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Kapitel 1

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Lea Sonnenfeld warf einen Blick aus dem Fenster. Draußen war es trübe und ungemütlich. Trotzdem hockte Steffen Bonnig auf dem Mäuerchen, das die Gärten voneinander trennte. Dort saß er in letzter Zeit häufig, als ob er auf etwas warten würde.

Sie schaute auf die Uhr. Ihre Freundin Nele kam erst in einer Viertelstunde. Sie beschloss, kurz hinauszugehen, um ein paar Worte mit Steffen zu wechseln.

Sie kannte ihn schon seit ewigen Zeiten. Eigentlich von ihrem ersten Lebenstag an. Steffen war einen Tag älter als sie. Sie wurden im selben Krankenhaus geboren, ihre Mütter hatten sogar in einem Zimmer gelegen. Steffen und sie waren gemeinsam in den Kindergarten gegangen, in die Grundschule, nun saßen sie nebeneinander in der Klasse 9 a des Paulus-Gymnasiums. Und sie hatten von Anfang an nebeneinander gewohnt.

„Hi, Steffen!“, rief sie, als sie durch die Terrassentür trat.

Steffen fuhr zusammen, dann lächelte er. „Hi, Lea.“

Wie oft saßen sie zusammen auf diesem Mäuerchen und quatschten über Gott und die Welt! Sie vertrauten sich ihre Freuden, Sorgen, ihre Hoffnungen an und trösteten sich gegenseitig, zum Beispiel, als Steffens Eltern sich getrennt hatten oder als ihr Opa gestorben war. Steffen wusste mehr über sie als Nele. Nein, nicht mehr. Andere Dinge. Er war wie ein Bruder für sie. Das war schön, denn Lea hatte keine Geschwister. Steffen auch nicht.

„Was machst du heute?“, fragte er.

„Ich warte auf Nele. Wir wollen in die Stadt gehen.“

„Ich komm mit.“ Steffen machte Anstalten aufzustehen.

„Halt, warte.“ Lea legte ihm die Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten. „Das ist keine gute Idee.“

Steffen saß ganz still.

„Nele will Klamotten kaufen“, fuhr Lea fort. „Das wäre zu langweilig für dich, wenn sie endlos Sachen anprobiert.“ Sie zog ihre Hand zurück.

„Das macht mir nichts aus. Währenddessen können wir uns ja unterhalten.“

„Nee, du, ich muss Nele beraten. Sie wäre bestimmt sauer, wenn du mitkämst.“

Steffen runzelte die Stirn.

„Sie hat nichts gegen dich“, fügte Lea hastig hinzu. „Aber deine Kumpels wären auch wenig begeistert, wenn ihr zusammen losziehen wolltet und plötzlich würde ich auftauchen.“

Ehe er antworten konnte, stand sie auf. „Ich muss los.“

„Vielleicht können wir morgen Nachmittag schwimmen gehen.“

„Vielleicht. Tschüss, Steffen.“

„Kommst du heute Abend aufs Mäuerchen?“

„Mal sehen. Mach’s gut.“

Bevor Lea ins Haus ging, drehte sie sich um und winkte ihm zu. Steffen starrte vor sich hin. Er war so in Gedanken versunken, dass er es nicht bemerkte.

„Der ist in letzter Zeit irgendwie komisch“, dachte sie. „Woran liegt das bloß?“

Als Nele kam, vergaß sie Steffen. Es gab dringendere Dinge zu besprechen: Carolins Geburtstagsfete am Samstag zum Beispiel. Was Lea anziehen würde, war sonnenklar: ihre neue schwarze Hose, dazu das rosaglitzernde langärmlige Shirt mit dem V-Ausschnitt.

Nele war mit dieser Wahl sehr einverstanden. Was sie selbst anziehen würde, stand noch nicht fest. Das mussten sie erst mit vereinten Kräften herausfinden.

„Du hast es gut!“ Lea betrachtete ihre Freundin mit neidvollem Blick. „Du kannst alles anziehen, was du willst. Auch hautenge Sachen. Ich dagegen mit meiner Wampe …“

„Du übertreibst! Dein Outfit steht dir wirklich sehr gut“, meinte Nele tröstend.

Die beiden Mädchen machten sich auf den Weg. „Ich habe übrigens was gehört, was dich sehr interessieren wird“, begann Nele. Ihre Stimme klang verheißungsvoll.

Gespannt blickte Lea sie an.

„Du wirst dich freuen.“

„Nun spann mich nicht so auf die Folter!“

„Rate, wer am Samstag auch auf der Fete sein wird.“

Lea blieb wie angewurzelt stehen. „Du meinst …“

Nele nickte.

„Woher weißt du das?“

„Ich habe gehört, wie er zu Carolin gesagt hat, dass er kommt.“

„Bist du sicher? Hast du dich auch bestimmt nicht verhört?“

Nele knuffte sie in die Seite. „Ich bin ganz sicher. Außerdem: Ich habe Marc nach der Schule gesehen und ‚Bis Samstag‘ zu ihm gesagt. Da hat er ‚Bis Samstag‘ geantwortet.“

Sie schlenderten weiter. „Wenn ich nur wüsste, was er von mir hält“, überlegte Lea laut. „Manchmal habe ich das Gefühl, er mag mich. Zum Beispiel wenn wir zusammen Französisch haben und er mich so komisch anguckt. Dann wieder gibt es Tage, an denen er mich überhaupt nicht beachtet.“

„Möglicherweise findest du es am Samstag heraus?“

„Marc Sarré“, sagte Lea träumerisch, „das klingt einfach nur toll!“

Nele kicherte. „Ich glaube, selbst wenn er Hans-Otto Hundekacke hieße, würdest du es wunderschön finden.“

„Komm, Nele! Gib’s zu: Er ist total süß! Diese pechschwarzen Haare, die dunklen Augen …“

„Gibt es irgendetwas an ihm, was du nicht total süß findest?“, erkundigte sich Nele lachend.

„Und er kann so toll Französisch!“, fuhr Lea fort, als hätte sie nicht gehört.

„Na, das will ich doch hoffen, wo sein Vater Franzose ist.“

Lea stöhnte. „Wenn ich dagegen an mein Französisch denke ... Mehr als bescheiden, würde ich sagen.“

„Frag ihn doch mal, ob er dir helfen kann!“

„Das habe ich auch schon überlegt. Aber ich trau mich nicht … Außerdem habe ich Angst, dass er mich für doof hält. Dieses ganze grammatische Zeug kapiere ich einfach nicht.“

„Quatsch!“, schimpfte Nele sie aus. „Kein Mensch kapiert französische Grammatik.“

Inzwischen waren sie bei der Boutique angekommen, in der es die angesagtesten Sachen im ganzen Ort gab, und ziemlich günstig dazu.

Nele probierte unzählige Hosen, Blusen und T-Shirts an. Die Entscheidung war sehr schwierig. So schwierig, dass Lea kurzzeitig nicht mehr an Marc dachte. Am Ende entschieden sie sich für eine schwarze, schmal geschnittene Stoffhose.

„Die bringt deine super Figur so richtig zur Geltung“, meinte Lea begeistert. Dazu wählten sie ein schwarzes, mit Pailletten besticktes Shirt aus.

Nach diesem erfolgreichen Einkauf gingen sie ins Eiscafé, wo sie einen schönen Fensterplatz fanden. Nele bestellte einen maxi Vanille-Schoko-Becher mit Sahne, Lea eine Cola light.

„Du hast es gut.“ Lea nippte an ihrem Glas. Dabei warf sie begehrliche Blicke auf den Rieseneisbecher. „Du kannst essen, was du willst, und bleibst trotzdem schlank.“

„Dafür habe ich oben rum zu wenig. Hier. Probier mal.“ Nele schob ihr einen Löffel Vanilleeis mit Schokoladensoße in den Mund.

Lea konnte nicht länger widerstehen. Sie aßen abwechselnd, bis der Becher leer war.

„Mm, das war lecker.“ Nele lehnte sich zurück.

„Lecker war’s auf jeden Fall“, stimmte Lea zu. „Trotzdem könnte ich mich totärgern, dass ich schon wieder schwach geworden bin. Wenn ich an die vielen Kalorien denke! Willst du den Rest Cola light?“

„Nee, danke.“

Lea hob das Glas an die Lippen, nahm einen Schluck und fing im selben Moment fürchterlich an zu husten. Erschrocken schaute Nele zu ihr hin.

„Hab … mich verschluckt“, röchelte Lea überflüssigerweise. Tränen stürzten aus ihren Augen. Nur verschwommen sah sie, wer draußen vorbeiging.

Nele klopfte ihr heftig auf den Rücken, bis sie wieder einigermaßen durchatmen konnte. „Da war Marc“, keuchte sie.

„Zum Glück hat er von meinem Erstickungsanfall nichts mitgekriegt. Er hatte sein Handy am Ohr. Beeil dich! Vielleicht erwischen wir ihn noch.“

Hastig bezahlten die Mädchen und eilten hinaus auf die Straße. Zu spät. Von Marc war keine Spur mehr zu entdecken.

„Was meinst du, mit wem hat er wohl gesprochen?“, fragte Lea.

„Keine Ahnung. Mit wem telefoniert man? Mit Freunden, seinen Eltern ...“

„Aber er hat so gelächelt.“

„Na und? Lächelst du etwa nie, wenn du mit mir oder deinen Eltern sprichst?“

„Doch. Ich glaub schon …“

Nele grinste. „Könnte es sein, dass du dir da gerade was ins Gehirn trittst?“

„Was meinst du?“

„Dass du eifersüchtig bist.“

„Blödsinn!“, widersprach Lea energisch. Obwohl Nele nicht ganz verkehrt lag. Die Sache beunruhigte sie. Steffen hatte nämlich neulich Andeutungen gemacht, dass Marc eine Freundin in Frankreich hätte. Bei dem Lächeln gerade konnte sie sich gut vorstellen, dass er gerade mit ihr telefoniert hatte. Lea seufzte. Wenn er doch mal so lächeln würde, wenn er mit ihr sprach!

Als sie nach Hause kam, sah sie Steffen auf dem Mäuerchen sitzen. Kurz entschlossen ging sie zu ihm hin. Chipsy, ihr Westie, folgte ihr.

„Was ist los?“, empfing Steffen sie. „Du siehst irgendwie bedröppelt aus.“

„Nichts ist los“, antwortete Lea leicht gereizt.

Doch Steffen kannte sie zu genau. Er merkte immer, wenn etwas nicht in Ordnung war. „Schieß los“, sagte er nur.

Lea zögerte. „Ach, was soll‘s?“, dachte sie. „Schließlich ist Steffen wie mein Bruder.“

„Du darfst es aber keinem weitersagen“, begann sie.

„Das tu ich nie, das weißt du doch.“

Es stimmte. Auf Steffen konnte sie sich hundertprozentig verlassen. Deshalb berichtete sie ihm, dass sie Marc gesehen hatte. Sie erzählte ihm, wie sehr sie ihn mochte. Und dass sie nicht wusste, ob er sie auch mochte.

Mit gesenktem Blick hörte Steffen zu. Dabei streichelte er Chipsy, die zu seinen Füßen lag.

Als Lea geendet hatte, sagte er zunächst kein Wort. Endlich hob er den Kopf. „Ich kann mir fast denken, wer am Telefon war“, begann er. „Hat Marc Französisch gesprochen?“

„Das konnte ich nicht hören.“

„Hm.“ Steffen schwieg wieder.

Lea wurde ungeduldig. „Nun sag schon, was du denkst!“

Steffen bückte sich und riss ein Gänseblümchen aus. „Ich weiß inzwischen genau, dass Marc verliebt ist“, fuhr er fort. „In ein Mädchen, das er in Frankreich kennengelernt hat.“

Der Schreck fuhr Lea in alle Glieder. „Woher weißt du das?“

„Marc hat mir neulich von ihr erzählt. Ich habe ihn zufällig getroffen, als er vom Fußballtraining kam. Sie heißt Amélie und wohnt in Paris. Auf derselben Straße wie Marcs Großeltern.“

Lea schluckte. „Wie kommt er dazu, dir so was zu erzählen?“, stieß sie hervor.

„Weiß ich nicht. Hat mich auch gewundert.“ Steffen stutzte. „Glaubst du mir etwa nicht?“

Doch, doch. Natürlich!“

„Tut mir leid für dich“, fügte Steffen hinzu. „Aber ich fürchte, du hast keine Chance bei ihm.“

Lea starrte vor sich hin.

„Sei nicht traurig.“ Er legte den Arm um sie.

Für einen Augenblick, weil sie völlig erledigt war, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter.

Er drückte sie an sich. „Du findest jemand anders.“ Er grinste. „Zur allergrößten Not nimmst du eben mich.“

Lea löste sich von ihm. Sie grinste schief zurück. „Da gibt es nur ein winziges Problem: Du bist mein bester Freund ... Ich geh jetzt rein.“

Steffen stand ebenfalls auf. „Schlaf trotzdem gut.“

Doch Lea konnte lange nicht einschlafen. Sie grübelte und weinte sogar. Weshalb bedeutete ihr Marc bloß so viel? Eigentlich kannte sie ihn kaum. Was war besonders an ihm? Warum konnte sie sich nicht einfach in jemand anders verlieben? In Steffen zum Beispiel. Ach, dann wäre alles viel, viel einfacher …

Der Stalker

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