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II.

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Die Mädchen erwachten vom Gebrüll mehrerer Männer. Erschrocken fuhren sie hoch. Nach Tagen des untätigen Wartens geschah nun etwas - ob das die Situation zum Guten oder Schlechten wenden würde, war unsicher, aber ein Funken Hoffnung blieb.

Die Zeit, die sie mit den vielen anderen Menschen in dem Gefängnis verbracht hatten, war ihnen endlos vorgekommen. Der Platzmangel und die Hitze hatten allen zu schaffen gemacht, aber einige waren verrückt geworden. Kreischend und um sich schlagend hatten sie um ihre nötigsten Bedürfnisse gerungen und waren dafür mit dem Tod bestraft worden.

Auch Hunger und Durst waren mit der Zeit unerträglich geworden. Nicht wenige waren gestorben, ausgemergelt von den Entbehrungen des letzten Jahres. Nur zweimal in dieser Zeit hatten die Soldaten etwas zu essen und trinken ausgegeben. Doch nur die Stärkeren unter ihnen hatten einen Becher Wasser und ein kleines Stückchen Brot ergattern können.

Hannah und Rahel waren unbeweglich in ihrer Ecke festgesessen. Manchmal hatten auch sie geglaubt, vor Angst und innerlichem Druck schreien zu müssen. Doch sie hatten einander immer wieder gestärkt und ermutigt. Dennoch waren sie nicht ohne Hoffnung. Sie hatten einen auf ihrer Seite, der viel größer und mächtiger war als das römische Imperium. Leise beteten sie miteinander und flehten ihren Gott um Hilfe an. Mochte man ihnen auch alles nehmen, ihren Glauben konnte niemand rauben.

Am Eingang schrien Frauen auf. Bewegung entstand im Raum. Auf einmal drängten sich alle zur Tür und hinaus ins Freie. „Sie lassen uns wieder laufen?“, fragte Rahel aufgeregt und mit unterdrückter Freude in der Stimme. „Ich bin mir nicht sicher“, entgegnete Hannah nüchterner, „aber zumindest werden wir wieder einmal an der frischen Luft sein.“ Sie nahm Rahel fest an der Hand, um sie nicht zu verlieren.

Nachdem sie sich mitten im Gedränge der verängstigten Menschen endlich einen Weg nach draußen gebahnt hatten, atmeten die Mädchen erst einmal erleichtert auf. Frische Luft und ein strahlender Himmel über ihnen! Wie sehr hatten sie diese sonst so alltäglichen Dinge während ihrer Gefangenschaft vermisst und nun kamen sie ihnen kostbarer vor als Gold.

Die Soldaten gaben schreiend Befehle. Das meiste verstanden sie nicht, doch dann wurde klar, was sie wollten. Die Gefangenen sollten eine Reihe bilden. Jeder bekam einen Schluck Wasser und zwei Datteln. Danach wurde losmarschiert.

Hannah wandte sich auf dem Weg noch einmal um und Tränen stiegen in ihre Augen. Rahel griff nach ihrer Hand, auch sie schluchzte. Die beiden Mädchen blickten zurück auf ihrer Heimatstadt. Einst war es die Stadt des Friedens gewesen, heute war es nur noch eine Stadt der Ruinen.

Über ihnen erhob sich der Zion, doch kein wunderschöner Tempel bildete mehr das Zentrum Jerusalems. Das Haus der Gegenwart des Herrn war zerstört und ein einzelner, dünner Rauchfaden stieg vom letzten Feuer auf zum Himmel wie vormals der Weihrauch. Wohin war die Herrlichkeit der Stadt Davids verschwunden? Und nun wurden sie fortgetrieben aus ihrer geliebten und beweinten Stadt.

Rechts und links von bewaffneten Wächtern eskortiert, zog sich die Schlange armseliger Gestalten lange dahin. Je länger der Marsch dauerte, desto mehr Juden stolperten und viele konnten nicht mehr aufstehen. Wenn auch die Peitsche sie nicht mehr auf die Beine brachte, wurden sie mit einem einzigen Lanzenstich getötet.

Hannah hielt Rahel die Augen zu, als sich dieses grausige Schauspiel direkt neben ihnen erneut abspielte. Doch was Rahel hörte, war ohnehin schon mehr als genug. Sie hätte geweint, wenn sie nicht so ausgetrocknet gewesen wäre. Obwohl nun jeden Tag ein wenig Wasser und etwas Nahrung ausgeteilt wurde, zehrte der anstrengende Weg enorm an den Kräften.

Nach drei Tagen erreichte der Menschenzug den Hafen in Caesarea. Nun wartete eine beschwerliche Schiffsreise auf die gefangenen Juden, doch die meisten jubelten, denn nun mussten sie zumindest nicht mehr laufen.

Hannah ließ sich erschöpft neben Rahel auf den Boden fallen. Nun mussten sie nur noch warten, auf welches Schiff sie verladen werden würden. Die Mädchen nutzten die Zeit, um zu schlafen, aber selbst jetzt ließen sie einander nicht los. Sie hielten sich auch im Schlaf noch umschlungen, denn ihre größte Angst war getrennt zu werden.

Rahel erwachte nach wenigen Stunden. Sie sah ihre schlafende Schwester an. Hannah war alles, was ihr geblieben war. Vater, Mutter, Bruder und kleine Schwester waren gestorben. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um sich den Schmerz nicht zu sehr anmerken zu lassen, der in ihr tobte. Doch ihre große Schwester sorgte sich schon genug um sie und hatte selbst mit dem Verlust zu kämpfen.

Ohne sich zu bewegen, um Hannah nicht zu wecken, hob Rahel ihre Augen zum Himmel, um zu beten.

„Herr, du Gott aller Dinge, du Schöpfer des Universums, du Retter und Erlöser! Hilf uns doch in unserer Not! Jesus, Messias, du hast gesagt, du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben. Bitte, lass uns leben. Lass nicht zu, dass die Römer uns etwas antun. Wenn wir auch in die Sklaverei gehen sollen, bitte, lass uns zusammenbleiben. Wir wollen unser Leben lang dir gehören, lass nicht zu, dass die Römer uns zwingen, einem anderen Gott zu dienen. Denn du bist der einzige Gott, Jesus!“

Nur ihre Lippen bewegten sich bei ihrem inbrünstigen Gebet. Tränen liefen ihr über die Wangen, weil sie den grausamen Tatsachen nun endlich ins Auge sehen musste. Und doch schöpfte sie neue Hoffnung aus dem Glauben. Jesus war für die Geplagten und Verzweifelten gekommen, um ihnen Frieden zu bringen. Er würde auch sie beschützen.

Die große Reise

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