Читать книгу Alma - Evelyne Quadrelli - Страница 4

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FAMILIE

Es war Abend und die ganze Familie saß am Esstisch. Der Tisch war lang mit einer massiven Eichenplatte und massigen Tischbeinen. Schließlich mussten acht Leute an ihm Platz finden und mehr, wenn Besuch kam. In der Mitte dampfte eine Gemüsesuppe und verströmte einen leckeren Duft.

Ungeduldig saßen fünf der sechs Kinder da, den Löffel bereits in der Hand, und lautes Geplapper, manchmal auch Geschrei und Gezänk, erfüllte die geräumige Küche. Es war ein Spiel, dem Tischnachbarn den Holzlöffel auf den Kopf zu schlagen und dann unschuldig zu pfeifen oder sich gar unter dem Tisch gegenseitig zu treten.

Das Baby Lena hatte seinen Brei bereits erhalten und schlief friedlich in der Stube im Korb.

Die Mutter kümmerte sich nicht um den Lärm und schöpfte allen eine Kelle Suppe in die Teller, ehe sie sich wieder setzte und ihren Gedanken nachhing.

Der Vater stand oben am Ende des Tisches und nahm den Laib Brot an sich. Er war ein großer, starker Mann mit rabenschwarzen, nach hinten gekämmten Haaren. Bevor er von dem Laib abschnitt, ritzte er andächtig mit dem Messer ein Kreuz als Zeichen der Dankbarkeit in den Brotboden. Danach begann er, gleichmäßige Scheiben davon abzuschneiden und reichte all seinen Lieben je eine. Niemandem auf der ganzen Welt wäre es gelungen, solch gerade und immer gleich dicke Stücke zu schneiden wie Moritz. Hätte man mit einem Lineal nachgemessen, hätte man gestaunt über die Genauigkeit seiner Schnitte. Dem Vater gab es ein gutes Gefühl, jeden Abend das duftende Brot für die Familie zu schneiden. Denn in dieser Zeit war es nicht selbstverständlich, dass das Essen für alle reichte und auch noch schmeckte.

Als jeder eine Brotscheibe neben dem Teller liegen hatte, setzte sich Moritz hin, dann wurde es ganz still. Alle legten die Löffel beiseite und falteten die Hände zum Gebet. Der Vater sprach immer dasselbe kurze Dankgebet, und seine tiefe, wunderschöne Stimme durchdrang den Raum. Kaum hatte er fertig gesprochen, wurde wieder wild durcheinandergeplappert und die Suppe gelöffelt. Es gab genug, und oft wurde dazu auch noch ein Stück Wurst oder Speck gereicht.

»Ich habe heute mit einigen Buben meiner Klasse gekämpft und alle besiegt«, rief Bruno über den Tisch. Keiner hörte zu und zollte ihm den erhofften Respekt. Jeder wusste, dass er, der Zweitälteste der Kinder, nur ein Angeber war. In Wirklichkeit war Bruno ein Angsthase und versteckte sich jammernd hinter dem Rock der Mutter, wenn es ernst wurde. Er war groß für seine zwölf Jahre, aber weil er immer sehr vorsichtig und ängstlich war, konnte er niemanden beeindrucken.

Der Erstgeborene war der hochgewachsene und starke vierzehnjährige Peter. Beinahe sah er aus wie eine Miniaturausgabe des Familienoberhauptes. Selbst seine Haare trug er wie sein Vater, und im Armdrücken konnte es keines seiner Geschwister, auch keines der Nachbarskinder, mit ihm aufnehmen.

Und dann war da noch Alma, die Drittälteste. Vor Kurzem hatte sie ihren zehnten Geburtstag gefeiert. Es gab selbst gebackenen Kuchen mit extra vielen Eiern und als Geschenk einen neuen Mantel, den ihre Mutter aus Ilanz besorgt hatte. Alma besaß langes, braunes Haar, das sie, wie alle Mädchen zu jener Zeit, zu zwei dicken Zöpfen flocht. Ihre Haut war immer leicht gebräunt und verlor selbst im Winter die Farbe nicht. Sie war ein hageres, schmächtiges Kind. Überall zeichneten sich die Knochen ab, und die Kleider, die sie trug, wirkten immer viel zu groß.

Jeder, der sie kannte, wusste jedoch, dass es kaum ein zäheres Mädchen gab, und ihre Unerschrockenheit und ihr Mut beeindruckten alle. Keines der vielen Kinder im Dorf wollte Streit mit ihr anfangen, denn obwohl keine Muskeln am Körper von Alma zu sehen waren, verfügte sie über Kraft und Ausdauer.

Schon bei ihrer Geburt – zu einem solchen Anlass wurde immer die alte Hebamme aus dem Nachbardorf gerufen – staunten alle, was da für ein knochiges, kleines Bündel auf die Welt kam. Kaum ein Gramm Fett war an dem Babykörper zu entdecken, und es sah zunächst aus, als würde das Mädchen nicht überleben.

Die Hebamme, die viel Erfahrung hatte, sagte beim Anblick der kleinen Alma, dass man dieses unterentwickelte Kind am besten gleich über die Bettkante schlagen sollte, um das arme Ding nicht lange leiden zu lassen. Noch im gleichen Atemzug fügte sie in einem gleichgültigen Tonfall an: »Das Kind wird niemals die erste Nacht überstehen.«

Damit forderte sie aber nur den Beschützerinstinkt der Mutter heraus. »Nichts da, gib mir mein Kind. Wir werden es schon groß bekommen. Geh du nur nach Hause und lass mich machen«, war ihre Antwort auf die Ungeheuerlichkeit des alten Weibes. Sie legte Alma an ihre Brust, versuchte sie zum Saugen zu animieren und versäumte es trotzig, sich von der Hebamme zu verabschieden.

Und tatsächlich, das Mädchen war zäh und wuchs.

Es war nicht etwa so, dass Alma zu wenig aß. Im Gegenteil, sie konnte schwindelerregende Portionen verschlingen, nur wusste niemand, wo die gegessenen Kalorien hinkamen.

Als Alma zwei Jahre alt war, gebar die Mutter Zwillinge, Ursina und Hanna. Bis auf die braunen, dicken Zöpfe und die Nase unterschieden sich die beiden Mädchen stark von Alma, und so mancher schüttelte ungläubig den Kopf, wenn er hörte, dass die drei Schwestern sein sollten.

Hanna und Ursina waren kugelrund, und – wie der Vater sagte – richtige kleine Weiber. Sie fürchteten sich vor Spinnen und Mäusen, ekelten sich vor Fröschen und Blindschleichen und hatten Angst im Dunkeln. Die eitlen Zwillinge gingen sorgsam mit ihren Kleidern um und die Haarschleifen waren immer ordentlich gebunden. Jede von ihnen wollte die Schönere sein, was ein unmögliches Unterfangen war, wo sie sich doch glichen wie ein Ei dem anderen.

Baby Lena war ein richtiger Wonneproppen mit dicken Pausbacken und Windeln, die um den Bauch spannten. Sie war ein Nachzügler und wurde von allen mit Aufmerksamkeit verwöhnt.

Alma

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