sich nun der Rettungssanitäter in das Gespräch ein, während sich ein Feuerwehrmann mit Atemschutzmaske dem Trio näherte. Er hielt Sepp ein etwas angekohltes Ohrwaschl unter die Nase. Dietl, der Sanitäter und Sepp wussten nicht gleich, was sie zu diesem Fund sagen sollten. Ein wenig irritiert starrten sie auf das ausgesprochen große, vermutlich linke herrenlose Ohr. Die Sprachlosigkeit wurde vom Geräusch des »maschinellen« Atmens durch die Sauerstoffmaske des Feuerwehrlers untermalt. Die ganze Situation erinnerte gezwungenermaßen ein wenig an Darth Vader in einem Star-Wars-Film. Der Sanitäter, der offensichtlich kein Unterfilzbacher war, äußerte sich als Erster zu dem Fundstück.
»Na, das sollten wir dann in die Gerichtsmedizin schicken, zur Identifizierung, oder?«
Dietl und Sepp sahen sich an und konnten trotz all der Tragik ein kleines Grinsen nicht unterdrücken.
»Sie haben den Weiderer Erwin wahrscheinlich nicht gekannt, gell?«, fragte Oberkommissar Dietl den Kollegen vom Rettungsdienst.
»Nein, wieso? Wer ist denn der Weiderer Erwin?«, kam die fragende Rückantwort.
»Also, der Weiderer wohnt – oder vielmehr wohnte – in diesem Haus. Alleine. Und ich kenn eigentlich keinen Menschen mit größeren und abstehenderen Ohren als den Erwin. Das ist eigentlich relativ eindeutig, dass dieses Ohrwaschl dem Erwin gehören muss – oder vielmehr gehört hat. Da brauchen wir eigentlich nix zu identifizieren«, sorgte der Polizist für Aufklärung.
»Ach so, na dann«, gab sich der Sanitäter auch gleich zufrieden. So wurde halt auf dem Land identifiziert. Was brauchte man da schon eine Gerichtsmedizin.
Nachdem die Feuerwehrtruppe unter anderem auch noch einen Teil des frisch operierten, mit verkohlten Pflastern und Verbänden versehenen Oberschenkels gefunden hatte, war dann klar, dass das einzige Opfer der pensionierte Erwin Weiderer war. Ansonsten wurden keine weiteren Personen und auch keine anderen Personenteile gefunden.
Die letzten Flammen waren gelöscht, die Unfallstelle entsprechend gesichert. Somit war die Arbeit von Sepp und seinen Männern getan.
»Also Bernhard, du wirst hoffentlich schon einen Brandgutachter schicken, oder?«, vergewisserte sich Sepp noch mal sicherheitshalber beim Kriminalbeamten. Eigentlich war das gängige Praxis, aber Sepp ging der arme Erwin nun nicht mehr aus dem Kopf und er musste unbedingt wissen, was genau passiert war, nachdem er das Haus verlassen hatte.
»Ja, eh klar. Wird aber halt ein bisserl dauern. Kennst ja die Gutachter, da pressiert gar nix. Den Bericht schickst mir dann zu, gell Sepp. Ich pack‘s dann wieder. Servus.«
Nach und nach entfernten sich alle wieder von der Unfallstelle und auch der Einsatztrupp fuhr nach getaner Arbeit zurück ins Feuerwehrhaus.
Nachdem der leidige Einsatzbericht fertig getippt war, brach bereits der Abend an. Hansi überredete seinen Freund noch auf eine Feierabendhalbe im Hause Scharnagl. Er sah ihm an, dass er sicher Redebedarf hatte, obwohl es schon sehr schwierig war, den Sepp zum Reden zu bewegen. Aber egal, Hauptsache, er war jetzt nicht allein, dachte Hansi.
Bei einer Brotzeit mit Bettinas veganen, selbst gezauberten Brotaufstrichen und Gott sei Dank auch noch Spezialitäten aus der Metzgerei Aschenbrenner fühlte sich Sepp im Schoße der Familie Scharnagl recht wohl und war froh um seinen Freund Hansi und dessen Fürsorge.
»Das ist ja schon sehr traurig mit dem Erwin. So alt wär er noch gar nicht gewesen, einundsiebzig glaub ich, oder?«, gab Bettina gleich einmal die Einleitung für die Diskussionsrunde zum Thema Explosion des Weiderer-Hauses.
Währenddessen packte sie alles auf den Tisch, was ihr Kühlschrank und die Speis – also die Vorratskammer – so hergaben. Die gesamte Familie Scharnagl war im Prinzip durchgehend hungrig und Bettina fühlte sich manchmal wie der Hase und der Igel gleichzeitig. Einkaufen und Kochen und wieder von vorn. Aber mit drei heranwachsenden Kindern, darunter einem kräftigen Jüngling, war das auch kein Wunder. Hansi senior war zwar schon ausgewachsen, zumindest in der Länge, aber trotzdem ebenfalls immer hungrig. Das Thema Nahrungsaufnahme war also ein wichtiger Bestandteil im Leben der Familie Scharnagl. Auch weil Bettina und der Rest sich da nicht immer einig waren. Bettina liebte vollwertige, gesunde Kost, gern auch vegan. Wobei Hansi, Isabelle, Hansi junior sowie das Nesthäkchen Indira hingegen eher die deftige bayerische Küche oder auch gern einmal Fast Food bevorzugten. Es war eine logische Konsequenz, dass es deshalb zu regelmäßigen Konflikten beim Thema Ernährung kam. Aber heute rückte das Essen aus gegebenem Anlass eher in den Hintergrund.
»Also ich weiß nicht, aber ich werd das blöde Gefühl nicht los, dass es gar kein Unfall war. Da muss jemand nachgeholfen haben«, sprach Sepp endlich aus, was ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf ging.
»Geh Sepp, wer sollte denn ausgerechnet dem Erwin was antun? Der war vielleicht manchmal ein rechtes G‘scheidhaferl und ein wenig nervig, aber ansonsten war der doch harmlos. Er muss ja sogar irgendwie beliebt gewesen sein, so lange wie er schon im Gemeinderat sitzt … ähm, saß. Irgendwer muss ihn da ja schließlich all die Jahre auch hineingewählt haben«, konnte Hansi dieser These überhaupt nicht beipflichten.
Ein paar Minuten schien es, als ob alle Anwesenden über diese zwei Möglichkeiten der Explosionsursache nachdachten, denn keiner sprach erst einmal ein Wort. Schweigend wurden Brote geschmiert oder im deftig würzigen Glaslfleisch – einer weiteren Spezialität des Metzgermeisters Reiner Aschenbrenner – herumgestochert.
»Na, so gut in Schuss war jetzt die alte Hütt‘n vom Weiderer auch wieder nicht. Der hatte ja sogar überall noch Aufputzleitungen, so was hab ich bisher noch nirgends sonst gesehen, da könnt schon auch ein Unglück passiert sein«, berichtete der Scharnagl-Sprössling Hansi junior. Er musste es wissen, denn er arbeitete als Elektriker bei Elektro Garhammer und kam in sehr viele Häuser.
»Ja schon, aber …« Sepp war sehr durcheinander.
Hansi wollte seinen Freund wieder einmal gut zureden. »Hm, also lass uns mal überlegen, Sepp. Es kann ja eigentlich nur die Gasleitung gewesen sein. Was sollt denn auch sonst explodieren? Und vielleicht hat er halt da nicht so drauf aufgepasst, auf die Leitungen, mein ich, dann könnte da eine undicht geworden sein. Und mei … weißt ja selber, Sepp, da reicht dann ja schon ein Funke.«
Sepp schien seine bohrenden Gedanken aber nicht so leichtfertig beiseiteschieben zu können. »Geh, so eine Gasleitung wird doch nicht einfach so undicht, auch wenn sie vielleicht nimmer die neueste war. Und wo soll dann bitte der Funke hergekommen sein? Der Erwin konnte ja nicht mal allein vom Bett aufstehen. Wie um alles in der Welt hätte er da einen Funken fabrizieren können?« Sepp redete sich direkt in Rage.
Nun schaltete sich auch Indira ein. Indira war das Nesthäkchen der Familie und stand kurz vor ihrem Fachabitur. Sie war ein blitzgescheites, sehr belesenes Mädchen. Ihren gewünschten Weg zu einer künftigen Akademikerlaufbahn hatte sie sich innerfamiliär schwer erkämpfen müssen, denn Hansi konnte sich anfangs damit so gar nicht anfreunden. Manchmal war sie Hansi direkt ein wenig unheimlich. Er war ein Handwerker durch und durch, bodenständig, praktisch und patent. Außerdem konnte er sich nicht erinnern, dass jemals ein Scharnagl studiert hätte. Wenn Indira wieder einmal mit Fremdwörtern nur so um sich warf, wurde ihrem Vater ab und zu direkt schwindlig. In seltenen Fällen fühlte er dabei sogar eine leichte Aggression in sich aufsteigen, vor allem, wenn Indira so schnell redete, dass Hansi gar nicht mehr wusste, was eigentlich das Thema gewesen war, und das konnte Johann Scharnagl absolut nicht ausstehen. Aber Indira wusste einfach sehr viel und wenn sie etwas nicht wusste, dann recherchierte sie so lange, bis sie auch über das Gesuchte fundierte Kenntnisse besaß.
»Also, jetzt wartet‘s einmal. Wie lang ist dem Erwin sein Oberschenkelhalsbruch schon her?«, wollte die Siebzehnjährige wissen.
»Na, am Tag vor Allerheiligen war‘s, also genau zehn Tage«, erinnerte sich Sepp an Erwins Unfall auf dem Friedhof.
»Aha. Soviel ich weiß, kann oder sollte man sogar das Bein ein paar Tage nach der OP wieder leicht belasten. Das wird von den Ärzten inzwischen dringend empfohlen. Diese absolute Ruhigstellung, wie man das früher gemacht hat, ist für den Heilungsprozess eher kontraproduktiv. Ich glaub schon, dass der Erwin schon ein wenig laufen konnte, zumindest mit Krücken, denn auch bei uns im Kreiskrankenhaus wird das so praktiziert, soviel ich weiß. Und im Altenheim, wo ich ja immer freiwillig Dienst schieb, da hatte die Kohlberger Rosl letztes Jahr auch schon Krücken aus dem Krankenhaus mitbekommen. Der Erwin wird es dir halt nur nicht gesagt haben, damit er bei dir die Mitleidsmasche abziehen konnte, Sepp.« Indiras direkte Art war immer wieder verblüffend.
Aber Sepp musste ihr tatsächlich zustimmen, das traute er Erwin auf jeden Fall zu.
»Ab und zu hat sich der Weiderer recht teure Zigarren bei uns im KaufGut Supermarkt gekauft. Das weiß ich genau, weil er den Marktleiter immer so genervt hat mit dieser einen bestimmten Sorte, die er bestellen sollte«, hatte Bettina gerade einen Geistesblitz. »Wer weiß, vielleicht hat er sich gedacht, er hätte sich eine gute Zigarre verdient nach all der Aufregung um seinen Oberschenkelhals. Und das kann er ja schlecht machen, wenn du dabei bist und er vor dir den armen Kranken gespielt hat. Also hat er vielleicht gewartet, bis du aus dem Haus warst.« Die Supermarktkassiererin freute sich, weil sie auch mit einer Beobachtung zur Analyse des Falles beitragen konnte.
»Jetzt mach dir nicht so viele Sorgen, Sepp, die Kripo lässt ja sowieso ein Brandgutachten machen. Da werden sie das dann schon genau herausfinden, wie alles passiert ist. Sei lieber froh, dass dir nix passiert ist, da hast echt verdammtes Glück gehabt! Ich mag gar nicht dran denken, wenn …«, war Hansi sofort wieder sehr ergriffen und den Tränen nahe.
Die Tatsache, dass ein Gutachter den ganzen Hergang aufklären würde, beruhigte Sepp tatsächlich ein wenig und so schob er Erwin und seinen tragischen Tod in seinen Gedanken vorerst einmal beiseite.
»Hast deinen Hirter-Spruch fürs Wolfauslassen eigentlich schon auswendig gelernt?«, fragte Hansi junior in Sepps Richtung und strahlte dabei über das ganze Gesicht.
»Ja freilich, Hansi, und meine Goaßl ist auch schon bereit«, kam eine ebenso erfreute Antwort vom Müller Sepp zurück.
Seit Tagen schon stimmte sich Hansi junior mit dem passenden Soundtrack zum kommenden Event ein. AC/DCs »Hells Bells« lief von morgens bis abends. Ob im Auto, auf dem Handy oder auf der Elektriker-Baustelle. Was dem großen Hansi seine Helene Fischer, war dem kleinen Hansi sein Heavy Metal und um diese Zeit besonders dieses »Dong … Dong … Dong …« – diesen Glockenschlag zu Beginn des Lieds kennt wohl jeder. Wenn man es so recht überlegte, passte das Lied sehr gut zum bevorstehenden Ereignis. Morgen war es endlich so weit. Es wurde ohrenbetäubend! Es wurde laut! Es wurde animalisch! Das zweitägige Brauchtumsspektakel stand vor der Tür: das Wolfauslassen!
Die Aufregung der Unterfilzbacher Männerwelt stieg von Tag zu Tag. Etwas Magisches passierte da jedes Jahr um diese Zeit mit den Herren aus der Gegend, man konnte das Testosteron im ganzen Ort förmlich riechen. Ab dem Grundschulalter bis zu den Rentnern – sofern man dann noch eine Wolfauslasser-Glocke tragen konnte – waren sie alle dabei. Dieser Brauch schien eine exklusive Sache der Waidler im mittleren Bayerischen Wald und vor allem der Unterfilzbacher zu sein. Eventuell konnte dieses Hochgefühl, das die Männerwelt dabei erfüllte, aber auch mit der großzügig konsumierten Menge an Alkohol zu tun haben.
Das Wolfauslassen musste man sich als Nichteinheimischer in etwa so vorstellen: Junge Burschen und Männer zogen in Gruppen, die man »Wolf« nannte, mit umgehängten Glocken durch die Straßen und machten einen Höllenlärm. Dazu gesellten sich noch jeweils Männer, die die Peitsche – hier auch »Goaßl« genannt – zum Knallen brachten. Das war eine Kunst für sich und so manch einer trug schon heftige Verletzungen davon, weil es mordstrumm große Peitschen sind.
Es musste wohl schon ein paar Hundert Jahre her sein, als damals höchstwahrscheinlich der Grundstein für dieses ganze Tamtam gelegt worden war. Vermutlich durch einen recht zornigen Kuhhirten, der sich mit seinem Bauern in die Haare bekommen haben musste. Den Erzählungen nach kamen die Hirten zu dieser Jahreszeit zurück von den Schachten – den höher gelegenen Sommerweiden – ins Tal. Dort oben hatten sie den Sommer über auf die Rindviecher der Bauern aufgepasst und wollten nach getaner Arbeit logischerweise Bares von ihrem Chef für ihre Dienstleitung sehen. Das musste wohl damals zu einer Meinungsverschiedenheit geführt haben, denn dieser bestimmte Hirte schnappte sich dann die Knechte und die Mägde vom Hof und hängte ihnen einfach Kuhglocken um den Hals. Mit diesem Aufzug zogen sie dann allesamt laut scheppernd durch das Dorf – das war vermutlich der erste Arbeiterprotestmarsch in Bayern. Und Zack, war ein Brauch geboren.
Deshalb machten sie es heute immer noch so, auch wenn quasi keiner – mit Ausnahme vom Huberbauern – wirklich Vieh auf den Schachten weiden ließ, geschweige denn überhaupt näheren Kontakt zu einer Kuh hatte. Aber die Unterfilzbacher taten halt dann einfach so, als ob …
Es gab sogar noch eine zweite Version über die Wolfauslasser-Entstehungsgeschichte. Manche Historiker meinten auch, dieses ohrenbetäubende Glockengeläute wurde veranstaltet, um die Wölfe von den Weideviechern fernzuhalten, wenn die Nächte kürzer wurden. Aber so ganz genau wusste das auch keiner. Im Prinzip war die Historie den Teilnehmern samt Zuschauern auch absolut wurscht, es gab diesen Brauch und das war alles was zählte.
Die Glocken waren mittlerweile außerdem um ein Vielfaches größer als die herkömmlichen Kuhglocken geworden. Heutzutage wurden diese mordstrumm Teile extra gebaut und waren nicht selten bis zu siebzig Zentimeter hoch und dreißig Kilogramm schwer. Jedes normale Rindvieh wäre vermutlich früher oder später darunter zusammengebrochen oder hätte zumindest einen Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule erlitten, so wie der Scharnagl Hansi vor zwei Jahren. Aber so waren die Männer halt: Wer hat den Größten … ähm, die größte Glocke?
Und so war es halt auch in Unterfilzbach. Eh klar, dass Hansi junior und Sepp da mit dabei waren. Hansi senior hatte eben aus besagten gesundheitlichen Gründen seine Wolfauslasser-Karriere momentan auf Eis gelegt. Er war nun zum begleitenden Fußvolk gewechselt.
Am ersten Tag zogen die jeweiligen Gruppen, also die »Wölfe«, noch für sich allein von Haus zu Haus und feierten quasi in »geschlossener Gesellschaft«. Aber am 11. November endete der Brauch im finalen Höhepunkt – dem großen »Zusammenläuten« am Dorfplatz. Dann trafen sich alle »Wölfe« und der Rest des Dorfes, teilweise mit Ohropax ausgestattet, und sahen beziehungsweise hörten sich das lautstarke Spektakel an.
Es schieden sich dabei die Geister, wer die wirklich coolen Akteure waren. Entweder die, die im »Wolf« mitläuteten und sich aufgrund des Glockengewichts nicht anders als ein Ork – wie man ihn aus »Herr der Ringe« kannte – fortbewegen konnten, oder die, die mit der »Goaßl« knallten. Sepp war ein ausgezeichneter Goaßlschnalzer und außerdem noch »Hirte«, was dem Chef eines »Wolfs« gleichkam – er war also obercool.
Zu seinem »Hirter«-Chefposten war er eigentlich auch eher durch Zufall gekommen. Die ganzen jungen Feuerwehrburschen himmelten Sepp regelrecht an und da es dem Wolfauslasser-Nachwuchs vor einiger Zeit ein wenig an Motivation mangelte, hatte sich der Sepp von ein paar Dorfhonoratioren wieder einmal breitschlagen lassen und den Kronschnabl Fritz in dieser Funktion abgelöst. Schon wieder ein Grund für die Männerfeindschaft! Die jungen Burschen folgten Sepp daraufhin wie dem Rattenfänger von Hameln und der Kronschnabl schimpfte und lästerte wieder einmal über den neuen »Hirten«, was das Zeug hielt. Eine neue Schmach für den Fritz.
Es war bereits halb zehn Uhr abends und der Dorfplatz war schon übervoll, als Sepp mit seinem »Wolf« voller Stolz und laut scheppernd in die »Event-Arena« in der Dorfmitte einzog. Bei diesem Anblick wurde es Hansi dann doch ein wenig schwer ums Herz, denn er war halt einfach traditionsverbunden durch und durch. Aber die Erinnerung an seine Bandscheiben-Reha und das dazugehörige Intensiv-Sportprogramm dämpfte seine Wolfauslasser-Wehmut gleich wieder. Ein Fitnessstudio oder eine Nordic-Walking-Gruppe würde ihn so schnell nicht mehr sehen. Und so beobachtete Hansi lieber das ganze Szenario aus den Zuschauerreihen.
Abwechselnd schwangen die Goaßlschnalzer ihre Goaßln und es war eine wahre Freude, Sepp dabei zuzusehen, wie gekonnt er es rhythmisch knallen ließ. Manche Burschen läuteten sich bei minus drei Grad Celsius mit nacktem, verschwitztem Oberkörper regelrecht in Trance. Der Alkohol floss in Strömen und außer Bier wurde zusätzlich der ein oder andere Selbstgebrannte durch die Reihen gereicht. Man konnte dem Hochprozentigen fast nicht entkommen und die Jugend machte dabei meist ihre ersten Erfahrungen in diesem Bereich. Da tranken alle automatisch mit. Das Jugendamt hätte bei diesem Anblick wahrscheinlich rebelliert, aber Brauchtum war halt Brauchtum – vor allem in Bayern. Nur Sepp konnte sich meistens gegen die alkoholischen Anpreisungen wehren, er erfüllte seine Aufgabe auch bei diesem Anlass wie immer verantwortungsbewusst und wollte einen klaren Kopf bewahren.
»Schee ist wieder, gell, Hansi?«, freute er sich, als er Hansi im Gemenge traf. »Geh halt wieder mit! Schau, wie viel junge Leut voller Ehrgeiz dabei sind bei unserem alten Brauch. Wenn sie nur nicht alle so viel saufen würden. Das gefällt mir gar nicht.«
»Ja, Sepp, schon, aber mein Kreuz. Weißt ja eh … und mei, bei den jungen Burschen kannst halt nix machen. So ist es halt, so war‘s immer schon. Wir waren auch nicht anders.«
Gegen Mitternacht verstummten dann die Glocken nach und nach und die Brauchtumsversammlung löste sich langsam auf. Ein paar Grüppchen standen noch vereinzelt zusammen und ratschten. Bettinas Freundin Maria gesellte sich zu den Scharnagls.
»Servus, ihr zwei«, trällerte die Metzgereibesitzerin ihren Freunden gut gelaunt entgegen.
»Ja, Maria, servus. Bist du jetzt doch noch gekommen?«, war Bettina ein wenig erstaunt.
Bettina hatte Maria am Nachmittag angerufen und wollte sich mit ihr am Dorfplatz verabreden. Aber so wie es aussah, war Maria wohl fest entschlossen, Sepp aus dem Weg zu gehen. Sie hatte es anscheinend schon aufgegeben, mit dem komplizierten Sepp eine engere Verbindung einzugehen. So war der Stand zumindest heute Nachmittag am Telefon.
»Ich hab‘s daheim jetzt nicht mehr ausgehalten, vielleicht versuch ich doch noch mal mit dem Sepp zu reden. Oder was meint ihr?«
Die Verunsicherung, aber auch die Hoffnung war ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Gut sah sie aus, dachte sich Bettina beim Anblick ihrer Freundin. Sie würde einfach so gut zum Sepp passen, überlegte sie weiter. Frau Scharnagl erinnerte sich noch sehr genau, wie es zum momentanen Kontaktabbruch zwischen ihrer Freundin und Sepp gekommen war. Vor etwa fünf Monaten hatte die Feuerwehr wieder einmal einen schweren Einsatz gehabt, inklusive Leichenfund. Die Leiche damals war Roman Groß – Gott hab ihn selig – und der wurde vom Mörder Xaverl Berger zerstückelt im Holzofen seiner Oma, der alten Bergerbäuerin, verbrannt. Genau an diesem Tag beschloss Maria, Klartext in Sachen Gefühle zu reden. Endlich sollte es ein aufrichtiges Gespräch über den Beziehungsstatus der beiden geben. Sie überwand sich und besuchte Sepp an genau diesem Sommertag nach dem Leichenfund. Selbstredend hatte sie ein Potpourri an Metzgereispezialitäten zusammengepackt und ebenso auch ein frisches Brot von der Bergerbäuerin.
Dass der Feuerwehrkommandant just an diesem Tag eine traumatische Erfahrung mit dem Holzbackofen, aus dem eben dieses Brot stammte, gemacht hatte, wusste Maria natürlich nicht. Sepp wollte damals eigentlich nur mitteilen, dass er in genau diesem Moment kein Brot vom Bergerhof essen wollte, und Maria verstand aus dieser Aussage, dass er nicht mit ihr reden wollte. Und so kam es, dass wieder einmal ein großes kommunikatives Missverständnis zwischen den beiden entstanden war, das nun seit fast fünf Monaten nicht aufgeklärt worden war. Es war schon auch wirklich ein Kreuz mit den Weibern. Und den Männern. Tragisch! So oder so ähnlich sind wohl schon sehr viele Beziehungskrisen entstanden. Aber heute war Maria bereit, noch mal einen Schritt auf Sepp zuzugehen. Sie hatte sich extra schick gemacht.
Das Trio, bestehend aus Maria, Bettina und Hansi, stand am Dorfplatz, ratschte und lachte mit ein paar Bekannten. Die Stimmung war gut. Maria hatte immer einen suchenden Blick nach ihrem Sepp in die Menge gerichtet, aber bisher hatte sie ihn nicht entdecken können. Er wird doch nicht schon heimgegangen sein? – dachte sie nervös. Irgendwann entdeckte sie ihn bei einer Gruppe junger Burschen, darunter auch Hansi junior. Anscheinend hatten sie eine Mordsgaudi, dem Gelächter nach zu urteilen. Aber etwas war komisch: Sepp sah total betrunken aus.
»Schau mal, Hansi, da drüben steht er. Der hat ja einen Vollrausch!«, war Maria entsetzt.
»Oha, ja, das schaut so aus. Vor einer halben Stunde war er noch stocknüchtern. Da muss er aber einiges sehr schnell in sich hineingeschüttet haben.« Hansi war erstaunt über das neue Trinkverhalten seines Freundes.
Die Scharnagls beschlossen nun trotzdem, sich auf den Heimweg zu machen, aber vorher wollten sie noch kurz beim Sepp und seinem jungen Gefolge nach dem Rechten sehen.
»He Sepp, heut lässt du‘s aber gescheit krachen«, sprach Hansi ihn an.
Aber Sepp konnte kaum noch antworten. Er war wirklich sternhagelvoll. Angelehnt an eine Hausmauer stand er da und versuchte sich mit Anstrengung auf den Beinen zu halten.
»Sollen wir dich nach Hause bringen?«, versuchte nun auch Maria ein Gespräch aufzunehmen.
Aber die Nachwuchs-Wolfauslasser um Sepp herum schnappten sich ihren »Hirten« und zogen ihn mit sich in Richtung Dorfwirtshaus, untermalt von einer mitgeführten Handy-Lautsprecherbox, aus der »Hells Bells« dröhnte.
»Wir bringen ihn dann schon heim. Heut gehört er uns«, triumphierten sie und zogen lautstark grölend davon.
»Na, da haben sie ihm aber einen sauberen Rausch angehängt«, schmunzelte Hansi, als er mit seinen zwei Begleiterinnen den Dorfplatz verließ.
Maria war enttäuscht, dass schon wieder einmal ein Annäherungsversuch komplett in die Hose gegangen war. Es war aber auch zum Verzweifeln mit den Männern und erst recht mit dem Sepp, dachte sie sich und fühlte, wie der Ärger, aber auch die nach wie vor ungestillte Sehnsucht in ihr hochstieg.
Als Maria in ihrem Bett lag, überwog dann schon wieder die Wut und sie schwor sich, nie wieder auch nur ein Wort mit Sepp zu reden.