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Lotte

Die letzten Tage waren an Charlotte Reinermann vorbeigezogen wie ein Film.

Die Einlieferung ihres Mannes ins Krankenhaus, die Notoperation, die Intensivstation, all das brachte Lotte an die Grenzen ihrer nervlichen Belastbarkeit. Der Gedanke, dass sie um ein Haar plötzlich allein im Leben gestanden hätte …

Lotte wagte es nicht, das zu Ende zu denken. Ihre Kinder waren längst aus dem Haus, lebten ihr eigenes Leben, kamen nur zum Geburtstag oder zu Weihnachten mal vorbei. Was wäre, wenn …? Nein, es war alles gut gegangen. Reinhard würde sich wieder erholen. Sie war nicht allein, brauchte keine Angst mehr zu haben. Aber der Schock saß tief in Lottes Unterbewusstsein. Die Angst umklammerte sie immer noch und machte Lotte nervös und aggressiv.

Und dann diese schreckliche Intensivstation!

Die Hektik, das nervtötende Piepen der Geräte, die permanenten Kontrollen und die grelle Helligkeit brachten Lottes Seelenfrieden vollends durcheinander. Während ihr Mann sich allmählich von den Strapazen der Operation erholte, wurde Lotte von Tag zu Tag reizbarer.

„Mein Mann schläft so schlecht, können Sie ihm nicht etwas Wirksames für die Nacht geben?“, so hatte sie den Pfleger Knut ganz freundlich angesprochen. Doch als dieser dann erwiderte, ihr Mann bekäme bereits ein starkes Schlafmittel und weitere Medikamente seien nicht erforderlich, war Lotte total ausgerastet.

„Können Sie als Pfleger überhaupt beurteilen, ob ein Schlafmittel wirksam ist oder nicht? Und wenn mein Mann nicht schlafen kann, ist es eben nicht wirksam. Ich möchte sofort den Chefarzt sprechen, schließlich ist mein Mann Privatpatient, da lass ich mich doch nicht von so einem … so einem … so einer Hilfskraft, wie Sie es sind, abspeisen.“

Lottes Puls raste, ihr wurde schwindlig, während Pfleger Knut mit stoischer Ruhe die Schultern zuckte und sich umdrehte.

Wenig später verließ Lotte das Krankenhaus und machte einen Spaziergang durch Dortmund-Hörde. Doch der Verkehrslärm und die hastenden Menschen trugen nicht zu ihrer Beruhigung bei. Erst in einem Straßencafé bei einem Cappuccino fand sie ihre Fassung wieder.

Von diesem Schnösel lasse ich mir nichts gefallen, schwor sie sich und bestellte zur weiteren Stärkung ihres Selbstbewusstseins einen Ramazzotti auf Eis.

Gegen 18.00 Uhr kehrte sie zurück an das Krankenbett ihres Mannes. Sie wollte überprüfen, ob er heute endlich feste Nahrung zum Abendessen bekam.

Aber außer einer Tasse Tee fand sich nichts auf dem Tablett, das die russische Pflegehelferin, die nur wenig Deutsch sprach, hereinbrachte.

Lotte spürte ein Kribbeln, das von ihrem Magen aus die Speiseröhre hinauf in ihren Hals kroch. Doch bevor sich ein weiterer Wutausbruch anbahnen konnte, trat Chefarzt Dr. Pohl an das Krankenbett ihres Mannes. Er begrüßte Reinhard Reinermann und Ehefrau per Handschlag, erkundigte sich nach dem Befinden, während er unentwegt den Blick auf das Krankenblatt des Patienten gerichtet hatte. Die Kompetenz und Persönlichkeit des Chefarztes hingen wie eine Wolke im Raum, doch Lotte nahm ihren ganzen Mut zusammen und formulierte vorsichtig mit gewählten Worten ihre Beschwerde.

„Ich habe schon davon gehört, liebe gnädige Frau. Und ich verstehe sehr gut, dass Sie sich Sorgen um Ihren Mann machen. Aber verstehen Sie, bitte, auch unser Personal. Natürlich möchte ein Pfleger nicht eine überhöhte Dosis eines Hypnotikums verantworten. Doch ich habe angeordnet, dass Ihr Mann ab sofort ein anderes, absolut wirksames Mittel bekommt. Und damit, lieber Herr Reinermann“, der Chefarzt klopfte mit der Hand auf die Bettdecke, „werden Sie schlafen wie ein Baby.“

„Dankeschön, Herr Chefarzt, Sie glauben gar nicht, wie beruhigt ich jetzt bin.“

Lotte hätte Dr. Pohl am liebsten die Hände geküsst, aber sie konnte sich gerade noch zurückhalten. Als der Chefarzt sich einem anderen Patienten zuwandte, sagte Lotte zu ihrem Mann:

„Siehst du, Reinhard, so macht man das. Hat doch geklappt. So etwas steht dir als Privatpatient doch zu.“

Insgeheim hoffte Lotte, dass der arrogante Pfleger von seinem Chef einen ordentlichen Verweis bekommen würde. Das gönnte sie ihm von Herzen. Morgen würde Reinhard auf die normale Station verlegt werden. Dann würde bestimmt alles besser. Und dann durften ihn endlich auch Bernd und Gisela besuchen, die fast täglich bei ihr anriefen und sich nach Reinhards Befinden erkundigten. Auch Axel und Andrea konnten dann mal ins Krankenhaus kommen, soviel Zeit würden sie ja wohl für ihren Vater erübrigen können.

Am nächsten Tag machte Charlotte sich besonders hübsch für den Besuch im Krankenhaus. Sie wählte das elegante beige Kostüm, suchte noch ein passendes Seidentuch dazu aus und zwängte sich in die hochhackigen hellen Pumps, obwohl sie wusste, dass ihr rechter Fuß in kaum einer halben Stunde darin erbärmlich schmerzen würde.

Reinhard saß im Bett, als Lotte das Zimmer betrat. Er hatte frische rote Wangen, der Aufenthalt auf der Normalstation schien ihm gut zu bekommen. Lotte küsste ihren Mann flüchtig, fragte dann sogleich: „Warum hast du denn immer noch das Engelhemdchen an, konnten die dir nicht einen deiner Schlafanzüge anziehen? Du hast doch genug hier, aber da war wohl wieder keine Zeit …“

„Das ist ein sauberes“, unterbrach Reinhard seine Frau.

„So ein Blödsinn. Du brauchst doch jetzt kein OP-Hemd mehr, ich werde dich gleich umziehen. Oder ich rufe die Schwester. Eigentlich ist die doch dafür da, die kann …“

„Mach mal runter.“ Reinhard hatte versucht, seine Frau anzusehen, doch die Sonne schien direkt ins Fenster hinein und blendete ihn. Deshalb deutete er jetzt auf das Rollo.

„Mein Gott, was muss man hier noch alles selbst machen?“

Lotte hasste Rollos, die Dinger reagierten nie so, wie sie es wollte. Trotzdem startete sie jetzt den Versuch, die Jalousie etwas herunterzulassen. Sie zog an der linken Schnur, dann an der rechten, aber die Sperre oben an dem Rollo ließ sich nicht lösen. Ärgerlich über ihre eigene Unfähigkeit begann sie zu schimpfen.

„Wie kann man so blöde Dinger hier anbringen? Und das nennt sich Privatstation. Ich werde jetzt die Schwester holen, soll die sich doch damit rumplagen.“

Lotte rauschte aus dem Zimmer und machte sich auf die Suche nach einer Krankenschwester.

„Hallo?“, rief sie über die menschenleeren Flure, aber niemand schien sie zu hören. Endlich sah sie in einem Zimmer eine Frau an einem Schreibtisch sitzen.

Typisch, dachte Lotte. Die klammert sich hier an ihrem Stift fest, während die Patienten sich selbst überlassen sind.

Entsprechend patzig brachte Lotte ihr Anliegen hervor und war innerhalb kürzester Zeit mit Schwester Gabi, den Namen las sie auf einem kleinen Schild, das rechts oben auf einer üppigen Rundung prangte, in ein Streitgespräch verwickelt.

Nein, diesmal würde sie nicht den Chefarzt behelligen, sondern gleich zum Klinikdirektor eilen, schwor Lotte sich auf dem Rückweg zu ihrem Mann.

Die neuerliche Aufregung war ihr auf die Blase geschlagen, deshalb war sie froh, eine Tür mit der Aufschrift ‚Besuchertoilette‘ zu sehen, bevor sie ins Zimmer ihres Mannes zurückkehrte.

Wenige Augenblicke später traf sie Schwester Gabi am Bett ihres Mannes an und konnte gerade noch verhindern, dass die ihren Mann mit Antibiotika vollstopfte. Ausgerechnet Antibiotika, die Reinhard doch gar nicht vertragen konnte und dann von dieser Person. Lotte fühlte sich plötzlich wie eine Löwenmutter, die ihr Junges beschützen musste.

Die Schwester faselte irgendwas von Fieber und Infusion, schien aber dennoch von Lottes Tiraden beeindruckt und verließ schulterzuckend das Zimmer.

Bis zum Klinikdirektor konnte Lotte an diesem Tag zwar nicht mehr durchdringen, aber einen Termin bei der Pflegedienstleitung bekam sie ohne Schwierigkeiten. Gunilla von Wolfersdorf war Lotte sympathisch. Sie strahlte Ruhe und Kompetenz aus und hörte sich Lottes Beschwerden aufmerksam an.

„Ich werde Schwester Gabriele zur Rede stellen. Selbstverständlich ist unser Personal angewiesen, auf das Wohl der Patienten in jeder Hinsicht zu achten. Am besten komme ich gleich mit auf die Station.“

Die Worte von Frau von Wolfersdorf klangen wohltuend in Lottes Ohren und in Gedanken rieb sie sich schon die Hände bei der Vorstellung, wie die kleine Dicke sich gleich drehen und wenden würde.

Für Lottes Geschmack blieb Gunilla von Wolfersdorf viel zu sachlich, sie hätte sich mehr Androhungen und Repressalien gewünscht.

Und dann wurde Schwester Gabriele zu einem dringenden Fall gerufen und die Standpauke noch vor ihrem Höhepunkt abgebrochen.

Ach, sie hätte eben doch gleich zum Direktor oder wieder zum Chefarzt gehen sollen!

In den kommenden Tagen erholte sich Reinhard Reinermann gut.

Seine Frau erschien jeden Tag pünktlich um 14.00 Uhr an seinem Krankenbett und brachte den neuesten Klatsch aus der Nachbarschaft und aus dem Freundeskreis mit. Wie gut er sich inzwischen mit Schwester Gabi verstand, behielt Reinhard allerdings lieber für sich. In den vielen Ehejahren hatte er ein Gespür dafür entwickelt, was er seiner Frau erzählen konnte und was nicht.

Aber eine Neuigkeit wollte er ihr nicht länger vorenthalten.

„Stell dir vor, ich komme zur Kur. Heute Morgen war eine Sozialarbeiterin da, die hat schon alles vorbereitet. Der Antrag ist schon raus. Wahrscheinlich komme ich nach Bad Kissingen, das liegt im Frankenland. Vielleicht kannst du mich mal mit Axel besuchen. An einem Sonntag oder so …“

Lotte riss die Augen auf. „Kur, ja aber, wieso denn? Warum sollst du denn zur Kur? Wir wollten doch in Urlaub fahren. Und was ist mit mir? Ich bin dann ja ganz allein zu Hause. Was soll ich denn dann …?“

Lottes Stimme klang tränenerstickt. Reinhard tätschelte ihr vorsichtig die Hand.

„Möchtest du denn vielleicht mit mir …?“

„Nein!“ Lottes Antwort kam ziemlich heftig. „Wie stellst du dir das vor? Wir haben Anfang Mai. Bald sind die Eisheiligen. Und danach muss ich die Gartenbepflanzung in Angriff nehmen. Die Blumenkästen müssen mit Geranien bepflanzt werden, der Rasen muss vertikutiert werden, die Rosen müssen geschnitten werden, die Blumenampeln vorn am Haus aufgehängt werden, wie soll ich da mit dir zur Kur fahren? Außerdem, wenn es weiter so trocken bleibt, muss ich jeden Tag gießen, wer soll das denn sonst machen? Ende Juni wollten wir in Urlaub, dann sollte Gisela die Pflanzen versorgen, das ist doch alles schon abgesprochen.“

Lotte kramte ein Taschentuch aus ihrer Kroko-Handtasche und schnäuzte sich geräuschvoll. Reinhard seufzte. Was sollte er machen?

„Wann soll das denn losgehen mit der Kur?“

Lotte war wie ein Häufchen Elend auf ihrem Stuhl zusammengesackt und sah ihren Mann aus geröteten Augen an.

„Gleich im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt. Anschlussheilbehandlung nennt sich so etwas. Ich dachte, du freust dich darüber.“

„Ach nein, ich soll mich freuen? Dass du mich mutterseelenallein lässt mit all der Arbeit im Garten, mit unseren gesellschaftlichen Verpflichtungen, mit unseren beiden Kindern …? Fährst einfach allein zur Kur, auch noch so weit weg, ins Fränkische … lässt mich allein und ich soll mich auch noch freuen!“

Lotte liefen die Tränen in Bächen übers Gesicht.

Bestimmt steckt diese Gabi dahinter, dachte sie wutentbrannt.

Hab doch schon längst gemerkt, dass die sich nicht mehr blicken lässt, wenn ich da bin. Aber sobald der Reinhard allein ist, kommt sie anscharwenzelt. Hat mir der Patient aus dem Nachbarzimmer doch längst gesteckt. Fehlt nur noch, dass die zufällig auch zur Kur in Bad Kissingen ist, wenn Reinhard dorthin fährt. Aber dann soll die mich kennenlernen. Nicht mit Charlotte Reinermann, oh nein, mein Flittchen. Nicht mit mir.

Gleich knallt's

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