Читать книгу Ein Millionär für Freddy - Eva Bolsani - Страница 4
ОглавлениеKATZENJAMMER
Die Stimme von U2s Sänger Bono schallte aus Freddys Radiowecker und verkündete unverschämt fröhlich, dass heute ein wunderschöner Tag sei.
Irgendetwas konnte an dieser Behauptung nicht stimmen. Freddy kam bloß nicht dahinter, was es sein könnte.
Schließlich entschied sie sich dafür, vorsichtig ein Auge zu öffnen. Ganz dummer Fehler! Ein Sonnenstrahl fiel durch das Fenster auf ihr Kopfkissen und bohrte sich nun wie ein Schwert durch das geöffnete Auge direkt in ihren Kopf.
Stöhnend zog sie sich die Decke übers Gesicht. Was jetzt? Am liebsten würde sie einfach mit geschlossenen Augen liegen bleiben. Aber es gab da noch ein anderes Problem: Ihre Zunge hatte sich über Nacht in ein viel zu großes, pelziges Etwas verwandelt.
Und dann dieser Durst!
Ein paar Minuten wartete Freddy noch auf ein Wunder, doch das wollte sich einfach nicht einstellen. Wimmernd krabbelte sie aus ihrem Bett und wankte in Richtung Bad. Das gerade von einer leichenblassen Valentina verlassen wurde.
O Gott, hoffentlich hatte die heute kein Shooting! Wer wollte schon mit einem Model arbeiten, das wie ein Gespenst aussah?
Doch Freddy kam nicht dazu, sich weiter über Valentinas Verfassung Gedanken zu machen, begann ihr eigener Magen doch genau in diesem Moment zu revoltieren. Hastig stürzte Freddy zur Kloschüssel und klammerte sich wie eine Ertrinkende daran, während sie das von sich gab, was noch von einem hervorragenden toskanischem Hähnchenauflauf übrig war.
Eine halbe Stunde später trafen zwei bleiche Gestalten in der Küche wieder aufeinander und testeten gemeinsam, ob sie wohl einen Kaffee bei sich behalten konnten.
»Musst du heute arbeiten?«, nuschelte Freddy, nachdem der Kaffee tatsächlich einige ihrer Lebensgeister wiedererweckte.
»Nö, aber ich habe morgen ein Casting mit Leonardo DaSilva, im Leben bin ich bis dahin nicht wieder fit«, jammerte Valentina.
»Was war gestern eigentlich los, ich kann mich an nix erinnern«, stöhnte Freddy. Was hatten sie sich nur dabei gedacht, zwei Flaschen Rotwein und etliche Ramazzottis zu vernichten? »Und wo ist eigentlich Wanda?«
»Arbeit?«, schlug Valentina vor. »Die hat eine Konstitution wie ein Pferd.«
Arbeit. Gutes Stichwort, da sollte Freddy sich heute auch noch blicken lassen. Zum Glück hatte sie mit ihrer Kollegin vereinbart, dass die heute die Frühschicht übernahm, weil … ja, wieso eigentlich?
»Edward!«, stöhnte Freddy schließlich.
Das war es. Der war an allem schuld. Anstatt einen romantischen Abend und eine heiße Nacht mit Edward zu verbringen, hatte sie sich mit den Mädels besoffen, weil sich der vermeintliche Traumtyp als langweiliger Geizhals entpuppt hatte.
»Ich werde nie wieder online nach einem Mann suchen«, erklärte Freddy inbrünstig. »Mein Horoskop lese ich auch nicht mehr!«
»Äh, du hast gestern …«, begann Valentina, doch dann schlug sie sich die Hand vor den Mund und stürzte wieder ins Bad.
Freddy sah ihr mit gemischten Gefühlen nach. Hoffentlich hatte sich die Freundin bis zu ihrem Termin morgen wieder erholt! Ein Grund mehr, zukünftig auf Blind Dates zu verzichten.
Doch zunächst sollte sie selbst sehen, dass sie den Tag wenigstens einigermaßen anständig über die Runden brachte.
***
Nachdenklich spielte Arnold mit Susis stattlichen Titten, die daraufhin wohlig im Schlaf seufzte. Joe hatte sich ja wirklich nicht lumpen lassen und ihm da eine ziemlich heiße Nummer für diese Nacht spendiert. Jedenfalls ging Arnold davon aus, dass Joe die Sache mit Susi arrangiert hatte, um sich wieder an ihn ranzuwanzen. Schließlich hatte er die Kleine trotz ihres adretten Auftretens gleich als das erkannt, was sie war: eine Nutte.
Aber eine heiße Nacht reichte natürlich bei Weitem nicht aus, um Joe seinen Verrat zu vergeben. Zumal sein alter Freund Susi ja nicht als Wiedergutmachung engagiert hatte. Wahrscheinlich ging es Joe in Wahrheit nur darum, ihn erneut reinzureiten.
Dabei sollte der ihm eigentlich bis in alle Ewigkeit dankbar sein! Denn schließlich hatte Joe es einzig Arnold zu verdanken, dass er in die coolste Clique der Blumenau aufgenommen wurde – obwohl der schmächtige Knirps mit der Eins in Mathe eigentlich das perfekte Opfer abgegeben hätte. Nichts hatte er dafür erwartet, außer dass Joe treu zu Arnold stand, der sich recht bald zum Anführer ihrer kleinen Gang aufgeschwungen hatte. Klar war er nicht immer zimperlich mit dem Kleinen umgegangen, als Boss einer Jugendgang konnte man sich eben keine Sentimentalitäten leisten. Hatte ihm doch nicht geschadet! Allerdings wurde im Laufe der Jahre aus dem Knirps ein recht stattlicher Kerl, der auch noch eine eigene Meinung entwickelte! Arnold hatte ihn mal ziemlich zurechtstutzen müssen, als er es gewagt hatte, ihm vor den anderen zu widersprechen. Danach war wieder klar gewesen, wer der Chef war.
Das hatte Arnold zumindest angenommen. Doch in Wahrheit war es um Joes Loyalität nicht mehr gut bestellt, wie Arnold später erfahren musste.
Und jetzt tauchte er nach all den Jahren wieder in seinem Leben auf und tat, als wäre nichts gewesen. Wahrscheinlich glaubte er, Arnold hätte keinen Plan, wer ihn verpfiffen hatte, anders war diese Unverfrorenheit ja nicht zu erklären. Denn natürlich rechnete Arnold schon länger damit, dass ihm irgendwer so einen verdammten Schnüffler auf den Hals hetzte. Dass es ausgerechnet Joe sein musste, war vielleicht gar nicht so blöd. Schließlich kannte er den Typ aus dem Effeff. Joe klopfte sich nun wahrscheinlich selbst auf die Schulter, da er scheinbar mühelos in Arnolds Nähe gelangt war, doch in Wahrheit diente die Aktion einzig dazu, dass er Joe im Auge behalten konnte.
Und nicht nur das. Joe würde für das bezahlen, was er ihm damals angetan hatte – und zwar mit Zinsen! Es musste ihm nur gelingen, den Schnüffler lange genug hinzuhalten, um noch die ein oder andere goldene Gans zu schlachten. Wobei er leider in den letzten Wochen dabei nicht gerade erfolgreich gewesen war.
Es war aber auch zum Kotzen, dass die ›bessere‹ Gesellschaft ihn einfach nicht als ihresgleichen akzeptierte. Als ahnten sie alle, dass der Luxus, mit dem er sich umgab, in Wahrheit nur auf Pump finanziert wurde. Einiges, wie zum Beispiel sein Urlaub auf einer Luxusjacht – die Fotos davon konnte man auf Facebook bewundern –, war sogar nur den Photoshop-Kenntnissen seines Kumpels Heiko zu verdanken.
Arnold zog seinen Arm unter Susi hervor, die daraufhin zur Seite rollte und leise schnarchte. Er verdrehte die Augen, spazierte in seine Küchenzeile, machte sich einen Espresso, holte sein Tablet hervor und rief erst mal den Wirtschaftsteil der Tageszeitung sowie den Internetauftritt eines Manager-Magazins auf.
Er scrollte durch die Seiten, als sein Blick plötzlich an einer Anzeige hängen blieb. Nachdenklich nippte er an seinem Espresso, während sich langsam eine Idee in seinem Kopf bildete. Eigentlich hatte Arnold ja gehofft, dass Marion und ihre Freundin Ruth von Brünneck ihm die ein oder andere Tür öffneten, doch Marion hatte nicht mal geruht, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, die ihr Fehlen gestern erklärte, und Ruth …, na ja. Womöglich musste er also bei einer anderen Lady ganz von vorne anfangen.
Allerdings hatte er bereits festgestellt, dass es sich bei den reichen Damen Münchens keinesfalls um naive Dummchen handelte, die nach einer heißen Nacht nur allzu bereit waren ihre Geldbörsen für ihn zu öffnen. Ja, die meisten schienen nicht mal an einer Affäre interessiert zu sein!
Aber wie war es ihm selbst denn gestern gegangen? Susi zu erobern, war fast langweilig gewesen, schließlich lechzte sie geradezu danach, verführt zu werden. Dass Joe unter allen Umständen verlieren wollte, war ebenfalls klar, sprich, die Herausforderung war gleich null gewesen. Wenn es den Ladys bei dem jungen Finanzberater, der nur allzu bereit für einen Flirt war, genauso erging? Aber wenn er nun eine feste Freundin hätte? Eine Freundin, die auch noch einen guten Namen hatte und ihm so den Zugang zu Veranstaltungen ermöglichte, bei denen er normalerweise nicht mal in die Nähe des Türstehers kam?
Mit Daumen und Zeigefinger vergrößerte Arnold die Anzeige und las den Text noch mal genau durch. Wenn es die Wahrheit war, was dort stand, konnte das die Lösung seiner aktuellen Probleme sein.
Nun hätte er diese Person natürlich selbst überprüfen können, aber schließlich hatte er seit gestern einen Angestellten, der vermutlich keine Probleme hatte, die gewünschten Informationen in kürzester Zeit zu besorgen. Außerdem würde es weit mehr Spaß machen, Joe zu demonstrieren, dass er von nun an wieder nach seiner Pfeife tanzen musste, anstatt die Arbeit selbst zu erledigen. Arnold würde derweil lieber mal nachsehen, ob Susi vielleicht endlich ausgeschlafen hatte …
***
Nie wieder Soleros, schwor sich Joe und warf zwei Aspirin in ein Wasserglas.
Das nächste Mal dachte er sich lieber was anderes aus, wenn er den Eindruck erwecken wollte, sich um die Gunst einer Frau zu bemühen. Denn sowohl Susi als auch Arnold hatten sich bereitwillig von ihm mit Cocktails versorgen lassen, auch wenn schnell klar wurde, dass er ansonsten überflüssig war. Zum Glück hatte Arnold wenigstens nicht darauf bestanden, dass sein frischgebackener Chauffeur die Turteltäubchen nach Hause fuhr. Stattdessen hatte er großzügig das Angebot akzeptiert, dass Joe für das Taxi nach München aufkam.
Joe brühte sich noch eine Tasse extra starken Kaffees auf. Zu gerne hätte er sich mit einer ganzen Kanne dieses Gesöffs in sein Arbeitszimmer verzogen, um zu versuchen, mithilfe seines Computers irgendwas über Arnold und seine Geschäfte herauszubekommen. Aber zunächst musste er wohl oder übel wieder nach Bad Wiessee, um seinen Wagen abzuholen. Denn wer konnte schon wissen, wann seine Dienste als Chauffeur benötigt wurden?
Just in diesem Moment klingelte sein Handy. Joe warf ein Blick auf das Display. ›Wenn man den Teufel nennt, kommt er gerennt!‹, fiel ihm prompt ein Spruch seiner Oma ein. Missmutig nahm er ab.
»Arnold. Was kann ich für dich tun?«
»Genau die richtige Frage«, kam die Stimme seines Freundes unanständig energiegeladen aus dem Telefon. »Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich dir! Du kannst mir tatsächlich einen Gefallen tun.«
»Ich bin gerade erst aufgestanden«, stöhnte Joe. »Und der Rolls steht noch am Tegernsee.«
»Keine Sorge, ein Chauffeur wird heute nicht benötigt. Ich habe vor, den Großteil des Tages in höchst angenehmer Gesellschaft im Bett zu verbringen. Aber du hast doch gesagt, du kannst mit Computern. Ich bräuchte da eine kleine Information …«
»Na, dann lass mal hören«, meinte Joe um einiges entgegenkommender.
Denn auch seinem schmerzenden Kopf war klar, dass dies womöglich schon die Chance war, zu erfahren, wie genau Arnold sein Vermögen machte. Wenn sein Freund ihm schon so weit vertraute, dass er ihm irgendwelche Informationen beschaffen sollte, dann konnte er den Auftrag womöglich schneller abschließen, als er zu hoffen gewagt hatte.
Als er jedoch hörte, dass Arnold ziemlich umfangreiche Informationen über eine Frau wünschte, fragte sich Joe schon, wie ihm das weiterhelfen sollte. Zu blöd – für Arnolds Recherche und die Fahrt nach Bad Wiessee würde sicher der Rest des Tages draufgehen, für seine eigenen Nachforschungen blieb da kaum Zeit.
Aber er musste ja auch nicht alles selber machen. Sein Hacker-Kollege Silas war ständig knapp bei Kasse, der verdiente sich sicher gerne ein paar Euro dazu. Sollte der sich doch durch Arnolds Vergangenheit wühlen, Joe würde sich um das Mädel kümmern und sobald er wieder komplett nüchtern war, einen kleinen Ausflug an den Tegernsee unternehmen.
***
Der Anfang ist gemacht! Nutzen Sie die Gunst der Stunde!
Welcher Teufel hatte sie bloß geritten, sich schon wieder diese Zeitung zu holen? Freddy konnte über sich selbst nur den Kopf schütteln. Gunst der Stunde, ha, ha! Sie fühlte sich, als wäre sie einmal durch den Fleischwolf gedreht worden.
Wesentlich weniger schwungvoll als am Tag zuvor verließ sie die Tram, schlurfte kurz bei Murats Laden vorbei, um Zucchini, Paprika und Auberginen zu besorgen – Vitamine konnten schließlich nie schaden –, und schleppte sich dann die Stufen zu ihrer Wohnung hoch.
Ein Wunder, dass sie diesen Arbeitstag überhaupt irgendwie überstanden hatte! Freddy stellte mit letzter Kraft die Einkäufe in der Küche ab, an Kochen war vorerst nicht zu denken. Dann trottete sie in ihr Zimmer, schlüpfte in eine ausgeleierte Leggins im Camouflage-Look und ein verwaschenes Mickey-Mouse-T-Shirt, plumpste erschöpft von dieser Anstrengung aufs Bett und stellte den Fernseher an. Gerade als sie beschlossen hatte, sich die 8. Staffel der ›Gilmore Girls‹ ein weiteres Mal anzusehen, klingelte es an der Tür.
»Valentina?!«, rief sie hoffnungsvoll, doch nichts rührte sich.
Stattdessen schellte es erneut. Freddy entschied sich dafür, einfach so zu tun, als hätte sie nichts gehört. Schließlich erwartete sie niemanden.
Doch wer auch immer da draußen stand, gab nicht auf, klopfte nun sogar gegen die Wohnungstür. Ob Wanda womöglich ihren Schlüssel vergessen hatte? Freddy quälte sich wieder vom Bett hinunter, schlappte in den Flur und öffnete.
»Sag bloß, du hast unseren Mädelsabend auch nicht so einfach weggesteckt und bist ohne Schlüssel …«
Der Rest des Satzes blieb ihr einfach im Hals stecken. Freddy warf die Tür um einiges schneller wieder zu, als sie sie geöffnet hatte.
Nie wieder Ramazotti, dachte sie dabei. Jetzt hatte sie auch schon Halluzinationen. Denn draußen stand mitnichten Wanda, sondern ein Mann, der definitiv nicht hier war, um ihr einen neuen Handyvertrag oder ein Zeitschriftenabo aufzuschwatzen. Es sei denn, die engagierten seit neuestem Typen, die zuvor die Hauptrolle im neuesten Blockbuster gespielt hatten.
»Frederika von Querlitz?«
Die Halluzination schien nicht aufgeben zu wollen und klopfte erneut an die Tür – oder war der Mann etwa doch echt? Aber woher kannte er ihren Namen? Freddy presste ein Auge auf den Spion und betrachtete misstrauisch den Kerl, der immer noch hartnäckig vor ihrer Wohnung stand und nun wieder die Klingel betätigte.
Für ein Trugbild wirkte er eigentlich viel zu präsent. Und zu seriös, wie er da in seinem dunklen Anzug dastand, mitsamt farblich aufeinander abgestimmter Krawatte und seidenem Einstecktuch. Als er erneut klopfte, entdeckte sie sogar ein paar dezente goldene Manschettenknöpfe. Zudem trug er diese Dinge mit einer derartigen Selbstverständlichkeit, die nur eines bedeuten konnte: Sein sicher sauteures Outfit war ihm piepegal.
»Frau von Querlitz?«
Wenn er so weitermachte, versetzte er noch das ganze Haus in Aufruhr. Dann hieß es gleich wieder, in der Mädels-WG herrsche Sodom und Gomorra. Besser, sie sah zu, dass sie ihn loswurde. Freddy öffnete die Tür einen winzigen Spalt.
»Wir kaufen nix!«
»Davon bin ich ausgegangen«, sagte er Kerl gelassen und strich sich mit einer ziemlich verführerischen Geste eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn. »Sonst hätten Sie ja wohl kaum diese Anzeige aufgegeben.«
Was laberte der denn da?!
»Anzeige? Toller Trick!«, sagte Freddy skeptisch. »Mein Freund ist Preisboxer. Sie verschwinden besser, sonst befördert er Sie hinaus.«
Doch der Typ vor ihrer Tür ging gar nicht auf diese Drohung ein.
»›Aschenputtel sucht Millionär‹, das ist doch Ihre Annonce? Nun hier bin ich, also sollten Sie mich auch hereinlassen.« Er runzelte die Stirn. »Sagen Sie nicht, dass ein anderer schneller war!«
Freddy bekam ein ganz ungutes Gefühl. Vage erinnerte sie sich daran, dass sie nach ein paar Gläsern Rotwein eine tolle Idee entwickelt hatte, wie sie den richtigen Mann finden könnte. Sie hatte das doch nicht – so besoffen wie sie gestern war – in die Tat umgesetzt?!
»Welcher Idiot antwortet denn auf so eine Anzeige?«
»Ich muss doch sehr bitten«, sagte er streng, aber nicht unfreundlich. »Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht hier bin, um mich als Ihr zukünftiger Prinz zu bewerben. Womöglich kommen wir aber anderweitig ins Geschäft. Aber wollen wir das nicht lieber drinnen besprechen?«
Häh? Der hatte doch echt einen an der Klatsche! Im Leben würde Freddy den Typ nicht hereinlassen, wenn sie nicht ausgerechnet in diesem Moment gehört hätte, wie sich Frau Schneider – die größte Ratschkathl der ganzen Straße – die Stufen hochquälte. Freddy öffnete die Tür gerade weit genug, dass er hindurchpasste, packte ihn am Arm und zog ihn in ihren Flur.
»Das ist alles ein riesiges Missverständnis«, erklärte sie dabei. »Tut mir leid, dass Sie sich umsonst herbemüht haben.«
»Das glaube ich nicht«, entgegnete er gelassen und ließ seinen Blick erst über die schon etwas ramponierten Möbel ihres Flurs und dann über Freddy schweifen.
Siedendheiß fiel ihr ein, in welchem Aufzug sie herumstand. Freddy spürte, wie sie rot wurde. Wie peinlich war das denn!
»Gehen Sie bitte!«, sagte sie etwas weniger forsch.
»Fangen wir doch einfach noch mal von vorne an«, ignorierte er ihre Bitte einfach. »Mein Name ist Arnold Völkel.«
Dabei reichte er ihr die Hand, als befänden sie sich auf einem offiziellen Empfang. Perplex ergriff Freddy sie. Wobei sie nicht umhinkam festzustellen, dass diese sich wesentlich besser anfühlte als Edwards schwitzige Pranke gestern.
»Frederika – aber alle nennen mich nur Freddy.«
»Wie schade, Frederika ist so ein außergewöhnlich hübscher Name. Allerdings können wir uns wirklich duzen, da hast du recht. Aber möchtest du wirklich hier im Flur stehen bleiben?«
»Ja!« Entschieden verschränkte Freddy die Arme vor der Brust. Höchste Zeit, dass sie das Heft des Handelns wieder in die Hand nahm. »Ich sagte ja bereits, dass das ein Missverständnis ist. Tut mir leid, aber ich kann nichts für dich tun!«
»Es geht um ein Geschäft, von dem wir meines Erachtens nach beide profitieren würden. Möchtest du dir meinen Vorschlag nicht wenigstens anhören? Missverständnis oder nicht, ich könnte mir durchaus vorstellen, dass dir eine kleine Finanzspritze nicht ungelegen käme – immerhin wird es nicht sehr lukrativ sein, über eine Zeitarbeitsfirma am Empfang einer Versicherungsgesellschaft zu arbeiten, habe ich recht?«
Der Kerl wurde ihr langsam unheimlich. Dass sie bei einer Zeitarbeitsfirma arbeitete, hatte sie doch wohl kaum in eine Anzeige hineingeschrieben. Oder?
Da er aber offenbar nicht vorhatte zu gehen, bevor er ihr seinen Vorschlag unterbreitet hatte, beschränkte sich Freddy vorerst darauf, ihn wütend anzufunkeln.
»Ich dagegen habe Geld genug«, erklärte er lässig. »Ich möchte ja nicht unbescheiden wirken, aber es ist mir gelungen, mein Erbe in den letzten Jahren zu verdoppeln. Leider führt das dazu, dass sich meine Verwandtschaft Sorgen macht, was nach meinem Ableben wohl mit diesem Wohlstand geschehen wird.«
Wie bitte? Freddy rieb sich die schmerzende Stirn. Was redete er denn da?
»Meine Großmutter befürchtet, dass der Familienschatz in falsche Hände gerät, wenn ich nicht bald heirate und für Nachwuchs sorge«, präzisierte Arnold augenzwinkernd, um dann jedoch gleich wieder sehr ernst zu werden. »Bisher konnte ich sie recht gut vertrösten, doch nun ist sie krank geworden und liegt mir ständig damit in den Ohren, dass sie bald sterben könnte, ohne wenigstens meine zukünftige Frau kennengelernt zu haben.«
Er seufzte tief.
»Ich wünsche Großmutter ja wirklich, dass sie in Frieden gehen kann, aber ich bin einfach noch nicht bereit für eine feste Beziehung. Und da kommst du ins Spiel. Ich würde mich sehr gerne mit dir verloben.«
Er lächelte sie entwaffnend an, und Freddy kam nicht umhin festzustellen, dass der Mann vor ihr nicht nur aufgrund seines schicken Anzugs ziemlich attraktiv war. Seine Idee dagegen erschien ihr völlig absurd.
»Wir können doch nicht heiraten und Kinder bekommen, nur um deiner Oma eine Freude zu machen?!«
»Nun, wie gesagt, es würde sich dabei ja um ein Geschäft, und nicht um eine echte Verlobung handeln. Ein Geschäft, bei dem beide Seiten von vornherein wüssten, woran sie sind. Keiner von uns muss dem anderen etwas vormachen. Wir lassen uns gemeinsam auf diversen Veranstaltungen sehen – meine Großmutter hat exzellente Kontakte, wird also bald erfahren, dass ich seit neuestem immer mit der gleichen Frau unterwegs bin. Das wird sie viel eher überzeugen, als wenn ich plötzlich eine Verlobte aus dem Hut zaubere. Und dann sage ich ihr, dass ich dich fragen will, ob du mich heiraten möchtest. Na, wie findest du das?«
»Bescheuert«, sagte Freddy. »Wieso denn ich?«
»Ich muss zugeben, dass die Tatsache, dass du die Enkelin von Melchior von Querlitz bist, dich in meinen Augen zusätzlich für diese Aufgabe qualifiziert.«
Aha, daher wehte der Wind.
»Da muss ich dich aber enttäuschen. Wenn du dich auch noch mit meinem Opa schmücken willst – der zieht es vor, meine Existenz zu ignorieren.«
»Kein Problem, der interessiert mich nur am Rande. Sind wir im Geschäft?«
Doch Freddy versuchte immer noch, ihrem matschigen Kopf einen klaren Gedanken zu entlocken. Sie hatte offenbar wirklich diese bescheuerte Anzeige aufgegeben, in der sie einen Millionär suchte. Peinlich genug, aber dass sich auf so eine Ansage tatsächlich jemand meldete?! Allerdings suchte Arnold ja gar nicht nach einer Beziehung. Dann fiel ihr auch noch das Horoskop ein, dass sie doch unmissverständlich aufgefordert hatte, die Gunst der Stunde zu nutzen. Würde vielleicht doch noch ein echter Interessent auftauchen? Unmöglich!
Oder meinten die Sterne das womöglich ganz anders? Vielleicht hatte sie das Horoskop einfach ganz falsch interpretiert! Was, wenn sie gestern unter Einfluss des günstigen Mondes genau das Richtige getan hatte, um den Mann ihres Lebens zu finden? Okay, Arnold und sie hatten nun nicht den besten Start gehabt. Aber wer sagte denn, dass sich daraus nicht doch etwas ganz anderes entwickeln konnte? Hunderte Romane musste sie gelesen haben, in denen das Paar zunächst zum Schein zusammen war – und sich dann wirklich ineinander verliebte!
Just in diesem Moment, als sich Freddy für seinen Vorschlag zu erwärmen begann, sah sie aus den Augenwinkeln, dass Valentina das Bad verließ – lediglich mit einem um den Körper gewickeltem Badehandtuch bekleidet. Rasch drängte sie Arnold nun doch in ihr Zimmer, wo er unsanft auf ihrem Bett landete. Aber gerade jetzt, wo sie beschlossen hatte, dass ihr irgendeine höhere Gewalt offenbar einen ziemlich gut aussehenden – und vermögenden! – Mann vorbeigeschickt hatte, konnte sie nicht riskieren, dass er auf den Gedanken verfiel, dass ein Model wie Valentina womöglich besser geeignet war, um seine Verlobte zu spielen.
Arnold rappelte sich auf. In ihrem Zimmer wirkte er noch deplatzierter als zuvor im Flur.
»Mag sein, dass ich an deinem Vorschlag interessiert bin«, erklärte sie möglichst würdevoll und versuchte zu vergessen, dass sie immer noch in ihren ollen Leggins und dem Mickey-Mouse-Shirt dastand. Keinesfalls durfte sie sich nun aus der Ruhe bringen lassen. »Aber wir müssen da ein paar Dinge klären!«
»Nur zu.«
»Kein Sex, kein Gefummel!«, bestimmte Freddy.
»Ich bestehe auf Küssen und Händchenhalten«, schoss er sofort zurück.
Sie nickte möglichst gnädig, und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie sich darauf freute.
»Ich will eine Anzahlung. Schließlich brauche ich neue Klamotten, damit ich an deiner Seite attraktiv aussehe, nicht dass deine Oma mich für unpassend hält.«
»Sehr sinnvoll«, bestimmte Arnold.
Dabei hielt Freddy es ihm wirklich zugute, dass er nicht etwa bedeutungsvoll ihr aktuelles Outfit musterte. Stattdessen schlug er vor:
»Was hältst du von einer Shoppingtour? Gleich morgen um neun?«
»Einverstanden.«
»Also haben wir einen Deal?«
»Deal«, bekräftigte Freddy.
Erneut schüttelten sie sich die Hände, wobei sich ein kleines, verschmitztes Lächeln in seinem Mundwinkel zeigte.
»Es wundert mich allerdings nicht, dass du in finanziellen Nöten bist, Frederika, wenn du auf diese Weise Geschäfte machst – hättest du mich nicht erst mal fragen sollen, wie viel du verdienen kannst?«
Sie spürte, wie sie rot wurde. Wegen dem Geld machte sie doch gar nicht mit!
»500 Euro pro Abend, an dem du mich begleitest, sind ein angemessener Betrag, oder?«, schlug er vor.
500 Euro! Pro Abend! Freddy nickte sprachlos.
»Gut. Dann bis morgen.«
Zu ihrer großen Enttäuschung schickte er sich zum Gehen an. Etwas belämmert begleitete Freddy ihn zur Wohnungstür.
»Ach ja, das hatte ich ganz vergessen.« Er drehte sich noch mal zu ihr um. »Diese Anzeige habe ich verschwinden lassen. Das war doch bestimmt in deinem Sinne. Wir wollen ja nicht, dass es unschöne Gerüchte gibt, oder?«
Damit wandte er sich endgültig ab, während Freddy ihm mit offenem Mund hinterherstarrte. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, verschwand er im Treppenhaus.
Erschöpft wankte sie zurück zu ihrem Bett und ließ sich darauf fallen. War das alles eben wirklich passiert? Sie zwickte sich in den Arm.
Autsch! Kein Zweifel, das war kein Traum.
Also, dieser Arnold könnte sie schon interessieren. Wie er das mit der Anzeige wohl geschafft hatte? Auf jeden Fall war er offensichtlich ein Mann, der wusste, was er wollte und die Dinge direkt anpackte. Je länger sie darüber nachdachte, um so besser gefiel er ihr.
Und schon morgen stand ihr Millionär wieder vor der Tür! Da musste sie allerdings zusehen, dass sie dann einen besseren Eindruck auf ihn machte. Am besten, sie begann damit, sich etwas zu kochen. Schließlich wollte sie nichts unversucht lassen, um Arnold letztendlich für sich zu gewinnen!
***
Joe parkte seinen Wagen einige Blocks von seinem Ziel entfernt. Schließlich war es nicht nötig, dass der Mann, den er gleich aufsuchen würde, auf den ersten Blick sah, dass er mit seinem Rolls nicht so ganz nach Aubing passte. Er ging das letzte Stück zu Fuß und merkte, wie sich die Kopfschmerzen, die ihn den ganzen Tag geplagt hatten, langsam verabschiedeten. Silas hatte ihm die ersten Ergebnisse gemailt, und Arnold hatte ihm gnädigerweise den Rest des Tages frei gegeben. Also gedachte Joe, direkt vor Ort ein wenig in dem Leben herumzuschnüffeln, das Arnold geführt hatte, während er selbst in den Staaten weilte und immer tiefer in die Welt der Computer und ihrer Vernetzung eintauchte. Kurz entschlossen hatte er einen Termin bei dem kleinen Unternehmen in Aubing gemacht, in dem Arnolds Bewährungshelfer ihm laut Silas nach seiner Entlassung eine Lehrstelle verschafft hatte.
›Rendl Immobilien‹, las Joe dann auch schon auf einer Glastür, die mit einer etwas zu kleinen Milchglasfolie abgelebt worden war. Hinter dem riesigen Schaufenster neben der Tür befand sich ein altmodischer Lamellenvorhang, wie ihn auch Joes Zahnarzt besaß. Nicht gerade das Ambiente, das Arnold in der Zwischenzeit bevorzugte.
Joe drückte gegen die Glastür, die sich anstandslos öffnen ließ.
»Hallo?«
»Herr Maier, nicht wahr? Ich freue mich, dass Sie den Weg in meine bescheidene Hütte gefunden haben!«
Joe zuckte ein wenig zusammen. Maier. Heute Mittag hatte er aber noch gar keine Fantasie bei der Wahl eines Decknamens bewiesen! Nun, das konnte er ja jetzt wieder gutmachen, indem er überzeugend den jungen Familienvater auf der Suche nach einem netten Reihenhäuschen mimte.
Eifrig klärte ihn Herr Rendl über die Preise in diesem Stadtteil auf, stellte seine Hilfe bei Abschluss eines Kredites in Aussicht und zeigte Joe zwei Exposés über seiner Meinung nach passende Objekte. Joe musste an sich halten, um sich nicht zu schütteln.
»Sehr schön …«, behauptete er. »Vielleicht könnten wir einen Besichtigungstermin vereinbaren, bei dem dann auch meine Frau dabei sein kann? Aber sagen Sie – eigentlich hoffte ich ja, hier einen alten Freund von mir anzutreffen. Arnold Völkel. Hat der nicht bei Ihnen eine Ausbildung absolviert?«
Herr Rendl lachte böse auf.
»Der feine Herr Völkel, jaja. Als keiner ihm eine Chance geben wollte, war das hier gut genug für ihn. Aber er wollte ja schon immer höher hinaus. Als er die Ausbildung endlich abgeschlossen hatte – mehr schlecht als recht übrigens – und ich ihm alles über das Geschäft beigebracht hatte, hat er mich einfach sitzen lassen. Sich selbständig gemacht, damit er sich seine Kunden aussuchen könne. Schauspieler, Manager, so was schwebte ihm vor. Pah, würde mich nicht wundern, wenn er damit ordentlich auf die Schnauze gefallen wäre – die haben doch nicht auf so einen Knastbruder gewartet! Nee, wenn Sie mich fragen, hat der Junge einfach zu viele Soaps gesehen.«
Böse starrte er Joe an, der sich beeilte, ihm zu versichern, dass er die letzten Jahre nicht in München gelebt und Arnold schon seit Langem aus den Augen verloren hatte. Doch das Misstrauen in Rendls Augen blieb. Vielleicht fürchtete er, dass sein vermeintlich guter Kunde Arnold im Gefängnis kennengelernt haben könnte.
»Ich werde die Exposés meiner Frau zeigen.«
Joe fand, dass es an der Zeit war zu gehen. Rendl Immobilien war offenbar sowieso nur eine Zwischenstation in Arnolds Leben gewesen – über seine heutigen Geschäfte dürfte sein ehemaliger Chef kaum Bescheid wissen.
Aber immerhin hatte er einen kleinen Hinweis bekommen: Arnold hatte als selbständiger Immobilienmakler gearbeitet. Das sollte doch als Input reichen, damit Silas weiterforschen konnte.