Читать книгу Die Euro-Kicker (Bd. 1) - Fabian Lenk - Страница 5
DAS VERSPRECHEN
ОглавлениеIn der Stadt knisterte es förmlich. Ganz München war im EM-Fieber. Überall sah man Fans mit Schals, Mützen, Trikots oder Fahnen. Oder allem zusammen. Kids trugen stolz die Namen und Rückennummern ihrer Lieblingsspieler. Die Stimmung war bestens, alle schienen sich auf das Viertelfinale zu freuen, für das sich auch die deutsche Nationalmannschaft qualifiziert hatte – hier in München! Ein Heimspiel, ein Traum! In wenigen Tagen, am Freitag, den 3. Juli, sollte es um 21 Uhr losgehen.
Natürlich war das Spiel längst restlos ausverkauft.
Gut so, dachte der Mann. Das war sogar sehr gut, jedenfalls für ihn. Denn es gab genügend Fans, die bereit waren, völlig überhöhte Preise für ein Viertelfinal-Ticket zu zahlen – und zwar auf dem Schwarzmarkt.
Der Mann lächelte in sich hinein. Damit konnte er dienen, denn er hatte schließlich noch Karten. Sein Schatz ruhte in der Innenseite des Sakkos, das er über dem eleganten Hemd trug. Der Händler mit dem freundlichen Gesicht wirkte durchaus wie jemand, dem man vertrauen konnte.
Er ließ die Blicke schweifen. Er suchte. Nach diesen Leuten, die mit einem Schild herumliefen: Suche Ticket fürs Viertelfinale!
Deshalb war er hier, am Münchner Karlsplatz, den die Einheimischen Stachus nannten, weil dort Anfang des 18. Jahrhunderts ein Gastwirt mit dem Namen Eustachius Föderl ein Gasthaus betrieben hatte. Man ging also damals zum Stachus – und dieser Name hatte sich bis heute gehalten, obwohl der Platz zu Ehren von Kurfürst Karl Theodor später in Karlsplatz umgetauft worden war. Das hatte aber die Münchner nie interessiert. Der Stachus war der Stachus. Punkt.
Hier quirlte der Verkehr: unterirdisch in den U-Bahn-Röhren, überirdisch auf den Straßen und Schienen für die Tram. Schon im Mittelalter war der Platz ein Verkehrsknotenpunkt gewesen, weil hier die Salzstraße verlief, der München seinen Wohlstand verdankte. Und dieser Platz sollte heute auch für den Wohlstand des Schwarzhändlers sorgen.
Wieder schaute der Mann sich sorgsam um – nach einem Opfer. Klar, er hätte die Tickets auch im Internet anbieten können. Aber das war ihm zu riskant. Die Polizei oder die UEFA hätten seine Spur zurückverfolgen können. Außerdem wollte er das Geld sofort haben.
Nur Bares ist Wahres, dachte er. Ein alter Spruch, aber immer noch absolut richtig.
Hinzu kam, dass seine Tickets nicht echt, sondern sehr gut gemachte Fälschungen waren. Im Internet bestand immer das Risiko, dass sich ein Polizist als Interessent für die Tickets ausgab. Die Beamten wussten schließlich, dass Fälschungen im Umlauf waren.
Nein, hier auf der Straße war es sicherer. Er konnte sich seine Opfer gezielt aussuchen. Und ja, er roch förmlich, ob er es mit einem Polizisten zu tun hatte oder nicht. Seine Menschenkenntnis hatte ihn noch nie getrogen.
Sein Blick wanderte Richtung Osten, vorbei am großen Brunnen bis zum wuchtigen Karlstor, hinter dem die Neuhauser Straße mit ihren unzähligen Läden begann. Shoppen, shoppen, shoppen … aber nur er hatte etwas, das für einen Fan wirklich wertvoll war, zumindest während einer EM: Tickets fürs Viertelfinale.
Plötzlich schlug sein Puls schneller. Ein Mann verließ gerade das Burger-Lokal beim Brunnen.
An der Seite des Mannes war ein Junge, der etwa elf oder zwölf Jahre alt sein mochte.
Vermutlich Vater und Sohn, dachte der Fälscher. Sie sahen sich sehr ähnlich.
Beide trugen Fußballtrikots der deutschen Nationalmannschaft, was in diesen Tagen völlig normal war, und der Mann trug einen Zettel vor sich her wie ein Ritter seinen Schild: »Ticket gesucht!«
Bingo, dachte der Betrüger. Da bin ich doch gerne behilflich.
Er schlenderte auf die beiden zu. In aller Ruhe, ganz entspannt. Nur keinen Verdacht erwecken oder zu viel Druck aufbauen, indem er auf die beiden zustürmte.
Jetzt standen Vater und Sohn am Brunnen.
Der Betrüger trat an sie heran. »Grüß Gott«, sagte er. Er lispelte ziemlich stark. »Auch schon im EM-Fieber?«
»Na klar!«, rief der Junge sofort, während sein Vater nur nickte.
»Aber keine Tickets, was?«
»Nein, leider nicht«, erwiderte der Vater. »Ich …«
»Er hat mir eins zum Geburtstag versprochen, hat es aber verpennt«, schwärzte sein Sohn ihn an.
Der Vater lächelte gequält. »Du übertreibst, Alex. Die Tickets waren innerhalb von wenigen Stunden vergriffen.«
Der Junge namens Alex verschränkte die Arme vor der Brust. »Sag ich doch: Du warst zu langsam.«
Sein Vater hob schuldbewusst die Schultern. »Ich habe nun mal einen anstrengenden Job und kann nicht ständig ins Internet schauen.«
»Oh, das ist wirklich dumm gelaufen«, sagte der Betrüger verständnisvoll. »Aber wie es der Zufall will, kann ich vielleicht helfen …«
Alex’ Augen wurden groß. »Haben Sie etwa noch ein Ticket für mich?«
Der Fälscher trat noch etwas dichter heran und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Stimmt, habe ich. Sogar zwei.«
Der Vater winkte ab. »Nein, ich habe leider keine Zeit. Aber für Alex will ich gerne eins kaufen. Was wollen Sie dafür haben?«
Der Betrüger zeigte unauffällig eines der gefälschten Tickets. Dabei lächelte er sein freundliches Lächeln. »Weil Sie es sind und weil Alex Geburtstag hatte, mache ich Ihnen einen Sonderpreis: nur 700 Euro.«
»Was? Das ist doch viel zu viel!«, rief der Vater.
Der Fälscher erkannte sofort, dass der Widerstand nur schwach war. Der gute Mann hatte die Sache mit dem Geburtstagsgeschenk vermasselt und würde vermutlich noch mehr zahlen, um das Versprechen gegenüber seinem Sohn einzuhalten.
Er schüttelte den Kopf und lispelte: »Nein, das ist sogar ein Schnäppchen. Sehen Sie, bei der EM 2016 hat man für Viertelfinal-Tickets in der Kategorie 1 schon fast 200 Euro bezahlt. Fürs Finale sogar knapp 900 Euro. Außerdem habe ich meine Tickets ebenfalls auf dem – äh – freien Markt erworben und 700 Euro dafür hingeblättert.«
Das war natürlich frei erfunden, aber diese dreiste Lüge verfehlte ihre Wirkung nicht.
Alex schaute zu seinem Vater hoch. In diesem Blick lag eine unausgesprochene Bitte, fast ein Flehen. Aber angesichts der hohen Summe wagte er es offenbar nicht, ihn zu drängen.
»Okay, sagen wir 500«, versuchte der Vater zu handeln.
»Nein, wenn ich 700 sage, dann meine ich auch 700«, erwiderte der Betrüger. »Glauben Sie mir: Ich kann das Ticket auch jemand anderem verkaufen.«
In die Augen des Jungen trat Panik. Er hüpfte nervös von einem Fuß auf den anderen.
»Na schön, ich gehe schnell zum Bankautomaten da drüben«, sagte der Vater und lief los, während Alex hörbar ausatmete und die Fäuste ballte.
Drei Minuten später wechselten sieben grüne Geldscheine den Besitzer – und ein Ticket fürs Viertelfinale, das nicht mehr wert war als das Papier, auf das es gedruckt war.
Strahlend presste Alex die Eintrittskarte an sein Herz. »Du bist der Beste, Papa.«
Sein Vater strich ihm über den Kopf. »Gern geschehen. Ich hatte es dir doch versprochen«, murmelte er und nickte dem Betrüger kurz zu. »Aber jetzt müssen wir weiter.«
Der Fälscher sah ihnen nach, wie sie in die Fußgängerzone eintauchten und Richtung Marienplatz liefen.
Er lächelte noch einmal und spazierte pfeifend zu seinem roten Sportwagen, den er in der Tiefgarage an der Herzog-Wilhelm-Straße geparkt hatte. Dabei spielte er mit den Scheinen in der Hosentasche. Sein Lächeln wurde breiter und schließlich lachte er schallend.