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Fünftes Kapitel.
Mystik und Theologie

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Inhaltsverzeichnis

Im letzten Kapitel versuchten wir, den Unterschied festzustellen zwischen dem Mystiker, der das höchste Erlebnis kostet, und dem mystischen Philosophen, der die so erhaltenen Tatsachen denkend verarbeitet. Wir müssen nun jedoch den Umstand in Betracht ziehen, daß der wahre Mystiker auch sehr oft ein mystischer Philosoph ist, wiewohl es sehr viele mystische Philosophen gibt, die keine Mystiker sind und es nie sein könnten.

Da es eine Eigentümlichkeit des Menschen ist, über seine Erfahrung nachzudenken, sich aus seinen Wahrnehmungen Begriffsgebilde zu konstruieren, haben die meisten Mystiker sich eine Theorie über ihr eigenes Erleben gemacht oder von andern übernommen. So haben wir neben der eigentlichen oder empirischen Mystik eine mystische Philosophie oder Theologie, – die Deutung der Intuitionen des Geistes durch den Intellekt, der ihre einzelnen Daten klassifiziert, kritisch prüft, sie als Ganzes beurteilt, erklärt und ihre Vision des Übersinnlichen in Symbole umsetzt, die sich dialektisch fassen lassen.

Eine solche Philosophie gründet sich gewöhnlich auf das Glaubensbekenntnis, das der betreffende Mystiker übernimmt. Es ist charakteristisch für ihn, daß er, sofern seine transzendentalen Betätigungen gesund sind, gewöhnlich in seiner Glaubensform bleibt, statt sie zu verwerfen. Die Ansicht, daß der Mystiker ein religiöser Anarchist sei, findet durch die Geschichte wenig Bestätigung 198. Diese zeigt uns immer wieder die großen Mystiker als getreue Söhne der großen Religionen. Fast jedes religiöse System, das überirdische Liebe pflegt, ist potenziell eine Pflanzschule für Mystiker, und sowohl das Christentum wie der Islam, der Brahmanismus und der Buddhismus erhalten durch sie ihre höchste Deutung.

So erklärt die hl. Teresa ihre ekstatische Wahrnehmung der Gottheit in streng katholischen Ausdrucksformen. So glaubte Boehme bis zuletzt, daß seine Erforschungen der Ewigkeit in Übereinstimmung seien mit der Lehre der lutherischen Kirche. So waren die Sufis gute Mohammedaner, Philon und die Kabbalisten orthodoxe Juden. So brachte Plotin sogar, wiewohl mit nicht geringer Schwierigkeit, die Überreste des Heidentums in Einklang mit seiner Lehre vom Wirklichen.

Die Versuche jedoch, die mystische Wahrheit, die unmittelbare Wahrnehmung des göttlichen Wesens, auf die Glaubensformel einer bestimmten Religion zu beschränken, sind so nutzlos wie der Versuch, ein kostbares Metall nur in einer bestimmten Prägung, die es zu gangbarer Münze macht, als solches anzuerkennen. Der Prägestöcke, die die Mystiker benutzt haben, sind viele. Ihre Besonderheiten und Auswüchse sind immer interessant und bisweilen höchst bedeutsam. Einige geben eine schärfere, einheitlichere Prägung als andere. Doch das Gold, aus dem diese verschiedene Münze geprägt wird, ist immer dasselbe kostbare Metall; es ist immer dieselbe seligmachende Schau des Guten, Wahren und Schönen, das Eins ist. Daher müssen wir stets seine Substanz von den Akzidenzien, unter denen wir es wahrnehmen, unterscheiden, denn diese Substanz hat kosmische und nicht konfessionelle Bedeutung.

Wenn wir jedoch die Sprache der Mystiker verstehen wollen, so müssen wir freilich gleichwohl auch etwas von den Akzidenzien wissen, d. h. von den hauptsächlichen Philosophien oder Religionen, in deren Formen sie ihr Erleben der Welt geschildert haben. Daher empfiehlt es sich, bevor wir uns an die Erforschung der eigentlichen Theologie machen, die beiden extremen Formen zu betrachten, unter denen sowohl die Mystiker wie die Theologen die göttliche Wirklichkeit zu begreifen gewohnt sind: nämlich die sogenannte Emanationstheorie und die Theorie von der Immanenz der übersinnlichen Welt.

Emanation und Immanenz sind gewaltige Worte, die, wenn auch religionsphilosophische Dilettanten beständig mit ihnen herumwerfen, doch eigentlich wenig aktuelle Bedeutung für den praktischen modernen Menschen haben. Doch sie sind Grundbegriffe für den Systematiker der Mystik, und seine besten Systeme sind schließlich nur Versuche, sie miteinander auszugleichen. Da das Ziel jedes Mystikers Vereinigung mit Gott ist, so ist offenbar die wesentlichste Lebensfrage seiner Philosophie, welchen Platz dieser Gott, das Absolute, dem er zustrebt, in seinem System einnimmt. Nun wird Er, kurz gesagt, von den großen Mystikern unter zwei scheinbar sich widersprechenden Formen vorgestellt oder vielmehr dargestellt:

1. Die Ansicht, deren extremster Vertreter die oben erwähnte Emanationstheorie ist, erklärt ihn als durchaus transzendent. Diese Auffassung zeigt sich früh in der Geschichte der griechischen Philosophie. Sie wurde weiter entwickelt von Dionysios, von den Kabbalisten, von Dante, und sie ist enthalten in der Darstellung Rulman Merswins und vieler anderer Ekstatiker.

Das Sonnensystem ist ein fast vollkommenes Symbol dieser Weltauffassung, die ihren zugleich strengsten und schönsten Ausdruck in Dantes »Paradies« 199 findet. Die absolute Gottheit wird angesehen als unendlich fern von der materiellen Sinnenwelt, der letzten und niedrigsten des ganzen Systems von abhängigen Welten (oder Zuständen), die von der Zentralsonne geboren oder ausgestrahlt, an Geistigkeit und Glanz abnehmen und an Mannigfaltigkeit zunehmen, je weiter sie sich von ihrem Ursprung entfernen. Dieser Ursprung – das große Antlitz des Absoluten – kann nie, so sagen die Kabbalisten, von einem Menschen geschaut werden. Es ist der ungelotete Abgrund der späteren Mystik, den die Wolke des Nichtwissens unserm Blick verhüllt. Nur durch seine »Emanationen« oder offenbarten Attribute können wir Kenntnis von ihm erhalten.

Durch das Ausströmen eben dieser Attribute und Kräfte ist das Weltall entstanden und besteht es fort, indem es letzten Endes von der verborgenen Gottheit abhängt, die daher als außerhalb der Welt vorgestellt wird, der sie Licht und Leben gibt.

Der hl. Thomas von Aquino übernimmt dem Wesen nach die Emanationslehre, wenn er schreibt: »Dem Menschen ist ein Weg gegeben, auf dem er zur Erkenntnis Gottes aufsteigen kann; daß er nämlich, da alle Vollkommenheiten der Dinge in einer gewissen Ordnung von Gott, dem höchsten Gipfel, absteigen, mit dem untern anfange und stufenweise aufsteige, um so zur Erkenntnis Gottes fortzuschreiten … Und weil in Gott, dem höchsten Gipfel der Dinge, die vollkommenste Einheit gefunden wird, und ein jegliches um so trefflicher und wertvoller ist, je mehr es eins ist, so folgt daraus, daß sich um so größere Verschiedenheit und Variation in den Dingen findet, je weiter sie von dem ersten Ursprunge entfernt sind 200.« Seuse, dessen mystisches System wie das der meisten Dominikaner mit der Thomistischen Philosophie übereinstimmt, umschreibt tatsächlich das, was Thomas von Aquino sagt, wenn er schreibt: »Der oberste überwesliche Geist hat den Menschen geadelt, daß er ihm von seiner ewigen Geburt leuchtet … Darum fließen aus dem großen Ringe, der da die ewige Gottheit bedeutet, nach bildlichem Gleichnis kleine Ringlein, die auch den hohen Adel ihrer Vernunft bezeichnen mögen 201.«

Offenbar muß, wenn diese Theorie des Absoluten Geltung hat, der Weg, auf dem die Seele zur Vereinigung mit Gott aufsteigt, buchstäblich eine Transzendenz sein: eine Reise »hinauf und hinaus«, durch eine lange Reihe von Zwischenstationen oder Welten, bis sie, nachdem sie »die zweiunddreißig Pfade des Lebensbaumes« durchschritten, endlich, kabbalistisch gesprochen, zur Krone gelangt: zur genießenden Erkenntnis Gottes, zum Abgrund des göttlichen Dunkels der dionysischen Schule, zum neuplatonischen Einen. Solch eine Weltenreihe wird symbolisiert durch die zehn Himmel Dantes, durch die Hierarchien des Dionysios, durch den Baum des Lebens oder Sephiroth der Kabbala, und sie erhält ihre Gegenzeichnung in der innern Erfahrung, in der langen Reise des Selbst durch Reinigung und Erleuchtung zur Einigung. »Aufwärts in unsern Herzen steigen wir«, sagt der hl. Augustinus, »und singen dir das Lied der Stufen. Von deinem Feuer, deinem guten Feuer brennen wir und ziehn wir aufwärts. Aufwärts ziehn wir zum Frieden in Jerusalem 202.«

Diese Theorie fordert unter normalen und nicht-mystischen Bedingungen die vollkommene Trennung des Menschlichen und des Göttlichen, der zeitlichen und der ewigen Welt. Daher ist es dem Mystiker natürlich, von Pilgerschaft und von Exil zu sprechen, von einer Welt, die aus Vollkommenheit in Täuschung herabgesunken ist und nun einen langen und mühseligen Wiederaufstieg zu machen hat; denn in diesen Formen sieht er die Wirklichkeit. Für ihn ist das mystische Abenteuer im wesentlichen ein »Hinaustreten« aus seinem normalen Selbst und aus seiner normalen Welt. Wie der Psalmist hat er »in seinem Herzen beschlossen, in diesem Tal der Tränen stufenweise aufzusteigen vom Niederen zum Göttlicheren.« Er und mit ihm der Kosmos – denn wir dürfen nie vergessen, daß für die mystische Philosophie die Seele des Einzelnen der Mikrokosmos der Weltseele ist – muß den langen Weg zur Vollkommenheit, von der er ursprünglich ausging, zurückwandern, wie in Rulman Merswins Vision von den neun Felsen die Fische von Teich zu Teich emporstreben müssen, bis sie ihren Ursprung wieder erreichen.

Eine solche Auffassung der Wirklichkeit stimmt zu dem Geistestypus, den William James als die »kranke Seele« bezeichnet 203. Es ist die Stimmung der Zerknirschung, der Reue, der tiefsten Demut, die, von dem schroffen Gegensatz zwischen sich und dem Vollkommenen, das sie schaut, überwältigt, nur »aus der Tiefe rufen« kann. Diese Stimmung ist dem zum Pessimismus geneigten Temperament natürlich, das zwischen sich und seinem Verlangen »eine große Kluft befestigt« sieht und das vor allem die Elemente des Bösen und Unvollkommenen in seinem eigenen Charakter und in dem Menschen der täglichen Erfahrung empfindet. Indem ein solches Temperament sein Bewußtseinsfeld von solchen Elementen beherrschen läßt und für den göttlichen Aspekt der Welt des Werdens kein Auge hat, konstruiert es sich aus seinen Wahrnehmungen und Vorurteilen das Bild einer materiellen Welt und eines normalen Selbst, das sehr weit von Gott entfernt ist.

2. Immanenz. Den Gegenpol dieser Auffassung der Wirklichkeit bildet die extreme Immanenztheorie, die heutzutage unter liberalen Theologen so beliebt ist. Für die Anhänger dieser Theorie, die naturgemäß nach Professor James zur Klasse der »seelisch Gesunden« oder Optimisten gehören, ist das Suchen nach dem Absoluten keine lange Reise, sondern das Erkennen von etwas, was im Selbst und im Weltall beschlossen ist: ein Öffnen der Augen der Seele für die Wirklichkeit, in die sie eingetaucht ist. Für sie ist die Erde buchstäblich »bis zum Rande mit Himmel gefüllt«. »Du warst ich, doch dunkel war mein Herz, ich kannte nicht das höchste Geheimnis«, sagt Téwekkul Bég, ein mohammedanischer Mystiker des 17. Jahrhunderts 204. Dies ist immer der Ruf dessen, der zu einer immanenten Gottesauffassung neigt, sobald seine Augen dem Licht geöffnet sind. »Gott«, sagt Plotin, »ist niemandem fern, sondern ist allen nahe, ohne daß sie es wissen 205«. Und mit andern und älteren Worten: »Der Geist Gottes ist in euch.« Der Absolute, den alle suchen, hält sich nicht fern von einer unvollkommenen materiellen Welt, sondern wohnt in dem Strom der Dinge: steht sozusagen an der Schwelle des Bewußtseins und klopft an und wartet, daß das Selbst allmählich seine Schätze entdeckt. »Er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns; denn in ihm leben, weben und sind wir 206« ist die reine Immanenzlehre, eine Lehre, deren Verkünder zu den Seelen gehören, die der Berührung des Göttlichen leichter zugänglich sind als dem Gefühl der Entfremdung und der Sünde, und die von Natur mehr geneigt sind zu lieben als zu fürchten. Die Wahrheit, daß »Gott und Mensch anfänglich dort einander begegnen, wo der Mensch am innerlichsten ist« 207 – d. h. in dem Funken oder Grund der Seele –, ist die Grundtatsache ihres Erlebens der übersinnlichen Welt.

Die Immanenztheorie, für sich genommen und durch keine dogmatischen Schranken geschützt, artet bekanntlich leicht in Pantheismus aus und in all die törichten Entstellungen der Lehre von der Vergottung, in der der Mystiker sein verklärtes Selbst mit dem ihm innewohnenden Gott identifiziert. Sie ist die philosophische Basis jener Praxis der »Selbsteinkehr«, jenes Sichnachinnenwendens der seelischen Fähigkeiten in der Kontemplation, das von jeher die »Methode« der großen praktischen Mystiker aller Religionen gewesen ist. Daß Gott, da Er in allem ist, – in gewissem Sinne alles ist, – am leichtesten in uns selbst zu finden ist, ist die Lehre dieser Abenteurer 208, die die Existenz jener Zwischenwelten oder -ebenen zwischen der materiellen Welt und dem Absoluten, welche von der Emanationstheorie gefordert werden, leugnen oder ignorieren und mit Ruysbroeck behaupten, daß »durch ein einfaches Insichschauen in genießender Liebe« sie »Gott unmittelbar begegnen« 209. Sie hören den Vater des Lichts »ewig, unmittelbar und immerdar in der Verborgenheit ihres Geistes das eine, unergründlich tiefe Wort sagen« 210.

Diese »göttliche« Wesenheit oder Substanz, die der sich nach innen wendende Mystiker, wie Ruysbroeck sagt, »im Grunde seines Geistes« findet, ist der »Seelenfunke« Eckeharts, der »Grund« Taulers, das »innere Licht« der Quäker, das »göttliche Prinzip« mancher modernen Metaphysiker; der Quell und Ursprung alles wahren Lebens. An diesem Punkte fehlen Worte und Definitionen dem Mystiker und dem Theologen in gleicher Weise. Ein Gewirr von Metaphern tritt an ihre Stelle. Er steht Antlitz in Antlitz dem »Wunder aller Wunder« gegenüber, – der wirklichsten aller Erfahrungen, der Vereinigung des Menschlichen und Göttlichen in einem namenlosen Etwas, das »groß genug ist, um Gott zu sein, klein genug, um ich zu sein«. Daher wird einmal der Funke der Seele als das Göttliche hingestellt, zu dem das Selbst gelangt, und ein andermal als der übersinnliche Aspekt des Selbst, der in Kontakt mit Gott ist. Nach beiden Voraussetzungen ist er das, worin der Mystiker das absolute Sein findet und die Gewähr für Gottes unmittelbare Gegenwart im Menschenherzen und, wenn im Menschenherzen, so auch im Weltall, dessen wesentliche Züge die menschliche Seele im kleinen enthält.

Nach der Immanenztheorie würden wir die Schöpfung, das Weltall, könnten wir es so sehen, wie es ist, als die Selbstentwicklung, die Selbstentfaltung dieser ihm innewohnenden Gottheit wahrnehmen. Die Welt ist nicht von dem Absoluten projiziert, sondern sie schließt Es ein. »Ich begriff,« sagt die hl. Teresa, »wie unser Herr in allen Dingen ist und wie er in der Seele ist, und mir kam das Bild eines Schwammes, der mit Wasser gefüllt ist 211.« Die Weltentwicklung besteht also darin, daß dieser göttliche Funke, der sowohl im Kosmos wie im Menschen latent ist, allmählich zur Wirksamkeit gelangt. »Wenn du«, sagt Boehme, »einen kleinen Zirkel als ein Senfkörnlein schließest, so wäre das Herze Gottes ganz und völlig also darinnen, und so du in Gott geboren wirst, so ist in dir selber, in deinem Lebenszirkel, das ganze Herze Gottes unzerteilet 212.« Selten ist die Idee der Immanenz so schön zum Ausdruck gekommen.

Es ist beachtenswert, daß die beiden theologischen Theorien der Wirklichkeit, die die Mystiker übernommen haben, ebenso wie die moderne Naturwissenschaft voraussetzen, daß das Weltall nicht statisch, sondern dynamisch ist: eine Welt des Werdens. Nach der Immanenzlehre ist das Weltall frei, selbstschöpferisch. Das Göttliche wohnt in ihm, kein Teil ist mehr von der Gottheit entfernt als ein anderer. »Gott«, sagt Eckehart, »ist mir näher als ich mir selber bin; Er ist einem Stück Holz und einem Steine ebenso nahe, aber sie wissen es nicht 213.«

Diese beiden scheinbar sich widersprechenden Erklärungen des Unsichtbaren sind beide, und zwar in ihrer extremsten Form, bei den Mystikern vertreten, denn beide liefern ihnen ein passendes und notwendiges Schema für die Darstellung ihres Erlebens der Wirklichkeit 214. Einige von den am wenigsten belesenen und am meisten inspirierten unter ihnen, z. B. die hl. Katharina von Siena, Lady Juliane von Norwich, und einige von den gelehrtesten, wie Dionysios der Areopagit und Meister Eckehart, haben tatsächlich in ihren Rhapsodien eine Sprache gebraucht, die beiden Theorien entspricht. Danach müßten beide die Wahrheit in sich bergen und wäre es die Aufgabe einer klar denkenden und folgerichtigen mystischen Philosophie, beide in Einklang zu bringen. Es wird zu oft von streitbaren Anhängern einer bestimmten Geistesrichtung vergessen, daß alle diese metaphysischen Theorien nur Symbole, Methoden, Schemata sind, schwache Versuche, ein Erleben darzustellen, das immer das gleiche ist und dessen besondere Eigentümlichkeit seine Unaussprechlichkeit ist. Und so behaupten sie mit ermüdender Eintönigkeit, daß Dionysios unrecht haben müsse, wenn Tauler recht hat; daß es widersinnig sei, sich Gottes Freund zu nennen, wenn die erste Eigenschaft dieses Gottes Unerkennbarkeit sei; daß Piatons »vollkommene Schönheit« und Katharina von Sienas Opferempfänger nicht derselbe sein könne; daß vor dem »freundlichen und liebreichen Herrn«, der zu der Lady Juliane sprach: »Mein Liebling, ich bin froh, daß du zu mir gekommen bist; in all deinem Weh war ich immer bei dir 215«, das formlose und unpersönliche Eine Plotins, der dreifache Kreis Seuses 216 und Dantes verschwinde; endlich, daß, wenn Gott wirklich der materiellen Welt immanent sei, es entweder Sünde oder Torheit sei, diese Welt von sich zu weisen, um Ihn zu finden; und daß, wenn wir uns nach innen kehren sollen, eine Weltauffassung, die Zwischenwelten zwischen dem Absoluten und der Erscheinungswelt voraussetzt, verkehrt sein müsse.

Was nun die Mystiker anbetrifft, bei denen wir beide Lehren, beide Arten, die Wahrheit zu sehen – denn was anders ist eine Lehre? – finden, so tun wir gut, uns zu erinnern, daß ihre Lehren über das Verhältnis des Absoluten zum Endlichen, Gottes zur Erscheinungswelt, sich zunächst auf das gründen müssen, was sie aus Erfahrung von der Beziehung zwischen dem Absoluten und dem Einzelselbst wissen. Diese Erfahrung ist das, was der Mystik ihren Gehalt und ihre einzigartige Bedeutung gibt, sie ist die einzige Quelle ihrer Erkenntnis. Alles andere ist in Wirklichkeit nur ein Vermuten auf Grund von Analogie. Wenn daher der Mystiker, indem er das, was er in bezug auf seine eigene Seele als wahr erkannt hat, auf das Weltall anwendet, die göttliche Vollkommenheit schildert als weit entfernt von der materiellen Welt und dennoch mit ihr verbunden durch eine stufenweise Reihe von »Emanationen« – Zuständen oder Eigenschaften, die alle etwas Gottähnliches haben, wenn sie gleich nicht Gott sind –, so versucht er den notwendigen Lebensprozeß zu beschreiben, den er selbst durchgemacht hat auf dem Wege seiner Reinigung und seines geistlichen Aufstiegs vom Zustande des natürlichen Menschen zu dem der Harmonie mit der Geisteswelt, den man bisweilen als »Vergottung« bezeichnet und in dem er fähig ist, das Göttliche zu schauen und sich mit ihm zu vereinigen. Wir haben in der »Divina Commedia« ein klassisches Beispiel solcher zwiefachen Vision der inneren und der äußeren Welt, denn Dantes Wanderung aufwärts zum höchsten Himmel ist in Wahrheit ein innerer Vorgang, eine Umwandlung seiner Natur, eine Läuterung seines geistigen Sehvermögens, bis er, über alle abgeleitete Seligkeit hinausgehend, einen Augenblick das Wesen Gottes schauen kann.

Der Mystiker nimmt an – weil er immer eine systematische Ordnung der Dinge annimmt –, daß eine Beziehung besteht zwischen dem Mikrokosmos der menschlichen Persönlichkeit und dem Makrokosmos der Weltpersönlichkeit. Daher erscheint ihm seine Erfahrung, die Landkarte des individuellen Forschens, als ein guter Beleg für die geographische Beschaffenheit des Unsichtbaren. Da er über sein natürliches Leben hinausgehen muß, um zum Bewußtsein Gottes zu gelangen, stellt er sich Gott als seinem Wesen nach über die natürliche Welt hinausgehend vor. Seine geographische Beschreibung – die Beschreibung seines Pfades in einem Lande, wo es weder Zeit noch Raum, weder innen noch außen, weder oben noch unten gibt, – wird bedingt durch sein Temperament, durch seine Beobachtungsgabe, durch den bildlichen Ausdruck, der ihm am nächsten liegt, vor allem durch seine theologische Bildung. Die sogenannte Reise selbst ist eine psychologische Erfahrung, die Reinigung und Bereitung des Selbst, seine Erhebung zu höheren Bewußtseinsebenen, seine Einswerdung mit jenem geistigeren, doch für gewöhnlich unterbewußten Selbst, das mit der übersinnlichen Welt in Fühlung ist, und seine allmähliche oder plötzliche Vereinigung mit dem Wirklichen. Bisweilen erscheint dieser Vorgang als ein Sichzurückziehen in den »Grund der Seele«, wo, wie die hl. Teresa sagt, »die göttliche Majestät uns erwartet«; bisweilen als ein Aufstieg vom Bedingten zum Unbedingten, als »der übernatürliche Flug« Plotins und des Areopagiten. Beides sind nur Bilder, unter denen das Selbst sich den Weg zur bewußten Vereinigung mit jenem Gott vorstellt, der in bezug auf die Seele, die Sein Leben teilt, »zugleich immanent und transzendent ist« 217.

Seine Aufgabe ist, Gott zu finden. Das Suchen ist lang, das Ziel überwältigend. Bisweilen veranlaßt ihn sein Temperament, den größten Nachdruck auf die Länge des Suchens zu legen; bisweilen läßt das plötzliche Entzücken, womit es endet, ihn die ganze mühselige Wanderung vergessen, auf der die Seele »nicht einem äußern Ziel, sondern vielmehr ihrem Mittelpunkte zustrebt«. Die Wohnungen der Inneren Burg, durch die die hl. Teresa den eifrigen Schüler führt, hin zu der verborgenen Kammer, die das Allerheiligste des in ihr wohnenden Gottes ist; die Hierarchien des Dionysios, von den selbstlos dienenden Engeln aufwärts, vorbei an der brennenden Liebe der Seraphim bis hinan zu der über Zeit und Raum thronenden Gottheit; die mystischen Pfade des kabbalistischen Lebensbaumes, die von der irdischen Welt Malkuth durch die Welten des Handelns und Denkens an der Hand der Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Schönheit zur himmlischen Krone führten 218; – all dies sind verschiedene Arten, diese selbe Pilgerschaft zu sehen.

Wie jeder entweder ein geborener Schüler Platons oder des Aristoteles ist, so neigt jede menschliche Seele zu einer dieser beiden Arten, die Wirklichkeit zu begreifen. Der Künstler, der Dichter, jeder, der mit Ehrfurcht und Entzücken auf das Geschaffene sieht, erkennt in diesem Akt den immanenten Gott. Der Asket, und auch jener intellektuelle Asket, der Metaphysiker, der sich von den geschaffenen Dingen abwendet und die Sinne verleugnet, um in irgendeiner Ferne den unerschaffenen, durch nichts bedingten Ursprung aller Dinge zu finden, gehorcht in Wahrheit, obgleich unbewußt, jenem psychologischen Gesetz, das die Emanationslehre hervorgebracht hat.

Eine gute Landkarte also, eine gute Philosophie der Mystik wird beiden Arten, die Erfahrung zu erklären, Raum geben. Sie bezeichnet die Straßen, auf denen viele verschiedene Naturen zu demselben Ziel gelangt zu sein behaupten. Sie erkennt beide Aspekte an, unter denen die patria splendida der Wahrheit ihren Liebhabern erschienen ist: die Aspekte, aus denen die Emanations- und Immanenztheorie hervorgegangen ist, und die in den griechischen und lateinischen Bezeichnungen für Gott enthalten sind. Deus, dessen Wurzel »Tag«, »leuchtend«, »das überirdische Licht« bedeutet, und Theos, dessen wahre Bedeutung höchstes Verlangen oder Gebet – die innere Liebe – ist, widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Sie bilden, zusammen genommen, eine fast vollkommene Definition jenes Absoluten, das das Ziel der Sehnsucht des Mystikers ist: der göttlichen Liebe, die in der Seele geboren, diese Seele antreibt zur Vereinigung mit dem Transzendenten und dem absoluten Licht, das zugleich Ursprung, Ziel und Leben alles Erschaffenen ist.

Der wahre Mystiker – der Mensch mit dem angeborenen Sinn für Gott – bedarf selbst kaum einer solchen Landkarte. Er folgt seinem eigenen Kompaß über das »weite und stürmische Meer des Göttlichen«. Es ist jedoch charakteristisch für seine intellektuelle Demut, daß er immer bereit ist, die Landkarte der Gemeinschaft, in der er sich befindet, zu benutzen, wenn er andern den Weg zeigen soll, den er gegangen. Bisweilen erweisen sich diese Karten als ihrem Zweck dienlich. Ja, sie erhellen den dunklen Pfad des Suchenden, helfen ihm, geben ihm Merkzeichen. Von Zeit zu Zeit setzt er seinen Finger auf eine bestimmte Stelle, irgendeinen großen Hügel der Offenbarung, einer Stadt der Seele, und sagt mit Überzeugung: » Hier bin ich gewesen.« In andern Fällen verwirrten ihn die Karten, wollten sie nicht zu seiner Beschreibung passen. Dann hat er, wie Boehme und nach ihm Blake, versucht, neue zu machen. Solche Karten sind oft phantastisch gezeichnet, da gute Zeichenkunst nicht immer mit Forschertalent gepaart ist. Da sie von der gewohnten Überlieferung abweichen, ist es schwer, bisweilen unmöglich, sie zu verstehen. Infolgedessen mußten die Orthodoxen ihre Verfertiger als Verrückte oder Ketzer ansehen, während sie in Wahrheit nur Praktiker waren, die versuchten, mit unzureichenden Mitteln große Dinge zu enthüllen.

Nun müssen wir, ohne einzelnen Glaubensformen zu nahe treten oder eine eigene Meinung über die ausschließliche Wahrheit irgendeines Religionssystems oder einer religösen Offenbarung aufstellen zu wollen – denn wir haben es hier weder mit Glaubensstreit noch mit Apologetik zu tun –, müssen wir, sage ich, es als historische Tatsache zugeben, daß die Mystik bis jetzt ihre beste Wegekarte im Christentum gefunden hat. Die christliche Philosophie, besonders die neuplatonische Theologie, die, sowie sie von den großen Kirchenvätern der Frühzeit und des Mittelalters entwickelt wurde, all das Beste, was Griechenland, Indien und Ägypten an religiösen Intuitionen hatten, in sich aufnahm und in Einklang brachte, bestätigt und erhellt die Offenbarungen des einzelnen Mystikers, wie kein anderes Gedankensystem es hat tun können.

Wir verdanken den großen Kirchenvätern der ersten fünf Jahrhunderte – Klemens von Alexandrien und Irenaeus, Gregor von Nyssa und Augustinus, vor allem Dionysios dem Areopagiten, dem großen christlichen Zeitgenossen des Proklos – die Erhaltung jenes mächtigen Gedankengerüstes, mit dessen Hilfe die katholischen Mystiker die Türme und Bollwerke der Stadt Gottes errichten konnten. Der besondere Wert dieser christlichen Philosophie, das, was ihr den Vorzug vor den mehr kühl konsequenten griechischen Systemen gibt, ist die Tatsache, daß sie die metaphysischen Wahrheiten in Ausdrucksformen der Persönlichkeit umsetzt und so ein drittes Glied, einen »lebendigen Mittler«, schafft zwischen dem unerforschlichen Gott, dem unbedingten Absoluten, und dem bedingten Selbst. Dies war die unschätzbare Gabe, die die Weisen für ihr Gold, Weihrauch und Myrrhen erhielten. Dies löst das Rätsel, dem alle Erforscher des Übersinnlichen früher oder später gegenüberstehen: come si convenne l'imago al cerchio 219, die Versöhnung des Unendlichen und des Persönlichen, erlebt und gefühlt, aber nie verstanden. Solch ein drittes Glied, solch ein Trittbrett war unbedingt nötig, wenn die Mystik je zu dieser aktiven Vereinigung, zu dieser Fülle des Lebens, die ihr Ziel ist, gelangen und sich von blindem, selbstischem Entzücken zu fruchtbarer, selbstvergessener Liebe entwickeln sollte.

Wo nicht-christliche Mystiker in der Regel die Wahl treffen mußten zwischen den beiden großen dogmatischen Ausdrücken ihrer Erfahrung: a) der langen Pilgerung nach einem transzendenten und unbedingten Absoluten, b) der Erforschung dieses Absoluten in dem »Grunde« oder geistlichen Prinzip des Selbst, ist es dem Christentum vermittels seiner zentralen Dreieinigkeitslehre möglich gewesen, beiden Raum zu geben und sie als das aufzuweisen, was sie tatsächlich sind: als die sich ergänzenden Teile eines Ganzen. Selbst Dionysios, der Pate der Emanationslehre, verbindet mit seinem Schema der absteigenden Hierarchien das Dogma von dem immanenten Gott, und kein Schriftsteller wird häufiger von Meister Eckehart angeführt, der doch nach allgemeiner Ansicht die Immanenz in ihrer extremsten pantheistischen Form gepredigt hat.

Sodann ist die christliche Atmosphäre diejenige, in welcher der einzelne Mystiker seine Anlage am häufigsten hat in gesunder, fruchtbarer Weise entwickeln können, und eine überwältigende Mehrzahl der großen europäischen Kontemplativen waren Christen von starker, leidenschaftlicher und persönlicher Prägung. Dies allein würde es rechtfertigen, wenn wir das Christentum wenigstens in bezug auf das Abendland als Repräsentanten der wahren Überlieferung in formaler Hinsicht ansehen, als die »Bahn des geringsten Widerstandes«, durch die diese Überlieferung strömt. In vielen Fällen verdankten selbst die christlichen Ketzer ihre Größe fast ausschließlich ihren mystischen Qualitäten. Die Gnostiker, die Fraticelli, die Brüder des freien Geistes, die Quietisten, die Quäker sind Beispiele hierfür. Bei andern hatte die Ketzerei ihre Ursache in einem zu großen Vertrauen auf die Vernunft in Sachen des Überrationalen und in einem entsprechenden Mangel an Vertrauen auf mystische Intuition. Arius und Pelagius sind Ketzer dieser Art.

Die größten Mystiker jedoch waren nicht Ketzer, sondern rechtgläubige Heilige. Im Christentum hat die »natürliche Mystik«, die wie die »natürliche Religion« in der Menschheit latent ist und an einem gewissen Punkt der Entwicklung bei jedem Volk hervorbricht, sich selbst gefunden, und indem sie zum erstenmal ihrem Gegenstand eine wirkliche und deutliche Persönlichkeit beilegte, gab sie der verworrenen Vorstellung von einem unbedingten Gott, den der Neuplatonismus aus seinen abstrakten philosophischen Begriffen und den Intuitionen indischer Ekstatiker konstruiert und zur Basis seiner Betrachtungen über das Wirkliche gemacht hatte, eine bestimmte und klare Form. Es ist eine auf der Hand liegende Wahrheit, daß der wirkliche Anspruch der christlichen Philosophie auf unsere Wertschätzung sich nicht auf ihre Exklusivität, sondern auf ihre Universalität gründet, auf die Tatsache, daß sie die Wahrheit in hundert verschiedenen Systemen findet, daß sie griechisches, jüdisches und indisches Denken übernimmt und deutlich macht, alles in einen theologischen Zusammenhang bringt und zu den spekulativen Denkern aller Zeiten und Völker sagt: »Der, den ihr unwissend anbetet, den verkünde ich euch.«

Die Stimme der Wahrheit, die ein für allemal auf Golgatha sprach und dort den Grundplan der Welt verkündete, wurde von allen großen Sehern, den intuitiven Führern der Menschheit, denen der Sinn für das Wirkliche zuteil ward, mehr oder weniger vollkommen gehört. Es gibt wenig christliche Gottesnamen, die den Lehrern des Altertums nicht bekannt gewesen wären. Den Ägyptern war Er der Heiland, den Piatonikern das Gute, Schöne und Wahre, den Stoikern der Vater und Gefährte. Kleanthes hat sogar die Worte des vierten Evangeliums vorweggenommen. Heraklit kannte das Kraft verleihende Feuer, von dem der hl. Bonaventura und Mechthild von Magdeburg sprechen. Zahllose Mystiker, vom hl. Augustinus bis zum hl. Johannes vom Kreuze, wiederholen immer wieder die Sprache Plotins. Zwar sind die spezifischen Merkmale, die das Christentum von allen anderen Religionen unterscheiden, außerordentlich und auffallend, allein gerade diese unterscheidenden Eigentümlichkeiten machen es zum vollkommensten Rahmen für das mystische Leben. Sein Ton inniger Vertrautheit, unmittelbarer und persönlicher Berührung mit einer geistigen Wirklichkeit, die sich hier und jetzt bietet, – seine wunderbare Verbindung von Glanz und Einfachheit, von Sakramentalem und Transzendentem – all diese Dinge kommen den Bedürfnissen des mystischen Typus entgegen.

Daher haben fast alle großen Mystiker des Abendlandes das christliche System unentbehrlich gefunden. Sie übernehmen seine Terminologie, erklären ihre Erlebnisse mit Hilfe seiner Glaubensformeln, setzen ihr Absolutes dem Christengott gleich. Unter den europäischen Mystikern ist die am häufigsten zitierte Ausnahme von dieser Regel Blake; doch es ist merkwürdig zu beobachten, daß auch dieser Kirchenfeind ein um so leidenschaftlicherer und dogmatischerer Christ wird, je begeisterter er sich äußert.

Wir schauen,

Wo ewiger Tod auf ewig abgetan. O Lamm!

Nimm an den finsteren Satansleib im Schoß der Jungfrau.

O göttlich Lamm! Er ist dir nicht zuwider! Mitleidsvoller,

Dein Mitleid ist von Anbeginn der Welt und dein Erlösungswerk

Beginnt schon in der Ewigkeit 220.

Hier haben wir die Inkarnationslehre in nuce; selbst der hl. Thomas würde an dieser Fassung wenig zu verbessern finden. Von den beiden folgenden Zitaten aus »Jerusalem« ist das erste nur eine poetische Umschreibung des Ausrufs der Katholiken: » O felix culpa!«, das zweite ein fast vollkommener Abriß der christlichen Theologie und Ethik:

»Wenn rein ich wäre, niemals könnt' ich dann

Die Süße der Vergebung kosten. Wär' ich heilig,

So könnt' ich nie der Liebe Tränen schauen!

… O du Barmherzigkeit! göttliche Menschheit!

Vergebung du, o Mitleid und Erbarmen! wär' ich rein,

So hätte ich dich nie gekannt.«

(Jesus spricht:)

»Sag', würdest du den lieben, der nie starb

Für dich, und würdst du für den sterben, der nicht starb für dich?

Und wenn Gott für den Menschen nicht den Tod

Erlitte und sich ewig für ihn gäbe,

So könnt' der Mensch nicht sein, denn er ist Liebe,

Gleichwie Gott Liebe ist. Jedwede Güte

An einem andern ist ein kleiner Tod

Im Ebenbilde Gottes. Nur durch Bruderschaft

Vermag der Mensch zu leben 221.«

Was nachdrücklich betont werden muß, ist dies: ob nun die christlichen Dogmen auf wissenschaftlicher oder historischer Ebene anerkannt werden oder nicht, für eine zulängliche Darstellung des mystischen Erlebens – wenigstens der voll entwickelten dynamischen Mystik des Abendlandes – sind sie nötig. Wir müssen daher beim Lesen der Werke dieser Mystiker auf eine streng konfessionelle Sprache gefaßt sein und werden gut tun, vorher einen Blick auf diese Sprache zu werfen und auf die wirkliche Bedeutung ihrer Ausdrücke für die, die sie brauchen und demgemäß glauben.

Wir können wohl als allgemein bekannt voraussetzen, daß die beiden Grundzüge der schematischen christlichen Theologie die Dogmen von der Dreieinigkeit und der Inkarnation sind. Sie ergänzen und erklären einander und bilden zusammen für den Christen die endgültige Lösung des Welträtsels. Die Geschichte des praktischen Christentums ist die Geschichte des Versuchs, ihre Bedeutung in Raum und Zeit darzulegen. Die Geschichte der mystischen Philosophie ist die – noch unabgeschlossene – Geschichte der Darlegung ihrer Bedeutung in der Ewigkeit.

In dem Augenblick, wo die Mystik beginnt, entweder ihre eigenen Seelenzustände zu analysieren oder über ihre intuitiven Erkenntnisse des Absoluten zu philosophieren, braucht sie irgendeine Form des Trinitätsdogmas, um die beobachteten Tatsachen beschreiben zu können. Sie muß nämlich die Aspekte, unter denen sie die Gottheit erkennt, teilen, wenn sie sich in fruchtbarer und verständlicher Weise mit ihnen befassen soll. Das unbedingte Eine, das sowohl für den Neuplatoniker wie für den Katholiken das letzte Ziel mystischen Suchens ist, kann an sich nicht das tiefste Verlangen der Menschheit befriedigen, denn der Mensch ist sich darüber klar, daß Mannigfaltigkeit in der Einheit notwendig ist, um Vollkommenheit zum Ausdruck zu bringen. Wenn auch die Idee der Einheit allein das letzte Ziel bezeichnet, und wenn auch die Mystiker immer wieder zu ihr zurückkehren als einer Befreiung von der »Ketzerei der Vielfältigkeit«, die sie bedrängt, – so genügt sie für sich allein noch nicht, um das All zu beschreiben.

Die erste Frage muß also sein: Wie viele solche Aspekte sind nötig, um die Stellung des Mystikers vollständig darzulegen? Wie viele Gesichter der Wirklichkeit sieht er? Zum allermindesten muß er, wie wir schon gesehen haben, zwei Aspekte wahrnehmen: 1. jenen heiligen Geist in sich, jenes göttliche Leben, wovon sein eigenes Leben überströmt und erhalten wird, und dessen er sich immer mehr bewußt wird in dem Maße, wie seine Entwicklung fortschreitet; 2. jenen transzendenten Geist außerhalb seiner, das »Absolute«, zur Vereinigung mit dem der ihm innewohnende und ihn immer mehr beherrschende Geist der Liebe die sich entfaltende Seele drängt. Es ist die Aufgabe der Ekstase, diese beiden Aspekte Gottes in eins zu verschmelzen oder, mystisch ausgedrückt, den Liebenden der Geliebten zurückzubringen, doch es ist nicht weniger die Aufgabe der mystischen Philosophie, sie zu trennen. Immer wieder haben die Mystiker und ihre Kritiker, ausdrücklich oder stillschweigend, die Notwendigkeit dieses Aktes anerkannt.

So kann selbst der strenge Monotheismus Israels und des Islams in den Händen der Kabbalisten und der Sufis dem wesentlichen Dualismus in der mystischen Erfahrung nicht entgehen. »Nach dem Zohar«, sagt A. E. Waite, sein bester moderner Kenner, »ist Gott immanent in allem, was von ihm geschaffen oder ausgegangen ist, und doch ist er allem transzendent 222.« Ebenso ist er es für die Sufis. Gott, sagen sie, wird geschaut: a) außer uns, in den unvollkommenen Schönheiten der Erde; b) in uns, durch Meditation. Und wiederum: da Er Eins ist und in allen Dingen, »so ist es ein Irrtum, wenn man sich als von Gott getrennt betrachtet; doch nur wenn man sich als getrennt von Gott sieht, kann man an Gott hinanreichen 223.«

So schreibt Delacroix, indem er rein als Psychologe spricht und der mystischen Offenbarung, die er ausschließlich zu dem normalen Inhalt des Unterbewußtseins rechnet, jeden transzendentalen Wert abspricht, von der hl. Teresa mit vollkommener Anerkennung ihrer Größe, daß »sie den bestimmten Gott der Bibel außen vor sich hinstellte, während sie in ihrer Seele den vagen Gott des Pseudo-Areopagiten, das Eine des Neuplatonismus aufstellte. Der erste gibt ihr die Gewähr für die dogmatische Richtigkeit des zweiten und hindert sie daran, sich in eine nicht-christliche Unbestimmtheit zu verlieren. Der vage Gott in uns ist sehr gefährlich … die hl. Teresa wußte diese Gefahr zu vermeiden, und mit Hilfe ihres reichen unterbewußten Lebens, des Aufschwungs ihres innern Schauens, ihrer Fähigkeit der Selbstteilung auf der einen Seite und ihrer seltenen Gabe der Vereinheitlichung auf der andern verwirklichte sie gleichzeitig einen zwiefachen Zustand, in dem die beiden Götter (d. h. die beiden Arten, Gott aufzufassen, Transzendenz und Immanenz) einander beglaubigten, indem sie sich gegenseitig festigten und bereicherten; solcher Art ist die intellektuelle Vision der Dreieinigkeit in der Siebenten Wohnung 224.«

Wahrscheinlich hätte die hl. Teresa, wenn sie diese überraschende Analyse gelesen hätte, eingewandt, daß ihre Dreieinigkeit, im Gegensatz zu der ihres Lobredners, aus drei und nicht aus zwei Personen bestünde. Was er über den vagen inneren und den orthodoxen äußeren Gott sagt, würde ihrem zarten und ehrlichen Sinn plump und unwahr erschienen sein; auch hätte sie nicht zugegeben, daß das unbedingte Eine der Neuplatoniker ein passender Ausdruck für die streng persönliche göttliche Majestät sei, die sie im innersten Heiligtum der Seelenburg thronend gefunden hatte.

Was die hl. Teresa in Wirklichkeit tat, war, daß sie die drei unterschiedenen persönlichen Aspekte der Gottheit, die die christliche Religion anerkennt, in ihrem eigenen Erleben verwirklichte und vermittels ihres außerordentlich entwickelten Vermögens übersinnlicher Wahrnehmungen im Grunde ihrer Seele begriff.

Erstens, den Vater, das reine übersinnliche Sein, den schöpferischen Quell und Ursprung von allem, was da ist, das unbedingte und unerforschliche Eine des Neuplatonismus, das mit Erlaubnis des Herrn Delacroix vielmehr als dem Subjekt durchaus transzendent denn als »in der Seele aufgestellt« zu begreifen ist.

Zweitens isolierte und unterschied Teresa in der Person Christi den Logos oder das schöpferische Wort, den Ausdruck, die Geburt oder Manifestation des Gedankens des Vaters. Hier ist der Punkt, wo die göttliche Substanz dem menschlichen Geiste zuerst faßbar wird, hier ist das vermittelnde Prinzip, das »zwischen Himmel und Erde aufgerichtet« ist und das zugleich der Spiegel des reinen Seins und das Licht einer endlichen Welt ist. Die zweite Person der christlichen Dreieinigkeit ist für den Gläubigen nicht nur der Abglanz oder die Offenbarung Gottes, sondern auch der persönliche, unerschöpfliche Quell allen Lebens und erwidernde Gegenstand aller Liebe, der, weil er durch seine Menschwerdung die Menschheit in die Gottheit hinaufgehoben, die eine und einzige Brücke ist zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, zwischen dem Einzelleben und dem All-Leben und so, mystisch gesprochen, der »wahre Bräutigam« jeder menschlichen Seele.

Drittens erkannte sie in sich selbst den Keim jenes absoluten Lebens, den innewohnenden Geist, der die Quelle des übersinnlichen Bewußtseins des Menschen und das Glied ist, das ihn mit dem göttlichen Sein verbindet. Das heißt, sie erkannte in sich den heiligen Geist der göttlichen Liebe, den wahren Liebenden, der den wahren Geliebten sucht, ohne dessen Gegenwart irgendwelche Erkenntnis Gottes oder Gemeinschaft mit Ihm von seiten des Menschen undenkbar ist.

In der Vision der Dreieinigkeit, die der hl. Teresa als höchste Gnade in der Siebenten Wohnung der Seele zuteil wurde, waren diese drei Aspekte in Einen verschmolzen. In den tiefsten Abgründen ihrer Seele, in jener ungeloteten Tiefe, wo die Selbstheit ihre Bedeutung verliert und die Einzelseele das Leben des Alls berührt, da schwand alles Trennende, und sie »sah Gott in einem Punkte«. Ein solches Erleben, eine solche Anschauung der einfachen und undifferenzierten Gottheit, der Einheit hinter jenen drei Zentren des göttlichen Bewußtseins, die wir die Dreieinigkeit der Personen nennen, ist ein charakteristisches Merkmal der Mystik. Die deutschen Mystiker, die ihrer Naturanlage nach meilenweit von der hl. Teresa getrennt sind, beschrieben dies Erlebnis als das Erreichen der »schweigenden Wildnis« oder »der einsamen Wüste der Gottheit«, als den grundlosen göttlichen Abgrund, der unpersönlich, unbeschreiblich, auf ewig in der Wolke des Nichtwissens verborgen, dennoch das wahre Land der Seele ist 225.

Diese Sätze, die in solcher Formulierung hoffnungslos akademisch und gewaltsam lebensfern klingen, waren für die hl. Teresa oder jeden andern christlichen Mystiker überhaupt keine Lehrsätze, sondern Versuche, ein persönliches Erlebnis zu schildern. »Auf eine zuverlässige Art in der Darstellung der Wahrheit«, sagt sie, »wird ihr die heiligste Dreifaltigkeit gezeigt, und zwar alle drei Personen wie eine Entflammung, welche zunächst ihren Geist ergreift, wie eine Wolke von sehr großer Klarheit. Die Personen erscheinen unterschieden, und vermöge einer wunderbaren Kunde, welche der Seele zuteil wird, erkennt sie mit größter Wahrheit, daß alle drei Personen Ein Wesen, Ein Vermögen, Ein Wissen und ein Einiger Gott sind, dergestalt, daß die Seele hier (wie wir sagen können) durchs Gesicht begreift, was wir durch Glauben haben. Es geschieht jedoch nicht mittels körperlichen Gesichtes, da es keine imaginäre Vision ist. Hier teilen sich ihr alle drei Personen mit, reden mit ihr und … es bedünkt sie, daß diese Personen nimmer von ihr weichen, sondern kündlicher Weise (auf die Weise, deren gedacht worden) im tiefsten Innersten ihrer Seele stehen; im Innersten, im Tiefsten empfindet sie bei sich diese göttliche Gesellschaft 226.«

Mystische Schriftsteller erinnern uns immer wieder, daß das Leben, wie der menschliche Geist es wahrnimmt, eine eingewurzelte Neigung hat, sich in Dreiheiten zu ordnen; daß wenn die Zahl drei für den Himmel die beherrschende ist, sie ebenso überall auf der Erde herrscht. Hier gab das Christentum nur dem tiefsten Instinkt des menschlichen Geistes Ausdruck, einem Instinkt, aus dem heraus Pythagoras drei als die göttliche Zahl bezeichnete, da Anfang, Mitte und Ende in ihr enthalten seien. So war auch dem Denken der Hindus die absolute Gottheit unerforschlich, doch enthüllte sie dem Menschen ein dreifaches Antlitz: sie offenbarte sich ihm in der Gestalt Brahmas, des Schöpfers, Schiwas, des Zerstörers, Krischnas, des Wiederherstellers, und diese drei waren Eins. So unterschieden auch die Neuplatoniker, vom Geist des Orients berührt, drei Welten: die Sinnen- oder Erscheinungswelt, die intellektuelle oder Vernunftwelt, die intelligible oder Geisteswelt; und drei Aspekte Gottes: das unbedingte Absolute, den Logos oder Schöpfer und das göttliche Wesen oder den Geist, der zugleich absolut und erschaffen ist. Hier haben wir sozusagen den ersten Entwurf der christlichen Dreieinigkeit, das dürre Knochengerüst, das auf den Hauch eines volleren Lebens wartete. Diesem Schema der Natur Gottes entsprechend, sehen sie auch drei Stufen der Schönheit: die körperliche, die geistige und die göttliche.

Der Mensch, dieses dreiteilige Wesen aus Körper, Seele und Geist, verfolgt auf seinem Pfade zur Einheit den dreifachen Weg; denn »unsere Seele«, sagt Lady Juliane, »ist erschaffene Dreieinigkeit gleich der unerschaffenen seligen Dreieinigkeit; sie ist von Uranfang an erkannt und geliebt und bei ihrer Schöpfung mit dem Schöpfer eins geworden 227.« So haben wir auch gesehen, daß das psychische Selbst sich am leichtesten verstehen läßt, wenn man es einteilt in Gefühl, Intellekt und Wille. Sogar die Teilung der Dinge in Subjekt und Objekt bringt ein drittes Glied mit sich, die Beziehung zwischen beiden, ohne die kein Gedanke vollständig ist. Daher fordert schon das Prinzip der Analogie vom Menschen eine trinitarische Bestimmung der Wirklichkeit als die, mit der sein Geist am besten arbeiten kann 228. Es ist leicht für den übereilten Rationalisten, die Widersinnigkeit dieses Umstandes darzulegen; allein es wird ihm schwer werden, ihn als falsch zurückzuweisen.

»Ich wollte,« sagt der hl. Augustinus, »daß die Menschen in sich selbst drei Dinge wohl bedächten: … Sein, Erkennen, Wollen. Denn ich bin, erkenne, will. Ich bin erkennend und wollend; ich erkenne, daß ich bin und will; ich will, daß ich sei und erkenne. Wie unzertrennlich aber ist in diesen drei'n das Leben! Und ist ein einz'ges Leben nur, ein einz'ger Geist, ein einz'ges Sein! Wie kaum erkennbar ist der Unterschied, und dennoch ist's ein Unterschied! Das fasse, wer es kann! Ein jeder steht ja vor sich selbst, so achte er auf sich und sehe zu und gebe mir dann Antwort! Doch wenn er etwas drin gefunden hat und es zu sagen weiß, so glaube er doch nicht, er habe auch das ewig wandellose Sein gefunden, das über allem ist, das ohne Wandel ist und ohne Wandel auch erkennt und ohne Wandel will 229.«

In einem der am besten überlieferten Fälle rein mystischer Vision sah Lady Juliane von Norwich die Dreieinigkeit der göttlichen Natur sowohl in der Erscheinungswelt wie in der Geisteswelt leuchten. »Er zeigte mir«, sagt sie, »ein kleines Ding von dem Umfange einer Haselnuß, das ich in meiner Hand hielt; und es war so rund wie eine Kugel. Ich blickte darauf hin mit dem Auge meines Verstandes und dachte: Was mag das sein? Und mir wurde geantwortet: Das ist alles, was geschaffen ist … An diesem kleinen Ding sah ich drei Eigenschaften. Die erste ist, daß Gott es erschuf, die zweite, daß Gott es liebt, die dritte, daß Gott es erhält. Aber in welcher Beziehung in Wahrheit nun der Schöpfer, der Erhalter und der Liebende zu mir steht, das kann ich nicht sagen 230.«

Juliane, die Einsiedlerin, eine einfache und echt menschliche Engländerin von mittleren Jahren, die allein in ihrer Kirchhofzelle wohnte, von der aus sie nur durch ein einziges Fensterchen die Außenwelt sah und hörte, kann man mit Recht die Dichterin der Dreieinigkeit nennen, dieses strengen und subtilen Dogmas, von dem die Mystiker des 14. Jahrhunderts mit einer Leidenschaft schreiben, für die diejenigen, welche es als »auf Mathematik reduzierte Rechtgläubigkeit« betrachten, wenig Verständnis haben.

Diese liebenswerteste und dichterischste aller Visionärinnen, die in ihren Offenbarungen der Liebe vor einem Kruzifix inmitten blühender Felder zu träumen scheint, behandelt diese in hohem Grade metaphysische Lehre mit einer schlichten Innigkeit und mit einer kraftvollen Originalität, die jedenfalls die Überzeugung von ihrer eigenen unmittelbaren und persönlichen Auffassung der Wahrheit, die sie zu beschreiben versucht, in sich tragen. »Ich schaute«, berichtet sie von einer Vision, die der der hl. Teresa von der »siebenten Wohnung der Seele« sehr ähnlich und viel klarer, wenn auch weniger glänzend ausgedrückt ist, »das Wirken der ganzen heiligen Dreieinigkeit, und als ich es schaute, sah und verstand ich folgende drei Eigenschaften: die des Vaters, die der Mutter und die des Herrn in Einer Gottheit vereinigt. In unserm allmächtigen Vater haben wir unsere Erhaltung und unsere Glückseligkeit in bezug auf unsere natürliche Substanz 231, die durch unsere Erschaffung anfangslos unser ist. Und in der zweiten Person, in Verstand und Weisheit, haben wir unsere Erhaltung in bezug auf unsere Sinnenseele, unsere Wiederherstellung und Errettung, denn Er ist uns Mutter, Bruder und Erlöser. Und in unserm gütigen Herrn, dem Heiligen Geiste, haben wir unsern Lohn für unser Leben und Mühen und ein endloses Schenken, weit über unser Begehren hinaus, in seiner wunderbaren Freundlichkeit und reichen Gnadenfülle. Denn unser ganzes Leben hat drei Stücke: im ersten haben wir unser Sein, im zweiten haben wir unser Zunehmen und im dritten haben wir unsere Erfüllung; das erste ist die Natur, das zweite die Barmherzigkeit, das dritte die Gnade 232. Die hohe Macht der Dreieinigkeit ist unser Vater, die tiefe Weisheit der Dreieinigkeit ist unsere Mutter, und die große Liebe der Dreieinigkeit ist unser Herr, und alle diese haben wir in unserer Natur und in unserm erschaffenen Wesen 233«.

Und in einer andern überaus zarten Stelle, die nach dem Feuer und Dunkel der hl. Teresa wie kühlendes Wasser auf die Seele wirkt, heißt es: »So wahr wie Gott unser Vater ist, so wahr ist er unsere Mutter, und das hat er in all seinen Offenbarungen gezeigt, besonders in jenen süßen Worten, wo er sagt: Ich bin es. Das heißt: Ich bin es, die Macht und die Güte der Vaterschaft; ich bin es, die Weisheit der Mutterschaft; ich bin es, das Licht und die Gnade, die ganz selige Liebe ist; ich bin es, die Dreiheit; ich bin es, die Einheit; ich bin die höchste Güte aller Dinge. Ich bin es, der deine Liebe weckt; ich bin es, der deine Sehnsucht weckt; ich bin es, die endlose Erfüllung alles wahren Verlangens 234.«

So sagt Christopher Hervey:

Die ganze Welt füllt nicht die Leere aus

Von unsres Herzens dreigeecktem Haus,

Nur die Dreieinigkeit, die es ins Leben

Gerufen, kann ihm sein Genüge geben 235.

Es ist eine Tatsache, daß jeder Versuch einer Definition Gottes, der diese drei Aspekte nicht anerkennt und berücksichtigt, sich als unvollständig erweist. Sie geben dem Herzen, dem Intellekt und dem Willen ein Ziel, denn sie bieten dem Selbst Gegenstände für seine höchste Liebe, sein tiefstes Denken, sein erhabenstes Wollen. Unter den vertrauten platonischen Termini des Guten, Wahren und Schönen stellen sie den göttlichen Ursprung und das göttliche Ziel der Ethik, der Wissenschaft und der Kunst dar, der drei vornehmsten Betätigungen des Menschen. So sind die Ideale des Künstlers, des Forschers und des Philanthropen, die alle auf verschiedene Weise dieselbe Wirksamkeit suchen, in dem Einen des Mystikers zusammengefaßt; wie die Pilgerschaft der drei Könige damit endete, daß sie alle den einen Stern fanden.

»Was ist Gott?« fragt der hl. Bernhard. »Länge, Breite, Höhe und Tiefe. Was, sagt ihr, so glaubst du am Ende doch an die vierfache Gottheit, die du verabscheutest? Durchaus nicht … Wir bezeichnen Gott als Einen, um ihn begreifen zu können, nicht, um seine Wesensart zu beschreiben. Sein Wesen ist teilbar. Er selbst ist es nicht. Die Worte sind verschieden, der Pfade sind viele, doch ein Einziges ist gemeint; die Pfade führen zu Einer Person 236.«

Alle erdenkbaren Weisen, diese einzige Person zu begreifen, lassen sich schließlich unter drei Hauptpunkte ordnen. Er ist »über allen und durch alle und in allen 237«, sagt der hl. Paulus, indem er die Erkenntnisse der Konzilien in einem Blitz mystischer Erleuchtung vorwegnimmt und der jungen Kirche die kürzeste und vollkommenste Definition ihres dreieinigen Gottes gibt. Das Sein, welches über allem ist, offenbart sich als Werden, als das dynamische, allgegenwärtige Wort des Lebens. Die göttliche Liebe, die dem Herzen und der Welt innewohnt, kommt von dem absoluten Einen und kehrt zu Ihm zurück. So wird »der ewige Kreis von Gott, durch Gott, zu Gott vollendet 238«. Allerdings haben die Mystiker diesen Hauptaspekten der wahrgenommenen Gottheit – dem Sein, Werden und Verlangen, womit die Welten Schritt halten – viele und mannigfache Namen gegeben, denn sie haben im Verkehr mit der Wirklichkeit, die sie lieben, etwas von der Freiheit der wahren Vertrauten. Besonders haben sie die Symbole des Absoluten, die den großen und formlosen Kräften des Weltalls entnommen sind, denen vorgezogen, die aus der orthodoxen, aber naturgemäß anthropomorphischen Bildersprache menschlicher Beziehungen stammen. Ihr intensives Erfassen des Geistigen scheint sich in solcher Sprache freier und angemessener ausdrücken zu können als in einer, die den Begriff des Raums einschließt und dem Geiste ein konkretes Bild zu suggerieren vermag. Obwohl sie ebensogut wie die Philosophen wissen, »daß allem Ausdruck für das Geistesleben bei uns etwas Symbolisches anhaften muß«, da »die Tiefe, die unser Leben allererst zu einem geistigen macht, in unsern Daseinsformen nie rein und voll zur Eröffnung gelangen kann 239«; … doch, Künstler, die sie sind, suchen sie immer nach irgendeinem neuen und lebendigen Bild, das noch nicht in die abgegriffene Scheidemünze volkstümlicher Religion aufgenommen ist und seine ursprüngliche Kraft, die Phantasie zu lebendigerem Leben anzustacheln, bewahrt hat.

So steht das Himmelreich, wie Law sagt, »in diesem dreifachen Leben, wo drei eins sind, weil es eine Offenbarung der Gottheit ist, die drei und Eins ist; der Vater hat seine besondere Offenbarung im Feuer, das unaufhörlich das Licht erzeugt; der Sohn hat seine besondere Offenbarung im Licht, das unaufhörlich vom Feuer gezeugt wird; der heilige Geist hat seine Offenbarung im Geist, der unaufhörlich von beiden ausgeht und immer mit ihnen vereinigt ist. Es ist diese ewige, anfangslose Dreieinigkeit von Feuer, Licht und Geist, die die Ewige Natur, das Himmelreich, das himmlische Jerusalem, die beseligende Sichtbarkeit, die majestätische Herrlichkeit und Gegenwart Gottes bildet. Durch dieses Himmelreich oder die Ewige Natur bricht der unsichtbare Gott, die unfaßbare Dreieinigkeit unaufhörlich hervor und offenbart sich in einer grenzenlosen Höhe und Tiefe von seligen Wundern, indem er sich allen Kreaturen erschließt und entfaltet in unendlicher Mannigfaltigkeit und Vielfältigkeit seiner Kraft, Schönheit, Freude und Herrlichkeit 240.

Vielleicht ist ein noch einleuchtenderes, passenderes und schöneres Symbol der Dreieinigkeit als Laws Feuer, Licht und Geist die Dreiheit von Licht, Leben und Liebe, die bei den christlichen Mystikern beständig wiederkehrt. Übernatürliches Licht, unberührbar und doch unentrinnbar, das unaufhörlich seinen Glanz durch das Weltall ausströmt; innewohnendes, rastloses und kraftspendendes Leben; verlangende und Richtung gebende Liebe – dies sind die Hauptaspekte der Wirklichkeit, zu denen sie in ihrem Bestreben, Worte für die unaussprechliche Wahrheit zu finden, immer wieder zurückkehren.

1. Das Licht, unaussprechlich und unerschaffen, das vollkommene Symbol des reinen, undifferenzierten Seins, das über alles Verstehen, doch dem, der liebt, bekannt ist, wie der hl. Augustinus sagt 241. Dies unerschaffene Licht ist »das tiefe und doch blendende Dunkel« der Schule des Dionysios, »finster von unaussprechlicher Klarheit … wie der Glanz der Sonne in ihrem Rade dem schwachen Auge eine Finsternis erscheint 242.« Es ist Hildegards lux vivens, Dantes somma luce, worin er Mannigfaltigkeit in der Einheit sah, »ein einzig Buch«, das alles einschloß, »was durch das Weltall steht zerstreut geschrieben 243«: den Ewigen Vater oder Ursprung der Dinge. »Denn wir sehen deutlich ein«, sagt Ruysbroeck, »daß der Schoß des Vaters unser eigener Grund und unser Ursprung ist, worin wir unser Leben und unser Wesen beginnen 244.«

2. Das Leben, der Sohn, der verborgene Steuermann des Weltalls, der Logos, das Feuer oder die Weltseele. Diese Zeugung oder Konzeption aus dem Geiste des Vaters, die Er in sich besitzt, wie es der Battista Vernazza in ihrer Ekstase geoffenbart ward 245, ist das Wort der Schöpfung, das, da Es lebendig und unendlich ist, in keine Formel gefaßt werden kann: das Wort, das ewig »gesprochen« oder gezeugt wird von dem übersinnlichen Licht. »Und darum«, sagt wiederum Ruysbroeck, »lebt alles, was im Vater lebt, verborgen in der Einheit, auch im Sohn, ausgeflossen in Offenbarheit 246.« Dies Leben also ist der makellose Ausdruck des Vaters, Sapientia Patris. Es ist zugleich der persönliche und anbetungswürdige Gegenstand des mystischen Erlebens – sein nächster Gefährte und sein Leitstern – und das innerste Prinzip, die erhaltende Kraft eines dynamischen Weltalls; denn was der Intellekt als Logos oder Weltgeist definiert, erkennt die mystische Liebe als Wunderbar, Rat und Friedensfürst.

Da Christus für den christlichen Philosophen das göttliche Leben selbst ist – das Drama des Christentums drückt nur diese Tatsache und ihre stillschweigenden Folgerungen »in einem Punkte« aus –, so folgt daraus, daß sein aktiver Geist sich – nicht symbolisch gesprochen, sondern im eigentlichsten Sinne – in dem ekstatischen und überquellenden Leben der Welt zeigt. In der stürmischen Lebenslust der Vögel, in ihrem glänzenden, blitzgleichen Fluge, in dem Schwellen der Knospen und in der Opferschönheit der Blumen; in den großen und feierlichen Rhythmen des Meeres – in all diesen Dingen ist etwas von Bethlehem, und auch etwas von Golgatha in ihrer Selbsthingabe. Es war diese Wiederentdeckung der christlichen Eigenschaften der Natur, die Blake so leidenschaftlich ersehnte, als er sang:

»Ich ende nicht den Geistesstreit,

Noch schläft das Schwert in meiner Hand,

Bis wir Jerusalem erbaut

Im schönen grünen Engelland.«

Hier also ist es, auf dieser fernen und luftigen Zinne des Glaubens, an den äußersten Grenzen der menschlichen Rede, wo die mystische Theologie sich plötzlich zeigt – nicht um wirre und unmögliche Glaubensbekenntnisse zu konstruieren, sondern um jene beiden tiefsinnigen, doch scheinbar sich widersprechenden metaphysischen Definitionen der Wirklichkeit, die wir bereits erörtert haben 247, zu übernehmen und ihnen Leben und Leuchtkraft zu geben. Das ewige Werden, der immanente und dynamische Gott, der mit und in Seiner Welt wirkt und strebt, der rastlose »Fluß der Dinge« Heraklits, das laute Rufen des Wortes, »das immerwährend durch alle Dinge geht 248«, der bei den modernen Philosophen so beliebte Evolutionsprozeß der Welt – wird hier ein für allemal in eine wahre Beziehung gesetzt zu dem reinen transzendenten und unbewegten Sein, dem absoluten Einen des Xenophanes und der Platoniker. Dies Absolute wird von der mystischen Erkenntnis wahrgenommen als die letzte Einheit, in der alle Verschiedenheiten aufhören müssen 249, der Ozean, zu dem jenes unaufhörliche und schmerzhafte Werden, jener ruhelose Strom des Lebens, in den wir alle eingetaucht sind, zurückzukehren strebt: die Rückkehr des Sohnes zum Vater.

3. Die Liebe, das Prinzip der Anziehung, das zugleich der übersinnlichen und der erschaffenen Welt anzugehören scheint. Wenn wir den Vater als das höchste Subjekt, als »den Anfang des ganzen göttlichen Hervorgehens«, wie Thomas von Aquino sagt 250, ansehen und den Sohn oder von ihm gezeugten Logos als das Objekt seines Denkens, darin, wie Ruysbroeck sagt, »Gott sich selbst und alle Dinge in einem ewigen Nun schaut 251«, dann stellt dieser persönliche Geist der Liebe, il desiro e il velle, die Beziehung zwischen den beiden dar und gibt dem Ganzen seinen Charakter. »Der Vater und der Sohn geisten einen Geist«, sagt Ruysbroeck von der Ersten und Zweiten Person, »das ist ihrer beider Wille und Liebe 252.« Da dieser göttliche und rastlose Geist des Verlangens nach der christlichen Lehre vom Licht und vom Leben, dem Vater und dem Sohne, ausgeht – d. h. da er sowohl im Urquell wie im Fluß der Dinge enthalten ist –, so ist er auch in unserm eigensten Ich eingeschlossen und ist zugleich die Brücke zwischen diesem Ich und dem absoluten Selbst. »Meine Liebe ist mein Gewicht«, sagt der hl. Augustinus 253. Es ist das geistige Analogon der Schwerkraft, die alle Dinge an ihren Ort zieht. So sagt Bernard Holland in seiner Einleitung zu Boehmes »Dialogen«: »In einem tieferen Sinne ist das Verlangen des Seelenfunkens, zu seinem Ursprung zurückzukehren, ein Teil der Sehnsucht des All-Lebens nach seinem eigenen Herzen oder Mittelpunkt. Von dieser Sehnsucht ist die allgemeine Anziehung, die die physische oder Erscheinungswelt beherrscht, und die allem Widerstand zum Trotz einem allgemeinen Mittelpunkt zustrebt, nur die äußere Hülle und sichtbare Auswirkung.« Und wiederum: »Das Verlangen ist alles in der Natur und wirkt alles. Der Himmel ist die von göttlichem Leben erfüllte und von Verlangen getriebene Natur 254.«

»Die besten Meister sagen,« sagt Eckehart, »daß die Liebe, mit der wir lieben, der Heilige Geist ist 255. Etliche wollen dem widersprechen. Doch das ist immer wahr: alles, was in uns Liebe erweckt, ist nichts anderes als der Heilige Geist 256.«

»Gott will,« sagt Ruysbroeck, »daß wir aus uns selbst hinausgehen in diesem göttlichen Lichte und dieses Bild, das unser eigenes Leben ist, übernatürlich erstreben, und es mit ihm besitzen, wirkend und genießend in ewiger Seligkeit … Dieses Ausgehen des schauenden Menschen ist auch minniglich; denn durch genießende Liebe wächst er über seine Geschaffenheit hinaus und findet und kostet den Reichtum und die Wonne, die Gott selber ist und die Gott ohne Unterlaß ausgießt in der Verborgenheit des Geistes, durch den der Mensch der Edelheit Gottes gleicht 257.«

Nur hier, in dem innersten Heiligtum des Seins, in der »letzten Wohnung« der Seele, wie die hl. Teresa sagt, ist die Wahrheit, die diese Symbole ausdrücken, wirklich bekannt, denn »wie die Dreiheit eins sei, und die Dreiheit in der Einheit der Natur eins sei, und die Dreiheit doch außerhalb der Einheit sei, das kann man wegen des tiefen Grundes Einfältigkeit nicht in Worte fassen. Allhierher in dieses übervernünftige Wo schwingt sich geistend der Geist, und zuweilen muß er vor endloser Höhe fliegen, dann wieder vor grundloser Tiefe schwimmen, kraft der hohen Wunder der Gottheit 258«.

Die mystische Philosophie hat also mit Freuden die Lehre von der Dreieinigkeit übernommen als Ausdruck ihrer Vision des Absoluten, das von denen, die den tiefen Abgrund der Gottheit erreicht haben, als seinem Wesen nach Eines erkannt wird. Aber erst durch das ergänzende christliche Dogma von der Inkarnation konnte die Natur des persönlichen mystischen Erlebens beschrieben und erklärt werden. »Im Verlauf seines geistlichen Wachstums,« sagt eine noch lebende Autorität auf dem Gebiete der Mystik, »ist der Mensch zuerst, nämlich wenn er sich auf die große Suche begibt, Drei: Leib, Seele und Geist; er ist Zwei auf einer gewissen Stufe, wenn die Seele Christum begriffen hat, denn dann ist der Geist herabgekommen, und der Leib ist für die Zeit außerhalb des göttlichen Bundes; aber er ist am Ende Eins, nämlich, wenn der ganze Mensch in Christo gestorben ist – was das Ziel seiner Entwicklung ist 259.

Die Inkarnation, die für das volkstümliche Christentum gleichbedeutend ist mit der geschichtlichen Geburt und dem irdischen Leben Christi, ist für den Mystiker nicht nur dies, sondern zugleich ein dauernder kosmischer und persönlicher Vorgang. Sie ist ein beständiges Hervorbringen des göttlichen und vollkommenen Lebens, im Weltall und auch in der aufsteigenden Einzelseele, des reinen Gottescharakters, dessen wesentliche Züge in jenem einen geschichtlichen Leben dramatische Verkörperung fanden. So faßt also die Seele, wie der physische Embryo, in ihrer Aufwärtsentwicklung die geistliche Lebensgeschichte der Menschheit zusammen. »Das eine Geheimnis, das größte von allen,« sagt Patmore, »ist die Lehre von der Inkarnation, nicht als geschichtliches Ereignis betrachtet, das vor zwei Jahrtausenden sich zutrug, sondern als ein Ereignis, das sich immer wieder begibt im Leibe eines jeden, der auf dem Wege zur Erfüllung seiner ursprünglichen Bestimmung ist 260.

Wir haben gesehen, daß für die mystische Theologie die zweite Person der Dreieinigkeit die Weisheit des Vaters, das Wort des Lebens ist. Die ganze Fülle dieses Wortes konnte daher dem menschlichen Bewußtsein nur durch ein Leben vermittelt werden. In der Inkarnation drang dieser Logos, diese göttliche Personifikation der Wirklichkeit, durch die Täuschungen der Sinnenwelt – mit anderen Worten, durch die Täuschungen all der Einzelichs, deren Vorstellungen diese Welt ausmachen – und »erlöste« sie durch die so in sie eindringende Wahrheit. Eine göttliche, leidende, sich selbst zum Opfer bringende Persönlichkeit offenbarte sich so als das heilige Herz eines lebenden, strebenden Weltalls; und das eine Mal zeigte sich das Absolute in den Formen begrenzten Daseins. Ein solches Ereignis wie dies Hereinbrechen des göttlichen und urbildlichen Lebens in die zeitliche Welt wird von den mystischen Philosophen als notwendig erkannt, wenn der Mensch jemals die Größe des Lebens, zu dem er gehört, in der Form des Lebens sehen sollte; wenn er lernen sollte, über die Sinnenwelt hinauszukommen und sein Leben auf der Ebene der Wirklichkeit neu aufzubauen. Daher sagt der katholische Priester in der Weihnachtsmesse Dank, nicht für die Inswerksetzung eines Erlösungshandels, sondern für eine Offenbarung der Wirklichkeit. »Quia per incarnati Verbi mysterium nova mentis nostrae oculis lux tuae claritatis infulsit: ut dum visibiliter Deum cognoscimus, per hunc in invisibilium amorem rapiamur 261.« In diesen herrlichen Worten ist das wahre Wesen des mystischen Christentums gleichsam zusammengefaßt.

»Jesus Christus, Gottes Sohn, das ewige Wort im Vater, der da ist der Glanz und die Kraft der lichten Ewigkeit,« sagt Boehme, »muß in dir, Mensch, geboren werden, willst du Gott erkennen; sonst bist du im finstern Stalle und gehst nur suchen und tappen 262.«

»Dies Wort«, sagt Ruysbroeck zum Schluß, »lautet nicht anders als ›Sehet‹. Und das ist der Ausgang und die Geburt des Sohnes, des ewigen Lichtes, in dem man alle Seligkeit erkennt und sieht 263.«

Einmal jedenfalls, das wollen sie sagen, wurde das Maß dessen, was dem Geist des Lebens zu wirken und lebenden Geschöpfen zu sein möglich ist, bis zum Rande gefüllt. Durch dies Geschehnis erhielten alle die Gewißheit, daß die Leiter der Schöpfung vollkommen gemacht war; in dieser Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in Christus wurde der Bruch zwischen Schein und Wirklichkeit, zwischen Gott und Mensch, geheilt. Die so geschaffene Brücke ist ewig, um wieder das Gleichnis der hl. Katharina von Siena zu gebrauchen, da sie »vor der Grundlegung der Welt« »im Ewigen Nun« gebaut wurde. So spricht in jener Vision die Stimme des Vaters zu ihr: »Ich will auch, daß du die Brücke meines eingeborenen Sohnes ansehest. Sieh ihre Größe, denn sie reicht vom Himmel bis zur Erde, das heißt, daß durch sie die Erde eurer Menschheit mit der Größe der Gottheit verbunden ist. Darum sage ich, daß diese Brücke vom Himmel zur Erde reicht und die Verbindung bildet, die ich mit dem Menschen geschaffen habe … So schuf die Höhe der Göttlichkeit, die sich zur Erde herabließ und mit eurer Menschheit einte, die Brücke und stellte den Weg wieder her. Warum wurde dies getan? Auf daß der Mensch zu seinem wahren Glück mit den Engeln gelangen könne. Und nicht würde es für euch ausreichen, um das Leben zu haben, daß mein Sohn euch zur Brücke gemacht ist, wenn ihr nicht über sie geht 264.« »Unser höchster Vater, der allmächtige Gott, der das Sein ist,« sagt Lady Juliane, »Er kannte und liebte uns schon vor aller Zeit. Und aus dieser Kenntnis beschloß er in seinem wunderbar tiefen Erbarmen und im vorsehenden Rat der heiligen Dreieinigkeit, daß die zweite Person unsere Mutter werden sollte 265.«

Es ist dies belebende Sichmitteilen der Gnade an die Natur, Gottes an den Menschen – dieses Anrecht auf einen Zustrom letzter Wirklichkeit, die alle sich zu eigen machen können –, was die Stärke der christlichen Religion ausmacht. Statt des Steins, den die Philosophen dem nach dem Absoluten hungernden Selbst bieten, gibt sie ihm »das Brot der Engel«, das belebende Prinzip der Welt. Das heißt, sie gibt eine positive, durch Erfahrung gewonnene Erkenntnis einer höchsten Persönlichkeit und Vereinigung mit ihr, eine Einverleibung in seinen mystischen Leib, statt der künstlichen, durch Konzentration auf eine Idee gewonnenen Überzeugung. Sie verknüpft das All zu einem festen Ganzen, zeigt, wie das Wirkliche überall die Erscheinungswelt durchdringt und eins mit ihr ist. Sie gibt der Mystik eine feste Grundlage, eine Grundlage, die zugleich metaphysisch und psychologisch ist, und zeigt, daß der Zustand, nach dem die tiefsten Geister von jeher instinktiv gestrebt haben, ein Teil der kosmischen Rückkehr durch Christum zu Gott ist.

»Weisheit und Macht ist hier, die neue Straßen

Geöffnet zwischen Erd' und Himmelswelt,

Die Sehnsucht derer, die im Dunklen saßen 266.«

Dies wollen die christlichen Mystiker ausdrücken, wenn sie immer wieder erklären, daß die Rückkehr zur göttlichen Substanz, zum Absoluten, die das Ziel des seelischen Aufstiegs ist, nur durch die menschliche Natur Christi geschehen kann. Der Sohn, das Wort, ist das Abbild des Vaters, das, worin die unaussprechliche Gottheit sich erkennt, wie wir uns in unserm eigenen Bilde erkennen. Er ist so ein doppeltes Verbindungsglied: durch ihn gelangt Gott zum Bewußtsein Seiner selbst und der Mensch zum Bewußtsein Gottes. Wie konnte nun, fragt die mystische Theologie, solch ein Glied die Verbindung vollständig herstellen ohne eine solche Inkarnation in Zeit und Raum? Das Prinzip des Lebens ist zugleich das der Wiederherstellung, wodurch das unvollkommene und lückenhafte Leben der Sinne in das vollkommene Leben des Geistes umgewandelt wird. Daher geben Boehme und Saint-Martin der zweiten Person der Dreieinigkeit den Beinamen Wiederhersteller.

Letzten Endes ist die Inkarnationslehre der einzige Schutz der Mystiker gegen den Pantheismus, zu dem sie immer neigen. Das bedingungslose Absolute wird, sobald sie es zum alleinigen Gegenstand ihrer Betrachtung machen, leicht als bloße göttliche Substanz vorgestellt, die Idee der Persönlichkeit verflüchtigt sich und liebende Vereinigung gibt es nicht mehr. Dies ist wahrscheinlich der Grund, weshalb so viele der größten Kontemplativen, wie Seuse und die hl. Teresa, fanden, daß eine eifrige Versenkung in die Menschheit Christi, so schwer und wenig kongenial diese konkrete Andachtsübung der mystischen Natur auch sein mag, doch für sie eine Notwendigkeit war, wenn sie ein gesundes und ausgeglichenes inneres Leben behalten sollten.

Ferner sehen diese Mystiker in dem geschichtlichen Leben Christi die Zusammenfassung oder, wenn man will, eine Darstellung der Hauptwesenheiten alles geistigen Lebens. Hier sehen sie nicht nur den kosmischen Prozeß der göttlichen Weisheit dramatisiert, sondern auch die innere Erfahrung jeder Seele auf ihrem Wege zur Vereinigung mit dem Absoluten, »zu welchem Ziel die ganze Schöpfung strebt«. Daher wählen sie die Ausdrücke, die sie gebrauchen, um die Entwicklung des mystischen Bewußtseins von der Geburt des Göttlichen in dem Seelenfunken bis zu seiner endlichen Vereinigung mit dem absoluten Leben zu schildern, immer wieder aus dem Drama des Glaubens. In diesem Drama sehen sie die höchsten und notwendigen Erlebnisse des Geistes verhüllt dargestellt. Seine niedrige und dunkle Geburt, sein Aufwachsen in Armut, seine Versuchung, seine Kasteiung, seine Einsamkeit, sein »erleuchtetes« dem Dienst und der Kontemplation gewidmetes Leben, die Trostlosigkeit jener »dunklen Nacht der Seele«, in der er von Gott verlassen scheint: der schmerzhafte Tod des Selbst, seine Wiederauferstehung zum verklärten Dasein des Weges der Einigung, seine endliche Rückkehr in seinen Ursprung – alles dies, sagen sie, ward einmal in seiner höchsten Vollkommenheit im Fleische gelebt. Und den Grad der Ähnlichkeit mit diesem Vorbild haben sie stets als Maßstab für die Gesundheit, die Kraft und den Erfolg des übersinnlichen Strebens des Einzelnen angesehen.

»Apparve in questa forma Per dare a noi la norma«,

sang Jacopone da Todi. »Und wer anders wähnt,« sagt die Theologia Deutsch mit unnachgiebiger Betonung, »der ist betrogen, und wer anders spricht, der lügt 267.«

Die, denen eine solche Parallele im höchsten Grade künstlich erscheint, sollten bedenken, daß nach der Lehre der Mystik das Drama der Selbstbeschränkung und Selbsthingabe des absoluten Lebens, das, einmal in der Erscheinungswelt dargestellt, sozusagen dem Bewußtsein der schwachsichtigen Menschen aufgezwungen wurde, auf der Ebene der Wirklichkeit unaufhörlich vor sich geht. Für sie ist das Kreuz von Golgatha ein wesentlicher Bestandteil der Rose der Welt. Das Gesetz dieses unendlichen Lebens, das in der Inkarnation seine eigene Natur zum vollendetsten Ausdruck brachte, muß also auch das Gesetz des endlichen Lebens sein, insofern als dies Leben über die Schranken des Selbst hinauszukommen, zur Freiheit aufzusteigen und Vereinigung mit der Unendlichkeit zu erreichen sucht. Diese beherrschende Idee ist es, die die scheinbar phantastischen, allegorischen Ausdeutungen der christlichen Heilsgeschichte, von denen die Werke der Mystiker wimmeln, rechtfertigt.

Es würde langweilig sein, wollten wir alle diese Allegorien im einzelnen betrachten. Alles, was nötig ist, ist, daß das ihnen zugrunde liegende Prinzip verstanden werde, dann kann jeder ohne Schwierigkeit die Anwendung auf die einzelnen Fälle machen. Ich gebe also nur ein Beispiel: die bei den Mystikern begegnende Deutung der Geburt Christi auf die ewige Geburt oder Erzeugung des Sohnes oder des göttlichen Wortes.

Diese Geburt ist in ihrem ersten oder kosmischen Sinne das Heraufquellen des Lebensgeistes aus dem göttlichen Abgrund der unbedingten Gottheit. »Aus unserm eigenen Grunde, das heißt, aus dem Vater und aus allem, was in ihm lebt, leuchtet eine ewige Klarheit, das ist die Geburt des Sohnes«, sagt Ruysbroeck 268. Von dieser ewigen Zeugung des Wortes spricht Meister Eckehart, wenn er in seiner Weihnachtspredigt sagt: »Wir feiern zu dieser Zeit jene ewige Geburt, die Gottvater hervorgebracht hat und ohne Unterlaß in Ewigkeit hervorbringt, und daß diese selbe Geburt nun auch in der Zeitlichkeit, in menschlicher Natur geschehen ist. Der hl. Augustinus sagt, diese Geburt geschehe immer.« An diesem Punkte wendet sich Eckehart mit dem starken praktischen Instinkt, der für die Mystiker charakteristisch ist, plötzlich von der spekulativen Betrachtung zur unmittelbaren Erfahrung und fährt fort: »Wenn sie aber in mir nicht geschieht, was hilft mir das? Sondern daß sie in mir geschehe, darauf kommt alles an 269.«

Hier wird der zwiefache Charakter dieser mystischen Geburt mit wenigen Worten dargelegt. Das Interesse wird plötzlich von ihrem kosmischen auf ihren persönlichen Aspekt abgelenkt, und der Einzelne wird daran gemahnt, daß auch in ihm ebensogut wie in dem urbildlichen Universum wirkliches Leben geboren werden muß, wenn wirkliches Leben gelebt werden soll. »Wenn die Seele den Sohn gebiert,« sagt er an einer andern Stelle, »ist sie glücklicher als Maria 270.«

Da die Seele nach den Grundsätzen der Mystik die Wirklichkeit nur in dem Maße wahrnehmen kann, als sie selbst wirklich ist, Gott nur dadurch zu erkennen vermag, daß sie selbst gottähnlich wird, so ist es klar, daß diese Geburt der notwendige Anfang ist. Das wahre und sicher gerichtete mystische Leben muß mit der höchst tatsächlichen und wunderbaren, wenn auch unbeschreiblichen Erscheinung beginnen, daß des Menschen tieferes, geistiges Selbst ins Bewußtsein tritt, was mystische und Erbauungsschriftsteller aller Zeiten als Regeneration oder Wiedergeburt bezeichnet haben.

Wir haben bereits die neue Geburt nach ihrer rein psychologischen Seite als das Auftauchen des transzendentalen Sinnes erkannt. Hier wird ihre tiefere und mystische Seite aufgedeckt, wird ihr göttlicher Charakter offenbart. Durch einen Vorgang, den man obenhin als die Geburt von etwas Neuem oder das Erwachen von etwas bis dahin Schlummerndem bezeichnen kann – denn beide Redensarten sind nur bildliche Ausdrücke für etwas anderes, Geheimnisvolleres – wird das Auge der Ewigkeit geöffnet; das Selbst, das plötzlich die Wirklichkeit gewahr wird, kommt hervor aus der Höhle der Täuschung wie das Kind aus dem Mutterleibe und beginnt sein Leben auf der übersinnlichen Ebene. Dann fühlt es in seiner innersten Tiefe eine neue Gegenwart, ein neues Bewußtsein, man könnte ohne Übertreibung sagen: einen neuen Menschen, schwach, nach Nahrung verlangend, offenbar bestimmt, noch durch viele Entwicklungsphasen hindurchzugehen, bevor er zur Reife gelangt, und doch von so wunderbarer Art, daß er im Vergleich zu seiner Umgebung ihm wohl als göttlich erscheinen mag.

»Diese Veränderung, Umkehrung wird Wiedergeburt genannt. Geborenwerden heißt in eine Welt eintreten, in der die Sinnlichkeit regiert, wo Weisheit und Liebe in den Banden der Selbstheit schmachten. Wiedergeboren werden heißt in eine Welt zurückkehren, wo der Geist der Weisheit und Liebe herrscht und der Tiermensch gehorcht 271.« So Eckartshausen. »Es bedeutet,« sagt Jane Lead, »das Hervorbringen eines neugeschaffenen göttlichen Ebenbildes in der Seele 272.« Dies »göttliche Ebenbild« oder der neue Mensch wird, wie Saint-Martin sagt, »in der Erniedrigung geboren, sein ganzes Leben ist eine Leidensgeschichte Gottes in uns 273.« »Er wird,« sagt wiederum Eckartshausen, »geboren in dem Stalle, den bis dahin der Ochse Leidenschaft und der Esel Vorurteil bewohnten 274. Seine Mutter, sagt Boehme, ist die Jungfrau Sophia, die göttliche Weisheit oder der Spiegel des göttlichen Seins. Mit dem Eintreten dieses neuen und erhabenen Faktors in das Bewußtseinsfeld, mit dieser geistigen Geburt, beginnt das mystische Leben, wie die christliche Epoche mit dem Fleischwerden des göttlichen Wortes begann. »Das Paradies«, sagt Boehme, »ist noch in der Welt, aber der Mensch ist nicht drinnen, es sei denn, daß er aus Gott wiedergeboren werde, so ist er nach derselben neuen Wiedergeburt darinnen 275.« Er ist, wie Eucken sagen würde, zur geistigen Ebene emporgehoben worden und findet dort das Paradies, »das selbständige Geistesleben«, »das nicht ein fremdes, sondern sein eigenes Leben ist 276«.

Hier also sind zwei charakteristische Merkmale der Landkarte, die die christlichen Mystiker mit Vorliebe benutzen. Es sind natürlich noch andere große Merkzeichen darauf; wir werden ihnen begegnen, wenn wir die Reisen der suchenden Seele im einzelnen verfolgen. Eine Warnung müssen wir jedoch den Amateurgeographen geben, bevor wir fortfahren. Wie alle andern Karten, so kann auch diese bestenfalls nur einen groben Umriß und ein konventionelles Farbenbild von der lebendigen Erde geben, über die jene Wanderer geschritten sind. Es ist eine bewußt schematische Darstellung der Wirklichkeit, ein flaches und oft dürftiges Sinnbild von großartigen Landschaften, rauschenden Strömen, erhabenen Bergesgipfeln, das gefährlich ist, wenn man sich seiner Unzulänglichkeit nicht immer bewußt bleibt. Der Schüler, der Kanada als »ganz rosa« bezeichnete, war nicht viel weiter von der richtigen Fährte ab als die, welche die anbetungswürdige Dreieinigkeit auf die Definitionen des athanasischen Bekenntnisses beschränken wollen; wie nützlich eine solche Karte sonst auch sein mag und ist innerhalb der durch ihre Art gegebenen Grenzen.

Ferner können alle solchen Karten, und wir, die wir Erörterungen darüber anstellen, nur kalten Blutes und mit angemaßter Exaktheit Sachen feststellen, die die wahren Erforscher der Ewigkeit nur wahr nehmen konnten in der Inbrunst einer solchen Leidenschaft, in der Verzücktheit einer solchen Vereinigung, wie wir armen erdgebundenen Sklaven unserer verzettelten Gefühle sie kaum ertragen könnten. »Wenn du wissen willst, wie diese Dinge geschehen,« sagt der hl. Bonaventura, – und diese Worte sollten sich alle Theologen merken – »frage die Gnade, nicht die Lehre; das sehnsüchtige Verlangen, nicht den Verstand; die Inbrunst des Gebets, nicht die Lehren der Schule; den Bräutigam, nicht den Lehrer; Gott, nicht den Menschen; das Dunkel, nicht die Helle; nicht die Erleuchtung, sondern das Feuer, das gänzlich entzündet und mit überschwenglicher Wonne und inbrünstiger Liebe in Gott einhüllt. Welches Feuer gewißlich Gott ist, und sein Herd ist Jerusalem 277.«

Mystik

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