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Kapitel 3
ОглавлениеDie Sonne scheint, eine Seltenheit im Juni, und Rosa-Li öffnet das Fenster, um es gleich wieder zu schließen. Lima stinkt mal wieder, wie immer, wenn der Wind von den Fischmehlfabriken in Callao kommt. Jede Stadt hat ihren eigenen Geruch. Buenos Aires riecht nach Metall, La Paz nach ungelüfteter Wäsche, Bogotá nach der grünen Spülpaste, mit der die Leute ihr Geschirr abwaschen. Weckte man sie nachts und hielte ihr eine Tüte Luft vor, würde sie sofort erkennen, wo man sie eingefangen hat.
Roberto schläft noch, und auch Rosa-Li beschließt, wieder unter die Decke zu kriechen. Es wäre zu schön, wenn Alejandra wegen einer dicken Korruptionsgeschichte ermordet worden wäre. Sie müssten ihr nur noch auf die Spur kommen. Nur noch. Und es müsste mindestens ein Minister damit zu tun haben. Oder der Präsident. Internationale Verwicklungen wären noch besser. Das könnte sie verkaufen. Niemand im deutschen Blätterwald interessiert sich mehr für Lateinamerika, seit hier nicht mehr blutrünstige Diktatoren ihr Unwesen treiben, deren Menschenrechtsverletzungen die Empörung des deutschen Durchschnittsredakteurs verdienen. Doch Sex and Crime ziehen immer. David würde ihr Zynismus vorwerfen. Aber nun ist Alejandra schon mal tot, und da ist es wohl kaum verwerflich, dass sie von einer heißen Story träumt. Womöglich handelt es sich aber nur um ein ganz gewöhnliches Familiendrama. Reicher Unternehmer tötet Ex-Frau aus Geiz, wahlweise Eifersüchtige Menschenrechtsanwältin erstickt Geliebte des Ehemannes. Oder so ähnlich. Sie war noch nie gut im Titeln. Auch wenn Laura ihr immer sympathisch war und sie ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte bewundert hat – sie hatte ebenfalls ein Motiv, Alejandra zu ermorden.
Roberto räkelt sich, grunzt, schiebt die Hand unter ihre Bettdecke und schaut sie an. »Du hast wieder diesen entschlossenen Ich-mache-ganz-viel-Kohle-Blick. An welcher Erfolgs-Story strickst du denn gerade?«, will er wissen.
Sie setzt eine beleidigte Mine auf. »Du hast gut reden. Du schwimmst im Geld, ich dagegen kämpfe täglich ums Überleben.«
»Mir kommen die Tränen.« Roberto rutscht unter ihre Decke. »Glaubst du, du kannst deinen endgültigen Durchbruch zur Star-Publizistin ein paar Minuten verschieben und dich einem unbedeutenden, aber unwiderstehlichen Fernsehmoderator aus der Dritten Welt widmen?«.
Rosa-Li stöhnt. »Wenn es denn sein muss. Dass ihr Männer aber auch immer nur an Sex denken müsst!«.
Die Kellner räumen bereits das Frühstücksbüfett ab, als die beiden in den Speisesaal kommen, doch Roberto kann eine Serviererin mit einem schmachtenden Blick überzeugen, ihnen doch noch einen Kaffee und ein paar Rühreier zu bringen. Die junge Frau schmolz förmlich dahin, als er leise auf sie einredete. Sie musterte Rosa-Li von oben bis unten, und ihr war anzusehen, was sie dachte: Was macht so ein Traum von einem Mann mit einer etwas zu fülligen Fünfzigjährigen? Manchmal fragt sie sich das selbst. Wenn sie einen Durchhänger hat und mit sich und der Welt hadert. Damals, vor sechzehn Jahren, hat sie gelitten wie ein Hund, als er ihr sagte, er fände es toll, mit ihr gemeinsam zu recherchieren und dann zusammen ins Bett zu gehen, doch er wolle keine feste Beziehung. Lang, lang ist´s her. Sie hat dann David geheiratet, aber sie haben sich immer mal wieder gesehen, wenn sie in Kolumbien war, und Roberto hat sie sogar besucht, als sie als Korrespondentin für das Wochenblatt in Santiago de Chile lebte. Im letzten Jahr hat es dann wieder heftig zwischen ihnen gefunkt, als sie in Medellín nach den Entführern ihres Freundes Ottmar suchte. Drei Monate lang hat sie dann in Bonn ihre Kolumbien-Stories abgearbeitet, und sie haben fast täglich gemailt oder telefoniert. Zumindest im Moment ist das auch für sie okay. Sie hat geglaubt, das mit David sei fürs Leben, dann traf sie Roberto wieder, und David verschwand. Aus der Traum von der allabendlichen Gemütlichkeit am Kamin. Auch gut, zumindest hier und jetzt.
»Sag mal, machen wir nun Urlaub und gehen ins Museum oder klemmen wir uns hinter die Geschichte?«, fragt sie ihn.
»Ich vermute, meine Liebe, dass es sich dabei wieder um eine deiner rhetorischen Fragen handelt. Wir recherchieren, warum sonst sind wir nach Lima zurückgeflogen?«. Roberto nippt an seinem Kaffee und schüttelt sich: »Pfui Teufel, das ist ja Pulverkaffee!«.
»Klar, die Peruaner haben eine Schwäche dafür. Aber sei froh, dass sie dir Pulverkaffee gebracht haben und keinen Kaffeesud.«
»Kaffeesud?«. Er schaut sie ungläubig an. »Das klingt ja scheußlich.«
Sie nickt. »Den stellen sie in kleinen Karaffen auf den Frühstückstisch, und du gießt ihn dir nach Belieben mit heißem Wasser auf. Ist gewöhnungsbedürftig. Ich hatte es völlig vergessen, aber hier bestellst du am besten Espresso.«
»Werde ich mir merken. Aber zurück zum Thema: Ich denke, wir sollten uns auf die Suche nach diesem Journalisten machen.« Er zieht die Visitenkarte aus der Jackentasche. »San Juan de Lurigancho. Kennst du das Viertel?«.
Rosa-Li nickt. »Ziemlich weit draußen. Ich war da vor Jahren mal, da liegt ein Knast, in dem ich ein paar linke Guerilleros interviewt habe. Ist keine besonders vertrauenerweckende Gegend.«
»Am besten, wir mieten uns ein Auto. Denn ich gehe mal davon aus, dass du keine Lust hast, dich mit dem öffentlichen Nahverkehrssystem der peruanischen Hauptstadt vertraut zu machen.«
»Das siehst du genau richtig. Aber miete keine Luxuskarosse, die klauen sie uns unter dem Hintern weg.«
»Höre ich da etwa eine feine Spitze gegen mein Auto heraus?«. Er grinst.
»Aber wo denkst du hin! Die Automobilindustrie muss schließlich auch leben.«
Wenig später sitzen sie in einem Jeep, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Roberto drückt Rosa-Li den Stadtplan in die Hand, denn einen Navi hat das Gefährt nicht, und sie sieht Schlimmes auf sich zu kommen. Nie hatte sie sich mit David so gezankt wie im Auto. Er vertraute seinem angeblich so untrüglichen Orientierungssinn und sie der Karte. Das Ergebnis ließ sich in Dezibel ausdrücken. Zum Glück ist heute Sonntag, da ist zumindest der Verkehr nicht so dicht. Und Roberto ist nicht David.
»Wäre ein Mietwagen mit Chauffeur nicht praktischer gewesen?«, fragt sie.
»Ich dachte, du warst schon tausend Mal in Lima. Da wirst du doch zumindest ungefähr wissen, wie wir fahren müssen.«
Warum hat sie bloß nie auf den Weg geachtet? Nach jeder Reise hat sie sich geschworen, sich künftig die wichtigsten Strecken zu merken, aber dabei blieb es dann. Auch beim nächsten Mal hockte sie sich wieder in den Fonds und vergaß die Straßenschilder.
»Ich schaue mir die Leute an, an denen ich vorbeikomme, denn schließlich will ich über die schreiben. Was interessiert meine Leser, wie ich irgendwo hingekommen bin?«, antwortet sie schnippisch. »Aber beruhige dich, ich werde den Weg schon finden. Schließlich kann ich Karten lesen. Und mein Handy hat ein Navigationssystem«, fügt sie noch hinzu.
„Meins auch, Süße, auch wenn ich aus der Dritten Welt stamme. Aber leider funktioniert es nicht. Weiß der Teufel, was mit dem Empfang los ist“, erwidert Roberto.
Ihr fällt dennoch ein Stein vom Herzen, als schließlich die kahlen, fast schwarzen Riesendünen auftauchen, die die Hauptstadt gegen den Rest des Landes abschirmen. »In den Dünen wohnen die Armen. Je höher du kommst, desto ärmer sind die Leute.«
»Wie in Medellín, aber bei uns wachsen auch weiter oben zumindest noch ein paar Bäume. Und es scheint die Sonne«, mault Roberto.
»Ist heute dein Bei-uns-ist-alles-besser-Tag? Zu deiner Beruhigung: Diese dicke, bleierne Suppe dauert nur ein paar Monate, ab August ist meist schon wieder tolles Wetter. Heute Morgen, als du noch süß von mir träumtest, kam schon mal kurz die Sonne durch. Hier schüttet es nie wie aus Badewannen. Hat auch seinen Vorteil. In Medellín habe ich mir nicht nur einmal nasse Füße geholt.«
»Ist schon gut, ich sage ja gar nichts mehr.«
Die Häuser sind inzwischen niedriger geworden, und kaum eines ist fertiggestellt: Dem einen fehlt der Anstrich, dem nächsten der Putz oder die zweite Etage befindet sich im Rohbau. Wie überall in Lateinamerika bauen auch hier die Leute ihre Häuser Stein um Stein, manchmal über Jahre hinweg, weil die Kreditzinsen unerschwinglich sind und sie warten müssen, bis sie wieder Geld haben für die nächste Tür, das nächste Fenster. Und ästhetische Perfektion kann man sich auch nicht leisten.
»Der graue Komplex da hinten ist das Gefängnis. Siehst du die lange Schlange an der Mauer? Heute ist Besuchstag für Frauen, immer mittwochs und sonntags, glaube ich.«
»Und da warst du drin?«, will er wissen.
Sie nickt. »Einen Tag lang, es war furchtbar. Da laufen die Ratten in den Zellen rum. Kann ich dir nachher ausführlich erzählen, denn ich glaube, wir sind da. Die Imbissstube muss das Haus von Henry Salinas sein. Hoffentlich ist sie geöffnet, schließlich ist Sonntag.«
»Scheint kein besonders erfolgreicher Mann zu sein, dieser Salinas. Der Laden sieht heruntergekommen aus«, meint Roberto, als er den Wagen parkt. Sie steigen aus und schauen durch die Glasscheibe in der Tür, doch es ist niemand zu sehen. Roberto drückt die Klinke herunter, es ist offen.
»Ist hier jemand?«, ruft er, und Rosa-Li schaut sich um. Nackter Betonboden, schon etwas ausgetreten, und an der Wand stehen ein paar billige Holztische mit einfachen Stühlen. Die gelb getünchten Wände könnten einen neuen Anstrich vertragen. Doch es ist sauber. Und die Anticuchos auf der Theke sehen appetitlich aus. Hinter einem bunten Fliegenvorhang aus Plastikstreifen scheint die Wohnung der Familie zu liegen.
Roberto ruft erneut, und eine kleine, ältere Frau mit indianischen Zügen kommt angelaufen, sie trocknet sich mit einem Handtuch die Hände ab. »Ich habe gerade gespült«, entschuldigt sie sich und mustert die beiden von oben bis unten, denn nur selten verirren sich Fremde in diesen Teil der Stadt. Es sei denn, sie wollen Angehörige im Gefängnis besuchen. Aber die Familien der Inhaftierten tragen gewöhnlich keine Lederjacken aus feinem Handschuhleder, wie Roberto sie liebt.
»Was darf es denn sein? Die Anticuchos sind ganz frisch, und ich habe gerade Ceviche gemacht.«
Roberto überhört die Frage, stellt sich vor und fragt nach Henry Salinas.
Ihr zerfurchtes Gesicht verfinstert sich. »Mein Sohn ist nicht da.«
»Und wo können wir ihn erreichen?«, schaltet sich Rosa-Li ein.
Die Frau seufzt. »Wenn ich das nur wüsste. Er ist seit drei Tagen nicht mehr heimgekommen. Worum geht es denn? Ist es beruflich?«. Ihr ist die Sorge um den Sohn anzusehen.
Roberto nickt. »Gewissermaßen. Ihr Sohn wollte uns Informationen zukommen lassen.«
»Informationen? Mein Sohn? Und wozu?«, will die Frau wissen.
»Er wollte einer Kollegin von uns von einem Skandal erzählen. Sie ist nun... verhindert, und wir arbeiten weiter an ihrer Geschichte. Es geht um Korruption in der Regierung. Es wäre sehr wichtig für uns, mit ihm zu sprechen.«
Wie gut er blufft! Rosa-Li schaut auf den Boden, um nicht zu lachen. Roberto setzt noch nach: »Wir sind uns nicht sicher, aber es könnte sein, dass Ihr Sohn in Gefahr ist. Unsere Kollegin wurde nämlich ermordet, nachdem sie mit ihm gesprochen hat. Und wir vermuten, dass man sie zum Schweigen bringen wollte. Wir würden ihn gern warnen, damit ihm nicht auch etwas passiert.«
Ganz schön skrupellos, der Kollege Pavón. Versetzt die arme Frau in Angst und Schrecken, nur, damit sie redet. Die Frau stützt sich schwer auf ihre Theke, und ihr steht das Entsetzen im Gesicht. »Um Himmels willen! Das ist ja furchtbar!«, ruft sie aus. Dann richtet sie sich mühsam auf, geht zu der Tür, aus der sie gekommen war, und teilt den Fliegenvorhang mit der Linken. »Kommen Sie doch mit nach hinten, da lässt es sich ruhiger reden.«
Sie treten in eine kleine Wohnstube, die von zwei knallrot geblümten Plüschsesseln und einem Fernseher beherrscht wird. In einem Wandregal drängt sich Nippes, Porzellantänzerinnen auf einem Bein in Rosa, eine Barbiepuppe in einer Tracht des Andenhochlandes und ein großes Foto in einem breiten Goldrahmen, den Plastikblumen zieren. Das Bild zeigt einen jungen Mann mit ernsten Augen und von Gel glänzendem, schwarzen Haar. Das muss ihr Sohn Henry sein.
Frau Salinas bittet die beiden, in den Sesseln Platz zu nehmen, und will sich einen der Holzstühle aus dem Gastraum holen, doch Roberto, ganz Kavalier, springt wieder auf und erledigt das für sie. Rosa-Li versinkt fast in dem Plüschmonster.
»Hat Ihr Sohn Ihnen nicht gesagt, wo er hingefahren ist?«, hebt Roberto von Neuem an. Die Frau schaut ihn an. »Wie soll ich denn wissen, ob ich Ihnen trauen kann?«, fragt sie.
»Haben Sie schon mal Los amigos de Roberto gesehen?«, fragt Rosa-Li, »das Programm aus Kolumbien?«.
Da hellt sich Frau Salinas´ Gesicht auf, und sie strahlt Roberto an. »Sie kamen mir doch gleich so bekannt vor. Natürlich! Sie sind Roberto! Ja, das ist aber eine Überraschung! Dass ich Sie nicht sofort erkannt habe! Aber wer kann denn damit rechnen? Da wird sich mein Henry aber freuen.« Sogleich wird sie wieder ernst. »Also, er ist am Freitag nach Cusco gefahren, er wollte sich dort gestern mit jemandem treffen. Es ging um Geld. Mama, wenn ich zurück bin, kann ich dir endlich den neuen Gasherd kaufen, hat er gesagt. Aber bis jetzt ist er nicht wieder aufgetaucht. Nicht einmal angerufen hat er mich. Das ist sonst gar nicht seine Art. Und sein Handy ist auch ausgeschaltet. Er ist mein einziges Kind, und er weiß, dass ich mir immer Sorgen um ihn mache.« Sie schaut Roberto bekümmert an. »Ihm muss etwas passiert sein, sonst hätte er sich längst gemeldet.«
»Wenn er sich verstecken wollte: Haben Sie eine Idee, wo er hingehen würde?«, fragt Rosa-Li.
Sie nickt. »Nach Satipo. Da wohnt Elena, Elena Cruz, seine Freundin. Sie ist Krankenschwester, wissen Sie, und hat dort eine gut bezahlte Stelle gefunden. Er fährt häufig dorthin. Immer, wenn seine Arbeit es zulässt.«
»Satipo? Wo liegt denn das?«. Roberto schaut Rosa-Li fragend an, doch auch sie zuckt die Schultern.
»So genau weiß ich es auch nicht, aber es ist sehr weit. Er ist immer etliche Stunden mit dem Bus unterwegs. Man muss die Kordilleren überqueren. Und es ist sehr warm dort, das hat Henry mir erzählt«, erklärt seine Mutter.
»Was macht Ihr Sohn eigentlich beruflich?«, will Roberto wissen. Frau Salinas steht auf, holt aus der angrenzenden Küche ein kleines Transistorradio und schaltet es ein. »Ich höre ihn immer«, sagt sie stolz. »Radio Reloj heißt der Sender. Er geht immer zur Regierung, spricht dort mit wichtigen Leuten und erzählt im Radio, was sie ihm gesagt haben.«
Er ist also auch Journalist. Umso interessanter wäre es, mit ihm zu sprechen, denn womöglich ist er an der gleichen Geschichte dran wie die Tote, jubelt es in Rosa-Li.
Die Frau erhebt sich erneut und reicht Roberto einen Zettel. »Hier hat er mir die Telefonnummer aufgeschrieben. Ich habe da heute früh schon angerufen, aber sie wissen auch nicht, wo er ist. Ich habe sogar schon dran gedacht, bei der Polizei nach meinem Sohn zu fragen, doch Henry sagt immer, sie tauge nichts.«
»Da könnte er Recht haben. Am besten ist, Sie warten noch damit. Sobald wir etwas wissen, sagen wir Ihnen Bescheid«, verspricht Roberto der besorgten Mutter und rät ihr, zunächst mit niemandem über Henrys Verschwinden zu sprechen. Und wenn jemand nach ihm fragt, soll sie unter keinen Umständen erwähnen, dass er in Satipo sein könnte.
Sie plaudern noch ein wenig, und Frau Salinas lässt sie erst ziehen, nachdem sie ihre Antichuchos probiert haben. Nur mit Mühe bringen sie sie davon ab, ihnen auch noch ein paar von den Rinderherzspießen einzupacken.
»Auf nach Satipo«, schlägt Rosa-Li vor, als sie wieder im Wagen sitzen.
»Ich glaube, vorher sollten wir uns noch ein wenig um die peruanische Medienlandschaft kümmern. Was hältst du davon, wenn wir mal bei Radio Reloj vorbeischauen? Es ist zwar Sonntag, aber vielleicht haben wir doch Glück. Journalisten arbeiten ja auch am Wochenende. Und mit Alejandras Chef in der Nación würde ich mich auch gern unterhalten. Vielleicht bringt uns das weiter.«
»Dann lass uns erst zur Nación fahren, das liegt auf dem Weg. Soviel ich weiß zumindest.« Rosa-Li lacht und vertieft sich wieder in den Stadtplan.
Limas größte Tageszeitung ist in einem alten Gebäude im Zentrum untergebracht. Die makellose rote Fassade mit dem hellen Stuck muss erst kürzlich restauriert worden sein. Rosa-Li ist fasziniert von dem riesigen Kronleuchter im Foyer. Sie liebt diese Staubfänger mit kristallenen Tränen, Tropfen und Kugeln. Sie hatte einmal ein bedeutend kleineres Exemplar auf einem Flohmarkt in Buenos Aires erstanden und sich im Flieger mit der Flugbegleiterin gezankt, weil die nicht zuließ, dass sie es mit in den Passagierraum nahm. Als sie das Ding zuhause auspackte, war von seiner Schönheit nicht mehr viel übrig. Stundenlang hatte sie gebastelt, Messingblätter wieder geradegebogen und Tropfen geklebt, und als sie das Ergebnis dann stolz ihrem Gatten vorführte, war der entsetzt, dass sie so etwas Kitschiges über den Esstisch hängen wollte. Noch heute ärgert sie sich, dass sie den Kronleuchter daraufhin an einen Ramschladen verkauft hat. In wesentlichen Dingen sollte frau eben nicht auf den Ehemann hören. Der Leuchter hätte gut in ihren Flur in Bonn gepasst.
Der Chefredakteur hat Sonntagsdienst und die Frau am Empfang meldet Roberto bei ihm an. Wider Erwarten werden sie sofort vorgelassen. Bekannt müsste man sein, dann stehen alle Türen weit offen. Die Sekretärin des Chefredakteurs holt sie ab und führt sie durch dunkle Gänge, die mit Pappe ausgelegt sind. Trotz des Wochenendes wird im Gebäude heftig renoviert. Irgendwo dröhnt ein Presslufthammer. Rosa-Li würde verrückt werden, wenn sie bei dem Lärm schreiben müsste.
Der Chefredakteur schnellt wie eine Feder hinter seinem riesigen Schreibtisch hervor, als sie sein Büro betreten. Antonio Neustadt kommt Roberto mit ausgestreckter Hand entgegen, als seien sie alte Freunde. »Ich freue mich, Sie persönlich kennenzulernen. Ich bin ein großer Bewunderer Ihrer Arbeit«, flötet er.
Roberto bedankt sich brav für das Lob und stellt Rosa-Li vor, doch der alerte, blonde Mittdreißiger im perfekt sitzenden grauen Kaschmir-Zweireiher nimmt sie kaum wahr. Er weist mit der Hand auf die Sitzecke und bittet sie, Platz zu nehmen. Nachdem er telefonisch Kaffee geordert hat, erzählt er Roberto, dass sein Großvater die Zeitung vor fast hundert Jahren gegründet und sein Vater ihm kürzlich die Leitung übertragen hat. Er schaut leicht gequält. »Es ist eine enorme Verantwortung, schließlich gehören wir zu den Meinungsführern in diesem Land, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Robert versteht und nickt zur Bestätigung. Neustadt kommt Rosa-Li vor wie ein Pfau, der seine Federn spreizt. Sie schaut sich um. Über dem Schreibtisch prangt ein Universitätsdiplom in spanischer Sprache, und gleich daneben, ebenfalls in einem schweren Messingrahmen, ein weiteres, aus dem hervorgeht, dass sie einen leibhaftigen Harvard-Absolventen vor sich haben.
Roberto kommt zur Sache. »Wir sind hier, weil wir mit Alejandra Prieto Machu Picchu besichtigen wollten.« Er macht eine Pause. »Doch dazu kam es dann leider nicht mehr. Wir sind Journalisten, und die Umstände ihres Todes ließen uns keine Ruhe, wenn Sie verstehen.«
Neustadt versteht. Von Medienstar zu Medienstar versteht man sich. »Ach, Sie haben Alejandra da oben getroffen? Sie hat mir gar nichts davon erzählt, dass sie mit Ihnen verabredet war.« Er schaut leicht beleidigt.
»Wir waren nicht verabredet, wir haben sie zufällig dort kennengelernt, im Restaurant des Hotels.« Von Jorge erwähnt Roberto nichts.
»Alejandra war eine hervorragende Reporterin. Unbezahlbar. Sie war immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.«
»Nur diesmal nicht«, erdreistet sich Rosa-Li, den Chefredakteur zu unterbrechen.
»Äh, wie bitte? Nein, natürlich nicht.« Doch er lässt sich nicht beirren. »Will sagen, unser Haus verliert mit ihr eine ausgezeichnete Kollegin. Sie hatte einen untrüglichen Riecher für Skandale. Obendrein schrieb sie gut, stilsicher, klar.« Er gerät ins Schwärmen. Ob er auch ein Verhältnis mit ihr hatte?
»Und sie war ein wunderbarer Mensch. Alle mochten sie, sie war stets hilfsbereit, hatte für jeden ein freundliches Wort. Es ist für uns ein großer Verlust.«
Der scheint zu glauben, er müsse einen Nachruf schreiben, denkt Rosa-Li. Roberto unterbricht ihn. »Woran arbeitete sie denn zuletzt?«, will er wissen.
»Tja, so weit ich informiert bin, stocherte sie mal wieder im Leben der Präsidentengattin herum, ein sehr beliebtes Thema in Peru. Aber der wird ja wohl niemand zutrauen, dass sie deswegen einen Mord begeht. Sie ist schließlich daran gewöhnt, dass die Medien sie mit Argusaugen verfolgen. Ich glaube, sie genießt es sogar.« Er lächelt boshaft, und Rosa-Li schließt daraus, dass er die First Lady nicht leiden kann.
»Und dann saß sie seit Monaten an einer Korruptionsgeschichte. Sie hatte da mal einen Tipp erhalten. Aber um wen es ging, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Ich vermute jedoch, dass kein Minister involviert war, sonst hätte Alejandra mich über den Fall auf dem Laufenden gehalten. Minister sind Chefsache, wenn Sie verstehen.«
Sie verstehen. »Und Sie wären der Geschichte auch garantiert gleich nach ihrem Tod auf den Grund gegangen.«
Er nickt. »Aber natürlich. Schließlich bin ich selbst Journalist. Doch ich habe gestern gleich nach der Todesnachricht ihre Unterlagen persönlich gesichtet«, er zuckt bedauernd die Schultern, »aber es gab da nichts, was mir verdächtig erschien, nicht in ihren Papieren und nicht auf ihrem PC. Die Polizei hat sich natürlich heute Morgen ebenfalls alles angesehen und fand bis jetzt auch nichts Aufregendes. Ihren PC haben sie mitgenommen.«
Ganz untätig scheint die Polizei also doch nicht zu sein, denkt Rosa-Li.
»Uns gegenüber hat sie das Gesundheitsministerium kurz erwähnt«, blufft Roberto, und Rosa-Li hat das Gefühl, dass Neustadt eine Spur zu schnell aufschaut, so als habe er sich erschreckt. Aber vielleicht bildet sie sich das auch nur ein. Neustadt schüttelt den Kopf. »Nein, davon weiß ich nichts«, behauptet er eine Spur zu entschieden.
»Sagen Sie, Alejandra war doch verheiratet. Kennen Sie ihren Mann?«, mischt sie sich ein.
Jetzt nickt er. »Flüchtig. Ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Er ist in der Textilbranche tätig. Der Gesetzestreueste soll er allerdings nicht sein, so hat mir zumindest Alejandra berichtet. Sie hatten sich auseinandergelebt, ich glaube, sie hatte sogar die Scheidung eingereicht.«
»Aber die Zeitung ist seinen Geschäften nie auf den Grund gegangen?«, will Roberto wissen.
»Nein, dazu war er denn doch zu unbedeutend.«
»Es heißt, er zahlt weniger als den gesetzlichen Mindestlohn«, wirft Rosa-Li ein.
»Das behauptete Alejandra. Doch wer tut das nicht in diesem Land? Nein, das allein reicht nicht für eine Geschichte. Da müsste er schon obendrein Schmuggelware verarbeiten oder Drogendollars waschen.«
Roberto erkundigt sich noch, ob Alejandra neu liiert war, doch auch da muss der Chefredakteur passen. »Wissen Sie, wir hatten privat nur wenig Kontakt. Sie ist, so viel ich weiß, erst vor einigen Wochen bei ihrem Mann ausgezogen. Wenn es jemand Neues in ihrem Leben gab, so weiß ich zumindest nichts davon.« Neustadt schaut demonstrativ auf seine goldene Uhr. »Ich muss nun leider unser anregendes Gespräch unterbrechen, die Mittagskonferenz, Sie verstehen.«
Wieder verstehen sie. Er will sie für den Abend zum Essen einladen, und Rosa-Li fällt ein Stein vom Herzen, als Roberto ablehnt, weil sie morgen schon sehr früh auf Reisen gehen. Einen ganzen Abend lang diesen Wichtigtuer ertragen – dafür sind ihr die Ferien mit Roberto weiß Gott zu schade. Als er ihr die Hand gibt, erklärt er ihr, dass sein Urgroßvater auch einst aus Deutschland eingewandert sei. »Ja, von uns ist eben kein Land verschont geblieben«, antwortet sie und schaut ihn scheinheilig lächelnd an.