Читать книгу Ein Playboy für Valentina - Eva Bolsani - Страница 3

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KATZENJAMMER

Zufrieden legte Ludwig Obermaier das Besteck beiseite und leerte mit einem langen Schluck seinen Maßkrug. Es ging doch nichts über einen Schweinsbraten und einen ordentlichen Schluck Bier zum Mittagessen! Aber heute würde er ausnahmsweise auf den Obstler verzichten, schließlich warteten zwei wunderschöne Frauen auf ihn, da wollte er natürlich einen guten Eindruck machen.

Schwerfällig erhob er sich, verließ das ›Wirtshaus zum Fürstenhof‹ und steuerte zielsicher einen Faltpavillon an, der mitten im Biergarten stand. Klar, die Madln konnten sich ja schlecht im Freien umziehen! Obermaier schlug die Plane am Eingang zurück und betrachtete wohlwollend die beiden feschen jungen Frauen im Dirndl. Ein Blick genügte, und seine Favoritin stand fest.

»Du bist die Valentina, gell?«, wandte er sich gleich an sie und schüttelte ihr kräftig die Hand. »Du kannst Wiggerl zu mir sag’n!«

Mühelos zauberte Valentina ein professionelles Lächeln auf ihr Gesicht, auch wenn der kleine Mann mit zu viel Bauch und zu wenig Haaren überhaupt nicht wie ein ›Wiggerl‹ aussah. Doch sie nickte, erwiderte den Händedruck und ignorierte dabei die Gefahr, dass sein gewaltiger Umfang jeden Moment seine Trachtenweste sprengen könnte.

»Ich glaub, des wird a Supersach!«, fuhr Wiggerl ungebremst begeistert fort, »der Oskar und du, ihr lockts die Besucher in Scharen in meinen Biergarten!«

Nach Valentinas Erfahrungen hatten die Münchner Biergärten eher mit zu vielen Besuchern zu kämpfen, aber wenn Ludwig Obermaier meinte, dass für seine Neueröffnung eine umfangreiche Werbekampagne notwendig war, sollte es ihr recht sein. Der Job wurde gut bezahlt und sie war lange genug im Modelbusiness unterwegs, um den Sinn ihrer Aufträge nicht in Frage zu stellen.

»Steve!«, Wiggerl schlug die Plane vor dem Eingang zurück und brüllte nach draußen. »Komm mal her! Ich find, die Valentina tät super zum Oskar passen, was meinst’n du?«

Valentina schenkte Gina, dem anderen Model, das ihre Agentur für diesen Job vorgeschlagen hatte, ein entschuldigendes Achselzucken. ›Das nächste Mal hast du mehr Glück‹, formten ihre Lippen. Sonst hatte Gina, deren Spitzname in der Branche ›Münchens Monroe‹ lautete, meistens die Nase vorn. Aber der Obermaier – Wiggerl – zog offenbar die Brünette einer rassigen Blondine vor.

Jetzt drängte sich auch noch der Fotograf Steve in den improvisierten Backstage-Bereich hinein und musterte Valentina abschätzig.

»Ich brauche mehr Titten und mehr Arsch, so sieht das Dirndl scheiße aus«, knurrte er unwillig.

Noch mehr?! Valentina hielt ihre Oberweite eigentlich für recht ansprechend. Der Stylist bedachte Steve lediglich mit dem gleichen ungnädigen Nicken, mit dem er schon auf Valentinas Sammelsurium an Naturkosmetik reagiert hatte und zauberte ein paar Silikoneinlagen hervor. Seufzend machte Valentina sich daran, diese in ihren BH zu stopfen. Das war ja mal wieder typisch! Dieser Oskar musste sich bestimmt nicht anhören, dass sein Hintern und seine Brust zu mickrig für Lederhose und Trachtenhemd waren!

Ungeachtet der Tatsache, dass Valentina und der Stylist sich nun eifrig bemühten, ihre Figur an die Wünsche des Fotografen anzupassen, blieb Ludwig Obermaier mitten im Pavillon stehen und fuhr fort, von der ›bärigen Energie‹ zu schwärmen, die gleich zwischen dem Model und Oskar entstehen würde. Valentina ignorierte ihn so gut wie möglich. Dass wildfremde Männer sie in recht intimen Momenten beobachteten, war in dem Geschäft ja normal. Allerdings begann sie, sich zusehends für diesen Oskar zu interessieren. Laut Wiggerl musste das ja ein wahrer Wunderknabe sein. Komisch, dass sie noch nie zusammengearbeitet hatten. Sie wagte kaum zu hoffen, dass der Kerl weder schwul noch vergeben sein könnte. Aber vielleicht war ja heute ihr Glückstag und sie lernte gleich noch einen interessanten Mann kennen?

»Hmpf«, gab der Stylist von sich, was wohl bedeutete, dass er mit dem Ergebnis zufrieden war.

Valentina warf einen Blick in den Spiegel und musste ihm insgeheim recht geben. Sie füllte das Dirndl nun recht ansprechend aus, ihr braunes Haar wand sich in einem kunstvollen Flechtkranz um den Kopf und einzelne Strähnen umspielten ihr Gesicht, dessen Teint geradezu strahlte – zum Glück hatte sie ihre mitgebrachten Kosmetikprodukte ver-wenden dürfen.

»Wo ist denn jetzt der Oskar?«, hauchte sie.

Wenn ihr Shootingpartner sich nicht für sie interessierte, dann lag es aber ganz sicher nicht an ihrem Aussehen!

»Äh, ja, der Oskar …«, stammelte Wiggerl und riss seinen Blick von ihr los. »Oskar!«

Sie grinste, rückte ihre Silikoneinlagen noch einmal zurecht und erwischte sich bei dem Gedanken, ob Oskar wohl enttäuscht wäre, sollte er irgendwann einmal feststellen, dass sie nicht ganz so gut ausgestattet war, wie man nun vermuten konnte. Aber vielleicht waren bei ihm ja ganz andere Stellen ausgepolstert worden …

»Das ist der Oskar!«, unterbrach Wiggerl sie.

Valentina drehte sich beschwingt um, um dann mitten in der Bewegung zu erstarren, und den Neuankömmling mit offenem Mund anzusehen.

***

Eine leichte, salzige Brise wehte über die Bucht von Valparaíso auf das Festland und sorgte für ein wenig Ab-kühlung auf der Hotelterrasse. Doch der schmächtige Südamerikaner, der schon den ganzen Abend mit hängenden Schultern an einem der Tische saß, schien sich deswegen kein bisschen wohler zu fühlen.

»Es wäre besser, wenn ›Die schwarze Maria‹ für immer verschollen geblieben wäre«, raunte er jetzt düster. »Das Unheil klebt wie Pech an diesem Bild. Dereinst wurde der Maler um seinen Lohn betrogen, seitdem stürzt das Gemälde jeden ins Verderben, der auch nur wagt, es zu berühren! Nur wer wahrhaft reinen Herzens ist, bleibt verschont!«

Dabei sah er so blass und ungesund aus, dass man durchaus den Eindruck gewinnen konnte, das Verderben hätte ihn bereits ereilt, doch sein Gegenüber, ein stattlicher Europäer, schnaubte nur verächtlich durch die Nase.

Von dem Unfug, den er sich schon den ganzen Abend anhören musste, hatte er jetzt wahrlich genug. Dabei hatte Maximilian seinen Kompagnon Adriano immer für einen sehr vernünftigen Menschen gehalten. Ein Irrtum, wie es schien.

»Mich interessiert der Preis um einiges mehr als irgendwelche dubiosen Prophezeiungen«, erklärte er knapp und nahm noch einen großen Schluck seines eisgekühlten Gran Piscos. »Außerdem – wir sind die Guten! Schließlich bringen wir das Gemälde seiner rechtmäßigen Besitzerin zurück.«

»Nicht aus Menschenliebe, sondern weil wir einen fetten Gewinn einstreichen. Das wird schlimm ausgehen«, unkte Adriano trübsinnig.

Maximilian seufzte und ließ seinen Blick bis hinaus auf den Pazifischen Ozean schweifen. Was wollte Adriano eigentlich? Ja, sie würden einen fetten Gewinn einstreichen, aber darauf war ein Maximilian Wolff doch nicht angewiesen. Was ihn reizte war, das Rätsel zu lüften, das verschollene Kunstwerke automatisch umgab. Den Nervenkitzel zu spüren, der sich immer dann einstellte, wenn er mit Adriano in exotischen Ländern Jagd auf teilweise recht zwielichtige Gesellen machte; sein Verhandlungsgeschick auf die Probe zu stellen, wenn diese sich dann auch für einen Batzen Geld nicht von ihrem meist unehrlich erworbenem Besitz trennen wollten.

So war es diesmal auch gewesen, wochenlang hatten er und Adriano die Spur von Frederico Caballero – ehemals Friedrich Ritter – verfolgt, nur um dann festzustellen, dass dieser längst verstorben war. Schon vor Jahren hatte Ritter das Gemälde verscherbelt, wie sein Sohn schließlich eingeräumt hatte, nachdem einige Scheine den Besitzer gewechselt hatten. Doch das unschlagbare Team Adriano Ruiz und Maximilian Wolff wollte sich natürlich nicht so leicht geschlagen geben. Mit Erfolg! Die Besitzer des Bildes lebten hier, in Valparaíso. Aber seit Adriano mit ihnen gesprochen hatte, hatte er sich von einem effizienten Kunstdetektiv in einen Jammerlappen verwandelt, der tatsächlich an Flüche und Weissagungen zu glauben schien. Kam da das indianische Erbe bei seinem Freund durch? Sah ganz so aus, jedenfalls rutschte der hagere Mann schon wieder unruhig auf seinem Stuhl herum, seinen Pisco Sour hatte er ebenso wenig angerührt wie die hervorragenden Tapas.

Dem Friedrich Ritter hatte das Bild allerdings tatsächlich kein Glück gebracht. Das geschah ihm aber auch ganz recht, fand Maximilian.

»Die Salazars … willst du wirklich nur so wenig für das Bild bieten?«, versuchte Adriano das Gespräch nun zum wiederholten Mal auf die derzeitigen Eigentümer des Gemäldes zu lenken, doch Maximilian winkte ab.

»Die haben dem Ritter das Bild vor Jahren für ’nen Appel und ’nen Ei abgeluchst und glauben jetzt wahrscheinlich, sie könnten den großen Reibach machen. Aber die sollten froh sein, dass ich überhaupt bereit bin, für das Bild etwas zu bezahlen«, knurrte er unwillig. »Das mache ich auch nur, weil unsere Auftraggeberin keine Zeit für ein kompliziertes Verfahren zur Rückführung des Kunstwerkes hat.«

Der Gedanke, dass die nette alte Dame sterben könnte, bevor sie das Bild wieder in den Händen hielt, verfolgte ihn schon seit Wochen. Maximilian griff nach der Pisco-Flasche, schenkte sich großzügig nach und leerte den Inhalt seines Glases in einem Zug. Laut Adriano brauchten die Salazars dringend Geld, ein Umstand, der ihm sehr gelegen kam. Auf keinen Fall würde er den horrenden Preis bezahlen, den seine Auftraggeberin bereit war auszugeben, wenn sie dafür das Gemälde zurückbekam. Oh nein, sein Angebot würde sehr viel geringer ausfallen! Wer Raubkunst von einem ehemaligen Nazibonzen erwarb, konnte nicht mit seiner Großzügigkeit rechnen.

Dass Adriano plötzlich auch noch Skrupel entwickelte, verdarb ihm allerdings ziemlich die Laune. Aber gut, er konnte das am nächsten Morgen auch allein durchziehen. Maximilian hatte genug Material gesammelt, um die Ansprüche seiner Auftraggeberin zu beweisen. Die Salazars damit unter Druck zu setzen, sollte nicht allzu schwierig werden. Am Ende würden sie schon kleinbeigeben. Ein besseres Angebot würden sie sowieso nicht bekommen, von niemandem.

»Vielleicht wussten sie nicht …«

»Klar, niemand hat jemals irgendwas gewusst«, herrschte Maximilian seinen Freund ungehalten an. »Außerdem solltest du dich mal entscheiden, was du eigentlich willst: Soll ich jetzt lieber die Finger von dem Bild lassen, weil es angeblich verflucht ist, oder soll ich den Salazars das ganze Geld in den Rachen stopfen, hm?«

Er mochte Adriano, und sie waren ein gutes Team. Aber heute Abend ging ihm sein Freund gehörig auf den Wecker. Vielleicht war es besser, wenn er sich nach angenehmerer Gesellschaft umsah? Maximilians Blick fiel auf eine hübsche Kellnerin, die sich gerade am Nebentisch weit vornüberbeugte und ihm dabei einen netten Einblick in ihr Dekolleté gewährte. Es war spät geworden, und die Terrasse leerte sich zusehends. Sicher hatte sie bald Feierabend. Er zauberte sich sein charmantestes Lächeln ins Gesicht und erntete ein freches Zwinkern.

Siegessicher blinzelte er zurück. Als großer, blonder Deutscher fiel Maximilian in Südamerika fast überall auf und besonders die Damen schenkten ihm gerne ihre Aufmerksamkeit. Konnte natürlich auch sein, dass sich die Kellnerin mehr für seine dicke Brieftasche als für seinen durchaus ansehnlichen Körper interessierte. Aber eigentlich war ihm das heute egal – denn in jedem Fall würde es mehr Spaß machen, sie zu verführen, als sich weiter mit dem unleidlichen Adriano abzugeben. Ein letztes Mal leerte er sein Glas.

»Du entschuldigst mich«, sagte er knapp zu seinem Freund, der ergeben seufzte, stand auf und folgte der schönen Frau an die Bar.

***

»Aber … das ist ein Hund!«, stammelte Valentina fassungslos.

Ein sehr kleiner Hund. Aber eindeutig ein Hund! Den Oskar hatte sie sich wirklich ganz anders vorgestellt. Ob das Vieh eine Freundin hatte, war ihr ebenfalls total egal.

Reflexartig wich sie einen Schritt zurück.

»Mogst du keine Hund? Geh weida, der is doch ganz kloa! Jetzt nimmst erst mal an Schluck Prosecco, dann schaut des glei ganz anders aus«, versuchte Wiggerl sie zu besänftigen.

Mit zitternden Händen griff Valentina nach dem Glas. Sie hatte eigentlich nichts gegen Hunde – solange sie diese von Weitem sah. Aber so ein Hund war nun mal dreckig und voll mit den übelsten Bakterien! Es würde doch nicht etwa erwartet werden, dass sie dieses Tier anfasste?! Valentina stürzte den Prosecco in einem Zug hinunter.

»Super, jetzt nimmst des Zamperl auf’n Arm und dann geht’s los«, schlug Wiggerl vor.

Valentina schauderte. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie Gina sich hinhockte und den kleinen Kerl zu sich lockte.

»Der ist doch total süß!«, murmelte sie dabei.

Der winzige Hund rannte zu Gina und schleckte ihr die Hand ab. Valentina schüttelte sich. Wusste Gina denn nicht, wo Hunde ihre Nase überall hineinsteckten?! Igitt! Sie wich noch weiter zurück, bis sie mit dem Rücken an die Wand des Faltpavillons stieß.

»Ja mei …«, sagte Ludwig Obermaier ein wenig hilflos, während Gina den kleinen Oskar ausgiebig kraulte. Das blonde Model sah zu Valentina und formte lautlos die Worte ›Das nächste Mal hast du mehr Glück‹.

Valentina griff nach der Proseccoflasche. Der Job war ihr im Moment egal – Hauptsache, sie kam von diesem Viech weg!

***

Der nächste Tag brach in Valparaíso mit einem strahlend blauen, wolkenlosen Himmel an. Ein warmer Wind blähte die zarten Vorhänge vor einem weit geöffneten Hotelfenster und strich sanft über die nackte Haut eines schlummernden Mannes in einem zerwühlten Bett.

Nur langsam kam Maximilian zu sich. Sein Kopf dröhnte und seine Glieder schmerzten. Was war hier los? Vorsichtig öffnete er ein Auge. Doch was er sah, half ihm nicht im Geringsten weiter, ganz im Gegenteil.

Er schloss das Auge wieder und versuchte, sich darüber klar zu werden, in welcher Stadt er sich befand. Wer die nackte, leise schnarchende Frau neben ihm im Bett sein könnte und wie sie dort hingekommen war, wusste er ebenso wenig – aber das konnte warten, bis er die drängendsten Fragen geklärt hatte.

Am liebsten würde er sich einfach eines der dünnen, zerknautschten Laken über den Kopf ziehen in der Hoffnung, dass die Welt in ein oder zwei Stunden ganz anders aussähe. Wenigstens lieferte die angefangene Pisco-Flasche auf seinem Nachttisch einen Anhaltspunkt dafür, weshalb er sich in diesem bedauernswerten Zustand befand.

Schön langsam kehrte auch ein Teil der Erinnerung zurück. Er war mit der Kellnerin – wie hieß sie gleich nochmal? – im Bett gelandet, nachdem Adriano so gar nicht in Feierlaune gewesen war. Obwohl ihnen das Bild so gut wie sicher war.

Das Bild!

Verdammte Scheiße! Maximilian setzte sich ruckartig auf. Was allerdings keine gute Idee war. Der Boden schwankte verdächtig und der Inhalt seines Magens drängte nach oben. Ächzend stütze er den Kopf in seine Hände und versuchte, gegen den Schwindel anzukämpfen. Was hatte er sich bloß dabei gedacht, so viel zu saufen? Für den Termin bei den Salazars sollte er eigentlich alle Sinne beisammenhaben!

Er lachte bitter auf, als ihm Adrianos Geschwafel von einem Fluch wieder einfiel. Wenn sein Freund recht hatte und das Gemälde die Macht besaß, ihm schon im Voraus einen solchen Brummschädel zu bescheren, dann würden die Salazars ihn womöglich bezahlen, nur um es loszuwerden.

Nun, das würde er nie erfahren, wenn er sich nicht endlich aus dem Bett quälte. Stöhnend stand er auf und schwankte ins Badezimmer.

Eine Stunde und drei starke Kaffee später lenkte Maximilian seinen Leihwagen in eine staubige Seitenstraße in einem Randbezirk von Valparaíso.

»Sie haben ihr Ziel erreicht!«, behauptete das Navi.

Er hatte mit einem mondänen Domizil einer neureichen Familie gerechnet. Stattdessen parkte er nun vor einem urigen Holzhaus mit blauen Schindeln, deren Farbe an einigen Stellen bereits abblätterte. Das Dach sollte dringend neu gedeckt werden, und der Schaukelstuhl auf der Veranda hatte auch schon bessere Zeiten gesehen. Dennoch strahlte das alte Haus eine gewisse Behaglichkeit aus, und er bekam direkt Lust, es sich in dem alten Stuhl gemütlich zu machen – was natürlich nicht in Frage kam, denn deswegen war er nicht hergekommen.

Langsam stieg er aus, und die Hitze traf ihn nach dem klimatisierten Wageninneren wie ein Schlag. Deshalb glaubte er auch einen Moment an eine Halluzination, als sich knarzend die hölzerne Eingangstür öffnete und eine alte Frau im Türrahmen erschien, die jederzeit als Großmutter eines Märchenbuchs durchgehen würde.

Sie entsprach so wenig dem Klientel, dass sich normalerweise mit Kunstwerken zweifelhafter Herkunft umgab, dass er spontan überzeugt war, dass Adriano sich in der Adresse geirrt haben musste. Sowas war ja noch nie vorgekommen!

»Herr Wolff? Sie schickt der Himmel!«, sagte die Großmutter.

Okay, Adriano hatte sich also nicht geirrt. Allerdings beschlich Maximilian das komische Gefühl, dass das hier so gar nicht so laufen würde, wie er sich das vorgestellt hatte. Zögernd ging er auf die alte Frau zu, die über das ganze Gesicht strahlte.

Hätte Adriano ihn nicht vorwarnen können?!

***

Stöhnend stützte Valentina ihren Kopf in ihre Hände. Sie mochte doch gar keinen Prosecco! Aber nach dem Mordsschreck, den der Obermaier ihr mit diesem Vieh eingejagt hatte, war ihr die Flasche gerade recht gekommen.

Schön blöd.

Allerdings war der Kater nicht das einzige, was ihr Kopfschmerzen bereitete. Nachdem sie sich mühsam aus dem Bett gequält und einen Kaffee gekocht hatte, hatte sie hoffnungsvoll ihre Mails nach einem neuen Auftrag durchforstet.

Nichts.

Aber nicht nur das. Nachdem sie ihre Kontoauszüge aufgerufen hatte, konnte sie es nicht länger ignorieren, dass sie in letzter Zeit kaum lukrative Jobs abbekommen hatte. Da wäre ihr die Kampagne mit dem Biergarten gerade recht gekommen.

Zwar war ihr Rücklagenkonto immer noch gut gefüllt, aber so konnte es ja trotzdem nicht bis in alles Ewigkeit weitergehen. War sie mit 24 vielleicht schon zu alt für die richtig gut bezahlten Aufträge? Valentina seufzte. Model war ihr Traumberuf, noch hatte sie keine Lust, sich nach etwas anderem umzusehen.

»Bin wieder da!« Valentinas Mitbewohnerin Wanda polterte nach ihrer Joggingrunde lautstark in die gemeinsame Wohnung.

»Wo ist Freddy? Ich habe einen Bärenhunger«, dröhnte Wanda und rumorte im Flur herum.

»Keine Ahnung, wo die steckt.«

Valentina klappte ihren Laptop zu. Sie hatte die dritte im Bunde, Frederika, genannt Freddy, heute noch gar nicht gesehen.

»Mist!«, tönte es, dann platzte Wanda auch schon wie eine Urgewalt in die Küche, riss einen Tetrapack Milch aus dem Kühlschrank und trank direkt aus der Packung.

Wanda trieb nicht nur begeistert Sport, sie arbeitete auch noch in einem Fitnessstudio und hatte so im Gegensatz zu Valentina einen schier unendlichen Kalorienbedarf. Sehr zur Freude ihrer Freundin Freddy, die eine begnadete Hobbyköchin war.

»Was ist denn mit dir, du sitzt ja da wie ein Trauerkloß?«

Valentina seufzte. Sie hatte nicht die geringste Lust, sich von Wanda dafür auslachen zu lassen, weil sie vor dem winzigen Hund – ein Chihuahua, wie sie inzwischen erfahren hatte – Reißaus genommen hatte.

»Aber warte, ich habe dir was mitgebracht, das wird dich aufmuntern!«

Valentina seufzte noch inbrünstiger. Sicher einer dieser gruseligen Fitnessriegel, auf die Wanda schwor. Wann würde die Freundin wohl einsehen, dass dieser Dinger nicht die passende Ernährung für ein Model waren?

Wanda war derweil im Flur verschwunden und kam nun mit einem recht ansehnlichen Blumenstrauß zurück, von dem sie gerade die Papierverpackung abzupfte.

»Ich habe den Boten unten vor der Tür getroffen«, kam es dabei undeutlich zwischen ein paar Margeriten hervor. »Ein Brief ist auch dabei!«

Valentina nahm der Freundin den Strauß ab und setzte ihn erstmal in die Spüle. Äußert unwahrscheinlich, dass sich in ihrem Haushalt eine passende Vase fand. Eigentlich bekam sie wahnsinnig gerne Blumen, befürchtete aber, dass sie diesen Strauß nur Ludwig Obermaiers schlechtem Gewissen zu verdanken hatte.

Sie öffnete den Brief und stellte mit Erstaunen fest, dass der Absender ihre Agentin war. In ihrer typischen, krakeligen Handschrift teilte sie Valentina mit, dass sie einen neuen Job für sie in Aussicht hätte, der Auftraggeber sie jedoch zuvor ein wenig besser kennenlerne wolle.

Wanda hatte sich derweil die Karte geschnappt, die ebenfalls in dem Briefumschlag gesteckt hatte.

»Ein Ticket für den ›Rosenkavalier‹«, verkündete die Freundin lautstark. »Nicht schlecht, Herr Specht!«

Valentina stöhnte nur. Schon klar, warum ihre Agentin ihr das nicht persönlich sagen wollte.

»Wann werden diese Typen endlich einsehen, dass ein Model keine Escort-Dame ist«, brummte sie grantig.

»Hey, nicht so misstrauisch. Der hat sich doch nicht lumpen lassen, oder? Fetter Strauß! Außerdem liebst du die Oper!«

»Ja, wenn ich die Aufführung genießen kann, ohne dabei von einem Mann betatscht zu werden, der glaubt, er könne sich alles erlauben, weil er mich eingeladen hat.«

»Könnte ja aber auch sein, dass es sich hier um den Märchenprinzen handelt, auf den du schon so lange wartest, oder?«, fragte Wanda und wackelte bedeutsam mit den Augenbrauen.

»Ach Quatsch«, murmelte Valentina verlegen.

Sie war echt zu alt, um weiter von einem Prinzen – wahlweise mit oder ohne weißem Pferd – zu träumen, der ihr die Welt zu Füßen legte. Oder?

Wanda versetzte ihr einen kumpelhaften Stoß.

»Na los, gib dir einen Ruck und geh da am Sonntag hin. Wenn dir der Kerl nicht passt, verschwindest du halt kurz aufs Klo und haust dann heimlich ab, ist doch kein Ding! Aber wenn du Glück hast, springt bei der Sache nicht nur ein cooler Job raus, sondern du hast auch noch ein tolles Date. Wär ja auch mal Zeit, du hast ja keinen Typ ernsthaft an dich rangelassen, seit …«

»Ja, schon gut!«, unterbrach Valentina sie hastig. »Ich geh ja hin. Aber wenn ich irgendeinem Verrücken in die Arme laufe, musst du mich retten.«

»Klaro«, grinste Wanda, wandte sich wieder dem Kühlschrank zu und schnappte sich eine weitere Milchpackung.

***

»Machen Urlaub in München oder sind da für Geschäft?«, fragte der Taxifahrer mit den orientalischen Gesichtszügen und startete seinen Wagen.

»Tut mir leid, ich bin hier zu Hause – da werden Sie wohl den kürzesten Weg nach Starnberg nehmen müssen«, entgegnete Maximilian spöttisch, dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Immerhin mussten sie einmal um München herum, vielleicht gelang es ihm, noch ein wenig zu schlafen.

Doch wie schon auf dem Flug gingen ihm die Salazars einfach nicht aus dem Kopf. Er sah förmlich die hoffnungsvollen Gesichter des Paares vor sich, den sauber geschrubbten Holztisch mit der gehäkelten Tischdecke, in der Mitte die Schale mit den selbstgebackenen Keksen. Fast glaubte er, den Geruch von Frau Salazars starkem Kaffee immer noch in der Nase zu haben.

In Gedanken ging er wieder und wieder das Gespräch mit der südamerikanischen Familie durch. Er hatte sich nicht gerade von seiner besten Seite gezeigt, indem er sie recht unverhohlen als Kriegsgewinnler bezeichnete. Dennoch hatten sie ihn wie einen lang vermissten Sohn und nicht wie einen eiskalten Geschäftsmann behandelt.

Obwohl er sich gar nicht so sicher war, wie ein geliebter Sohn normalerweise behandelt wurde. An seine Mutter konnte er sich nur schemenhaft als eine Frau in luftigen Kleidern erinnern, die immer ein wenig entrückt durchs Haus schwebte. Sein Vater hingegen hatte ihn stets seine missbilligende Geringschätzung spüren lassen, indem er ihm irgendwelche Gemeinheiten an den Kopf warf, falls ihm nicht gleich die Hand ausrutschte, weil sein einziger Sohn nicht so funktionierte, wie er sich das vorstellte. Was Letzteres anging, hatte ihm auch sein Großvater nicht nachgestanden, der Maximilian schlussendlich unter seine Fittiche genommen hatte. Doch da war Maximilian ja auch schon älter gewesen und hatte durchaus verstanden, dass der Tod seiner einzigen Tochter und die Veruntreuung von Geldern durch seinen Schwiegersohn aus dem Opa einen verbitterten alten Mann gemacht hatten, dem es nur noch darum ging, seinen Enkel zu einem würdigen Erben seines Pizza-Imperiums zu erziehen.

Bei den Salazars ging es jedoch ganz anders zu, jedes Wort und jede Geste hatte ihm verraten, wie tief die Familienmitglieder miteinander verbunden waren. Umso erschütterter war Maximilian gewesen, als er erfahren hatte, dass ausgerechnet diese Familie von dem Fluch des Bildes getroffen worden war. Denn wenn jemand reinen Herzens war, dann doch wohl die Salazars!

Wobei er natürlich nicht an diesen Fluch glaubte.

»Ausgemachter Blödsinn ist das, sonst nix!«

»Was meinen?«, fragte der Taxifahrer.

»Gar nichts, Entschuldigung«, murmelte Maximilian betreten.

»Alles gut, ja? Sind gleich da.«

Tatsächlich knirschte der helle Kies der Auffahrt zu seinem Haus bereits unter den Rädern des Taxis. Maximilian gab ein fürstliches Trinkgeld, was den Taxifahrer dazu veranlasste, ihm beflissen das schwere Gepäck aus dem Kofferraum zu heben.

Etwas unschlüssig blieb er vor der Eingangstreppe stehen, während der Mann davonbrauste. Es war bereits dunkel und die lange Reise steckte ihm ganz schön in den Knochen. Er sollte reingehen, sich einen Drink einschenken und möglichst bald den fehlenden Schlaf nachholen. Stattdessen wandte er den Blick von der liebevoll restaurierten Jugendstilvilla ab hin zu dem seitlichen Anbau, der ehemaligen Orangerie, in der sich heute seine Galerie befand. Die großen Bogenfenster waren hell erleuchtet, so dass er genau erkennen konnte, was drinnen vorging.

Elisabetta war da. Natürlich war Elisabetta da, immerhin war sie seine Frau, und sie lebte hier. Und ein Grund dafür, dass sie seine Frau geworden war, war schließlich, dass sie seine Liebe zu Kunst und Antiquitäten teilte und unermüdlich für ihr kleines, aber exquisites Geschäft arbeitete.

Elisabetta sah aus wie immer. Das blonde, kurze Haar war exakt frisiert, Blazer und Bluse saßen perfekt, die randlose Brille ließ sie ein wenig streng, aber sehr kompetent wirken. Dennoch kam es Maximilian vor, als sähe er seine Frau zum ersten Mal.

Sie hatten nicht aus Liebe geheiratet, er glaubte ebenso wenig an die Liebe wie Elisabetta. Sie hatten geheiratet, weil sie sich ausgezeichnet ergänzten, sowohl geschäftlich als auch was ihre Lebensgewohnheiten anging. Sie schliefen auch ganz gerne miteinander, ließen einander ansonsten jedoch alle erdenklichen Freiheiten.

Und tatsächlich waren sie beide erst so richtig erfolgreich, seit sie zusammen waren.

Warum stand er also wie ein Idiot hier im Dunkeln, betrachtete seine Ehefrau und fragte sich, ob sie wohl, wenn sie beide alt und grau waren, auch so vertraut an einem Küchentisch sitzen und sich wortlos verstehen würde wie die Salazars?

Natürlich würden sie das!

Schließlich hatte er nicht den gleichen Fehler wie seine Mutter begangen, die seinen Vater aus Liebe geheiratet hatte. Nur, um wenige Monate später festzustellen, dass sie mit einem unsensiblen Grobian zusammen war. Allerdings war sie da schon mit ihm schwanger gewesen, und sein Vater saß zu der Zeit noch als Geschäftsführer der Restaurantkette seines Großvaters fest im Sattel. Nein, Maximilian hatte gleich eine Partnerin gewählt, bei der nicht die Gefahr bestand, dass irgendwelche Gefühlsstürme ihre perfekt funktionierende Ehe gefährdeten. Elisabetta und er würden im Alter auf ein sehr erfolgreiches Leben zurückblicken.

Doch dann fiel ihm ein, was Elisabetta und ihm fehlen würde: eine Familie! Das Ehepaar Salazar stand ja trotz der finanziellen Sorgen nicht allein da, sie wurden von ihrer Familie unterstützt. Und diese Familie hatte letztendlich auch dafür gesorgt, dass Maximilian um einiges mehr für das Bild bezahlt hatte, als er jemals vorgehabt hatte.

Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. Elisabettas und seine Kinder würden keine finanziellen Sorgen kennen, so viel stand fest. Aber dass er und seine Frau die perfekten Eltern abgeben würden, bei all der Arbeit, die sie hatten, und mit der offenen Beziehung, die sie führten, bezweifelte er doch ein wenig.

Trotzdem drängte sich plötzlich dieses Bild auf, dass er sicher nicht allein hier herumstehen würde, wenn sie Kinder hätten. Nein, die ganze Schar wäre bereits lärmend aus dem Haus geflitzt und hätte ihn mit Fragen bestürmt, ob er den verloren Schatz gefunden und was er ihnen mitgebracht hätte. Eine Vorstellung, die ein ganz komisches Gefühl in seinem Magen auslöste.

Womöglich war seine seltsame Laune aber auch auf den in Chile reichlich genossenen Pisco zurückzuführen. Außerdem hatte er seine Ehefrau wochenlang nicht gesehen und außer ein paar nichtssagenden Mails keinerlei Kontakt zu ihr gehabt, da war dies kaum der richtige Augenblick, um sie ins Bett zu zerren und zu schwängern.

Sie könnten es ja erst einmal mit einem Hund versuchen. Er hätte gerne einen Hund. Einen netten Golden Retriever vielleicht? Er versuchte, sich Elisabetta vorzustellen, wie sie in Gummistiefeln und Regenjacke mit einem Hund am Ufer des Starnberger Sees entlang stapfte, während er irgendwo auf der Welt nach verschwundenen Gemälden suchte, scheiterte damit jedoch kläglich.

Dennoch bekam er Lust, in Zukunft ein wenig mehr Zeit mit Elisabetta zu verbringen. Normalerweise stürzte Maximilian sich nach einer kurzen Erholungsphase alsbald auf den nächsten Auftrag, doch was, wenn er sich diesmal ein wenig mehr Zeit ließ? Leisten konnte er sich das allemal. Die gewonnene Zeit würde er mit Elisabetta verbringen – mit Dingen, die ihr gefielen! Von Hunden und Kindern konnte er immer noch anfangen, wenn sie wieder ein wenig vertrauter miteinander waren.

Äußerst zufrieden mit seinem Vorhaben riss er die Eingangstür zur Galerie auf.

»Hallo Elisabetta! Ich bin wieder zu Hause! Was hältst du davon, wenn wir am Sonntag in die Oper gehen?«

Ein Playboy für Valentina

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