Читать книгу Du in meinem Kopf - Ewa A. - Страница 5
2. Dinge, die man nicht begreifen kann
ОглавлениеHazel
Ich lief mit Sam unter den hohen Eichenbäumen, die unsere Straße säumten. Ein Rascheln erklang im dichten Laub über uns und im nächsten Moment streifte plötzlich etwas Hartes meinen Arm. Das Au lag mir schon auf der Zunge, als mich aus dem Nichts ein Schlag voller Wucht zu Boden presste. Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen und ein Schwindelgefühl überfiel mich. Taumelnd fand ich mich auf den Knien hockend wieder, mitten auf dem Gehweg.
»Hazel, sag mal, was machst du denn? Bist du gestolpert?« Sam musterte mich verdutzt.
Ich musste ziemlich bescheuert aussehen, so, auf allen vieren. Benommen wartete ich darauf, dass die Welt endlich aufhörte, vor meinen Augen zu kreiseln. »Nein, eigentlich nicht. Irgendetwas hat mich umgehauen.«
»Wie? Dich hat was umgehauen?«
»Keine Ahnung, es kam aus den Bäumen. Hast du das Rascheln nicht gehört?« Ich suchte nach dem Etwas, das auf meinem Arm einen brennenden, roten Streifen hinterlassen hatte und in der Nähe liegen musste.
Fuck. Wo bin ich plötzlich? Hä? Auf einer Straße? Ich war doch gerade noch oben, am Longshaw Peak. Wie ... Wie kann das sein? Hm, mir wurde schwarz vor Augen. Wahrscheinlich bin ich gestürzt, den Hang runtergerollt und hier gelandet. Verdammt weit weg gelandet. Ist ja irre ...
Ich erstarrte. Wer hatte da gesprochen? Das war nicht Sam. Die tiefe Stimme klang eindeutig nach einem Jungen. Wo kam der plötzlich her? Waren wir nicht mehr allein?
Ich sah mich um, doch außer meiner Freundin und mir war niemand in unserer Nähe. Seltsam!
Zur Hölle, wieso bewegt sich meinen Kopf? Ich will das nicht. Wer, wer macht das? Und wer spricht da?
»Hey, nein, wer spricht da? Wer und wo bist du?«, rief ich gereizt. Doch ich bekam keine Antwort. Da stand nur Sam vor mir, die mich beobachtete, als sei ich eine Irre.
»Wer soll sprechen? Hier ist niemand außer uns. Nur du und ich.«
Der rote Lockenkopf?Fuck! Wo kommt die denn auf einmal her? Wieso redet die mit mir, als würde sie mich kennen? Moment mal ... War das gerade meine Stimme? Aber ... ich habe wie ein Mädchen geklungen. Das kann doch gar nicht sein, denn erstens bin ich ein Kerl und zweitens wollte ich das gar nicht sagen.
Scheiße, scheiße, scheiße! Ich war wahnsinnig geworden. Mich hatte der Schlag getroffen und ich hörte eine fremde, fremde männliche Stimme in meinem Kopf. Nein, nein, nein. Das durfte nicht sein. Du wirst nicht verrückt, Hazel. Du wirst nicht schizophren! Ausgeschlossen! Das konnte ich jetzt nicht gebrauchen.
Hazel?
Sam legte ihre Hand auf meine Schulter. »Alles in Ordnung mit dir?«
Ohne es zu beabsichtigen, schnappte ich grob ihre Finger. »Hey, was soll das? Lass das!«, polterte es angriffslustig aus meinem Mund.
Erschrocken ließ ich Sam los und schlug mir die Hand vor den Mund. Scheiße, das hatte ich gar nicht gewollt.
»Oh, entschuldige, ich rühr dich nie wieder an«, maulte Sam beleidigt. »Ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht.«
Ist Hazel das Mädchen mit der langen, braunen Mähne und den schmuddeligen Klamotten? Ich bin jetzt Schmuddel- Hazel?
Ungewollt beugte ich plötzlich meinen Kopf und starrte auf meine Hände, die ich langsam vor meinen Augen drehte, als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen. Dabei kannte ich jeden einzelnen der zehn Ringe, die ich an meinen Fingern trug. Ich wusste genau, welches der vielen Armbänder ich wann und wo gekauft hatte, die meine beiden Handgelenke bedeckten. Ich hatte sie heute Morgen angezogen. Mir war auch klar, dass der dunkelblaue Metalliclack bereits von meinen Fingernägeln abblätterte und sie noch kürzer wirken ließ. Auch die weißen Farbflecke auf meiner ausgefransten Jeans waren nichts Neues für mich. Beim letzten Projekt im Kunstkurs hatte ich mit zu flüssiger Farbe und einem breiten Pinsel hantiert.
Oh nee! Ausgerechnet die? Wieso? Und warum überhaupt? Das kann doch nicht wirklich passieren. Das kann nur ein Traum sein. Verfluchte Scheiße, es muss ein Traum sein. Ja, genau. Als ich am Longshaw Peak stürzte, muss ich mir den Kopf angeschlagen haben. Ich träume das alles bloß. Ja, das ist die einzige Erklärung, die logisch klingt.
O Gott, ich war wirklich ein Schizo und mein zweites Ich konnte mich nicht leiden! Es beleidigte mich sogar. Es nannte mich Schmuddel-Hazel. Eindeutig: Ich war ein Fall für den Psychiater. Ich sollte mir schleunigst einen suchen, bevor mir mein zweites Ich, also ich selbst, mir noch etwas antat.
Du, du kannst meine Gedanken hören? Hazel, hörst du mich, obwohl ich nicht mal den Mund bewege?
Oh, Hiiiilfe! Hiiiilfe! So helft mir doch! Ich musste ganz dringend zu einem Arzt! Und zwar so schnell wie nur möglich!
Hazel, nein, warte, das ist nur ein Traum. Zwar ein ziemlich krasser, aber nicht die Wirklichkeit. Hoffe ich.
In meiner Panik versuchte ich aufzustehen. Ich wollte vor der Stimme in meinem Inneren weglaufen, ihr entkommen. Aber mein Körper gehorchte mir nicht, wie er sollte. Es fühlte sich an, als könnte ich nur die rechte Hälfte bewegen. Die linke tat nichts, sie blieb bewegungslos am Boden hocken. Verdammt, hatte ich einen Schlaganfall? War das auch die Erklärung für die Stimme in meinem Kopf?
Wir haben einen Schlaganfall? Nein, nein, das glaub ich nicht. Hazel, hör mir zu: Offensichtlich teilen wir uns deinen Körper und ich verfüge über eine Seite. Mann, das ist ja echt voll abgefahren. Das kann nur ein Traum sein.
Oweia, jetzt nannte mein schizophrenes, männliches Ich mich schon beim Namen, lachte mich aus und glaubte, es würde träumen. Das war gar nicht gut.
Ganz ruhig, Hazel. Ich habe verstanden. Du willst aufstehen? Gut, dann werde ich das jetzt auch tun – zusammen mit dir. Okay?
»Sag mal, willst du da noch ewig am Boden hocken bleiben?« Ungeduldig stand Sam über mir.
»Nein, das wollen wir nicht!«, purzelte es ungewollt aus meinem Mund.
»Wir? Du redest jetzt in Mehrzahl von dir?« Sam zog ihre Augenbrauen in die Höhe. »Oh, Eure Majestät Hazel Penelope Brown. Langsam mach ich mir Sorgen, dass dich irgendetwas am Kopf erwischt hat. Ehrlich.«
»Ich meinte natürlich: Ich will aufstehen«, beeilte ich mich, meine vorige, unbeabsichtigte Aussage zu korrigieren. Im Stillen bat ich: Liebes schizophrenes, männliches Ich, halt bitte, bitte einfach meine Klappe!
Nach einem angstvollen Atemzug versuchte ich erneut aufzustehen. Obwohl ich spürte, dass ich keine Macht über das linke Bein und den Arm hatte, bewegten sie sich. Allerdings nicht so geschmeidig wie üblich, wie die auf der rechten Seite, sondern aufgeregt federnd als wäre diese Körperseite nervös. Ich kam mir vor wie eine fremdgesteuerte Marionette, deren linke Gliedmaßen an Fäden hängten. Dementsprechend unbeholfen kam mein Körper auch auf die Füße. Es brauchte Zeit und musste zum Brüllen aussehen, wie ich einseitig torkelnd aufstand.
Also erstens: Hazel Penelope Brown - was ist das für ein komischer Name? Was Dümmeres ist deinen Eltern wohl nicht eingefallen, was? Und zweitens: Ich bin nicht dein schizophrenes, männliches Ich, sondern ein Kerl aus Fleisch und Blut. Okay, jetzt zwar gerade nicht, aber im Normalfall. Mein Name ist Connor Ward und offensichtlich habe ich einen Traum, in dem ich in deinen Körper verfrachtet wurde. Zwar komisch, dass ich ausgerechnet in deinem landen musste, da ich dich nur vom Sehen kenne. Aber womöglich liegt es daran, weil ich dich vorhin im Park mit deiner Freundin bemerkt habe. Denn wenn ich ehrlich bin, finde ich dich irgendwie niedlich. Du gehörst zwar zu den Freaks und wirkst irgendwie schmuddelig und abgerissen, allerdings auf eine verquere sexy Art. Ja, wahrscheinlich faszinierst du mich auf seltsame Weise und deswegen träume ich von dir.
»Ah haha«, lachte ich panisch auf.
»Was gibt es da zu lachen?«, fragte mich Sam und begutachtete mich noch immer mit einer Mischung aus Sorge und Wut.
»Och, nichts«, stammelte ich.
Connor Ward? Mein Ich hielt sich für Connor Ward und hielt mich für einen niedlichen, schmuddeligen Freak mit Sexappeal? Das war krass!
Herrgott, hör mir doch mal zu: Ich bin nicht dein schizophrenes Ich. Ich bin kein Teil von dir. Du bist du, Hazel Penelope Brown, und ich bin ich, Connor Ward, der Kapitän der New Stamford Tigers.
Ach, du heilige Scheiße, Connor Wards Geist war in meinen Körper gefahren? Wie? Und vor allen Dingen warum? Aber … das war doch unmöglich.
Oh Mann, endlich hat sie es gerafft. Und offenbar ist es doch möglich – zumindest in meinem Traum. Alles was du dich fragst, frage ich mich auch, Hazel. Wieso träume ich? Weshalb bin ich gestürzt? Wo liegt mein Körper jetzt? Und noch viel wichtiger: Wie schwer bin ich verletzt? Oh heilige Scheiße, womöglich bin ich tot. Und das alles ist gar kein Traum, sondern real?
»Gehen wir jetzt weiter oder willst du da noch Wurzeln schlagen?« Sams Stimme riss mich aus der aberwitzigen Unterhaltung, die sich in meinem Inneren abspielte. Mit erwartungsvoller Miene stand sie vor mir und gab mir mit den Händen ein Zeichen, dass ich vorwärtsgehen sollte.
Ich zögerte, denn ich befürchtete, dass mein Körper mir wieder nur zur Hälfte gehorchen würde.
»Ja, ist ja gut.« Vorsichtig versuchte ich einen ersten Schritt, dann den zweiten. Aber den führte ich vollkommen anders aus. Ohne einen Ton verlauten zu lassen, kämpfte ich im Weitergehen darum, meinen Körper in Einklang zu bringen. Doch meine linke Schulter schwang ständig übertrieben von hinten nach vorn, während mein linker Ellbogen es vorzog, sich so weit weg wie möglich von meinem Körper aufzuhalten, als wollte er ein laues Lüftchen unter den Achseln wehen lassen. Der linke Hüftknochen drängte sich bei jedem Schritt vorwitzig in den Vordergrund. Weiß der Geier, warum er das tat. Der Gang verhielt sich komplett gegsätzlich zu meinem gewöhnlichen. Ich bewegte mich wie eine besoffene Ente mit zwei linken Flossen.
»Hazel, was machst du da? Wie läufst du denn?«, fragte Sam auch schon hinter mir.
»Ähm, die linke Seite tut mir etwas weh. Muss mir beim Sturz wohl was geprellt haben.«
Geniale Ausrede, Hazel. So wird sich deine Freundin keine weiteren Gedanken mehr machen, wenn wir wie ein vollgedröhnter Kiffer durch die Gegend torkeln. Aber jetzt müssen wir so schnell wie nur möglich zum Longshaw Peak hoch. Wir müssen meinen Körper suchen.
Sam prustete in sich hinein. »Na, wenn du so bei deinem nächsten Blind Date auftauchst, als der Glöckner von Notre Dame, wirst du wahrscheinlich den Kerl schneller loswerden, als du dir eine Cola bestellen kannst.«
Okay, ich hab schon verstanden. Ich werde versuchen ... weiblicher zu gehen – oder was auch immer. Aber jetzt lass uns endlich umkehren. Beeil dich! Bitte!
Plötzlich legte mein Körper eine Linkswendung hin und stürmte mit der linken Seite voran, während die rechte hinterher geschleift wurde.
»Nein! Halt!«, schrie ich überrascht auf und wehrte mich gegen die Kraft, die mich in die entgegengesetzte Richtung drängte.
»Was ist? Hast du was vergessen?«, fragte Sam.
»Ja«, purzelte es aus mir ungewollt heraus. »Nein«, behauptete ich aber gleich darauf wieder und versuchte, das Seilziehen in meinem Körper zu gewinnen. Währenddessen schleppte er sich bereits an Sam vorüber, die mir mit offenstehendem Mund hinterherschaute.
Hazel, bitte. Vielleicht liege ich da irgendwo und verblute gerade. Wenn du mich also loswerden willst, muss mein Körper am Leben bleiben. Wir müssen ihn finden und Hilfe holen.
Geschockt hielt ich die Luft an. Was, wenn ich nicht verrückt war? Wenn Connors Geist wirklich in meinem Körper gelandet war? Was war dann mit seinem passiert?
Also gut, zischte ich in Gedanken, wir, ich gehe zum Longshaw Peak hoch. Aber du hältst dich von nun an aus meinen Körperfunktionen raus, Connor Ward.
Okay. Abgemacht. Ich weiß nicht, ob das klappt, aber ich versuche es. Nur bitte, renne jetzt so schnell du kannst zum Longshaw Peak. Bitte.
Ich spürte, wie ich die volle Gewalt über meinen Körper zurückbekam. Noch im Laufschritt drehte ich mich nach Sam um. »Tut mir leid. Mir ist eingefallen, dass ich doch noch etwas erledigen muss. Bis dann.« So schnell wie meine Beine mich trugen, rannte ich den Weg zurück, den ich gerade mit Sam entlang geschlendert war.
Danke!
Über eins solltest du dir jedoch im Klaren sein, Connor, sprach ich im Geiste zu mir oder vielmehr zu uns. Wenn das hier, wie du sagst, ein Traum ist, werde ich deinen Körper vermutlich nicht finden. Und außerdem, fühlt es sich für mich ganz und gar nicht wie ein Traum an, sondern erschreckend real und ... absolut irrsinnig. Wollte ich nur mal gesagt haben.