Читать книгу Omega-3 - Evelyn Cavillon - Страница 5
Einleitung
ОглавлениеSie hatte recht, meine Urgroßmutter, wenn sie die legendären gesundheitsfördernden Eigenschaften von Lebertran rühmte. Die Jugendlichen der 50er- bis 70er-Jahre kannten fast alle dieses schreckliche Gebräu, das es in der Regel zum Frühstück gab, das übel roch und noch übler schmeckte und von dem man, bevor man in die Schule ging, einen Suppenlöffel voll hinunterschlucken musste – während man sich die Nase zuhielt. Der penetrante Fischgeschmack blieb noch lange im Mund und hat später viele davon abgehalten, auch ein noch so wohlschmeckendes Fischgericht in einem guten Restaurant zu sich zu nehmen!
Lebertran, oder genauer gesagt: das Leberöl von Kabeljau, Dorsch oder Heilbutt, war damals das »Wundermittel« zur Kräftigung des Körpers im Allgemeinen, zur Vermeidung von Erkältungen, zur Erhöhung des körpereigenen Widerstandes gegen die Kälte, zum Kampf gegen Rachitis und Tuberkulose und zur Entwicklung der Intelligenz. Um es kurz zu machen: Es war das Mittel schlechthin, um einen in jeder Beziehung gesunden und guten Schüler zu schaffen.
Die jungen Mädchen warteten damals voller Ungeduld auf die Zeit der Pubertät, denn ab diesem Zeitpunkt gehörte der Lebertran nicht mehr zum täglichen Brot; das Risiko einer zu starken Menstruationsblutung als Folge der Einnahme war nämlich nicht ausgeschlossen. Anders sah es bei den Jungen aus, die eher die doppelte Dosis bekamen, um so unter anderem den Ausbruch von Akne zu vermeiden.
Lebertran hat ein dermaßen schlechtes Image, dass die Labors, die dieses Produkt noch immer in ihrem Angebot haben, es eher verstecken wollen, statt es werbewirksam herauszuheben, zumindest gilt dies für Frankreich, Kanada und die Schweiz. Heute ist die Lebertranmode vorbei und das Öl ist fast in Vergessenheit geraten. Hinzu kamen noch der Anti-Cholesterin-Trend der 80er-Jahre, der fast das endgültige Aus von Lebertran bedeutete, während »neue« Fette wie Margarine, Sonnenblumenöl und auch Maisöl an Bedeutung gewannen. Das Aufkommen von allgemeinen Speiseölen (Isio 4, Becel usw.), verbunden mit einem neuen Bewusstsein in puncto Gesundheitsvorsorge, führte dann direkt zur großen Werbewelle für Olivenöl (kalte Erstpressung natürlich!) als wertvoller Zusatz zu allen Gerichten. Der Lebertran aber verschwand nach und nach ganz vom Frühstückstisch.
Und dann kam die neueste Welle an Nahrungsmitteln, die von der Werbung gehypt wurden und alle das Gütezeichen »Omega-3« trugen: die Omega-Fettsäuren, die im Grunde nichts anderes sind als … Fischöle. Ob als Kapseln zum Frühstück oder löffelweise in der Salatsoße, Omega-Fettsäuren entsprechen dem Vitamin F oder, wie man heute sagt, den essenziellen Fetten. Dieses Vitamin F taucht nun deswegen unter dem Namen Omega auf, weil ein Vitamin in der Regel keine Kalorien enthält, während die essenziellen Fettsäuren Eicosapentaensäure (im folgenden Text abgekürzt EPA genannt) und Docosahexaensäure (abgekürzt DHA), die es enthält, reich an Fettsäuren sind, wie der Name schon sagt. So wurde dann aus dem F ein Omega und der gute alte Lebertran versank in Vergessenheit. Die Hausfrau schwört seitdem nur noch auf Rapsöl, dessen ehemals äußerst niedriger Preis innerhalb eines Jahres auf ein Dreifaches angestiegen ist oder sogar noch mehr kostet, wenn ausdrücklich »reich an Omega-3-Anteilen« auf dem Flaschenetikett vermerkt ist.
Da Lebertran in flüssiger Form aus der Flasche nun einmal schwierig zu nehmen ist, musste er Platz machen für Kapseln mit Fischöl aus der Leber von Kaltwasserfischen wie Kabeljau, Lachs oder Heilbutt, die mit dem Essen eingenommen werden, aber trotzdem den Tag über einen unangenehmen Fischgeschmack im Mund hinterlassen. Diese Kapseln wurden dann erneut dem Markt angepasst und werden nun als »Omega-3-Kapseln« angeboten, da sie nur noch Omega-3 enthalten, was allerdings die unangenehmen Nebenerscheinungen von fettem Fisch nicht ganz aufhebt – unverdaulich und von weitem zu riechen …
Die positiven Auswirkungen der essenziellen Fettsäuren auf unseren Körper sind seit langem bekannt, und der Verbraucher des 21. Jahrhunderts weiß genau, warum er diesen den Vorzug gibt nach vielen Jahren gravierender Ernährungsfehler, in denen geschmacklich sehr wohlschmeckende, aber zu fette Produkte katastrophale Auswirkungen auf unsere Gesundheit hatten. Aber ein Fehler kann leicht durch einen anderen ersetzt werden und, wie wir weiter unten sehen werden, auch von guten Dingen sollte man nicht zu viel zu sich nehmen …