Читать книгу Mit Rössern in den Untergang - F. John-Ferrer - Страница 7

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Die Umgruppierung eines vorzüglichen Richtkanoniers in den Fahrerdienst ging natürlich nicht ohne Kommentar über die Bühne. Die Bedienungsmannschaft des 1. Geschützes wunderte sich über die Versetzung ebenso sehr, wie Benz sich darüber grämte, obschon er nach außenhin so tat, als sei er bereit, sich mit dieser Schikane abzufinden.

»Mensch, geh doch dagegen an!«, rief Emmerich, dem es besonders leidtat, Benz zu verlieren und im Haufen der Fahrer zu sehen. »Meld dich doch beim Alten zum Rapport.«

»Hat keinen Zweck«, meinte Benz. Denn ihm schien jeder Protest nur eine Verschlimmerung der Lage und des Verhältnisses zwischen ihm und Schimanek bringen zu können.

Gleich nachdem sich diese Versetzung vollzogen hatte, kam auch Unteroffizier Brenner auf die Stube. Er knöpfte sich Benz vor und sagte mehr kameradschaftlich als schikanös, dass er sich in die Entscheidung des Zugführers fügen und vorerst nichts dagegen unternehmen solle.

Benz wechselte um elf Uhr in die Fahrerstube über und packte seine Klamotten nur flüchtig in den Spind.

»Du denkst eppa, bei uns wär’s net gemütlich?«, sagte Hirtz, der Rosenheimer. »Mir san die Gäul liaba als wia alle Heinis mitnander. Auf einen Gaul kannst dich verlassen, der trägt dir aa nix nach, wenn du ihm eins überziehst.«

Sechs Fahrer lagen auf der Stube 4, Lafettenfahrer und Rohrwagenkutscher alle beisammen. Däubler siedelte ziemlich gleichgültig zum Tross um und verschwand ohne viel Getue. Vielleicht war er auch froh, aus Xaver Hirtz’ Nähe zu kommen, weil dieser ihn oft in seiner gutmütig groben Art anraunzte und selten mit seiner Fahrkunst zufrieden war.

Benz dachte im Augenblick weniger an die Umstellung als an das Treffen mit Gerti. Die Minuten rasten nur so dahin, und es bestand nicht die geringste Aussicht, nach Münsingen auf den Bahnhof zu gelangen.

Aber das Schicksal schien es mit ihm gut zu meinen und bescherte ihm Punkt zwölf Uhr mittags eine Sonderüberraschung in der Form, dass plötzlich vier Fahrer zum Bahnhof abkommandiert wurden, um dort ein paar Waggons aus dem Allgäu eingetroffenen Pferdefutters, Heu und Hafer, umzuladen.

Unteroffizier Brenner stellte das Kommando zusammen, und Benz vergaß seinen Kummer, als er mit Hirtz, Berger und dem Rohrwagenfahrer Fritz Abel kurz darauf zum Lagertor hinaustrabte und einen leeren Munitionswagen nach Münsingen hinunterkutschierte.

Man fuhr einspännig. Das Pferdepaar, das Benz übernommen hatte, hieß Toni und Tino, zwei kräftige, hochbeinige Halbblütler, Hannoveraner, dunkel im Fell, mit etwas zu lang geratenen Köpfen. Aber sie waren tüchtig und gut im Futter. Das Sattelpferd hatte einen ruhigen Trab, und als Benz so die Gangart des Pferdes in sich aufnahm und den Blick über Wald und Flur schweifen ließ, wollte es ihm vorkommen, als sei die Versetzung zu den Fahrern gar keine Strafe, sondern eine Abwechslung, die vielleicht guttat und dem Alltag neue Würze bringen könnte.

Was ist schon dabei?, ging es Benz durch den Sinn, als die Muni-Wagen bergab polterten und eine Staubwolke aufwirbelten. Hirtz und Berger sind feine Burschen! Nicht schlechter und nicht besser als Emmerich, Stöger und wie sie alle heißen, mit denen ich über zwei Jahre lang beisammen gewesen bin! Und außerdem – wir sind ja nicht getrennt. Wir gehören nach wie vor zusammen! Der eine braucht den anderen. Na schön, dann richte ich eben kein Geschütz mehr ein und fahre dafür die Lafette in der Mitte!

Seine Laune hatte sich beträchtlich gebessert, und die ihm auferlegte Schikane eines gewissen Portepeeträgers dünkte ihm immer weniger peinlich oder schmerzhaft.

Benz sah Hirtz vor sich reiten, geschmeidig jeden Tritt des Gaules mit dem Hintern wahrnehmend, breit in den Schultern, schmal in den Hüften, das Krätzchen schief auf dem runden Kopf.

Hirtz! Auch ein lieber Kerl! Und er versteht etwas vom Fahren! Ich werde mich nicht dümmer anstellen, dachte Benz, als Däubler!

Dann, als der Bahnhof auftauchte, schweiften seine Gedanken ab. Gerti kam in knapp einer Stunde … dort, auf einem der silbrig schimmernden Gleise!

Gerti!

Die Gespanne trabten zum Güterbahnhof. Dass eine Truppenverlegung im Gange war, sah Benz aus den bereitstehenden langen Transportzügen. Offene Loren, Güterwagen, Personenwaggons in langen, langen Reihen!

An die Güterrampe war der Heutransport aus dem Allgäu herangefahren. Auch die anderen Batterien hatten ihre Fahrzeuge geschickt, um das Pferdefutter zu übernehmen.

Benz sah die untersetzte Figur des Stallmeisters, hörte dessen lautes, bayerisch klingendes Organ: »Ihr damischen Ritter, da geht’s her … da geht’s her, Kruzinesennoamol!«

Benz schwang sich aus dem Sattel, Hirtz ging bereits auf Unteroffizier Brechtmann zu und redete mit ihm, dann deutete Brechtmann zur lang gestreckten Güterhalle, worauf Hirtz nickte und herankam.

»Wir müssen noch warten«, sagte er. »Wir könna derweil in der Bahnhofswirtschaft a Bier trinka.«

Benz spürte, dass ihm die Freude die Kehle zuschnürte, dass er jetzt keinen Schluck Bier trinken konnte. Er musste mit Hirtz reden, ob man eine Stunde wegbleiben könnte.

»Du, mein Mädel kommt kurz vor zwei Uhr«, sagte er zu Hirtz. »Ist es möglich, dass ich sie abholen und mit ihr ein Weilchen sprechen kann?«

»Dein Madl?«, Hirtz grinste. »Wo kommt s’ denn her?«

»Aus Ulm.«

»Festes Verhältnis oder nur so …?«

»Festes«, murmelte Benz, und er wusste plötzlich, dass er nicht mehr sagen konnte, dass er nicht prahlen durfte, wie es sonst üblich war.

»Wie lange werden wir denn am Bahnhof bleiben?« fragte Benz.

»Na, sagen wir halt – drei Stund mindestens.« Hirtz grinste breit von einem abstehenden Ohr bis zum anderen. »Hau ab. Ich pass schon auf’n Toni und ’n Tino auf.«

Benz ergriff Hirtzens Hand und drückte sie. »Das vergess ich dir nie, Xaver.«

»Geh, spinn net so!«

Die Junisonne schien warm. Am Horizont war kein Wölkchen zu sehen. Die Kornfelder dufteten, und Lerchen sangen im Blau des Himmels. Benz schaute auf die Uhr. Noch zehn Minuten Zeit. Noch lange zehn Minuten! Eine kleine Ewigkeit musste er noch warten.

Er blieb noch bei Hirtz, Berger und Fritz Abel. Man unterhielt sich über den Zeitpunkt des Abtransportes, man rätselte wieder, wohin es gehen würde. Fritz Abel tippte auf Frankreich. Er meinte, dass es ganz sicher dorthin ginge, um irgendeine andere Abteilung im Besatzungsgebiet abzulösen.

Hirtz schüttelte den Kopf.

»Stimmt alles net, Buam. Ich sag, es geht nach Osten! Der Russ’ soll über hundert Divisionen längs der Grenz aufgezogen haben. Da kann leicht was zum Brandeln und Stinken anfangen, sag i.«

Woher Hirtz das wisse?, fragte der Abel. Worauf Hirtz meinte, er habe es halt gehört.

In diesem Augenblick pfiff in der Ulmer Richtung der Zug, und Hirtz wandte sich an Benz.

»Verschwind jetzt, hörst«, sagte er und versetzte Benz einen sanften Rippenstoß. »Nimm dei Madl und verkrümel dich. Grüß sie von mir.« Er grinste gutmütig.

Benz ging rasch zum Bahnhofsgebäude. Die drei Fahrer schauten ihm nach.

»Was haltet ihr von ihm?«, fragte Abel.

»Prima Bursch«, sagte Hirtz. »Er traut sich was, und das imponiert mir, er lässt sich net den Butter vom Brot nehma.«

»Jetzt kann’s uns passieren«, ließ sich Berger vernehmen, »dass wir den Schimanek andauernd am Hals haben und schikaniert werden.«

Hirtz lachte.

»Der frisst schon koan Heuwagen, Buam.«

»Dem Benz kommt’s aber doch hart an, dass er zu uns versetzt worden ist«, sagte Abel.

»Na ja«, gab Hirtz nachdenklich zu, »einfach ist’s für ihn net, aber er wird dran aa net kaputtgehen. Barras bleibt eben Barras, und Schnaps ist Schnaps!«

»Du meine Fresse!«, rief Berger erschrocken und deutet mit dem Kopf zur Straße, die zum Bahnhof heranführte. »Guckt mal, wer dort kommt!«

Wachtmeister Schimanek kam auf einem Fahrrad herangeradelt.

Hirtz runzelte die Stirn und murmelte: »Bazi, du hättest aa wegbleiben könna.«

Der Personenzug aus Ulm kam pünktlich. Benz stand auf dem Bahnsteig und war sehr erregt. Sein Herz hämmerte gegen die Rippen, als er die Waggonschlange entlangspähte. Die Türen sprangen auf, Reisende und ein paar vom Urlaub zurückkehrende Landser stiegen aus. Nur wenige Zivilisten stiegen ein. Plötzlich hörte Benz hinter sich eine bekannte Stimme:

»Gefreiter Benz, was machen Sie hier?«

Benz fuhr herum. Schimanek stand da. Sein dunkles Gesicht sah unbeweglich und dienstlich aus.

Benz knallte die Hacken zusammen und würgte den Kloß, der im Halse stak, krampfhaft hinunter.

»Herr Wachtmeister, ich erwarte meine Braut.«

Dessen Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.

»Und wer hat Ihnen erlaubt, hier zu sein?«

»Ich bin zum Abholen der Futtermittel abkommandiert, Herr Wachtmeister. Wir warten noch aufs Abladen. Ich darf annehmen, dass es mir erlaubt ist, meine Braut …«

»Robert!«

Benz drehte sich um. Hinter ihm stand Gerti, schlank, jung, dunkelhaarig, in einem hellen Kostümchen und weißen Schuhen, weißer Handtasche, über dem Arm einen hellen Staubmantel.

Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn mitten auf den Mund.

»Ich hab mich so gefreut! Als ich dein Telegramm erhielt …«

»Bitte, sei still«, sagte er rasch.

Gertis tiefblaue Augen, die einen reizenden Kontrast zu ihrem dunklen, halblangen Haar abgaben, sahen an Benz vorbei.

»Das ist Wachtmeister Schimanek«, stellte Benz vor; seine Stimme klang frostig. »Mein Zugführer, Gerti.« Und zu Schimanek: »Gestatten Sie, dass ich eine Stunde mit meiner Braut beisammenbleiben darf?«

Schimaneks helle, kalte Augen glitten über die schlanke Figur des Mädchens hinweg, erfassten alles an ihr, taxierten sie von Kopf bis Fuß.

»Es wäre nett von Ihnen, Herr Wachtmeister«, sagte Gerti mit reizendem Grübchenlächeln. »Oder gönnen Sie uns das Zusammentreffen etwa nicht? Ist es verboten?«

Schimaneks Miene wurde zu einer grinsenden Maske der Höflichkeit. »Es ist keinesweg verboten, Fräulein.« Und zu Benz sagte er mit halbdienstlich klingendem Organ: »Es wäre besser gewesen, Benz, wenn Sie mir Ihre Absichten vorher gemeldet hätten.«

Mit diesen Worten machte Schimanek kehrt und verschwand vom Bahnsteig.

Benz sah blass aus. Doch Gerti schob ihren Arm unter den seinen und schmiegte sich an ihn.

»Freust du dich, Robert?«

»Ja, sehr«, murmelte er.

»Was hast du?«

»Ach – nichts weiter.«

»Und wohin gehen wir?«, fragte sie und hängte sich schwer an seinen Arm.

Er sah sie an und vergaß allen anderen Kummer. Er küsste sie, während der Zug abfuhr, und dann fragte er sie mit leuchtenden Augen:

»Willst du lieber ins Bahnhofslokal, oder spazieren wir ein bisschen durch die Felder?«

»Gehen wir spazieren, Robert«, flüsterte sie, und in ihr reizendes Gesicht stieg rosarote Röte.

Arm in Arm verließen sie den Bahnsteig, gingen durch die Bahnhofshalle und strebten im Gleichschritt den sonnenbeschienenen Feldern zu, wo die Kornfelder dufteten und Lerchen im Blau sangen. Sie wollten die Zeit festhalten, auf einem schmalen Grassaum und hielten sich fest umschlungen.

»Du, ich habe Angst, wenn du fortgehst«, flüsterte sie mit Tränen in den Augen.

»Ich komme zurück«, flüsterte er ihr zu und küsste sie wieder und wieder. »Du musst daran glauben, hörst du! Ich muss spüren, dass du an mich denkst!«

»Ich werde immer an dich denken, Robert.«

Er schaute auf die Uhr.

In einer Viertelstunde kam der Gegenzug, der nach Ulm zurückfuhr.

»Müssen wir schon gehen, Robert?« Die Tränen in ihren Augen glänzten.

»Ja, Liebes, wir müssen!« Er half ihr auf, er zog sie noch einmal in die Arme. »Sobald ich Urlaub kriege, heiraten wir, Gerti. Setz dich inzwischen mit meinen Eltern in Verbindung.«

»Ja, Robert«, sagte sie.

Dann gingen sie zum Bahnhof zurück, standen wieder auf dem Bahnsteig und warteten auf den Zug in Richtung Ulm.

»Die Adresse meiner Eltern hast du ja, Liebes?«

»Ja, Robert.« Sie hing schwer an seinem Arm und kämpfte mit den Tränen.

Von den Verladerampen her ertönten raue Rufe, brüllte plötzlich jemand, wieherte ein Gaul.

Robert Benz hatte ihr nichts von dem erzählt, was ihm das Dasein in der Truppe versauerte. Sie hatte auch nicht gefragt, sie wollte anscheinend nichts davon wissen, obwohl sie zu spüren schien, dass etwas geschehen war. Aber jetzt, als sie plötzlich stumm blieben und sich anscheinend nichts mehr zu sagen hatten, obwohl ihre Herzen zum Überlaufen voll waren, drückte sie seinen Arm und fragte leise:

»Was ist dieser Wachtmeister Schimanek für ein Mensch?«

»Nicht der beste, Liebes.«

»Ihr mögt euch nicht?«

»Wir konnten uns noch nie riechen. Aber bitte – reden wir nicht davon, Liebes.«

Sie sah besorgt zu ihm auf.

»Er hat so harte Augen … er ist nicht gut.«

»Ein alter Kommisskopp eben!«, lachte Benz. »Nichts anderes gelernt als zu drillen und herumzubrüllen.«

»Er hat mich so komisch angeschaut, Robert … ich weiß selber nicht wie …«

»Er hat kleine Mädchen gern«, sagte Benz. Und plötzlich erzählte er ihr, was damals in Frankreich geschehen war. Aber er kam nicht zu Ende damit. Gerti drückte jäh und erschrocken seinen Arm und flüsterte hastig:

»Er kommt zu uns her.«

Benz trat einen kleinen Schritt von ihr zurück und schaute auf die Uhr.

»Der Zug muss jeden Moment kommen, Liebes«, sagte er laut.

Da trat Schimanek heran und grüßte lässig.

»Benz, Sie müssen zu den Pferden zurück.«

Es klang nicht auffallend dienstlich, aber doch befehlend.

»Darf ich nicht noch ein paar Minuten warten, Herr Wachtmeister?«

»Ich sagte …«

Doch Schimanek wurde von Gerti unterbrochen. Sie lächelte, als sie sagte:

»Aber Herr Wachtmeister, können Sie es wirklich übers Herz bringen, meinen Verlobten fortzuschicken, wo jeden Augenblick der Zug kommen muss? Ist das menschlich, Herr Wachtmeister?«

Schimanek sah sie fast bestürzt an. Seine Miene wurde verlegen. Er warf einen schnellen Blick auf Benz, der heftig errötete und Gerti einen unwilligen Blick zuwarf.

»Was ist überhaupt zwischen euch?«, fragte sie mit der Unvoreingenommenheit ziviler Neugier und Sorge. »Warum vertragt ihr euch nicht? Ihr sitzt doch alle in einem Boot! Ihr zieht alle am selben Strang! Da gehört es sich doch, dass man sich untereinander verträgt.«

»Sei bitte still, Gerti!«, rief Benz erschrocken.

»Nein, nein«, fuhr sie fort, und eine kleine Falte erschien zwischen ihren Brauenbögen. Sie sah Schimanek fest an. »Ich bin nicht still. Ich darf so etwas schon sagen. Hören Sie, Herr Schimanek, ihr werdet jetzt wieder fortgeschickt. Ihr wisst nicht, wo ihr landet und was euch bevorsteht. Gutes bestimmt nicht! Ist es da so verwunderlich, wenn ich euch bitte, euch zu vertragen?«

»Verzeihung …«, murmelte Schimanek verlegen, »das ist …«

»Ich bin noch nicht fertig«, fiel sie ihm freundlich, aber bestimmt ins Wort. »Ich will erst noch wissen, ob ich zwischen euch vermitteln kann.«

»Lass das, Gerti!« Benz rief es ärgerlich.

»Ja«, murmelte Schimanek mit schiefem Grinsen, »es ist besser, Sie mischen sich da nicht ein.« Er wandte sich an Benz: »Gut, verabschieden Sie Ihre Braut noch, und melden Sie sich dann bei mir. Ich bin bei den Rampen auf Gleis drei.« Schimanek verbeugte sich knapp vor Gerti, grüßte und wollte kehrtmachen, als sie ihn schnell am Arm zurückhielt und mit beschwörender Eindringlichkeit rief:

»Herr Wachtmeister, bitte … bitte! Mir zuliebe! Bitte schauen Sie mich an!«

»So lassen Sie das doch!«

Schimanek wollte ihren Griff abstreifen, aber er konnte den Blick nicht lösen von ihren blauen Augen. Sie schwammen in Tränen und schauten flehend zu ihm auf.

Der schrille Pfiff einer Lokomotive erklang. Reisende mit Koffern kamen auf den Bahnsteig.

»Bitte, Herr Wachtmeister«, sagte Gerti noch einmal.

»Was … was wollen Sie eigentlich?«, knurrte Schimanek.

»Dass zwischen euch Friede ist, wenn schon ringsum Krieg herrscht.«

Schimanek sah sie lange und seltsam nachdenklich an, dann reichte er ihr die Hand.

»Kommen Sie gut heim, Fräulein …«

»Gerti Berg«, sagte Benz tonlos.

»Kommen Sie gut nach Hause und machen Sie sich keine Gedanken, Fräulein Berg.«

Schimanek legte die Hand an den Mützenrand, versuchte ein freundliches Lächeln und ging davon, ohne Benz auch nur eines Blickes, eines Wortes zu würdigen.

Der Zug kam herangepoltert. Gerti Berg lächelte zu Robert hinauf.

»Jetzt bin ich froh, du … so froh! Jetzt fahre ich leichter heim.«

Der Zug hielt mit kreischenden Bremsen.

»Das hättest du nicht tun sollen, Gerti«, sagte Benz und zog sie in die Arme. Sie küssten sich. Aus einem Fenster rief jemand ein neidvolles »Höööj, höööj!«

Um Gerti und Robert versank für ein paar Herzschläge lang die Welt.

»Einsteigen und die Türen schließen!«, rief der Schaffner.

Benz ließ die schmale Gestalt los, half ihr auf das Trittbrett und sah noch einmal in zwei nasse, blaue Augen.

»Gerti! Gerti, mach dir keine Sorgen!«

Sie lächelte unter Tränen. Dann verschwand sie und tauchte noch einmal als helle Gestalt am Fenster auf. Sie beugte sich heraus und reichte ihre Hand hinunter.

»Robert, ich weiß jetzt auch, dass du wieder heimkommen wirst. Ich werde beten dafür, du … immer beten!«

Er nickte nur noch, er konnte nicht mehr reden. Ihm war es mit einem Male, als müsse er sich an den langsam anfahrenden Zug klammern, als müsse er sich mitschleifen lassen. Jäh und klar spürte Robert Benz, dass ihm etwas Großes, nie Erfahrenes geschehen war, dass er tief aus dem Herzen heraus liebte und bereit war, alles zu tun, um sich dieser Liebe würdig zu erweisen. Er wusste, als die helle Gestalt am Fenster davonglitt und er nebenherging, dass er sich mit Schimanek vertragen, dass er sich beugen musste, um das zu tun, was Gerti von ihm verlangt hatte.

»Leb wohl!«

Sie winkte dem zurückbleibenden Soldaten zu. Der Zug fuhr immer schneller, die Wagenschlange, das weiße Tüchlein, das im Wind flatterte, verschwanden.

»Fort …«, murmelte Benz wie betäubt. Nur kurz hatte er aus dem Kelch der Freude, des Glückes getrunken. Durstig blieb er zurück, ein bisschen mutlos und voller Weh.

»Ich weiß, dass du heimkommen wirst … ich werde beten dafür, du … immer beten!«

Ihre Worte klangen ihm in den Ohren, als er über die Gleise zur Güterhalle hinüberging.

Schimanek stand plötzlich vor ihm, bewegungslos, verschlossen, mit kalter Miene.

»Los, Benz, ziehen Sie zum Waggon hinüber und laden Sie!«

»Jawohl, Herr Wachtmeister.«

»Und denken Sie bloß nicht, dass Sie mich einwickeln können, Benz! Dazu müssen Sie schon früher aufstehen! – Kehrt marsch jetzt, Sie Heini! Sind Sie noch nicht weg!«

Täuschte sich Benz, oder klang der Anschnauzer wirklich etwas gekünstelt? Tat Schimanek nur so, als wolle er einen Heuwagen samt Rössern fressen?

Benz klappte die Hacken zusammen, machte eine lasche Kehrtwendung und ging zu seinem Gespann. Da rief ihm Schimanek nach:

»Benz!«

Der Gefreite drehte sich wieder um. »Herr Wachtmeister?«

Schimanek kam heran; sein Gesicht sah finster und verschlossen aus. Er musterte Benz mürrisch, dann sagte er:

»Sie brauchen nicht zu denken, dass ich Ihnen die Sache von damals – Sie wissen schon welche! – nachtrage. Die ist für mich so gut wie begraben, Benz. Worum es mir geht, das möchte ich Ihnen noch vor dem Abrücken plausibel machen. Wissen Sie, was Sie in meinen Augen sind?«

»Sagen Sie es, Herr Wachtmeister.«

»Sie sind ein total unmilitärisches Subjekt, und Sie halten sich für etwas Besseres, weil Sie Abitur haben. In meinen Augen sind Sie aber ein … Haun Sie ab!«, knurrte er. »Haun Sie schnell ab, sonst erzähl ich Ihnen was!«

Benz nickte nur. Er grüßte und ging zu den Pferden, nahm das Sattelpferd am Halfterriemen und zog mit dem leeren Munitionswagen zur Rampe hinüber, wo bereits Hirtz und die anderen Heuballen aufluden. Benz war verwirrt. Er wusste plötzlich nicht mehr, was er von diesem Vorgesetzten denken sollte.

Schimanek stand noch eine Weile am selben Fleck und starrte Benz nach, nagte verdrossen an der Unterlippe, murmelte dann etwas Unverständliches, ging mit ärgerlichen Schritten zum Bahnhofsgebäude und verschwand in der Bahnhofswirtschaft.

Mit Rössern in den Untergang

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