Читать книгу Gleich knallt's - Eva Encke - Страница 11

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Gabi

„Mist, Mist.“ Gabi kniete unter dem Stationsschreibtisch und versuchte aus der Ecke den Befundbericht rauszufischen, der ihr hinuntergesegelt war. Ihr Po reckte sich in die Höhe und wackelte vor Anstrengung. Das Papier hatte sich in die äußerste Ecke verzogen. Sie merkte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Wenn es bloß nicht so schwer zu fassen wäre.

„Aber ich bitte Sie, Schwester Gabriele, was ist das für ein Aufzug?“

Bei der schneidenden Stimme zuckte Gabi zurück und versuchte sich aufzurichten. Dabei schlug ihr Kopf mit einem klingenden ‚Dong‘ an das Gestänge des Schreibtisches. Ihr wurde heiß. Diese verfluchte Oberschwester tauchte wirklich immer auf, wenn man es nicht gebrauchen konnte. Als sie wieder stand, sah sie die Frau neben Gunilla. Ein Unglück kam wirklich selten allein, ging ihr durch den Kopf.

Dabei hatte der Tag so friedlich angefangen. Sie dachte an den Morgen.

Sie wusch ihm in kreisenden Bewegungen die linke Pobacke. Was für ein schöner Hintern. Sie mochte es, wenn die Männer gerade da etwas rund waren. Ihre Hand hatte sich irgendwie selbstständig gemacht. Immer wieder strich sie um die Rundung.

„Sie haben noch ganz schön viel Farbe von der OP“, sagte sie und kreiste dann um seine rechte Backe. „Aber das dauert noch, bis es endgültig weg ist.“

„Hm“, brummte er, oder war es „Hmmm“? Gabi schrak hoch und wusch dann den Rücken. Sie verteilte den Franzbranntwein und klopfte ihn ein.

„So, Sie können sich jetzt wieder zurück auf den Rücken drehen.“ Sie entfernte sein Flügelhemd. „Gleich bringe ich Ihnen ein sauberes. Können Sie sich Gesicht, Arme und Oberkörper selber waschen?“

Sie reichte ihm einen Lappen und ließ das Oberteil des Bettes hochfahren. Als er so entblößt vor ihr lag, musterte sie ihn. Was für ein schönes Stückchen Mann. Sie mochte es, wenn die Rippen nicht zu fühlen waren und der Bauch sich etwas rundete. Er war noch verschlafen, trotzdem fühlte sie sich ihrerseits von ihm angestarrt. Sie wusste, sie sah eher durchschnittlich aus. Vielleicht ein bisschen poppig mit ihren roten Haaren. „Das lässt dich flott aussehen“, hatten ihre Kollegen gemeint. Ihr Busen war üppig für ihre Größe und kam bei den Männern gut an. Sie hatte von ihren Patienten so manche anzügliche Bemerkung gehört und diese zu parieren gelernt.

„So, Herr Reinermann, jetzt noch die Thrombosespritze, dann hol ich Ihnen das Frühstück, heute leider nur Tee und Zwieback, aber wenn Sie brav sind, gibt es heute Abend ein Süppchen. Und dazu, als Leckerbissen, diverse Pillen.“

Für einen anstrengenden Patienten ist er doch ziemlich friedlich, dachte sie im Rausgehen.

„Danke Schwester … ehm!“, rief er ihr noch hinterher.

Na ja, im Namen merken war er nicht so gut.

Sie war gerade dabei, die Doku, wie die Dokumentation genannt wurde, auszufüllen, da hörte sie eine hohe Stimme.

„Hallo, Schwester? Hallooo. Nun hören Sie doch mal. Hallo, sind Sie taub?“

Gabi hob den Kopf, um die penetrante Tusse zu mustern. Elegant, stellte sie fest, ganz in beige von Kopf bis Fuß, von dem dezent gemusterten Seidentuch bis zu den hochhackigen Pumps. Und dann dieser hochnäsige Ausdruck, das also war Frau Schreckschraube persönlich.

„Einen Moment, bitte“, rief sie zurück. Von der würde sie sich nichts gefallen lassen, so viel war schon mal klar, auch wenn sie nach dem letzten Anschiss der Oberschwester Gunilla, die sie im Stillen Godzilla nannte, versuchte, höflich zu bleiben.

„Also, das ist doch die Höhe, Sie haben gar nichts zu tun, sitzen da nur rum und bequemen sich nicht hierher. Nun wird ’s aber Zeit, jetzt mal dalli.“

„Was möchten Sie denn?“

„Meinem Mann scheint die Sonne ins Gesicht und blendet ihn. Stellen Sie das ab, Schwester.“

„Am Fenster ist ein Rollo, das heruntergelassen werden kann, mit der Schnur auf der rechten Seite.“

„Ja, dann tun Sie das auch.“

„Bitte gedulden Sie sich …“

„Also, muss ich Ihnen noch Beine machen oder was ist? Pff, Pflegenotstand, Schwesternträgheit trifft es wohl besser, sitzen rum und träumen vor sich hin.“

„Nun, meine Dame, ich habe hier sehr wohl etwas zu tun, und wenn Sie hier noch lange stehen, wird es noch länger dauern. Vielleicht könnten Sie so freundlich sein und Ihrem Mann helfen, indem Sie das Rollo herunterlassen. Das ist durchaus nicht schwer und auch von Ihnen machbar.“

„Also das eine sag ich Ihnen, Sie unverschämte Person, mein Mann liegt hier im Krankenhaus und ist schwer krank, wir bezahlen nicht für ein Privatzimmer, um dann alle Arbeit selber zu machen. Wenn sich sein Zustand verschlechtert, dann mache ich Sie persönlich verantwortlich. Es ist doch die Höhe, was man sich hier alles sagen lassen muss.“ Ihre Stimme war immer schriller geworden und einige Patienten, die auf dem Flur herumflanierten, waren stehen geblieben. Gabi war jetzt ganz ruhig.

Mit langsamer und betonter Stimme sagte sie: „Von etwas Frühlingssonne wird Ihr Mann sicher nicht kränker, also, bitte, gehen Sie zu ihm, ich komme gleich nach, wenn ich diese Dokumentationen ausgefüllt habe.“

„Dieser Papierkram hat also Vorrang vor schwerkranken Patienten? Das wird ein Nachspiel haben, ich gehe mich jetzt beschweren.“

Gabi sah der wegeilenden Person hinterher. Insgeheim gratulierte sie sich, dass sie so ruhig geblieben war.

„Na, Gabimädchen, da ham se die olle Scharteke gesittet abblitzen lassen.“

Der schrumpelige Fred mit dem einen Kuchenzahn im Mund grinste sie an. „Ne, ne“, schüttelte er den Kopf, „was manche Weiber für ’n Ton drauf ham, ich sag ’s ja. Viel Spaß noch mit der. Wenn de Hilfe brauchst, sach Bescheid.“ Lachend schlurfte er den Gang runter.

Gabi seufzte. Wie konnte ein so properer Mann, wie dieser Reinermann, so eine Schreckschraube heiraten? Aber, wenn sie so überlegte, dann war es oft so, eine dufte Frau verheiratet mit einer öden Flasche und akzeptable Männer mit Zimtzicken. Gut, dass sie heute nicht im Stress war, sonst hätte sie ganz anders reagiert. Sie riss die Zimmertür auf.

„So, wer wird hier geblendet? Ach ne, die Sonne ist wieder weg.“

Sie ging zum Fenster.

„Also, diese Schnur hier ist für das Rollo, und so kann es herabgelassen werden, okay?“

Sie führte es vor. Dann ging sie zum Bett und legte die Hand auf die Stirn des Mannes.

„Na, Sie fühlen sich aber heiß an, nicht dass Sie hier noch Fieber kriegen, haben Sie schon ihre Pillen genommen?“

In dem Moment kam seine Frau rein.

„Gehen Sie weg von meinem Mann“, rief sie in schrillem Diskant, „weg, weg.“

Gabi starrte sie mit offenem Mund an. Der Mann schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Gabi sah den vollen Tablettendispenser und beschloss die Frau zu ignorieren.

„Die Tabletten müssen genommen werden, da ist ein Antibiotikum dabei, das ist wichtig.“

Sie nahm die Pillen raus, gab sie ihm und griff nach dem Wasserglas.

„Nein, die darf er nicht nehmen, Antibiotika sind ganz schlecht und die verträgt mein Mann nicht, lassen Sie das! Ich bestimme hier, was mein Mann nimmt, nicht Sie.“

„Frau Reinermann, nun seien Sie doch vernünftig, diese Medizin ist vom Arzt angeordnet und notwendig. Er scheint doch etwas Fieber zu haben und gerade da ist die regelmäßige Einnahme besonders wichtig. Er hat ja nun keine Infusionen mehr, deshalb muss er die Medizin in Tablettenform bekommen.“

„Sie, Sie … Sie haben hier gar nichts zu bestimmen … Sie …“

Gabi zuckte die Schultern und ging wortlos hinaus. Das würde sie protokollieren, wortwörtlich, das war ja mal klar. Hier würde sie sich nichts anhängen lassen.

Und jetzt stand sie da neben Gunilla. Diese verrückte Frau Reinermann hatte wohl im Augenblick das letzte Wort, jedenfalls wenn es nach Gunilla, dem Oberdrachen, ging, die nun in einer langen Predigt Gabis Benehmen und Verhalten anprangerte. Diese Zicke stand grinsend dabei. Gott sei Dank wurde Gunillas Tirade von einem dringenden Ruf nach Gabi unterbrochen. Kollegin Renate hatte sie erlöst. Von diesem Zickenehemann würde sie sich erst mal fernhalten. Es gab schließlich noch andere Schwestern hier auf der Station.

Diese gewissen Tage wurden immer häufiger. Tage, die kaum noch zu ertragen waren.

Eines Morgens balancierte Gabi das Tablett mit der linken Hand und öffnete schwungvoll die Tür zu Herrn Reinermanns Zimmer.

„So, da …“

Ihre fröhlichen Worte gingen in einem Krachen und einem dann folgenden lauten Kreischen unter. Unverständliche Worte bohrten sich in die Ohren derer, die das Pech hatten, in der Nähe zu sein. Gabi hätte sie sich am liebsten zugehalten, wozu sie jetzt auch beide Hände freigehabt hätte. Denn das Tablett mit dem Frühstück, insbesondere der heiße Kaffee, war auf Frau Reinermann gelandet. Deren ehemals adrette Kleidung war braun durchnässt. Ihr Gesicht war krebsrot angelaufen und der Mund unschön verzogen. Gabi sandte ein Stoßgebet zum Himmel, obwohl sie wusste, dass keine Hilfe zu erwarten war.

Der Ehegatte dieser Heulboje lag regungslos im Bett. Schaute nicht mal zum Unglücksort hin, atmete nur etwas heftig. Komisch.

Gabi hatte in den vergangenen Tagen zu Herrn Reinermann, in Abwesenheit seiner Gattin, ein ganz nettes Verhältnis bekommen. Sie hatten sogar ein-, zweimal miteinander gelacht. Er war vielleicht ein wenig penibel, zeigte aber einen stillen Humor. In drei Tagen würde er zur Reha fahren und hatte vorsichtig angedeutet, dass er sich freue, mal ein paar Tage allein zu sein. Das erstaunte Gabi nicht. Seine Frau hatte sie in den letzten Tagen mehr als zur Genüge ertragen und dabei noch verbindlich bleiben müssen, weil die Gunilla oft über den Flur schlich. Die Schreckschraube hätte natürlich jede Verfehlung brühwarm weitergegeben.

Jetzt dieser Zusammenstoß, nun steckte sie richtig in der Tinte. Wie krieg ich sie nur ruhig, ging es Gabi durch den Kopf, und was ist mit dem Reinermann, der gefällt mir gar nicht … diese Gesichtsfarbe …? Eine unheilvolle Ahnung ließ sie die Sirene umrunden und zu dem Bett eilen. Schaum stand Herrn Reinermann vor dem Mund. Die Augen waren geschlossen und der Atem ging hastig. Sein Gesicht war blassblau. Sie fühlte nach dem Puls – er raste. Scheiße, Mist, ausgerechnet. Sie drückte auf die Schelle und rannte zur Tür.

„Sie werden hier nicht so einfach verschwinden, Sie dumme Kuh. Sehen Sie, was Sie angerichtet haben. Jetzt ist aber Schluss. Dafür werden Sie zahlen, dafür sorge ich. Das lass ich mir nicht gefallen. Trampel … unverschämte … Sie … Sie …“

Gabi schob die Wütende heftig zur Seite und eilte aus dem Raum. Dabei rutschten Frau Reinermanns zierliche Pumps auf dem nassen Kaffeefleck aus. Sie fiel hin. Was sie nicht hinderte, die Lautstärke zu steigern. Die Flüche, die zu hören waren, hatte sie sicher noch nie zuvor in den Mund genommen.

„Du tittenschwingende Idiotin. Komm her, du feige Schlampe, ich werd dir … Wenn ich mit dir fertig bin, schaut dir keiner mehr in deine ordinäre Fratze … du … du … du …“, kreischte sie hinter ihr her.

Gabi hatte den Notruf abgegeben und rannte, den Notfallwagen vor sich herschiebend, zurück. Schwester Renate hatte sich ihr angeschlossen. Sie drückten die Schmähtröte zur Seite, um in das Zimmer zu kommen, was ihr noch einen schmerzhaften Stoß von Frau Reinermanns Ellbogen einbrachte. Renate hatte schon das Fußbrett des Bettes abgemacht und gemeinsam schoben sie es unter den Oberkörper des Patienten. Gabi befestigte den Sauerstoffspender und schob die Sauerstoffbrille unter seine Nase. Sie nahm eine Schere und schnitt das Schlafanzugoberteil des bewusstlosen Patienten auf. Gut, dass Renate da war. Sie arbeiteten Hand in Hand. Schließlich war es nicht der erste Notfall, den sie gemeinsam erlebten. Gabi betete, dass das Notfallteam endlich einträfe, wenigstens bevor er aufhörte zu atmen. Sie hängte die Infusion an den Bettgalgen und legte die Staubinde um den Oberarm, nachdem sie seinen Blutdruck gemessen hatte.

„Sechzig“, murmelte sie. „Scheiße, hoffentlich beeilen die sich.“ Im gleichen Augenblick hörte man auf dem Flur eilige Schritte und Türen schlagen und kurz darauf wurde es im Zimmer eng. Als Gabi zum Stationszimmer lief, um die Krankenakte zu holen, kam sie an Frau Reinermann vorbei. Mit offenem Mund hatte diese die Invasion des Notfallteams beobachtet und kam langsam wieder zu sich.

„Was … was ist da los? Ist was mit Reini …?“, stammelte sie.

„Ich komm gleich zu Ihnen, Frau Reinermann.“

Wenn sie eins hasste, dann jetzt zu dieser Megäre auch noch nett sein zu müssen. Aber es half ja nichts. Er war ihr Ehemann und ihm ging es wirklich dreckig. Höchstwahrscheinlich hatte er eine Lungenembolie erlitten. Das wird uns den Herrn noch eine Weile erhalten. Sie holte die Akte aus dem Rollwagen und ging zurück. Das Team kam ihr mit dem Bett samt Patienten entgegen. Herr Reinermann hatte eine Sauerstoffmaske auf dem Gesicht und ein Monitor fuhr piepsend auf seinem Bett mit.

„Wir bringen ihn wieder auf Intensiv“, rief ihr der Anästhesist zu.

Gabi legt die Akte aufs Bett und nickte ihm zu.

Kurz darauf kehrte Ruhe auf der Station ein. Renate kam mit dem Notfallwagen und verschwand im Stationszimmer. Gabi atmete tief durch. Jetzt eine Zigarette. Das wäre schön! Aber das Rauchen hatte sie vor Langem aufgegeben. Nicht, dass sie es ernsthaft vermisste, außer bei solchen Gelegenheiten. Zum Entspannen. Jetzt würde sie die Ehefrau beruhigen, dann einen Kaffee trinken, das würde auch helfen.

Frau Reinermann saß in dem Patientenzimmer auf einem Stuhl. Sie schluchzte leise vor sich hin. In ihrem Gesicht blühten rote Flecken. Vom Kaffee? Oder hektische Flecken von ihrem Ausbruch vorhin? Gabi wusste es nicht, aber sie wusste, dass die Gesichtsfarbe neben den Flecken käsig war. Diese Frau sah aus wie Quark mit Erdbeeren. Um sie herum ein Chaos. Abfall von der Notfallversorgung, der Nachttisch in die Ecke geschoben, immer noch der Kaffee auf dem Fußboden.

„Frau Reinermann?“, fragte Gabi vorsichtig.

Die hob das Gesicht und schniefte.

„Stirbt Reini jetzt?“ Das Schluchzen wurde heftiger. „Ich hab doch nur ihn, was soll ich dann … Ohne ihn, da …“

Sie verlor völlig die Fassung. Gabi legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Wissen Sie was? Wir verschließen jetzt den Schrank ihres Mannes und räumen den Nachttisch aus. Dann kommen Sie mit mir ins Stationszimmer und trinken erst mal eine schöne Tasse Kaffee. Auf Ihren Mann wird gut aufgepasst, er wird schon wieder.“

Frau Reinermann wurde richtig zutraulich, als sie mit Gabi im Stationszimmer saß. Sie lächelte sogar, was bei ihrem scheckigen Gesicht ziemlich daneben aussah. Gabi ließ ein paar lockere Sprüche los und da lachte sie. Just in diesem Moment kam Gunilla von Wolfersdorf herein.

„Schwester Gabriele!“, rief sie aus. „Was soll das bedeuten? Eine Privatperson im Stationszimmer, wissen Sie nicht, dass das verboten ist? Ach, Sie sind das.“

Sie sah Frau Reinermann jetzt an. „Was ist denn mit Ihnen passiert? Sehen Sie nur Ihre Kleidung.“

„Wir sind zusammengestoßen und ich trug das Frühstückstablett“, sagte Gabi, „aber …“

„Was, Sie haben das verursacht, kein Wunder liebe Frau … ehm, dass Sie unglücklich sind …“

„Aber …“

„Ich …“, fingen Gabi und Frau Reinermann gleichzeitig an zu reden. Gunilla schnitt ihnen mit einer Handbewegung das Wort ab.

„Ihr Schaden wird selbstverständlich ersetzt, reichen Sie mir nur die Quittung der Reinigung in mein Büro rein und Sie, Schwester Gabriele, Sie möchte ich morgen nach Dienstschluss bei mir sehen, guten Tag.“

Damit verschwand sie aus dem Zimmer. Die beiden Frauen sahen sich an. Mist, dachte Gabi, jetzt bin ich geliefert. Egal, was ich sage, es wird keinen Einfluss haben. Frau Reinermann schaute richtig eingeschüchtert.

„Die ist ja ganz schön schroff. Dabei wollte ich ihr gerade sagen, dass es ein Missgeschick war“, fügte sie noch leise hinzu.

Gabi war so in ihre dunklen Gedanken versunken, dass sie gar nicht mitbekam, wie die Frau das Zimmer verließ. Diese Frau Reinermann war eine Hexe und brachte ihr nur Unglück. Da änderte eine kurze Feuerpause nichts daran.

Abends saß Gabi in ihrer Stammkneipe bei Doris am Tresen und klagte ihr Leid.

„Wenn ich daran denke, dass ich noch so viele Jahre malochen muss. Mir wird ganz schlecht. Vielleicht schmeiß ich doch alles hin und geh auf Stütze. Aber mit dem bisschen Kohle …“

Doris schaute sie mitfühlend an. Dann schob sie ihr ein neues Bier hin.

„He, kannst du nicht was gegen dieses Miststück unternehmen? Wenn ihr euch alle einig seid, dann könntet ihr sie doch sabotieren oder so was oder ihr irgendetwas unterschieben. Ich hab gerade so einen Krimi gelesen, da war das so, die haben einfach irgendwelche Dokumente manipuliert und so den Chef abgewürgt.“

„He, glaubst du etwa, wir leben in einem Roman?“

„Du hast schon recht, aber vielleicht kannst du früher in Rente gehen. Du musst nur berufsunfähig sein. Der Rudi, du weißt schon, der Typ von der Nadine, der ist erst an die vierzig und hat schon Rente und ich sag dir, die ist gar nicht knapp.“

„Ja, und weswegen hat der Rente? Da musst du schon ziemlich kaputt sein, um berufsunfähig zu sein. Aber du hast mich da auf eine Idee gebracht, ich muss Prozente, so ein Behindertending, kriegen, dann ist es einfacher. Prozente. Muss mich mal erkundigen. Ja … ich weiß auch schon bei wem.“

Ihr Gesicht hellte sich auf, sie trank ihr Bier. Gleich darauf kamen aber wieder die dunklen Gedanken. Morgen der Termin bei der Chefin, wer weiß, was dabei herauskam. Eine Verbannung bestimmt. Dabei fühlte sie sich so wohl bei den chirurgischen Männern. Aber Gunilla hatte sicher nichts Gutes mit ihr vor.

Den restlichen Abend verbrachte sie damit, ihren Frust zu ersäufen.

Es kam wie befürchtet. Während der gesamten Schicht quälte Gabi ein dumpfes Gefühl. Und das, obwohl sie erfahren hatte, dass der Reinermann praktisch wieder fit war und auch die anderen Patienten so was von gut zu händeln waren, dass sie normalerweise einen Luftsprung gemacht hätte. Aber da war dieses Schwert, das über ihr hing. Und das Ding hatte einen Namen: Gunilla.

Sie fühlte sich wie ein schwerer nasser Sack, als sie vor deren Tür stand. Das herrische „Herein“ brannte sich schmerzhaft in ihren Bauch. Die Oberschwester thronte hinter ihrem Riesenschreibtisch wie eine Fürstin, als wolle sie sagen: ‚Seht her, ich Gunilla von und zu, empfange eine Untergebene, ich werde sie in den Staub schicken, sie soll vor mir kriechen.‘

Und so war es auch. Gabi wurde ins Archiv versetzt. Den ganzen Tag würde sie staubige Akten einsortieren oder suchen, Papiere zuordnen und die Fremdbefunde einscannen müssen. Eine Arbeit für Idioten, nicht für eine qualifizierte Schwester, das war schon mal klar. Und, da sie keine Schwesternstelle besetzte, würden sich auch ihre Bezüge verändern; sie käme in eine niedrigere Gehaltsstufe. Vielleicht würde sie dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Chance bekommen und wieder auf einer Station eingesetzt werden.

Gabi war blass geworden und brachte gar kein Wort heraus. Nachdem sie das Büro verlassen hatte, fielen ihr eine Menge Sätze ein, die sie hätte sagen können und wollen, wenn auch die meisten nicht dem guten Ton entsprachen. Sätze, die mit: ‚Sie blöde …‘ anfingen, fielen ihr zum Beispiel haufenweise ein. Gabi schleppte sich die Treppe runter. Was sollte sie nur tun? Das war das Ende. Selbst wenn sie die Arbeit hinschmisse. Ein gutes Zeugnis konnte sie vergessen. Und das alles nur wegen dieser Kuh Reinermann.

Ihr Kopf konnte einfach nicht mehr denken. Er war ausgefüllt mit einer Masse, die in klebriger Schwere nur noch schwarz und schwärzer zuließ. Ihre Füße konnte sie kaum vom Boden heben, fühlen konnte sie nichts mehr, alles vermischte sich zu einem ungenießbaren Einheitsbrei. Gabi spürte die Tränen nicht, die ihre Wangen herunterliefen. Schmerz, Trauer, Wut, alles eins.

Auch diesen Abend verbrachte sie bei Doris an der Theke. Sie kippte ein Bier nach dem anderen und mehr als nur ein paar Klare, bis Doris ihr nur noch Cola gab und ein paar Kumpels aufforderte, sie nach Hause zu bringen. Später erinnerte sie sich an fast nichts, nur dass es zu viel Alkohol war. Das sagte ihr auch ihr Kopf, der sich anfühlte, als wären an ihrer Schädeldecke Stacheln nach innen gewachsen, die sich in jede ihrer Gehirnwindungen bohrten.

Morgens lag sie stöhnend im Bett und verfluchte jeden Sonnenstrahl, der sich in ihre Nähe wagte. Die Vorhänge hatte sie vergessen zu schließen, als sie sich in voller Montur auf die Matratze geworfen hatte. Ins Bad musste sie kriechen. Dort kauerte sie sich auf den Boden vor der einladenden Schüssel und gab von sich, was noch in ihrem Magen war. Es dauerte Stunden, bis sie in der Lage war, etwas bei sich zu behalten. Gott, und dabei hatte sie Mittagsschicht. Am Telefon nuschelte sie was von „Magen-Darm“ in den Hörer und sie würde sich melden, wenn es ihr besser ginge. Dann verzog sie sich wieder in ihre Koje.

Gleich knallt's

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