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Edwin

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Am Stadtrand von Münster, zirka dreißig Kilometer von Reckenfeld entfernt, steht ein alter Kotten mit einem Haupthaus und zwei Ställen, die von einer großen Wiese umrandet werden. Die Wiese wiederum grenzt von zwei Seiten an einen alten Wald. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass das Haus und die Ställe nur an den Vorderseiten neu weiß gestrichen wurden. Die Wände nach hinten raus sind stark verschmutzt. Die Besitzer des Kotten haben wohl noch keine Zeit oder kein Geld aufgebracht, um die Gebäude vollends zu erneuern.

Hier lebt seit vier Jahren das Ehepaar Hasenstolz mit dem elfjährigen Sohn Edwin, das sich damit einen langen Traum erfüllt hat. Edwin fühlt sich hier pudelwohl, da er nach der Schule und seinen Hausaufgaben immer schnell im Wald sein kann. Er ist begeistert von der Natur und versucht, so viel Zeit wie möglich im Wald oder auf der Wiese zu verbringen. Edwin trägt am liebsten seine ausgewaschene Jeans mit dem grünen T-Shirt, das inzwischen auch schon ziemlich verwaschen aussieht. Er aber findet, dass es am besten zu seinen glatten, braunen Haaren passt. Edwins Mutter möchte ihn ständig zum Friseur schicken, um eine anständige Frisur aus seinen Haaren machen zu lassen. Da spielt Edwin aber nicht mit. Seine Haare sind jetzt fast schon wieder kinnlang, aber seiner Meinung nach könnten sie noch etwas länger werden.

Edwin kann den ganzen Tag damit verbringen, die Tiere und Pflanzen mithilfe seines Bestimmungsbuches, das er zu seinem letzten Geburtstag von seinen Eltern geschenkt bekommen hat, zu bestimmen. Er hat sich zum Ziel gesetzt, alle Tiere und Pflanzen im Wald und auf der Wiese zu kennen.

Auch heute hat er sein Mittagessen heruntergeschlungen und sich mit seinen Hausaufgaben beeilt, da er einen Versuch für ein Biologieprojekt der Schule durchführen muss. Er soll herausfinden, wie viel Gras eine Schnecke pro Tag frisst. Dazu will er heute fünf bis sechs Schnecken einsammeln. Das könnte sich allerdings als schwierig erweisen, da es schon seit einigen Tagen nicht mehr geregnet hat. Daher hat er sich überlegt, im Wald nach Schnecken zu suchen, da es dort immer etwas feuchter ist als auf der Wiese. Und jeder weiß, dass man Schnecken am besten dort findet, wo es feucht ist.

Voller Tatendrang packt er seinen kleinen Rucksack mit einer Flasche Wasser und ein paar Keksen und eilt dann zur Hintertür, wo ihn seine Mutter abfängt. Er kann gerade noch die Plastikdose, die er am Abend vorher aus dem Küchenschrank stibitzt und in deren Plastikdeckel er mit einem Schraubenzieher einige Luftlöcher gemacht hat, in dem Rucksack verstecken. Sie soll als Transportbox für die Schnecken dienen. Wenn das seine Mutter mitkriegt, gibt es hundertprozentig Ärger.

„Wo willst du denn so schnell hin?“

„Oh, Mama. Du weißt doch, dass ich für mein Bioprojekt noch ein paar Schnecken sammeln muss“, meint Edwin genervt und verdreht die Augen. Dabei sieht er immer so süß aus, dass seine Mutter gleich lächeln muss.

„Ach ja, aber vergiss nicht wieder die Zeit. Du weißt, dass du bis zum Abendessen wieder da sein musst.“

„Ja, ja. Ich werde schon pünktlich sein. Ich nehme doch meine Uhr mit.“

„Wie viele Schnecken musst du eigentlich sammeln?“

„Ach, ich denke, fünf oder sechs sollten reichen. Ich brauche aber auch dementsprechend viele Holzkästchen, damit ich den Versuch genau protokollieren kann.“

„Ich glaube, ein paar Schuhkartons habe ich noch, wenn die auch gehen. Die kannst du gerne nehmen.“

„Ich denke, das wäre okay. Dann bis später, Mama.“

„Ja, bis später, Edwin.“

Und so macht Edwin sich auf den Weg zum Waldrand, um seine Schnecken zu sammeln.

So wie Amanda vergisst auch er alles um sich herum, sobald er den Waldrand erreicht, und schlendert gedankenverloren den schmalen Waldweg entlang. Nach einiger Zeit fällt ihm wieder ein, dass er ja noch Schnecken sammeln muss. Er schaut unablässig auf der Suche nach ihnen auf den Boden.

„Verdammt, jetzt laufe ich schon eine ganze Zeit durch den Wald, ohne eine einzige Schnecke gefunden zu haben“, redet er leise vor sich hin und bleibt stehen. Enttäuscht schaut er sich um und merkt, dass der Wald sich verändert hat. „Nanu, das sieht hier aber komisch aus. Ich gehe diesen Weg doch immer. Die Blumen riechen auch anders und sehen viel schöner aus. Die Farben sind viel intensiver, es sieht auf einmal alles wunderschön aus.“

Da hört er plötzlich ein sehr merkwürdiges Geräusch. Ein piepsiges Stimmchen kommt aus einem Gebüsch und ruft immerzu: „Los, weg, los, schnell weg von hier. Sie kommen schon wieder. Pass auf! Sie kommen, oh nein, sie werden dich gleich erwischen. Nein, nicht schon wieder, pass doch auf!“

„Was ist denn das?“, fragt sich Edwin und will der Sache auf den Grund gehen. Er schleicht sich geduckt und ganz leise zu dem Gebüsch, aus dem er die Stimme gehört hat.

Da hört er schon wieder diese piepsige Stimme: „Oh nein, oh nein. Jetzt ist es um sie geschehen, was mache ich denn jetzt? Warum musste sie auch so weit vorfliegen? Oh nein, oh nein.“

Edwin schaut sich um, kann aber keinen Menschen entdecken. „Hallo, hallo, wer ist da? Ist da jemand?“, ruft er.

„Nicht so laut. Oh, Hilfe, was bist du denn für einer? Etwa einer von der Onkabande, willst du mich auch in diesen kalten Kerker sperren?“

„Nein, wie kommst du denn darauf? Wer spricht da überhaupt? Komm heraus! Was soll das Ganze? Bin ich hier bei der Versteckten Kamera? Und warum kann so ein kleines Ding wie du überhaupt sprechen?“

Als Edwin die kleine Libelle entdeckt, ist er zuerst ziemlich sprachlos, denn Libellen können nicht sprechen.

„Du bist nicht von der Onkabande?“

„Nein, ich bin Edwin“, stellt dieser sich vor. Noch im selben Augenblick fällt ihm auf, dass er ja mit einer Libelle spricht.

„Das ist gut, ich bin Sina, die Blumenfee.“

„Die was?“ Edwin glaubt, sich verhört zu haben. „Sag das noch einmal!“

„Ich bin Sina, die Blumenfee“, stellt Sina sich noch einmal vor, jetzt aber mit etwas mehr Nachdruck.

„Das gibt es doch gar nicht. Erstens gibt es keine Feen und zweitens schon gar keine, die sprechen können, und drittens bestimmt nicht welche, die sich mit mir unterhalten.“

„Ich unterhalte mich ja auch nicht mit dir. Es ist so schrecklich, so schrecklich.“ Sina fängt wieder an zu schluchzen und dann sogar zu weinen.

„Was hast du denn?“

„Meine beste Freundin Walli ist gerade eben von einem Onka geschnappt worden und wird nun in den Kerker gesteckt. Dabei habe ich sie noch gewarnt, aber sie wollte einfach nicht hören.“

„Jetzt mal ganz ruhig und nicht so schnell, ich verstehe nur Bahnhof“, bemerkt Edwin. „Erzähl doch mal von Anfang an und vergiss nicht zu erwähnen, wo ich bin.“

„Also gut, ist jetzt auch egal, vielleicht kannst du mir ja dann helfen.“

Und so erzählt Sina Edwin die ganze Geschichte vom Zauberwald, von den Onkas, die den Wald jetzt regieren, von der Feenkönigin, die von den Onkas wie alle anderen Feen gefangen und eingesperrt wurde. Und davon, dass sie eigentlich dringend Hilfe bräuchten, um den Wald zu retten, damit er wieder so schön und liebenswert würde, wie er vor der Herrschaft der Onkas war.

„Aber wer soll euch denn helfen?“, will Edwin nun wissen.

„Ich weiß auch nicht so genau, aber ich habe mal gehört, dass nur zwei unschuldige Kinder, das heißt Kinder, die noch nie ein Tier getötet oder gequält haben, den Wald retten können. Aber wie, keine Ahnung, ich habe es nur mal so gehört“, erklärt Sina.

„Jetzt noch mal von vorne, wie bin ich denn eigentlich hierhergekommen?“, möchte Edwin jetzt unbedingt wissen.

„Wie ich bereits sagte, es können nur Kinder unseren Wald retten, die …“

„Ja, ja, das sagtest du ja schon“, unterbricht sie Edwin. „Aber wie bin ich hierhergekommen? Schließlich wohne ich in Münster und bin auf Schneckensuche für mein Biologieprojekt.“

„Für was?“

„Ach, nicht so wichtig. Wie bin ich nun hier hineingeraten?“

„Du musst ein sehr lieber Junge sein und an nichts Böses denken, dann kann es schon mal passieren, dass ein Kind die Grenze zum Zauberwald überschreitet“, erklärt Sina.

„Und wie komme ich jetzt wieder zurück?“

„Das weiß ich leider nicht so genau, eigentlich weiß ich es gar nicht.“

„Kennst du denn nicht jemanden, der mir weiterhelfen kann?“, fragt Edwin etwas traurig.

„Vielleicht kann dir das weiße Nashorn helfen, aber ich dachte, du wolltest uns von den Onkas befreien? Denn wann kommt schon mal ein Menschenkind zu uns in den Wald, noch dazu, wenn es hier gerade so gefährlich ist.“

„Ich würde euch gerne helfen, aber ich muss doch nach Hause zurück und die Schnecken finden, außerdem essen wir um 19 Uhr.“

„Ach, mit der Zeit ist das hier so eine Sache. Ich habe mal gehört, dass für Menschenkinder die Zeit hier im Zauberwald stehen bleibt.“

„Das kann ich zwar nicht so wirklich glauben, aber was soll’s, ich komme hier ohne Hilfe eh nicht wieder heraus. Also versuche ich, euch zu helfen, und du versuchst, mit mir das Nashorn zu finden. Hört sich doch alles nach einem Traum an“, fügt Edwin etwas leiser hinzu.

Dass das weiße Nashorn in den Höhlen der Onkas eingesperrt wurde, erzählt Sina allerdings nicht.

„Ich glaube, es gibt in der Mitte des Waldes eine kleine geheime Lichtung. Dort treffen sich die Waldbewohner, um zu beratschlagen, was man gegen die Onkas unternehmen kann. Dort sind immer ziemlich kluge Tiere dabei. Vielleicht können die dir ja helfen, aber du darfst niemandem von der Lichtung erzählen, denn es ist ein geheimer Ort. Nicht auszudenken, was wäre, wenn die Onkas davon erfahren würden. Du gehörst doch wirklich nicht zu denen, oder?“

„Nein, oder sehe ich vielleicht so aus? Apropos, wie sehen die Onkas eigentlich aus?“

„Das erzähle ich dir auf dem Weg zur Lichtung, nun lass uns aber von hier verschwinden. Denn ich befürchte, dass schon der nächste Onkatrupp im Anmarsch ist. Bestimmt haben sie neue Gefangene dabei. Also los. Darf ich mich, während du gehst, ein wenig auf deiner Schulter ausruhen? Es war ein aufregender Tag und er scheint mir noch nicht zu Ende zu sein.“

„In Ordnung, dann mal los. In welche Richtung soll ich gehen?“

„Erst mal aus diesem Gebüsch heraus und dann an den sprechenden Bäumen vorbei, immer geradeaus.“

„An den sprechenden Bäumen vorbei?“

„Ja, hier im Wald kann alles sprechen.“

„Unglaublich! Ganz bestimmt träume ich.“

Und so machen sich Edwin und Sina auf den Weg zu der kleinen Lichtung und hoffen, dass dort heute eine Versammlung stattfinden wird.

Mission Zauberwald

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