Читать книгу Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz - Eva-Maria Kremer - Страница 10
I. Geschichtliche Entwicklung
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Der historische Rückblick zeigt, dass es im Reichsrecht eine Ordnung zur Beitreibung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen nur für zwei Gebiete gab (hierzu die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes v. 29.12.1952, BT-Drs. 1/3981 S. 5):
Zum einen konnten Leistungen, die durch Steuergesetze geschuldet wurden, von den Finanzbehörden nach den Bestimmungen der Reichsabgabenordnung (§§ 325 bis 381) und der zu ihr ergangenen Beitreibungsordnung v. 23.6.1923 (RMBl. S. 595) ohne Inanspruchnahme der Gerichte im Verwaltungswege eingezogen werden. Sodann konnten die Gerichtskassen Leistungen, die der Justiz zustanden, nach der Justizbeitreibungsordnung v. 11.3.1938 (RGBl. I S. 298) im Verwaltungswege beitreiben.
Für Leistungen, die sich nicht aus Steuergesetzen ergaben und nicht zum Bereich der Justiz gehörten, unterblieb eine allgemeine gesetzliche Regelung des Verwaltungszwangsverfahrens. Nur in einzelnen Gesetzen wurde bestimmt, dass die Beitreibungsvorschriften der Reichsabgabenordnung entsprechende Anwendung fanden. Eine solche Regelung enthielten zB das Erstattungsgesetz v. 18.4.1937 (RGBl. I S. 461), § 26 des Gesetzes über die Zwangsanleihe v. 20.7.1922 (RGBl. I S. 601), §§ 114, 148 des Gesetzes über das Branntweinmonopol v. 8.4.1922 (RGBl. I S. 405), §§ 9, 12 Abs. 1, 17 des Süßstoffgesetzes v. 8.4.1922 (RGBl. I S. 390) und §§ 13, 14 der Ausführungsbestimmungen über die Außenhandelskontrolle v. 8.4.1920 (RGBl. S. 500).
An dieser Rechtslage hatte sich bis zum Inkrafttreten des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes nichts geändert. Es gab keine allgemeine bundesrechtlichen Kodifikation des Verwaltungszwangsverfahrens. Die Bundesbehörden hatten sich angesichts dieser Gesetzeslücke dadurch zu helfen gesucht, dass sie die geschuldeten Leistungen von den Vollstreckungsbehörden der Länder im Wege der Amtshilfe beitreiben ließen.
Dieses Verfahren hatte wegen der Unübersichtlichkeit und Verschiedenartigkeit der in Frage kommenden landesrechtlichen Bestimmungen zu Schwierigkeiten geführt. Daher waren manche Bundesbehörden dazu übergegangen, ihre öffentlich-rechtlichen Geldforderungen vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen und die auf diese Weise erlangten Titel nach den Bestimmungen der Zivilprozessordnung zu vollstrecken. Dieser Weg bedeutete eine Erschwerung der Beitreibung. Er führte auch zu einer Belastung der Gerichte und Verwaltungsbehörden.
Für die Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen gab es früher gleichfalls keine allgemeine bundesgesetzliche Regelung. Nach herrschender Auffassung war die Vollstreckungsbefugnis ein der Verwaltung zustehendes Recht, dessen Ausübung unabhängig von einer gesetzlichen Grundlage zulässig sei. Es galt: Was eine Behörde kraft ihrer gesetzlichen Vollmacht anordnen könne, müsse sie auch erzwingen dürfen, notfalls mit physischer Gewalt. Indessen bestanden Unklarheiten über den Umfang des Zwanges. Darum hielten es Landesgesetzgeber für notwendig, den Verwaltungszwang zu ordnen. Zur Geschichte siehe Malmendier, Bertrand: Die Zwangsmittelfestsetzung in der Verwaltungsvollstreckung des Bundes und der Länder, VerwArch Band 94 (2003), 25.
Beispiele:
– | Thüringen: Landesverwaltungsordnung vom 10.6.1926 (Ges.-S. S. 177), §§ 147–168. |
– | Preußen: Polizeiverwaltungsgesetz vom 1.6.1931 (GS. S. 77), §§ 55–57 sowie § 79 Abs. 2 Buchst. m i. V. m. §§ 132–135 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung vom 30.7.1883 (GS. S. 195). Diese beiden Gesetze sind die Rechtsvorgänger des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes. |
– | Bremen: Gesetz über das Verwaltungsverfahren und den Verwaltungszwang vom 11.4.1934 (GBl. S. 132), §§ 19–22. |
– | Niedersachsen: Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 21.3.1951 (GVBl. S. 79), §§ 35–39. |
Schließlich war es auch im Bereich der Bundesverwaltung geboten, dieses Rechtsgebiet zu kodifizieren. Damit entsprach der Bundesgesetzgeber dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG.
Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zielt auf die Bindung der Verwaltung an das geltende Recht (Vorrang des Gesetzes), die Legitimierung von Eingriffen durch formelles Gesetz (Vorbehalt des Gesetzes) und die ausreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Ermächtigung. Nach dem Vorbehalt des Gesetzes darf ein Hoheitsträger gegenüber einem Bürger nur dann einen belastenden Eingriff vornehmen, wenn es dafür eine formell-gesetzliche Grundlage gibt (BVerfG B 12.11.1958 – 2 BvL 4, 26, 40/56; 1, 7/57, BVerfGE 8, 274, 276, 325 = NJW 1959, 475 = DVBl. 1959, 171 = JZ 1959, 355 = BB 1959, 133 = DWW 1959, 164 = VersR 1959, 181 = VerwRspr. 11, 769).
Nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Leitsatz 7) fordern die Grundsätze des Rechtsstaates, „dass auch Ermächtigungen der Exekutive zur Vornahme belastender Verwaltungsakte durch das ermächtigende Gesetz nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sind, so dass die Eingriffe messbar und in gewissem Umfang für den Staatsbürger voraussehbar und berechenbar werden. Das folgt aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, dem Prinzip der Gewaltenteilung und aus der rechtsstaatlichen Forderung nach möglichst lückenlosem gerichtlichem Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt“. Mit gleichem Inhalt und Ziel entschied bereits das Bundesverwaltungsgericht (U 20.5.1955 – 5 C 14/55, BVerwGE 2, 114 = DÖV 1955, 635 = NJW 1955, 1693 = DVBl. 1955, 770 = VerwRspr. 8, 157).