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Paulchen

Es war einmal ein dicker, zotteliger, dunkelbrauner Teddybär, der schon zwei

Generationen überstanden hatte, allerdings nur noch ein Auge besaß und sein linker

Arm abgerissen war.

Sein Name war Paulchen.


Er fristete seit Monaten ein langweiliges, liebloses Dasein inmitten von kaputten Autos, Babyspielsachen und abgegriffenen Bilderbüchern – all den Dingen, welche keine Verwendung mehr fanden in der Welt von Tina, die gerade dabei war, ihr Kinderzimmer endlich einmal aufzuräumen und zu entrümpeln.

Sie hatte zu Weihnachten einen brandneuen Teddy bekommen - einen absoluten Hit!

Er konnte auf Knopfdruck brummen, tanzen, mit seiner schwarzen Nase wackeln oder sich drollig auf dem Boden wälzen. Cool! Was für ein geniales Spielzeug!

Paulchen Teddybär vermochte dies natürlich ganz und gar nicht und sah zudem alles andere als schick aus – und somit war seine schöne Zeit als treuer Freund und Spielgefährte aus Tinas Kleinkindertagen endgültig vorbei.

Dies machte Paulchen ausgesprochen traurig, denn er war einst Tinas ständiger Begleiter, niemals schlief sie ohne ihn ein.

Sogar seine ersten Schritte tätigte das Mädchen mit Paulchen im Schlepptau.

Darauf war er ja sooo stolz!

Und weil Paulchen dann später auch mit seiner kleinen Freundin im Sandkasten spielen durfte, Tina überhaupt - niemals!- das Haus ohne ihr Paulchen verließ, musste er eben entsprechend oft gewaschen werden.

So verlor er mit der Zeit sein kuschelig weiches Aussehen - und sein rechtes Auge.

Aber das störte Tina nicht. Sie liebte ihn, so wie er war.

Und als Paulchen eines friedlichen Sommertages mit Tina in Omas Garten Picknick machte, da kämpfte seine Freundin tapfer um ihren Teddy, als Nachbars Hund - ein junger Border-Collie -, ihn sich, mit einem Satz über die frisch gestutzte Hecke, zum Spielen schnappte.

Tina alberte manchmal mit dem Tier herum, denn er war ein ganz liebes und überaus kluges Kerlchen, ließ sich sogar kleine Kunststückchen von dem Mädchen mit den zwei lustigen roten Zöpfchen beibringen. Aber wenn es um ihren geliebten Teddy ging, kannte Tina keinen Spaß! Das ging zu weit! Niemand, absolut niemand durfte es wagen, ihr den Teddybären einfach wegzunehmen.

So ein vierbeiniger, schwarz–weiß gescheckter Wildfang schon gar nicht!

Aber so sehr sie sich auch mühte, ihm gut zuredete, ihn mit allen möglichen Spielchen abzulenken versuchte, der Hund wollte dieses knuddelige braune Fellknäuel nicht wieder hergeben.

Paulchen glaubte sich schon verloren, als Tina nun, nach all den anderen gescheiterten Befreiungsversuchen, energisch an ihm zog, während der sonst so liebe Collie seinen Kopf ungestüm hin und her warf und wütend knurrte.

Was soll das!

Kann der sich nicht was anderes zum Spielen suchen?

„Giiiiiiib meinen Teddy her! “, schrie Tina erbost.

Dann - ein Ruck - und Paulchen war endlich wieder frei.

Doch halt!

Da stimmt doch was nicht!

Tina drückte ihr Paulchen zärtlich an sich und fing an zu weinen, schimpfte noch auf den Übeltäter ein, der sich fiepend und mit gesenkter Rute trollte.

Traurig lief sie ins Haus.

Teilnahmsvoll tröstete sie die Oma, als diese sah, dass Tinas Liebling ein Arm abgerissen war.

Die Beiden suchten überall im Garten, ob nicht irgendwo Paulchens Arm zu finden sei, jedoch ohne Erfolg.

Der Nachbarshund hatte ihn womöglich gänzlich zerfetzt in seinem Übermut.

Tina war außer sich vor Zorn, wollte mit „diesem blöden Hundeviech!“ nie, nie wieder etwas zu tun haben!

Nie wieder!

„Schon gut, Liebes - “ meinte Oma, „halb so schlimm, wir kaufen dir zu Weihnachten einen neuen Teddy. Versprochen! “

Davon wollte Tina aber so gar nichts wissen und beschloss, ihren Teddybären niemals im Stich zu lassen. Das schwor sie sich hoch und heilig.

Egal, wie er aussah!

Doch noch ahnte Paulchen nicht, dass Omas Versprechen sein Schicksal alsbald besiegeln sollte …

Nun also saß Paulchen vergessen in einer staubigen Ecke herum, völlig ignoriert, einsam, bis er eines Tages mit all dem anderen kaputten und unnütz gewordenen Spielzeug auf dem Sperrmüll landete.

Nicht einmal verabschiedet hatte sich Tina von ihm, wo er doch sooo lange ihr treuester Freund gewesen war!

Paulchen war zutiefst enttäuscht und unendlich traurig.

Dieser doofe, hochmoderne mechanische Teddy hatte also seinen Platz an Tinas Seite eingenommen.

Unfassbar! Nie hätte er gedacht, dass er diesen entwürdigenden Tag jemals erleben müsste!

Viele Leute brachten ihren Sperrmüll hierher, auch Spielzeug.

Und so manches Kind kletterte auf dem inzwischen beachtlich angewachsenen Berg von Weggeworfenem herum und stöberte in diesem.

Einige von ihnen spielten Schatzsuche.

Fanden aber keinen.

Auch die sechsjährige Mona-Celine spielte Schatzsuche.

Und – sie fand einen! Sie grub Paulchen aus einem schäbigen Haufen Unrat und hielt ihn freudig in die Luft: „Juhuu! Ich habe einen Schatz gefunden, hab´ einen richtigen Schatz gefunden!“

Die zwei anderen Kinder, welche mit Mona-Celine gegraben hatten, verlachten sie schallend und winkten angewidert ab.

Mona-Celine störte das nicht.

Sie legte ihren >Schatz< so schmutzig, wie er war, neben ihre Lieblingspuppe in den alten, abgegriffenen Puppenwagen, der einst schon ihrer Mutter gehörte, und lief stolz nach Hause.

Paulchen war überglücklich!

Als seine Retterin einmal wieder die Wäsche selbst machen durfte, schmuggelte sie den schmutzigen, kaputten Findling mit in die Waschmaschine.

Dann in den Trockner.

Oh! Wie weich und herrlich sauber Paulchen wieder war! Und wie frisch er duftete!

So wohl hatte sich Paulchen lange nicht mehr gefühlt!

Mona-Celine stellte nun ihren >Schatz< dem Rest der Familie vor - Bruder Kevin, den Eltern und Felix, dem grau gestreiften Kater.

Ja, und weil das blonde, sommersprossige Mädchen mit der winzigen Stupsnase sich so herzallerliebst um den Kuschelbären bemühte, kam die Mutter den Wünschen ihrer Tochter nach und nähte geschickt einen neuen Arm aus alten Plüschresten, gefüllt mit Schaumstoffflöckchen, für Paulchen Teddybär.

Zwei dunkelbraune, glänzende runde Knöpfe kramte Mona-Celine aus Mamas Knopfkiste – diese sollten fortan Paulchens neue Augen sein.


Und weil seine Freundin ja nicht wissen konnte, dass ihr >Schatz< eigentlich Paulchen hieß, gab sie ihm den Namen Knöpfle, weil das, so meinte sie, super zu ihm passen würde. Schließlich trug er ja zwei hübsche Knöpfe, die sie selbst ausgesucht hatte, in seinem knuddelsüßen Teddybärengesicht.

Sein richtiger Name jedoch würde wohl immer sein Geheimnis bleiben …

Das blonde Mädchen holte die staubige Kiste mit ihren Babysachen vom Dachboden, kramte darin nach annehmbaren Kleidungsstücken, welche dem braunen Findling passen könnten, denn ihre Puppensachen waren leider allesamt zu eng für den

zotteligen Bären. Das alles soll ihr selbst einmal gepasst haben? Unglaublich! Sie musste lachen beim Anblick dieser reizenden Erinnerungsstücke. Endlich wurde sie fündig. Ein mintgrün-gestreifter Anzug aus Mona-Celines Babytagen wurde Teddys Garderobe.

Wie schick er darin aussah! Das Mädchen war mächtig stolz auf ihren >Schatz<.

Es trug sich zu, dass Tina mit ihrem Teddybären spazieren ging, welcher inzwischen gar nicht mehr funktionierte, ja, nicht einmal mehr einen müden Laut von sich geben konnte trotz Batterie-Wechsels und sonstiger Wiederbelebungs-Maßnahmen.

Auch Mona-Celine war an diesem schönen Frühlingstag, an dem munteres Vogelgezwitscher die klare, nach honigsüßen Blumen duftende warme Luft erfüllte, mit ihrem Teddy im neuen sonnengelben Puppenwagen, den sie erst kürzlich zu ihrem siebenten Geburtstag geschenkt bekommen hatte, unterwegs. Fröhlich flanierte das Mädchen am Straßenrand entlang, als Tina mit deren lila Puppenbuggy an ihr vorbei schlenderte.

Die Mädchen kannten einander aus der Schule, grüßten sich und begannen ein Schwätzchen.

Dabei beäugten sie gegenseitig ihre Kuschelbären, in deren Plüschgesichter die Sonne lustige Schatten warf.

Und weil Paulchen, der jetzt Knöpfle hieß, so süß aussah in dem flauschigen Strampelanzug, meinte Tina bewundernd und überaus neidisch:

„Och – das ist aber ein schöner Teddy, so einen Ähnlichen hatte ich auch mal, bloß mit anderen Augen. Aber der war ganz alt und kaputt – und jetzt hab’ ich den hier”, dabei zeigte Tina ihren neuen Teddy hoch.

Doch sie war gar nicht mehr stolz auf ihren Bären, dessen Mechanik offenbar defekt war und er deshalb so gar nichts mehr konnte, außer herumliegen wie jeder andere normale Plüschteddy eben auch.

Er war überhaupt nichts Besonderes mehr!

Sie wollte ihn am liebsten tauschen gegen den hübschen Teddybären von Mona-Celine …

Aber das sommersprossige Mädchen gab ihren >Schatz< nicht mehr her, war viel zu stolz auf diesen, den sie aus seiner unwürdigen Situation gerettet und tief in ihr liebenswertes Kinderherz geschlossen hatte.

Um keinen Preis der Welt würde Mona-Celine ihren knuffigen Schützling wieder weggeben!

Niemals!

Und Tina ?

Tja – sie dachte nun wieder an ihren dicken knuddeligen, alten, zerzausten Teddybären namens Paulchen, den sie einst so sehr geliebt - und doch einfach weggeworfen

hatte …



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