Читать книгу MÄDCHEN.SUCHT.LIEBE - Eva Hollbach + Manfred H. Schmitt - Страница 5
2 Ich stelle mich mal richtig vor
ОглавлениеUnd damit sind wir schon bei der dritten ..., nein, jetzt vermeide ich Fäkalsprache und sage vornehm, beim dritten Problem, in dem ich stecke. Vielleicht bin ich jetzt so zurückhaltend, weil ich von mir rede. Das Problem bin ich, weil ich nicht weiß, was ich will. Ich kann mich nicht entscheiden, ich hintergehe Freunde, ich bin einfach willenlos und könnte mich selbst ankotzen für das, was ich mache.
Und ich bin schon fast zwanzig, da sollte man es wissen, wenn ich Mama richtig verstanden habe. Als ich kurz vor dem sechzehnten Geburtstag war und sie gesehen hat, dass ich mit einem Mitschüler Hand in Hand heimgekommen bin, hat sie sich einmal richtig Zeit genommen, um mit mir von Frau zu Frau über Freunde zu sprechen. Übrigens war mit diesem sogenannten Freund gar nichts, sogar absolut nichts außer Händchen halten, er war viel zu schüchtern! Schade, er war ein besonders hübscher Kerl. Er hieß Kevin, der Arme, und ist inzwischen weggezogen! Seitdem fange ich mit Gleichaltrigen nichts mehr an, weil mit ihnen nichts anzufangen ist! Haha!
Also: Mama sagte mir damals, ihr hätte es gut getan, dass sie erst spät riskiert hat, einem Mann so zu vertrauen, um mit ihm richtig Liebe zu machen ... Genau so kompliziert hat sie es formuliert! Ich weiß nicht, was ich davon halten soll! Wollte sie sich damit an mich heranschmeißen? Oder ist sie nur verklemmt? Sie rückte heraus, dass sie damals während ihres Lehramtsstudiums in Heidelberg, also erst mit neunzehn oder zwanzig, lange mit jemand zusammen war, ihre erste richtige Liebesbeziehung. Dieser „Mensch“ (Originalton Mama!) habe sie dann sehr enttäuscht. Dann wäre sie ein bisschen labil gewesen, bis sie Papa kennen gelernt hat. Sie hätte dann gewusst: Das ist der Richtige. Und dann wäre es ganz schnell gegangen: Verlobung, Heirat und bald ich.
Zum Schluss kamen dann die mütterlichen Ratschläge (oder waren es Anweisungen?): „Ich will so konkret wie möglich sein, damit du mich verstehst. Frühestens mit achtzehn! Ab dann bist du ja volljährig, aber wichtiger ist, dass du dann hoffentlich vernünftig genug bist! Könntest du das oder besser noch mein damaliges Alter als Maßstab nehmen, Eva? Ich glaube, vorher weiß man nicht, was man will, man kann es aufgrund seiner Entwicklung gar nicht wissen.“
Ich in meinem damals kindlichen Alter war von diesem Gespräch schwer beeindruckt: Meine aseptische Mutter erzählt mir von ihrem Liebesleben vor der Ehe, als ob sie mit einer Freundin reden würde! „Wichtig ist“, sagte sie abschließend sehr süß und mütterlich, „dass du offen zu mir bist, wenn du Probleme hast. Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst, ich bin doch deine Mutter!“ Die üblichen Müttersprüche halt. Ich habe natürlich zu allem Ja und Amen gesagt. Daraufhin hat sie mir einen Kuss gegeben und ist befriedigt gegangen.
Später habe ich über das ganze Gespräch nachgedacht und mir sind Fragen gekommen: Was hat sie für Dinger gedreht, als sie nach diesem Reinfall mit diesem „Menschen“ labil gewesen war? War Papa erst der zweite Mann in ihrem Bett? Wahrscheinlich hätte sie auf diese Fragen keine Antwort gegeben.
Das alles war natürlich vor dem Fall mit Papa und seiner Frau im Büro und vielleicht noch anderen. Denkt sie jetzt immer noch, er ist der Richtige? Auch das habe ich sie nicht gefragt.
Ich kann sie verstehen, wenn sie mit Papa böse ist. Bei Simon will ich auch nicht, dass er ein anderes Mädchen anguckt, geschweige denn mit ihr rummacht, solange er mein Freund ist. Obwohl wir noch nicht einmal alles zusammen gemacht haben, was man so machen könnte. Und obwohl wir eigentlich vereinbart haben, dass wir trotz allem frei sind. Er ist ein Braver, obwohl er anders tut, er ist Sportler und leider oft nicht da. Und obwohl ich an ihm absolut nicht kritteln dürfte, wenn ich an die Sache mit Lukas denke. Das sind ziemlich viele obwohl – so viele Widersprüche!
Wie war das mit dem Kategorischen Imperativ von Kant, über den wir mal im Unterricht geredet haben? Kategorischer Imperativ, wie das so hochgestochen klingt! Waldemar Kneisel, seines Zeichens Oberstudienrat an unserem Liebig-Gymnasium, hat es mühsam erklärt. Immerhin: In dieser Stunde habe ich endlich begriffen, dass es im Prinzip nur der philosophische Ausdruck dessen ist, was ich schon von Opa Hannes gehört habe: Was du nicht willst, das man dir tut, das füg’ auch keinem andern zu! Also - wenn ich von meinem Simon trotz allem Treue verlange, dann hätte ich nicht mit Lukas herummachen dürfen. Oder habe ich diese Sache mit Lukas gemacht, weil Simon ein Braver ist und Lukas keiner? Oder weil Lukas halt alles richtig gemacht hat? Es ist alles so kompliziert, nur für Lukas ist alles einfach. Schön war es mit ihm, er kann trotz seines zielbewussten Wesens so zärtlich sein. Davon kann ich nicht genug kriegen.
Mein Name Eva stammt – wie ihr wisst - aus der Bibel. Gehe ich deshalb so gern mit Männern, die biblische Namen tragen?, frage ich mich. Da gibt es noch mehr, die ich kenne ... Mit Joe hat mein Liebesleben angefangen, intensiver zu werden. Joe ist die englische Abkürzung für Joseph. Der Name steht ja auch in der Bibel. Es ist kein Heiliger, soviel ich weiß. Auch mein Joe war kein Heiliger, er hat gut geküsst und geknutscht – und er wollte alles auf einmal.
Ich habe lange diese bestimmte Grenze beachtet, die ich einhalten sollte (wollte?). Ich bin keine Heilige, aber ich bin auch keine Schlampe! Wenn wir gerade bei Heiligen sind: Es gibt auch noch Phil, ein weiterer Freund. Der ist ein Heiliger und vielleicht auch ein Intellektueller. Das behauptet er zumindest. Jedenfalls haben wir eine sogenannte platonische Beziehung, und eine sehr gute. Aber um ihn bin ich auch besorgt. Das werde ich alles noch erklären, ich bin ja erst am Anfang.
Diese Grenze ist mir also von meiner Mutter eingeimpft worden. Ich hätte damals natürlich irgendwann sagen können: Was geht mich dieses Versprechen an meine Mutter an? Ich war damals jung und dumm!
Aber ich bin ja auch nicht ganz blöd, ich habe nämlich in diesen jungen Jahren auch meine Beobachtungen gemacht. Ich muss ehrlicherweise zugeben: Manches, was ich mitgekriegt habe, bestätigt die Meinung meiner Mama. Mädchen, die zu schnell mit ihrem Freund vögeln, weil er so darauf drängt („Ach, du liebst mich nicht, sonst würdest du nicht immer Nein sagen“), werden dann oft als eine bitch eingeschätzt. Wenn die Geilheit der Jungs befriedigt ist, sagt einer zum andern: „O, die Billa, eine super gute Matratze, probier sie mal aus“, oder das ausgelutschte, aber immer noch beliebte: „Doro ist gut zu vögeln“. Und wenn man gewisse Bilder von sich machen lässt („Ach Baby, ich möchte deinen Körper Tag und Nacht bewundern!“), kann man dann irgendwann im Internet von der ganzen Welt besichtigt werden. Das ist viel schlimmer als im Mittelalter bei den Frauen am Pranger.
Mein Versprechen an Mama habe ich also gehalten, weil es mir logisch erschien. Trotzdem habe immer wieder gedacht: Wenn vor dem „richtigen Alter“ wirklich etwas Unvorhergesehenes passiert – zum Beispiel die große Liebe – dann kann ich nicht mehr die folgsame Tochter sein!
Ich habe schon einiges mitgemacht, ich bin ja auch bloß eine Frau, die – siehe oben – Liebe und Zärtlichkeit braucht. Und ich muss ja Erfahrungen sammeln, das sagt jeder. Man muss Männer oder die, die sich dafür halten, kennen lernen, um sie beurteilen zu können, um den richtigen zu finden: Ist dieser Beau eine taube Nuss oder ein Superman? Oder: Ist dieser hässliche Frosch vielleicht ein Prinz? Und wenn man sich festlegt hat und gar heiraten will, muss man eine Prognose stellen für die Zukunft von Jahrzehnten. Daran will ich lieber nicht denken, noch nicht.
Ich muss also noch viel lernen, noch viele Männer checken, erproben, ausprobieren, testen ... Wie das klingt, so richtig frivol - oder so richtig unternehmungslustig! Aber das ist reine Theorie, in Wirklichkeit schaffe ich das nicht, ich nehme alles zu schwer. Wenn ich da an manche Mitschüler denke, Mädchen und Jungs, die – poetisch ausgedrückt – wie Schmetterlinge von Blüte zu Blüte schwirren und jeden Wechsel ohne irgendwelche Skrupel oder gar Tränen verkraften. Ich kenne da eine, aber von der später! Schön wäre für mich eine unfehlbare Checkliste für die Erprobung von Männern als Ehemann. Das wäre super, aber so was ist halt Illusion!
Man hat es leichter, Männer zu testen, wenn man als Frau einigermaßen gut aussieht und auf sie (die Männer) wirkt. Ich habe natürlich wie viele andere Mädchen schon viel Zeit vor dem Spiegel zugebracht und mich kritisch beurteilt. Ich bin nicht zufrieden mit mir, aber es könnte schlimmer sein. Schön bin ich auf keinen Fall, ich halte mich für mittelhübsch.
Väter dazu zu fragen, bringt normalerweise nicht viel, sie sind ja Partei. Aber ich habe es bei meinem besonderen Papa versucht, als er mal zufällig daheim war. Ich habe den Mut gefasst, ihm eine Frage dazu zu stellen, da war ich siebzehn Jahre alt, kurz vor der Sache mit Joe. „Beurteile mich mal mit den Augen eines Mannes, nicht als Vater“, forderte ich ihn streng auf. Wir waren allein.
„Oho“, antwortete er, „mein Töchterchen wird nicht nur bald volljährig, es wird erwachsen!“
„Bitte!“, sagte ich ungeduldig, weil mein Mut sank.
„Stell’ dich dahin“, sagte er aus seinem Sessel im Wohnzimmer heraus und wies zum Fenster. „Dreh’ dich mal – mal schnell und mal langsam!“ Ich machte getreu alles, was er sagte und war gespannt. Der weite Rock, den ich damals wegen meiner Beine extra angezogen hatte, schwang um mich herum.
„Jetzt komm her und sieh mich an!“ Er war aufgestanden und schaute mir ins Gesicht. „Ich versuche, ganz objektiv zu sein ... und schonungslos“, sagte er mit gekrauster Stirn, „du willst ja nicht, dass ich dir schmeichle ...“
Ich wurde immer nervöser und erwartete nun das Schlimmste.
„Du hast meine Figur, bist aber nicht zu groß, lange schöne Beine, das ist ja alles positiv“, er lächelte mich an, „hast aber auch ein bisschen zu wenig Busen!“ Das wusste ich schon, das musste er mir nicht sagen. „Das ist das einzige männliche Manko! Aber das wird vielleicht noch. Die Linie bei dir von der Taille zur Hüfte dagegen, wenn ich das als Vater sagen darf, die ist sexy! Das sieht man in diesem Rock nicht so gut, aber ich weiß es!“ Das wusste ich nicht. Ich wusste nur, dass mein Hintern ein bisschen sehr rund war, da hatte wohl meine Mutter mit ihren Genen hineingepfuscht. Und mir fiel auf, dass er, mein Vater!, mich schon früher männlich abschätzend von hinten betrachtet haben musste. „Glaube mir, Männer mögen gern ein bisschen Rundungen an bestimmten Stellen. Die sind bestimmt ganz hin und weg, wenn sie hinter dir gehen und du hast eine enge Hose oder einen engen Rock an. Du hast eine tolle Figur. Und fast ein Madonnengesicht, betont durch deinen Mittelscheitel. Ich würde dich sofort nehmen, wenn ich nicht so nah mit dir verwandt wäre.“
„O Papa, du bist einfach unmöglich“, sagte ich, wieder mal unnötig verlegen werdend, und warf mich in seine offenen Arme. Er war schon ein überzeugender Mann. Ich war stolz auf seine Beurteilung, wenn ich auch gewisse Reserven dagegen hatte.
Als ich nach oben schaute, sah ich sein Gesicht direkt vor mir. Es bekam jetzt mit knapp fünfzig Jahren langsam härtere Linien und mehr Falten, die Schläfen wurden grau, aber das machte ihn nur noch interessanter und attraktiver. Und ich sah, dass sein Blick auf mich im Moment ganz anders war als sonst – war das noch väterlich? Vielleicht deswegen, weil ich ihn nicht gerade töchterlich ansah? Verlegen machte ich mich aus seinen Armen frei.
„Eva, mein Schatz, sei auch in der Liebe so klug, wie du sonst bist. Komm zu mir, wenn du Rat brauchst. Ich kenne die bösen Schliche der Männer, die nur unter deinen Rock schlüpfen wollen!“, sagte er. Er war nun wieder Vater, wenn auch ein sehr spezieller.
Ich weiß genau, warum du die Schliche kennst, dachte ich und antwortete: „Ich habe meistens Hosen an!“
Papa grinste und ergänzte sinnend: „Andererseits, Schatz, du musst selber deine Erfahrungen machen. Dabei wirst du auch schlechte machen. Ich wünsche dir nur, dass sie dir nicht zu tief gehen und dich verbittern, sodass du die Chancen nicht mehr erkennst!“ Mein lieber Mann, jetzt wird er am Ende noch philosophisch, mein Papa, dachte ich, warf ihm eine Kusshand zu und floh aus dem Wohnzimmer.
Später kam mir der Doppelsinn seiner Worte zu Bewusstsein: „Er würde mich nehmen ...“ war eine altmodische Formulierung für ..., na ja, ihr wisst schon. Aber ich war sicher, er wollte mir nur ein Kompliment machen.
Ich denke zu kompliziert, haben mir schon einige gesagt, vor allem Männer. Das sagen sie vor allem dann, wenn sie bei meinem Denken nicht mehr mitkommen, was oft mit ihrem eigenen (mangelnden) Denkvermögen zusammenhängt. Aber manchmal haben sie auch Recht, ich weiß es.
Hat nun mein Vater als Alleinjuror bei meinem Beauty Contest richtig gelegen? Na ja, ich bin einigermaßen zufrieden, es könnte schlimmer sein. Die Bewerber stehen zwar nicht Schlange und meine Gruppen bei WhatsApp sowie meine Fans auf Instagram und Facebook sind überschaubar, aber ich muss schon einigermaßen zufrieden sein. Vielleicht habe ich einen zu intellektuellen Touch. Ich kann und will halt nicht unterdrücken, dass ich einigermaßen intelligent bin und bei den besten Abiturienten meiner Schule. Soll ich vielleicht das Dummerchen spielen, damit die Bübchen sich überlegen fühlen können? Nein! Ärgern tue ich mich natürlich, wenn in der Diskothek oder bei Partys die attraktivsten Kerle an mir vorbei gehen, entweder schon gebunden sind oder sich gebunden fühlen. Oder sie gehen lieber zu den aufgestyltesten Girlies, die den tiefsten und den gefülltesten Ausschnitt haben und den Männern dann einblasen, wie toll sie sind. Habt ihr die feine Anspielung bemerkt, die ich gerade gemacht habe?
Bei diesem Learning by doing am Objekt Mann habe ich bis jetzt immer noch den bestimmten Punkt, diese berühmte Grenze einhalten können. Na ja, bis Lukas kam. Da habe ich mich vergessen. Aber da war ich ja schon neunzehn, also durfte ich es nach der Regel meiner Mutter. Und da habe ich nach Mamas Version das erste Mal richtig Liebe gemacht. Ich nehme an, ihr wisst, was sie meint und was ich meine! Näheres folgt.
Ist Lukas nun meine große Liebe oder nur ein guter Verführer? Bin ich vielleicht nur unvernünftig und leichtsinnig? Und was ist mit Simon und Philipp? Ich möchte keinen missen! Können Frauen logisch sein?, höre ich meinen zynischen Papa sagen.
Wie erkennt man eigentlich die große Liebe? In der Literatur erkennt man sie oft daran, dass der Held oder die Heldin den Verstand verliert. So verlässt zum Beispiel Tolstois berühmte Anna Karenina ihren Mann, kämpft um ihren Sohn, bekommt von ihrem neuen Lover Wronskij eine Tochter, wird depressiv oder sowas Ähnliches und begeht schließlich Selbstmord. Das kann ja kein Vorbild für mich sein!
Ich will mich verlieren an einen Mann, der es wert ist, und trotzdem noch einigermaßen vernünftig bleiben. Es ist halt schwierig mit der großen Liebe. Sie oder etwas Ähnliches hat sich noch nicht gemeldet bei mir. Oder habe ich sie nicht erkannt bei den Männern, die mir über den Weg gelaufen sind? Vielleicht war die Auswahl nicht groß genug? Vielleicht ist es notwendig, dass ich ein Dating-Portal einschalte? Nein, zuerst muss ich meine im Moment vorhandenen Männer richtig durchchecken. Es wird ja langsam Zeit, dass sich was tut. Liebe, verzweifelt gesucht! Ich warte auf dich! Ich werde bald zwanzig!